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Ehemalige Benediktinerabtei Fischingen

Die Meister des Bauwerks
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Br. Caspar Moosbrugger OSB (1656–1723) ? Au Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1685   1685
Daniel Glattburger (um 1630–um 1710) ? Rotmonten St. Gallen ok   Baumeister 1685   1687
Chrysostomus Fröhli (1652–1724} Bichelsee Thurgau     Bildhauer 1687   1687
Br. Christian Hueber SJ (1657–1713) Messensee Tirol ok   Jesuitenbaumeister 1704   1708
Joseph Resch Wessobrunn     Stuckateur 1707   1709
Dominikus Zimmermann (1685–1766) Wessobrunn ok   Altarbauer und Stuckateur 1708   1709
Marx Fröhli (1681–1724) Bichelsee Thurgau     Bildhauer 1710   1716
Peregrin Stähelin (1677–1730) Fischingen     Bildhauer 1710   1716
Jacob Carl Stauder (1694–1756) Oberwil Baselland ok   Maler 1716   1716
Johann Jakob Hoffner (um 1690–nach 1762) Konstanz     Kunstschlosser 1743   1745
Johann Michael Beer von Bildstein (1696–1780) Au Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1751   1763
Melchior Modler (1732–1768) Kösslarn Niederbayern     Stuckateur 1755   1762
Johann Jakob Zeiller (1708–1783) Reutte Tirol Zeiller   Maler und Freskant 1761   1761
Johann Georg Aichgasser (1701–1767) Hechingen     Orgelbauer 1763   1763
Johann Josef Moosbrugger (1771-1849) Au Vorarlberg     Stuckateur 1795   1795


Geschichte

Gründung am Schwabenweg

Als Stiftung der Grafen von Toggenburg gründet der Konstanzer Bischof Ulrich von Dillingen zwischen 1133 und 1138 ein Kloster mit der Benediktsregel und besiedelt es mit Mönchen aus Petershausen.[1] Die Neugründung am «Schwabenweg», dem Weg der schwäbischen Jakobspilger nach Einsiedeln und Santiago de Compostela, liegt in unmittelbarer Nähe der toggenburgischen Stammveste. Anfänglich noch Doppelkloster, wird der Frauenkonvent Ende des 14. Jahrhunderts aufgelöst. Als Inklusin lebt hier im 12. Jahrhundert ein Mitglied der Stifterfamilie, die schnell als Heilige verehrte Idda von Toggenburg. Nach der Eroberung des Thurgaus (1460) übernehmen die Eidgenossen die Schirmherrschaft über Fischingen. Zur Reformationszeit, 1526 bis 1540, ist das Klosterleben nach dem Übertritt des Abtes und von vier Mönchen zum reformierten Glauben erloschen. Erst der Sieg der Katholiken bei Kappel (1531) erlaubt den katholischen Orten, in der Landvogtei Thurgau die Klöster wieder zu beleben. In Fischingen setzen sie den mit der «gnädigen Frauw Äbtissin» noch im Kloster lebenden Abt sofort ab und verweisen ihn aus dem Kloster. Fischingen erlebt nach der Wiedereinrichtung des Konventes ab 1540 bis zum Ende des 16. Jahrhunderts einen steten Aufschwung und zählt schon 1650 wieder 22 Mönche.

17. Jahrhundert

Eine Reihe hervorragender Äbte führt in der Barockzeit den Konvent von stets 30 bis 34 Mönchen zu einer religiösen, geistigen und kulturellen Blüte. Abt Placidus Brunschwiler, ein Bauernsohn aus Sirnach, sichert in seiner langen Regierung (1616–1672) durch geschickte Wirtschaftsführung und Neuerwerbungen die materielle Grundlage des Klosters. Unter Abt Joachim Seiler (1672–1688) steht der Konvent auf dem Höhepunkt des geistlichen Lebens. Ein Legat des thurgauischen Landschreibers Wolfgang Reding von Biberegg und seiner Familie[2] ermöglicht 1685 bis 1687 den Bau der neuen Klosterkirche. 1693 erwirbt Fischingen vom Konstanzer Bischof die Herrschaft Tannegg. Zusammen mit den im 15. Jahrhundert erworbenen Vogteien sowie den Herrschaften Lommis (1599), Spiegelberg (1629) und Wildern (1683) bildet der Klosterstaat Fischingen Ende des 17. Jahrhunderts ein geschlossenes Territorium, das den ganzen Hinterthurgau umfasst.

karte   Zur Karte der Herrschaft Fischingen im 18. Jahrhundert


18. Jahrhundert

Abt Franz Troger (1688–1728) ist Bauherr der Iddakapelle, die mit der Bauzeit von 1704–1708 als hochbarocker Zentralbau einen nordseitigen Schleppdach-Anbau von 1625 ablöst. Abt Nikolaus Degen lässt 1753–1761 den Psallierchor der Kirche und die grosszügigen barocken Konventflügel im Osten und Süden des Gevierts erbauen; im Westen bleiben wegen Geldmangels die Bauten von 1577 und 1635 bestehen.

Das Ende und ein Neuanfang

Die Französische Revolution bringt den Verlust der weltlichen Herrschaft. Abt Augustin Bloch und sein Konvent wissen sich dem Umbruch anzupassen, indem sie ein gutes Verhältnis zum neuen Kanton Thurgau suchen. Umsonst, der junge Staat braucht Geldmittel. Der radikal-liberalen Staatsumwälzung folgt 1836 das Klostergesetz, mit welchem die staatliche Verwaltung des Klosters beginnt. 1848 enteignet der thurgauische Grosse Rat (mit 53 zu 41 Stimmen) Fischingen mit sieben andern Klöstern im Kantonsgebiet entschädigungslos und vertreibt die Mönche.
1852–1879 dienen die Klostergebäude als Fabrik (Jacquardweberei) und Handelsschule. 1879 kauft der Verein St. Iddazell Kloster und Liegenschaften und gründet darin die Waisenanstalt St. Iddazell, die sich in der Folge zum Kinder- und Schülerheim entwickelt.
1977 erfolgt die Wiedererrichtung des Klosters als Benediktiner-Priorat mit sechs Professen aus Engelberg. 1982 wird ein Bildungshaus im Ost- und Südflügel der Konventgebäude eröffnet. Die Klosteranlagen werden seither vorbildlich restauriert.

 

Die Konventbauten

Das Altkloster im Westen

Gebäudeteile der alten Anlage, das sogenannte Altkloster, prägen die heutige Klosterfront zum Dorf. Auf den hier geplanten barocken Westflügel muss 1775 wegen Überschuldung verzichtet werden. Die Sicht von der Strasse ergibt heute folgende Abfolge: Iddakapelle von 1708 mit Kirchturm von 1587 (erhöht 1727 und 1751), dann die Kirche von 1687. Rechts der Kirche folgen die alten Abteien: Zuerst der Abt-Brunner-Bau von 1577 mit einem Reststück des überwölbten Kreuzganges. Anschliessend der Abt-Brunschwiler-Bau von 1635, mit Reihenfenstern und einer hübschen, aus einem Sprenggiebelportal mit äbtischem Wappenstein und übergeordnetem Zwillingsfenster gebildeten Gruppe. Dann folgt, durch den Hofeingang getrennt, der südwestliche Eckbau des Neuklosters mit der neuen Abtei, der Prälatur.

Das Neukloster von 1735–1765

Bereits 1712 befasst sich Abt Franz Troger mit dem Klosterneubau. Eine Planvedute aus dem Umfeld Caspar Moosbruggers ist im Klosterarchiv Einsiedeln erhalten. Die Realisierung wird aber erst 1748, nach der Wahl von Abt Nikolaus Degen (1747–1776) weiterverfolgt. Der Auftrag geht vorerst an Johannes Rüeff, der soeben den Einsiedler Klosterplatz erstellt hat. Zur Begutachtung seines Projektes wird 1749 Johann Caspar Bagnato beigezogen. Der Bau des Neuklosters ist Rüeff bereits vertraglich zugesichert, als er am 8. oder 9. April 1750 bei einem Bauunfall in Lachen am Zürichsee stirbt. Nun wird Johann Michael Beer I, Vorarlberger Baumeister und Adlerwirt von Bildstein, für die weitere Planung beigezogen. Er übernimmt das Moosbrugger-Rüeff-Konzept, überarbeitet aber die Pläne. Eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem Projekt um 1740[3] für Mehrerau ist feststellbar. Schon dort hat er anstelle eines Mittelrisalits am Südflügel den ungewöhnlich aus der Front herausstehenden Querbau geplant. Am 7. September 1753 schliesst er mit dem Konvent einen Arbeits-Akkord über 38 000 Gulden. Für diese Summe muss er während der Sommermonate die Bauleute und Stuckateure stellen.
Bis 1757 ist der Rohbau des Süd- und Ostflügels beendet. Zwischen viergeschossigen Eckpavillons unter Mansarddächern sind dreigeschossige Verbindungstrakte mit Giebeldächern angeordnet. Eine Besonderheit ist der südliche Querbau mit Gastsaal und Refektorium. 1761 bezieht der Konvent die neuen Räume. Inzwischen hat der Bau bereits 75 000 Gulden verschlungen. Noch kann die reiche Rokokoausstattung der Prälatur im südwestlichen Eckpavillon vollendet werden. Der Abt bewohnt jetzt wahrhaft fürstliche Räume, aber die Schuldenlast ist drückend. Der repräsentative Westflügel wird nicht mehr begonnen. 1775 löst Abt Nikolaus Degen den Vertrag mit Beer auf, er selber muss 1776 abdanken. Er muss den unvollendeten Zustand seines barocken Neuklosters bedauert haben. Aus heutiger Sicht jedoch darf dies als Glücksfall bezeichnet werden. Bietet sich doch dadurch die einzigartige Situation, dass beide, sowohl die alten Abteien (Abtresidenzen) von 1577 und 1637, wie auch die neue Abtei von 1761 erhalten geblieben sind und die Wohnverhältnisse der jeweiligen Äbte miteinander verglichen werden können.

 

Klosterkirche St. Maria und Johannes der Täufer

Kirchenneubau 1685–1687

Am 23. März 1685 fasst das Klosterkapitel den Baubeschluss für eine neue Kirche, nachdem ein Legat der schwyzerischen Familie Reding von Biberegg die Finanzierung sichert. Die Vorgängerkirche von 1410 soll durch einen Neubau ersetzt werden, ohne aber den nordseitigen Turm von 1587 anzutasten. Auch die erst 1625 umgebaute, ebenfalls nordseitig angebaute Iddakapelle muss belassen werden. Die neue Kirche wird von 1685 bis 1687 als einfache Saalkirche errichtet, instrumentiert mit klassischen Wandvorlagen, sogenannten Pilastern, jonischer Ordnung im Schiff und toskanischer Ordnung im Chor. Die 1685 schon erstellten Kirchen in Dillingen, Luzern, Solothurn und Ellwangen sind Wandpfeilerräume. Damit kann der Schub des Gewölbes in die innen liegenden Wandpfeiler, ähnlich wie bei gotischen Kirchen in die aussen anliegenden Strebepfeiler, abgeleitet werden. In Fischingen wird auf diese Lösung zu Gunsten einer möglichst grossen und pfeilerfreien Grundrissfläche für den anwachsenden Pilgerstrom verzichtet. Ein ausgereiftes Dachtragwerk muss jetzt die Gewölbeschubkräfte übernehmen. Das gewählte Tragwerk mit Hängesäule und schmiedeisernen Diagonalzugstangen erlaubt die Spannweite von fast 13 Metern. Damit erhält die Kirche nicht nur eine hohe Stichkappentonne als Gewölbe, sie ist auch knapp vier Meter breiter als der Vorgängerbau. Die Verbreiterung erfolgt nach Süden, zu Lasten des Abt-Brunner-Baus.

Gewölbe in «Misoxer» Art

Das Gewölbe des Innenraumes, eine Tonne mit bis zum Scheitel reichenden Stichkappen, ein so genanntes falsches Kreuzgewölbe, atmet noch gotischen Geist. Verstärkt wird dies durch die Gratbetonung mit Stuckrippen[4] . Die Medaillons in den Diagonalrippenkreuzungen erinnern an gotische Schlusssteine. Die Art von Gewölbe und gratbetonendem Stuck gleicht der 1641 durch den Misoxer Alberto Barbieri begonnenen und erst 1678–1680 durch Daniel Glattburger eingewölbten Benediktinerkirche von Neu St. Johann im Toggenburg. Ihr Gewölbe ist mit Tuffsteinen gemauert. Ein ähnliches gratbetontes Gewölbe erstellt Glattburger 1679 im Münster von Konstanz, zusammen mit dem planenden und technisch versierten Jesuitenbaumeister Br. Heinrich Mayer[5] . Wie bei seiner Mariahilfkirche in Luzern (1680) schreibt er ein Ziegelsteingewölbe mit Leichtziegel[6] vor. In Fischingen finden wir nun ein praktisch identisches Gewölbe. Sind hier die gleichen Baumeister am Werk? Ist Glattburger auch der Baumeister von Fischingen? Tatsächlich kennen wir weder den Planer noch den Baumeister der Kirche und sind auf Vermutungen angewiesen. Aus den Akten des Klosters Einsiedeln sind mehrfache Aufenthalte des jungen Br. Caspar Moosbruggers während des Neubaus in Fischingen bekannt. Er sind die einzigen Quellenhinweise auf einen Planer. Moosbrugger muss sich intensiv mit dem Bau befasst haben, ist Gutachter und Berater, eventuell auch Planer, aber nicht Baumeister. Siehe dazu auch den Exkurs zur Baumeisterfrage.

Die Ausstattung von 1687 bis 1690

Von der Ausstattung der Kirche sind das Chorgestühl und die Kanzel von Chrysotimus Fröhli (1652–1724) aus Bichelsee, das Hochaltarbild des Rapperswiler Malers Johann Michael Hunger (1634–1714) und die Emporenbrüstung mit dem Idda-Zyklus des Zugers Johannes Brandenberg (1661–1729, Zuschreibung) erhalten. Das noch der Renaissance verhaftende Chorgestühl mit 44 Stallen ist heute im Psallierchor aufgestellt. Das Altarbild des Michael Hunger ist an die Südwand des Unteren Chors versetzt worden.

 

Iddakapelle

Die nordseitige Iddakapelle von 1625, ein Schleppdachanbau, ist 1685 beim Kirchenneubau nicht verändert worden. Das stetige Anwachsen der Wallfahrt veranlasst aber den Konvent unter Abt Franz Troger bereits 1703, einen Neubau der Iddakapelle zu beschliessen. Bauleiter und vermutlich auch Planer ist der Konstanzer Jesuitenbruder Christian Hueber (1657–1713)[7] . Wieder ist im Hintergrund Br. Caspar Moosbrugger tätig, der sich ab 1699 mehrfach in Fischingen aufhält. Die 1704–1708 angefügte Iddakapelle ist eine der wohlgeformtesten Zentralbauten des schweizerischen Hochbarock. Mit ihr hat Fischingen den Anschluss an den internationalen Barock gefunden.
Unter einer hohen Scheinkuppel öffnet sich der achtseitige Zentralraum auf breite Kreuzarmflügel und schmale Diagonalräume, die den sperrigen Kreuzgrundriss verschleifen. Der breit modellierte Wand- und Deckenstuck des Wessobrunners Joseph Resch[8] säumt an den Hochwänden des Mittelraumes vier breitovale Leinwandbilder mit Iddadarstellungen des Zuger Malers Wickhart.
Die Stuckmarmor-Innenausstattung ist das erste gesicherte Werk des jungen Dominik Zimmermann (1685–1766). Abt Franz Troger verdingt ihm 1708 den Hochaltar und fünf Nebenaltäre in Stuckmarmor. Die Altäre bilden eine vollkommene Einheit mit der Architektur und enthalten reiche und meisterhafte Scaglioabilder. Auch Jacob Carl Stauder (1694–1756) schafft mit dem Hauptaltarbild eines seiner ersten Werke.
Kultisches Zentrum ist die zum Kirchenraum durchgehende Nische der heiligen Idda[9] , beidseitig reich mit barockem Figuren- und Akanthusblattwerk geschmückt, kapellenseitig mit dem einst bunt gefassten Sandstein-Kenotaph, einem um 1494 geschaffenen Sarkophag mit der Liegefigur der Heiligen. Er bietet den Pilgern eine Öffnung, in welche er die müden und kranken Füsse zu Genesung hineinstrecken kann.

Buntes Konstanzer Gitterwerk

Der Konstanzer Schlosser Johann Jakob Hoffner (1690–1750) ist Schöpfer des reichen Gitterwerkes zum Unteren Chor und zu der Iddakapelle. Die scheinperspektivischen Gitter von 1743–1745 sind reich mit Régence- und Rokoko-Ornamenten geschmückt. Die bunte Lüsterung über Gold und Silber ist erst 1958 wieder freigelegt worden und hat in der Fachwelt für Aufsehen gesorgt.


Psallierchor

Reiches Rokoko im Psallierchor

Im Rahmen des Klosterneubaus von 1753–1765 wird ab 1757 die Kirche durch Johann Michael I Beer von Bildstein verlängert. Über der neuen Sakristei hinter dem Unteren Chor baut Beer den Mönchschor, den sogenannten Psallierchor oder Oberen Chor, als Fortsetzung des Kirchenraumes. Der Obere Chor erhält eine flache, aufgehängte Stucktonne. Das Chorgestühl wir hierhin versetzt. Der Raum wird durch die Stuckaturen des Melchior Modler (1732–1768) aus Kösslarn in Niederbayern und das raumfüllende Deckenfresko des berühmten Künstlers Johann Jakob Zeiller (1708–1783) aus Reutte im Tirol zum Rokokojuwel. Sein Fresko ist eine Verherrlichung des heiligen Benedikt mit den Personifikationen der vier Erdteile. Unterhalb der Figurengruppe «Europa» und seitlich des Rocaille-Schildes mit dem Abt-Degen-Wappen findet sich das Selbstporträt des Malers. Vollends zum Gesamtkunstwerk wird der Obere Chor 1763 mit dem Einbau der weit ausladenden Psallierchor-Orgel des Orgelbauers Johann Georg Aichgasser (1701–1767) aus Überlingen. Die Orgel mit dem bunt flammend marmorierten Gehäuse und den vergoldeten Krönungsrocaillen bildet den Chorhintergrund und ist auch für den Besucher im Kirchenschiff sichtbar.

Louis XV im Unteren Chor

Noch einmal, sechs Jahre nach Ausbruch der Französischen Revolution und drei Jahre vor dem Einmarsch der Franzosen, wird 1795 in der Klosterkirche umgebaut. Abt Augustin Bloch fügt im Unteren Chor zierliche klassizistische Arkaden ein und lässt die Gewölbe im «Zopfstil» stuckieren. Die Gemälde des Saulgauers Josef Anton Messmer (1747–1827) atmen aber noch immer den heiteren Geist des Rokoko.

Von 1848 bis Heute

1848 enteignet der thurgauische Grosse Rat (mit 53 zu 41 Stimmen) Fischingen mit sieben andern Klöstern im Kantonsgebiet entschädigungslos und vertreibt die Mönche. Die Klosterkirche wird Besitz der katholischen Kirchgemeinde. 1883–1887 erfolgt eine gutgemeinte Gesamtrenovation durch die Firma Traub aus Zwiefalten unter der Leitung des Kirchenarchitekten Augustin Hardegger, die barocke Farbigkeit weicht einer einheitlichen lehmfarbigen Tönung, die Deckengemälde der Iddakapelle werden vom Münchner Maler Alois Katzenstein sogar mit neuen Darstellungen überstrichen. Denkmalpfleger Albert Knoepfli bezeichnet die Neufassung später als «missmutige Polychromie». Er wird 1956–1958 die Farbigkeit der Fassungen und die barocken Fresken wieder entdecken und freilegen. Die heutige Denkmalpflegepraxis würde diesen mutigen Schritt nicht mehr zulassen. 2002–2006 wird die Kirche erneut umfassend restauriert. Die technischen Eingriffe dieser kürzlichen Restaurierung sind enorm: Die Kirche und auch die Iddakapelle sind jetzt beheizt. Sichtbare Veränderungen sind die neuen liturgischen Orte: Die Altarinsel im Laienschiff vor dem Chorgitter, der Taufbrunnen im Unteren Chor und die Altarinsel in der Iddakapelle sind überzeugend gut integrierte Werke von Kurt Sigrist (*1943) aus Sarnen.

Pius Bieri 2008   

 

Benutzte Literatur:

Knoepfli, Albert: Die Kunstdenkmäler des Kantons Thurgau, Band II, Der Bezirk Münchwilen (Kunstdenkmäler der Schweiz, Band 34 der Gesamtreihe), Basel 1955.
Mathis, Hans Peter u. a. : Barockes Fischingen, Ausstellungskatalog, Gossau 1991.
Denkmalpflege des Kantons Thurgau (Hrsg): Kloster Fischingen. Die Restaurierung der barocken Prälatur, Frauenfeld 2000.
Betz, Jutta: Benediktinerabtei Fischingen, Kirchenführer, Passau 2007.
Sendner, Beatrice: Die 1685–1687 neu erbaute Klosterkirche, in: Neues Licht auf Fischingen. Die Restaurierung der Klosterkirche 2000–2008, Frauenfeld 2008.

Anmerkungen:
[1] Die Stiftung durch die Grafen von Toggenburg ist nicht nachgewiesen, ein anderer Stifter ist allerdings im Zentrum der Grafschaft und in Sichtweite der Stammburg auszuschliessen.

[2] Schwyzer Magistratengeschlecht. Aus dieser Familie stammt auch der Einsiedler Fürstabt Augustin II. (1625-1692)

[3] Es wird dann erst 1779−1781 stark vereinfacht von seinem Neffen Johann Ferdinand Beer ausgeführt.

[4] Der Stuck ist in reinem Kalkmörtel ausgeführt. Nach Oskar Emmenegger («Misoxer Baumeister» 2000) sind die Stuckarbeiten der Misoxer des 16. und 17. Jahrhunderts ausnahmslos nur aus Sumpfkalk und Sand. Der Verzicht auf Gipsbeimischung in Fischingen könnte einen Maurermeister aus Misoxer Umfeld bedeuten.

[5] Heinrich Mayer erhält dafür 10 Gulden und 48 Kreuzer. Seit 1887 (Kraus, Kunstdenkmäler) wird der Name des Gewölbebauers in der deutschen Literatur konsequent falsch als Blattburger geschrieben. Siehe Dehio 1997.

[6] In der Schweiz wird für den Vollziegel das Wort Backstein verwendet, was dem Wesen des Materials näher kommt. Für die Gewölbebacksteine wird das Gewicht beim Brennen mit Beimischen von Sägemehl reduziert, was dann die Gewölbe-Leichtziegel ergibt. Sie lösen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Natursteingewölbe der Misoxer ab.

[7] Albert Knoepfli vermutet auch Einflüsse von Giovanni Antonio Viscardi, der um diese Zeit viel in sein Heimatort Roveredo zurückkehrt.

[8] Joseph Resch heiratet 1708 in Fischingen die einheimische Maria Catharina Stehelin. Schon 1709 ist er in Diensten des Konstanzer Fürstbischofs Johann Franz Schenk von Stauffenberg in Lautlingen tätig. Er muss aber bereits vor den Stuckmarmorarbeiten Zimmermanns (1708–1709) in Fischingen als Stuckateur gearbeitet haben.

[9] Die hl. Idda, eine Gräfin von Toggenburg, ist der Legende nach von ihrem Gatten der Untreue mit einem Jäger bezichtigt und von der Burgzinne hinab in die felsige Tiefe gestürzt worden. Wunderbar errettet, haust sie zunächst als Einsiedlerin in einer Höhle. Jede Nacht pflegt sie die Mette der Mönche in Fischingen zu besuchen, wohin sie ein Hirsch mit zwölf Lichtern auf dem Geweih begleitet. Später lebt sie im Frauenkloster Fischingen, wo sie in ihrer Klause um das Jahr 1226 stirbt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  Ehemalige Benediktinerabtei Fischingen  
  FischingenGrRiss  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Fischingen Thurgau CH Herrschaft Fischingen
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Konstanz 1685 (1704, 1753).
Bauherr und Bauträger

ok Abt Joachim Seiler (reg. 1672−1688 )
ok Abt Franziskus Troger (reg. 1688–1728)
ok Abt Nikolaus Degen (1747–1776)

 
  Der Grundriss der Klosterkirche und der Iddakapelle zeigt die vielen Bauetappen von Turm und Iddagrab aus dem 16. Jahrhundert bis zum Vorzeichen von 1904.   pdf  
   
FischingenK1
Der Klosterhof mit der Katharinenkapelle des Abt-Brunschwiler-Baus im Vordergrund.  
   
FischingenEtappen
Der Grundrissplan der Konventbauten mit Kirche und Iddakapelle mit Etappierungen und Erläuterungen (> anklicken). Deutlich ist zu sehen, wie anstelle des geplanten barocken Westflügels die Bauten von 1577 und 1635 den Hof schliessen.  
Fischingen1751
Johann Michael Beer von Bildstein zeichnet 1751 ein Vogelschauansicht seines Projektes aus Westen. Er kann nur den Ost- und Südflügel bauen. Im Mittelrisalit des Westflügels plant er das Haupttreppenhaus für den repräsentativen Empfang, das heute fehlt.  
FischingenK4
Der Westflügel mit den Bauten von 1577 (vorne) und 1635 (hinten). Im Hintergrund der Eckpavillon der Prälatur.  
FischingenK2
Der Südflügel mit dem mittleren, weit vorstehenden Querbau. Im obersten Geschoss liegt zur Barockzeit der Gastsaal, darunter das Refektorium.  
FischingenK3
Der Ostflügel birgt zur Barockzeit in seinem SO-Pavillon (vorne) das Priorat, anschliessend die Arbeits- und Schlafräume der Mönche mit einem grossen Treppenhaus im hofseitigen Mittelrisalit.  
FischingenKi1
Die Klosterkirche zeigt Stilelemente vom Frühbarock bis zum Klassizismus. Das Laienschiff wird vom Gitter des Konstanzer Kunstschlossers Hoffner abgeschlossen. Der Chor erhält 1795 eine Arkadengalerie und Stuckaturen des Klassizismus, zu denen auch die wappentragenden Engel am Chorbogen zählen. Im Vordergrund ist die Kanzel des Bildhauers Fröhli von 1687 zu sehen. Im Hintergrund ist der Psallierchor mit der Orgel von Aichgasser und den Deckenfresken von Zeiller sichtbar.  
FischingenKi2
Die Orgel des Überlinger Orgelbauers Aichgasser (1763) hat 33 Register, das Werk ist original erhalten. Es weist Registergruppen von 1611, 1690, 1741 und 1763 auf. Die Restaurierung 1957 legt auch die Originalpolychromie frei.  
Idda1
Das Kenotaph der hl. Idda von Toggenburg liegt seit dem Spätmittelalter an der Schnittstelle der nördlichen Schiffsmauer zur Iddakapelle beidseitig mit barocken Aufbauten reich ausgezeichnet. Eine doppelseitige Darstellung der Heiligen, immer in Begleitung eines Hirsches, ist kirchenseitig (oben) etwas strenger gefasst als auf der Kapellenseite. Das Wappen des Abtes Placidus Vogt verweist in eine Entstehungszeit um 1740.  
Idda2
Die kapellenseitige Rahmung des über dem Kenotaph liegenden Aufbaus mit reichplastischem Akanthus-Federwerk von Marx Fröhli wird mit dem Neubau der Iddakapelle erstellt und weist feinplastisch gearbeitete Medaillonreliefs von Peregrin Stähelin auf.  
Idda6
Die Iddakapelle aussen, von Westen gesehen  
Idda3
Die Iddakapelle ist ein einheitlicher und wohlgeformter Zentralbau des Hochbarock. Der Einblick in das Gewölbe mit den Stuckaturen des Wessobrunners Joseph Resch. Der Maler der grossen, dunklen Deckenbilder ist nicht bekannt. Neuestens wird Franz Carl Stauder vermutet.  
Idda4
Der Eingang zur Iddakapelle ist mit dem Gitter des Kunstschlossers Hoffner aus Konstanz verschlossen, das mit dem Wappen des Abtes Placidus Vogt (reg. 1735–1747) bekrönt ist, während über Öffnung das Klosterwappen (in Blau zwei silberne Fische) und das Wappen des Abtes Franz Troger (reg. 1688–1728) mit der Weiheinschrift 1705 angebracht ist.  
Idda5
Der Idda-Altar (1708) und die fünf Nebenaltäre in der Iddakapelle sind die ersten bekannten Werke von Dominikus Zimmermann. Das Altarblatt mit der Darstellung der hl. Idda, die von ihrem Gatten wieder gefunden wird, ist ein Werk des Malers Jacob Carl Stauder.  

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Bauen Misoxer Baumeister die Klosterkirche Fischingen?

Der ausführende Meister des Neubaus der Klosterkirche wird seit kurzem im Umfeld von Misoxer Bauleuten gesucht.[1] Dafür spricht die «Weisse Architekturmalerei»,[2] auch die Art der Stichkappengewölbe und des Stuckes.
Eine spezielle, in Fischingen verwendete Zugstangenkonstruktion mit schräg verlaufenden Eisenschlaudern ist auch in den Gewölben der Stiftskirche Kempten zu finden.[3] Ausführender Baumeister in Kempten ist der Misoxer Giovanni Serro.
Die Architekturelemente mit Misoxer Wurzeln und die Zugstangentechnik der Gewölbe von Kempten lassen nun die Autoren der Studie über Fischingen vermuten, dass die Klosterkirche von Fischingen ein Werk von Giovanni (Johann) Serro aus Roveredo oder dessen Umkreis ist.[4]
Albert Knoepfli nimmt in der Baumeisterfrage zusätzlich ein Beteiligung Moosbruggers an. Er äussert sich 1955 vorsichtig: «Es ist also bei einem zu vermutenden Gemeinschaftswerk schwer zu sagen, ob und in welchem Masse sich Caspar Moosbruggers Anteil auf die Inspiration bezieht oder sich auf blosse Begutachtung beschränkt».[5]
Knoepfli verweist gleichzeitig auf die guten Beziehungen der Fischinger Benediktiner zu den Jesuiten in Konstanz. Die Zuschreibung an einen Baumeister mit Beziehungen zu den Jesuiten, zu Konstanz und aus einem Misoxer Umkreis führt zu Daniel Glattburger, dem Mitarbeiter von Giulio Barbieri in St. Gallen. Er könnte von der Abtei St. Gallen, wie schon 1675 für Disentis, auch für Fischingen empfohlen worden sein. Er wendet die gleiche Gewölbetechnik im Münster Konstanz und in der Klosterkirche Neu St. Johann an. Vor allem das statische Hilfsmittel der Zugeisen in den Gewölbespickeln wendet er 1679 nach Vorgaben von Br. Heinrich Mayer SJ in Konstanz an.[6]
Anstelle von Giovanni Serro schlage ich deshalb Daniel Glattburger als ausführenden Baumeister der Klosterkirche Fischingen vor.

Pius Bieri 2008

Benutzte Literatur:
Kraus, Franz Xaver: Die Kunstdenkmäler des Grossherzogthums Baden, Erster Band, Freiburg 1887.
Knoepfli, Albert: Die Kunstdenkmäler des Kantons Thurgau, Band II, Der Bezirk Münchwilen (Kunstdenkmäler der Schweiz, Band 34 der Gesamtreihe), Basel 1955.
Sendner, Beatrice: Die 1685–1687 neu erbaute Klosterkirche, in: Neues Licht auf Fischingen. Die Restaurierung der Klosterkirche 2000–2008, Frauenfeld 2008.

Anmerkungen:
[1] Sendner, Beatrice in: Neues Licht auf Fischingen. Die Restaurierung der Klosterkirche 2000–2008, Frauenfeld 2008.

[2] Der Bau von 1687 weist um die Fensteröffnungen an der Fassade eine Art barocker Sgraffiti auf. Der Sturzbogen ist mit reichen Akanthus-Blattranken gefasst und abwechselnd mit Muschel oder Blütenkorb bekrönt. Die weissen Rahmen heben sich wie Spitzen vom naturfarbenen Untergrund ab. Es ist die Art der «collarini» der Misoxer Bauleute, die auch als «Weisse Architekturmalerei« bezeichnet wird. Sie ist in der Regel noch der Renaissance verhaftet. Nicht so in Fischingen, hier dringt das barocke Denken in der «Weissen Architekturmalerei» durch.

[3] Im Raum der Gewölbezwickel unter dem Dachstuhl finden sich massive, schräg von unten nach oben verlaufende Eisenstangen, die unten auf Kämpferhöhe mit den Aussenwänden verankert und oben am Holzbinder befestigt sind. Sie fangen, umgelenkt über den Dachbinder, den Horizontalschub des Gewölbes auf. Diese Ausführungsart ist auch in den Gewölben des Münsters Konstanz (1679, Glattburger) nachgewiesen. Die Art der Konstanzer und Kemptener Zugstangen lässt sich auch in weiteren Gewölben bei basilikalen Querschnitten oder bei Saalkirchen nachweisen. So sichert der Misoxer Baumeister Viscardi 1700–1704 das Gewölbe des Langchores von Fürstenfeld derart. Auch der Lehrmeister von Balthasar Neumann, der aus dem Vorarlberg stammend Baumeister Joseph Greissing, wendet diese Zugstangentechnik 1713 in der Schlosskirche von Friesenhausen an.

[4] Die Zuschreibung irritiert: Serro, bereits 1623 im Meisterverzeichnis von Roveredo erwähnt, lebt 1685 wahrscheinlich nicht mehr, ist aber sicher nicht mehr berufstätig. Der Umkreis von Giovanni Serro um 1686 ist sehr dünn: Die Partner Serros, Giulio Barbieri und seine Brüder Domenico und Pietro sind verstorben. Ebenfalls tot ist Tomaso Comacio. Die grossen Baumeister, Zucalli in München und Engel (Angelini) in Eichstätt sind am Hof verpflichtet und unabkömmlich. Der junge Viscardi installiert sich zu dieser Zeit mit seiner Familie in München. Es bleiben die Söhne des Domenico Barbieri, Martino II und Bartolomeo. Martino II Barbieri arbeitet 1661 unter Serro in Kempten und 1687–1696 unter Giovanni Rampini in Sulzbach (Oberpfalz). Eine erste selbständige Tätigkeit dieser Misoxer in Fischingen wäre zeitlich möglich. Warum aber sollte Abt Joachim Seiler von Wil und die geldgebende und mitbestimmende Familie Reding unbekannte Misoxer und nie im Gebiet tätige Bauleute wählen, wo sie doch auf einen einheimischen Meister mit besten Empfehlungen zurückgreifen können? Daniel Glattburger aus Rotmonten wölbt kurz vorher die Klosterkirche von Neu St. Johann und das Münster von Konstanz. Er hat in der Abtei St. Gallen mit dem Misoxer Giulio Barbieri gearbeitet, die Technik der Misoxer ist ihm deshalb vertraut. Zudem verwendet er in Konstanz die genau gleiche Art der Eisen-Zugstangen, die nun mit Kempten in Verbindung gebracht werden. Er ist Planer und wird deshalb vom St. Galler Abt bereits 1675 nach Disentis empfohlen. Könnte Glattburger nicht auch in Fischingen gewölbt haben oder der beauftragte Baumeister sein?

[5] Knoepfli, Albert: KDM TG, Band II, Der Bezirk Münchwilen, Basel 1955.

[6] Siehe auch die Biographie Heinrich Mayer (1636–1692).
Zum Münster Konstanz siehe die unten dokumentierten Darstellungen aus Kraus, Franz Xaver: Die Kunstdenkmäler des Grossherzogthums Baden, Erster Band, Freiburg 1887

Exkurs1   Exkurs2   <
Die Ausführung der Deckengewölbe im Münster Konstanz 1679.

Planer: Br. Heinrich Mayer SJ.
Baumeister: Daniel Glattburger.

Aus:
Kraus, Franz Xaver: Die Kunstdenkmäler des Grossherzogthums Baden, Erster Band, Freiburg 1887.
Ausschnit aus Schnitt Seite 133 und Text Seite 128.

 

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