Das Wappen Kaltental (oder Kaltenthal) in der Mitte des Epitaphs in der Wallfahrtskirche Maria Birnbaum. Es zeigt in Rot ein silbernes Hirschgeweih mit Grind und ist mit dem Ordenskreuz hinterlegt. Die Helmzier ist ein wachsender, roter, linksgewendeter Hirsch mit silbernem Schräglinksstreifen am Hals. Mehr dazu siehe im nebenstehenden Text unten.
Foto: G. Freihalter 2014
Byern
Über den Erbauer der Wallfahrtskirche Maria Birnbaum, den Deutschordens-Komtur Johann Philipp von Kaltental (oder Kaltenthal) sind ausser der Herkunft aus dem Neckargebiet nur wenige Daten aus seiner Ordenstätigkeit bekannt. Selbst sein Geburtsjahr ist nicht erforscht. Quellen zum Bildungsweg bis zu seiner Aufnahme in den Orden könnten vorhanden sein, sind aber bisher nicht berücksichtigt worden. Seine Biografien, auch die vorliegende Kurzbiografie, fussen deshalb zum grossen Teil auf Vermutungen. Eine der raren Ordensnotizen, die ihn 1651 in päpstlichem Kriegsdienst bezeichnen, verleiten zu Spekulationen über italienische Studien des Architektur-Dilettanten Kaltental. Erst mit seinem Wirken als Komtur in Blumenthal von 1658–1669 beruht die Tätigkeit auf Fakten.
Kaltental
Land 18. Jahrhundert
Herzogtum Württemberg
Regierungszeit
1658–1669
Land 18. Jahrhundert
Kursfürstentum Bayern
Biografische Daten
Kurzbiografie
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Bildlegende
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Philipp Jakob von Kaltental (1600/05–1669), Komtur in Blumenthal

Philipp Jakob von Kaltental (um 1600/05–1669)

Komtur des Deutschen Ordens in Blumenthal 1658–1669

Herkunft 
Die Kaltenthal oder Kaltental sind ein uraltes schwäbisches Adelsgeschlecht. 1278 sind sie Lehensträger der Ortschaft Aldingen, [1] vorerst der Grafen von Tübingen-Asperg, bis zum Aussterben des Aldinger Zweiges der Kaltental (1746) Lehensträger der Herzöge von Württemberg. Aldingen liegt am Neckar bei Ludwigsburg und heisst heute Remseck. Die Dorfkirche beherbergt viele Grabdenkmäler der Kaltentals, die auch nach der württembergischen Reformation beim alten Glauben bleiben. Auf Schloss Aldingen wird um 1605 Philipp Jakob als Sohn der Eheleute Hans von Kaltental und der Margarethe Johanna von Stain geboren.

Dillingen
Ein Immatrikulierungs-Eintrag vom 14. Januar 1616 der Universität Dillingen lautet «Philippus Jacobus a Kaltental Aldigensis in Wirttembergia fil. Philippi Joannis ad rud.». Es muss sich hier um unseren Philipp Jakob handeln, der in die Rudimenta, der ersten Klasse des Jesuitengymnasium eintritt. [2] Schon sein älterer Bruder Philipp Diepold ist hier 1601 immatrikuliert. Dieser tritt später in den Johanniterorden ein. Die Schwester Maria Magdalena wird in das freiadelige Damenstift Lindau aufgenommen, die Schwester Maria Johanna tritt in die Zisterzienserinnenabtei Gutenzell ein.

Ellingen
Im Januar 1627 wird Philipp Jakob von Kaltental in Ellingen als Ritter des Deutschen Ordens eingekleidet. [3] Ellingen ist Sitz des Landkomturs und damit Verwaltungszentrum der Ballei Franken mit noch 14 bestehenden Kommenden. Schon im Mai 1627 wird Ordensritter Kaltental zum «Baumeister» ernannt. Damit ist er zuständig für die Instandhaltung der Kommende, was Verhandlungs- und Wirtschaftsgeschick erfordert, aber keine Bauerfahrung voraussetzt. Ein ähnliches Amt bekleidet in barocken Benediktinerklöstern der Kellner oder Ökonom (Cellarius).

Freudenthal und Mergentheim
Freudental und Eulenberg in Schlesien sind seit 1621 Herrschaften des Deutschen Ordens und  Besitzungen des jeweiligen Hochmeisters. Beide werden von einem Ordenskomtur mit dem Titel Statthalter verwaltet. 1631 beordert der Hoch- und Deutschmeister Johann Kaspar von Stadion den Ellinger Baumeister Kaltental als «Hauskomtur» nach Schloss Freudenthal. Er ist demnach Vertreter des dortigen Statthalters Elkershausen, genannt Klüppel, [4] der sich in den schlesischen Herrschaften vor allem mit der Alimentierung der kaiserlichen Truppen durch Musketenlieferungen auszeichnet, denn in beiden Herrschaften ist die Eisenindustrie führend. Die Region ist 1626/27 Kriegsschauplatz, aber erst 1639 fallen die Schweden erneut ein. Kaltental hält sich aber in diesem Jahr bereits in Mergentheim auf.
Die Kommende Mergentheim ist seit der Reformation Ordenshauptsitz. Hier amtet Kaltental ab 1638 als Hauskomtur. 1642 wird der Pfründenjäger Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich Hochmeister des Deutschen Ordens. [5] Im gleichen Jahr ist Kaltental zum letzten Mal als Hauskomtur in Mergentheim nachweisbar. Bei der katastrophalen Quellenlage des Deutschritter-Ordens heisst dies aber nicht, dass er Deutschland in diesem Jahr schon verlässt, denn erst 1650 wird für Mergentheim wieder ein Hauskomtur genannt.

Italien
Ein ganzes Jahrzehnt wird Kaltental anschliessend in keiner Quelle mehr erwähnt. Dann taucht er 1651 in den Ordensakten wieder auf. Er steht in päpstlichen Kriegsdiensten, ohne dass aber über die Tätigkeit oder den Ort des Einsatzes etwas vermerkt ist. [6] Kriegsdienste im Abwehrkampf gegen die Osmanen mit Einsatz an der ungarischen Grenze zählen für neue Ritterbrüder zwar zur Usanz des Ordens. Kaltental ist aber über 40 Jahren alt und in päpstlichen, nicht in kaiserlichen Diensten. Eine Teilnahme an militärischen Auseinandersetzungen im Dienste der Päpste ist weder nachweisbar, noch für den bisher nie derart tätigen Ordensritter vorstellbar. Päpstliche Truppen dienen in den Jahren seines Kriegsdienstes ausschliesslich der Vergrösserung des Kirchenstaates und der Unterdrückung von Aufständen. [7] Ein Romaufenthalt des Ordensritters darf trotzdem als wahrscheinlich angenommen werden, vielleicht im Jubeljahr 1650. Allfällige «italienische Antiken- und Architekturstudien» sind allerdings reines Kunsthistoriker-Wunschdenken. Bei seinem italienischen Reiseweg lässt er sich aber sicher, wie jeder gebildete Rompilger, durch die vielen überkuppelten Rundbauten wie dem römischen Pantheon oder dem Petersdom beeindrucken.
Als Ordensritter muss sich Kaltental zudem in Italien Verdienste erworben haben, denn bei seiner Rückkehr wird er zum ersten Mal als Komtur eingesetzt.

Horneck
1653 oder 1655 [8] bis 1657 ist er Komtur in Horneck am Neckar. Wie bei allen vorherigen Ämtern sind keine Nachrichten über seine Tätigkeit vorhanden. Die Kriegsschäden in Horneck sind zu dieser Zeit behoben und andere Bauvorhaben sind nicht bekannt.

Blumenthal
1658 wird er zum Komtur der bei Aichach im Bistum Augsburg gelegenen Kommende Blumenthal ernannt. Im Herrschaftsbereich der Kommende, in der Nähe des Dorfes Sielenbach, ist ein Vesperbild in einem hohlen Birnbaum angebracht, bei dem sich 1660 ein erstes Wunder ereignet und zu dem sofort eine Wallfahrt einsetzt. Komtur Kaltental baut für die zuströmenden Pilger am Ort des Birnbaums eine Kapelle mit einer Einsiedelei, plant aber gleichzeitig die Errichtung einer grösseren Wallfahrtskirche.

Maria Birnbaum
Die Kirche Maria Birnbaum wird sein Lebenswerk. Die Gründe für seinen persönlichen Einsatz sind sicher der starke Glaube, verbunden mit der traditionellen Marienverehrung des Deutschen Ordens, dazu die allgemein aufkommende Wundergläubigkeit nach dem Dreissigjährigen Krieg mit dem Bau zahlreicher neuer Wallfahrtskirchen, und wahrscheinlich auch die Lust am Bau eines aussergewöhnlichen Sakralbauwerks in Anklang an die ihm bekannten Rundkirchen.
Allgemein wird angenommen, dass er den Entwurf und vielleicht auch das Modell dem beauftragten Baumeister Konstantin Pader zur Ausführung übergibt. Die Entwurfsplanung durch einen Bauherrn ist für das 17. Jahrhundert keine Seltenheit. Vor allem in Klöstern haben die an Universitäten geschulten Verantwortlichen manchmal eine bessere theoretische Bildung in Baukunst, als dies viele aus dem Handwerk entwachsenen Baumeister aufweisen. [9] Umgekehrt wächst in Italien jeder grosse Baumeister aus dem Handwerk und beeinflusst dann wiederum die in Klosterbibliotheken und von Fachleuten gehortete Traktatliteratur. [10] Eine Bildung in Baukunst darf beim Komtur von Blumenthal aber nicht vorausgesetzt werden. Denn nur ein in den damals geltenden Regeln der Baukunst unerfahrener Dilettant kann eine derartig faszinierende Verschmelzung von überkuppelten Rundbauten entwerfen.
Nicht nur der Entwurf, auch die Finanzierung des Baus ist eine ausserordentliche Leistung des Bauherrn. Kaltental organisiert das Geld zum grossen Teil aus eigenen Mitteln und mit laufenden Pilgereinnahmen. Diese beginnen 1663 vermehrt zu fliessen, weil Rom für das Fest Mariä Himmelfahrt einen vollständigen Ablass gewährt.
Der Bau kann 1668 geweiht werden.
Am 14. März 1669 stirbt Johann Jakob Kaltental in der Komturei Blumenthal und wird in seiner Kirche Maria Birnbaum begraben.

Epitaph
In Maria Birnbaum setzt ihm der Nachfolger ein Epitaph. Es nennt keinen Namen und keine Lebensdaten. In der Mitte liegt der Wappenschild des Komturs mit Helmdecke und Helmzier. Das Wappen Kaltental, in Rot ein silbernes Hirschgeweih mit Grind, ist mit dem Ordenskreuz hinterlegt. Die Helmzier ist ein wachsender, roter, linksgewendeter Hirsch mit silbernem Schräglinksstreifen am Hals. Diesen Schild des Komturs begleiten die vier Wappen Kaltental und Stain (oben, die Eltern), Hoheneck und Bubenhofen (unten, die Grosseltern mütterlicherseits). Einzige Abweichung des namenlosen Grabsteins von der Usanz der Deutschritter, die noch im Grab ihre achtfache Adelsherkunft betonen müssen, ist der unten beigefügte Text, der den Komtur als Gründer des Bauwerks rühmt: «Hic jacet pulvis, cinis et nihil huius sanctae ecclesiae Fundator» (hier ruht der Staub, die Asche und das Nichts des Gründers dieser Kirche). Der Spruch steht auch auf dem Grabmal des 1646 verstorbenen Kardinals Antonio Barberini in der römischen Kapuzinerkirche S Maria Immacolata – ein weiterer Hinweis auf den möglichen Aufenthalt Kaltentals um 1650 in Rom.

Pius Bieri 2023

 

Literatur

Schilling von Cannstadt, Carl Friedrich: Geschlechtsbeschreibung derer Familien von Schilling. Seiten 359–361. Karlsruhe 1807.
Kindler von Knobloch, Julius: Oberbadisches Geschlechterbuch, Band 2, Seite 239. Heidelberg 1902.
Schröder, Alfred: Die Matrikel der Universität Dillingen, II. Band, Seiten 459 und 520. Dillingen 1909/11
Zukal, Josef: Aus der Korrespondenz Georg Wilhelms von Elkershausen, genannt Kippel, 1630–1651, in: Zeitschrift für Geschichte und Kulturgeschichte Österreichisch-Schlesiens, Heft 3. Troppau 1913.
Schütz, Bernhard: Die Wallfahrtskirche Maria Birnbaum und ihre beiden Baumeister. Frankfurt 1974.
 
Web
Philipp Jakob von Kaltenthal. Wikipedia-Biografie.
https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Jakob_von_Kaltenthal


Anmerkungen

[1] Siehe die Ortbeschreibung in: https://de.wikipedia.org/wiki/Aldingen_(Remseck)

[2] Eine weitere Immatrikulation an der Universität Dillingen irritiert in der Folge gewaltig. 1620 wird ein Johann Jakob von Kaltental aus Aldingen als Konventuale der Benediktiner-Fürstabtei Kempten eingetragen. Zusammen mit zwei adeligen Novizen überweist ihn der Fürstabt nach Dillingen. Dieser zweite Eintrag gilt der 3. (untersten) Grammatikklasse und dem Eintritt in das Konvikt. In diesem Jahr müsste aber «unser» Kaltental bereits alle drei Grammatiklassen beendet haben. Gibt es einen zweiten, jüngeren Kaltental gleichen Namens? Oder bricht er das Gymnasium ab und gelingt ihm eine vorübergehende Aufnahme bei den Adeligen in Kempten? Der Dillinger Eintrag von 1616 ist, da er mit dem Namen des Vaters als Verantwortlichen der Einweisung verbunden ist, kaum falsch. Damit kann das Geburtsjahr um 1600–1605 gelegt werden, denn der Eintritt in die Rudimenta des Jesuitengymnasium erfolgt nach dem abgeschlossenen Besuch der Lateinschule mit 11-16 Jahren. Mit Sicherheit kann aus den Einträgen in Dillingen nur gefolgert werden, dass er und sein älterer Bruder bei den Jesuiten das Gymnasium besucht haben.

[3] Der Deutsche Orden ist im 17. Jahrhundert vor allem Versorgungsanstalt von Sprösslingen des Ritteradels, während die oberste Ordensleitung dem Hochadel vorbehalten bleibt. Die Aufnahme setzt einen Adelsnachweis beider Eltern über vier Generationen und das Mindestalter von 24 Jahren voraus. Auch muss der Bewerber 100 Goldgulden, ein rüstmässiges Pferd und einen Harnisch als Mitbringsel vorweisen (Regelbuch des Ordens, Generalkapitel 1606). Mehr zum Orden siehe im «Glossar Kirche», Buchstabe D in dieser Webseite

[4] Georg Wilhelm Klüppel von Elkerhausen (1590–1654), im Orden seit 1614, Komtur auf Horneck 1620–1622, auf Oettingen 1622–1627, auf Kapfenburg 1627–1634, auf Ellingen 1634–1654, Landkomtur der Ballei Franken 1641–1654. Sein Hauptamt ist die parallele Statthaltertätigkeit in den schlesischen Herrschaften Freudenthal und Eulenberg von 1625–1641. (Alle Daten je nach Literatur um je ein Jahr verschoben!). Er zeichnet sich in Schlesien während des Dreissigjährigen Krieges durch Verteidigungsanstrengungen und in Ellingen durch den wirtschaftlichen Wiederaufstieg des Marktortes nach den Kriegszerstörungen aus.

[5] Der Habsburger hält sich mit einer Ausnahme (1656) nie in Mergentheim auf.

[6] Bernhard Schütz schreibt 1974, dass nähere Angaben zur Nennung «in päpstlichem Kriegsdienst» (1651) fehlen. Auch Nachforschungen in Italien seien ergebnislos verlaufen. Er bezeichnet Kaltental als Präfekt der päpstlichen Leibgarde. Welcher Leibgarde? Päpstlicher Gardehauptmann ist 1651 Jost von Fleckenstein aus Luzern. Erst 1801 wird die Päpstliche Nobelgarde, 1816 die Carabinieri Pontifici und 1850 die Palatingarde gegründet.

[7] Der frankophone Barberini-Papst Urban VIII. führt mit eigenen Truppen 1642-1644 Krieg gegen Parma. Die kriegerische Barberini-Familie ist gleichzeitig wichtiger Förderer des römischen Hochbarocks. Urbans Nachfolger, der in spanischer Gunst stehende Pamphilj-Papst Innozenz X (1644–1655) setzt den Krieg fort und erobert das Herzogtum Castro 1649. Danach beginnt eine römische Friedensperiode. Höhepunkt ist das Jubeljahr 1650 und seine aufwändigen römischen Inszenierungen für die 700 000 Pilger (bei 126 000 Einwohnern).
Päpstliche Truppen unterstützen den Seekrieg der Venezianer gegen die Türken nur 1646 sehr bescheiden mit der Entsendung von fünf Galeeren. Auf diesen dürfte sich unser Hauskomtur kaum befunden haben. Die auf ihrem Hauptsitz Malta bedeutend exponierteren Malteser- (oder Johanniter-) Ritter, verweigern gleichzeitig jede Hilfe an die Venezianer. Päpstliche Truppen stehen hingegen 1647 mit rund 7000 Mann an den Küsten des Kirchenstaates und auf Dalmatien. Von einer Hilfestellung durch den Deutschen Orden ist allerdings nirgends die Rede. Mehr dazu: Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. 14.1, Seite 258 (1929), abrufbar unter: https://archive.org/details/geschichtederpap141past

[8] 1655 gemäss den Verzeichnissen in Damian Hungs und Wikipedia. Die Datenquellen des Deutschen Ordens sind vielfach ungenau.

[9] Ein Beispiel für einen derart universal gebildeten Bauherrn und Architekturdilettanten ist Hippolyt Guarinoni, Bauherr und Entwerfer von Volders im Tirol (einem der möglichen Vorbilder für Maria Birnbaum). Seine Universitätsstudien in Padua und umfangreiche Reisen in Italien prägen offenbar auch sein Verständnis von Baukunst. Der von ihm entworfene Bau ist deshalb in der Aussenform mit Maria Birnbach vergleichbar, tektonisch aber klarer (und sicherer) aufgebaut.

[10] Man denke an Palladio oder an die römischen Baumeister des Barocks. Zu ihnen siehe: https://www.sueddeutscher-barock.ch/ga-wege/m613_Rom_Baumeister_17-Jh.html.