Stuckateure, Maler und Bildhauer, soweit bekannt
von bis
1726 1745
1745 1747
1758 1758
1772


Dietramszell

Augustiner-Chorherrenstift und Kirche Mariä Himmelfahrt

Das Kloster von 1107–1803

Gründung
Die Gründung des Chorherrenstifts Dietramszell um 1100 ist in drei Urkunden überliefert, die den Gründungsvorgang aber unterschiedlich schildern. Diese Dokumente sind heute als Fälschungen von Klosterschreibstuben des 12. Jahrhunderts erkannt.[1] Übereinstimmung ist nur beim Datum 1107 vorhanden. Es ist das Jahr des Papstprivilegs für die dem hl. Martin geweihte Neugründung. Als «cellam beati Martini, que Dietrams zelle dicitur» ist sie schon schnell mit dem Namen des ersten Propstes Dietram verbunden. Entgegen der Klostertradition gilt heute die Benediktinerabtei Tegernsee als Stifterin. Sie gründet das Chorherrenstift auf ihrem Boden als Eigenkloster. Der von Tegernsee an die Neugründung überlassene Besitz erstreckt sich auf 20 Örtlichkeiten, die meist nördlich von Dietramszell liegen.

Lage
Die Gründung von Dietramszell erfolgt weit entfernt von alten Verkehrswegen. Der nächste grössere Ort, ebenfalls kirchlich Tegernsee zugehörig, ist das östlich gelegene Holzkirchen. Es ist in zwei Wegstunden durch den Zellerwald und über den tiefen Teufelsgraben erreichbar. Zweieinhalb Wegstunden südlich liegt Tölz. Dietramszell befindet sich in einer wasserreichen Niederung am Zellerbach, der nach Westen in die Isar mündet. An seinem mäandernden Lauf bis zur Einmündung treibt er als Mühlbach mehrere Mühlen an. Noch bis zum Ende der Klosterzeit sind die Klostergebäude und wenige Häuser im nahen Mühltal die einzigen Gebäude in der Niederung des Zellerbachs. Zwei Maierhöfe liegen nahe oberhalb des Klosters, südlich der Sonnenhof und nördlich der Nordhof. Eine Viertelstunde oberhalb des Zellerbachs, in der Nähe des Nordhofs, entsteht im Mittelalter beim Klostergasthof Schönegg eine kleine bäuerliche Siedlung, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auf 20 Sölden anwächst. Zur näheren Umgebung des Klosters zählen auch die Wallfahrtskirche St. Leonhard[2] nördlich von Schönegg und die Friedhofskirche Mariä Geburt auf dem Kreuzbichl[3] über dem Kloster. Im beiliegenden Ausschnitt aus dem Blatt 83 «Wolfratshausen» im Topographischen Atlas 1812 ist die oben beschriebene nähere Umgebung des Klosters zu sehen.[4]

Das Kloster bis zum Ende des 17. Jahrhunderts
Dietramszell bleibt immer ein wirtschaftlich unbedeutendes und armes Kloster. Ursachen sind die abgelegene Verkehrslage, eine geringe Ertragslage aus dem wirtschaftlichen Besitz und vor allem im 17. Jahrhundert eine wenig überzeugende Wirtschaftsführung. Auch ist die Konventgrösse für die Betreuung der oft weitentfernten elf zugehörigen Pfarreien zu klein. Mitte des 17. Jahrhunderts zählt der Konvent zwar kurzfristig zwölf Mitglieder, im 15. und 16. Jahrhundert sind es aber nur vier bis acht Chorherren. Die Wahl eines geeigneten neuen Propstes ist deshalb selten aus den eigenen Reihen möglich. Reformen haben es in Dietramszell schwer. Die Indersdorfer Klosterreform des 15. Jahrhunderts stösst hier auf unfruchtbaren Boden. Von Bauernkrieg und lutherischer Reformation spürt das Kloster nichts. Schicksalsschläge häufen sich erst im 17. Jahrhundert. Im Dreissigjährigen Krieg fällt der Kirchenschatz 1632 den Schweden in die Hände. 1636 brennt das Kloster. Alle Gebäude mit Ausnahme der Kirche seien innert einer Stunde «total in Asche gelegt» worden. Der Brand ist nicht vom Kriegsvolk gelegt, das allerdings auch zu dieser Zeit in der Klosterherrschaft wütet. Der Wiederaufbau vergrössert die bereits bestehenden finanziellen Schwierigkeiten. Gleichzeitig bestätigen Visitationen aus Freising und München die schlechte interne Disziplin.[5]

Eine versuchte Klosteraufhebung 1697/98
1697 versucht der ausgabenfreudige Kurfürst Max II. Emanuel von Bayern mit Hilfe des Geistlichen Rates in München, die Klosterherrschaft Dietramszell zu Gunsten des bayerischen Staates aufzulösen. Vordergründig soll die Aufhebung dem Ziel dienen, ein Spital für arme Kriegsinvalide einzurichten. Weil aber, nach zwei Mitgliedern der Wittelsbacher Familie, seit 1695 der unabhängige und kluge Fürstbischof Johann Franz Freiherr von Ecker in Freising regiert, kann dieser mit Hilfe seines Agenten in Rom und des römischen Prokurators der bayerischen Benediktinerkongregation die aus München angefragte römische Kurie von einer Ablehnung überzeugen. Der Versuch des Kurfürsten und seines zunehmend klosterfeindlichen Geistlichen Rates unter dem Präsidenten Constante geht damit vorerst fehl.  

Beginn der barocken Blüte und Klosterneubau unter Propst Petrus Offner
1702 wählt der zwölfköpfige Konvent den von ihm postulierten Konventualen Petrus Offner aus Beuerberg zum neuen Propst.[6] Als erstes gelingt diesem 1703 ein Vergleich mit Tegernsee, der die jahrhundertealte Oberhoheit des Mutterklosters beendet. Der gleiche Kurfürst, der Dietramszell noch 1695 auflösen will, ist nun als «oberster Kirchherr» Bayerns Pate des Vergleichs. Max II. Emanuel von Bayern steht in diesem Jahr bereits im Krieg gegen das Reich und seine Alliierten. Nach der Niederlage Bayerns muss das Land 1704–1714 die Administration durch Österreich mit drückenden Zusatzlasten erdulden. Ein Marsch von Aufständischen nach München wird 1705 von der kaiserlichen Armee blutig niedergeschlagen. Allein aus der Klosterherrschaft zählen 25 Bauern zu den Opfern. Die den Klöstern auferlegten Kriegssteuer stellt eine grosse Belastung dar.
Propst Petrus beginnt 1717 nach der wirtschaftlichen Konsolidierung mit den grossen Klosterneubauten. Vorerst lässt er die Pfarrkirche St. Martin neu bauen. Im Westen mit der mittelalterlichen Stiftskirche verbunden, wird sie nun Teil des Westflügels des nördlich der Kirche liegenden neuen Konventhofes. Die Martinskirche ist ein Saalraum mit beidseitiger Belichtung durch je fünf grosse Rundbogenfenster. Über ihren Gewölben liegt ein Saal von gleicher Fläche.[7] Sie wird 1722 eingeweiht und noch bis 1726 ausgestattet. Ihr Baumeister ist unbekannt.[8] Hingegen ist Johann Baptist Zimmermann[9] als Freskant mit einer Signatur dokumentiert. Der Bauablauf des grossen, anschliessend beginnenden Klosterneubaus ist aber bisher nicht erforscht. Beim Tod des Propstes Petrus 1728 sind der nördliche neue Konventhof und der 106 Meter lange und 23 Meter hohe Ostflügel vollendet. Die Leichenpredigt nennt die Schwierigkeiten bei den Fundierungsarbeiten dieses grossen Bauwerks. Sie fordert aber auch zum Durchschreiten der neuen Flügel auf. Allerdings dominieren im südlichen Konventhof und im Ökonomiehof noch die Bauten 17. Jahrhunderts. Dies sieht auch der Prediger. Er lobt den Verstorbenen als zweiten Gründer: «Dietramus der Erste hat dise Zell erbauet. Petrus der Erste hat solche erneuert. Ein Anderer soll es vollenden.»

Neue Klosterkirche unter Propst Dietram II. Hipper
Der 1728 als Dietram II. gewählte neue Propst ist der «Andere». Er wird aber nicht Vollender der Klosteranlage, sondern Erbauer der neuen Stiftskirche.[10] Er legt dafür am 21. Juni 1729 den Grundstein. Wieder ist der Baumeister unbekannt. Spekulativ wird Magnus Feichtmayr aus Weilheim genannt[11] Der Baumeister baut die neue Wandpfeiler-Emporenhalle in den von Vorgängerkirche und Turm vorgegebenen Rechteck-Grundriss. Wieder fehlen alle Akten zu den Bauvorgängen.[12] Der Neubau zieht sich ungewöhnlich in die Länge. Erst 1741 folgt die Stuckatur- und Freskenausstattung. Mit dieser Jahreszahl sind die Deckenfresken als Arbeiten der Werkstatt des Johann Baptist Zimmermann signiert. Wahrscheinlich ist der in diesem Jahr ausgebrochene Krieg zwischen Bayern und Österreich mit der anschliessenden erneuten Besetzung Bayerns Grund eines weiteren Unterbruchs.[13] Nach Kriegsende 1745 werden der Hochaltar mit einem Altarblatt von Johann Baptist Zimmermann und die Kanzel gebaut. 1747 folgen die vordersten zwei Wandpfeileraltäre. Als Bildhauer und Altarbauer des Hochaltars, der meisten Wandpfeileraltären, der Kanzel und der freien Bildhauerarbeiten gilt Franz Xaver Schmädl aus Weilheim.[14] Propst Dietram II. stirbt 1754. Die Kirche ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertig ausgestattet und der Klosterneubau nicht weitergeführt.

Fertigstellungen unter Propst Franziskus Kamm
1754 wählen die inzwischen 15 wahlberechtigten Konventualen mehrheitlich den 45-jährigen P. Franziskus Kamm zu ihrem neuen Propst.[15] Er vervollständigt die Kirchenausstattung mit den noch fehlenden vier Wandpfeileraltären, deren Altarblätter mit Ausnahme des  Achatiusaltars erneut von Zimmermann sind. Nur das Blatt des Achatiusaltar wird 1758 von seinem Schüler Johann Marin Heigl[16] gemalt. Um 1760 schnitzt Schmädl die grossen Figuralplastiken der hll. Johannes Nepomuk und Petrus Fourier an den Choreinzugsseiten. Propst Franziskus ist auch Vollender des Süd- und Westflügels um den südlichen Konventhof. Am Westdurchgang zum südlichen Innenhof ist sein Wappen angebracht. Mit dem Neubau der Wallfahrtskirche St. Leonhard nördlich von Dietramszell, die er 1764 «auf eigene Kosten» mit dem Münchner Hofbaumeister Leonhard Matthäus Giessl beginnt, setzt er sich das eigentliche Denkmal. Propst Franziskus stirbt 1769 und erlebt die Einweihung des Rokoko-Zentralraums von St. Leonhard 1774 nicht mehr.

Die letzten Jahrzehnte des Chorherrenstifts und die Säkularisation 1803
1769 wird Leonhard II. Schwab zum neuen Propst gewählt.[17] Die Zahl der wahlberechtigten Konventualen hat sich inzwischen auf 19 erhöht. Propst Leonhard vollendet die Wallfahrtskirche St. Leonhard und lässt in der Stiftskirche von Bildhauer Rämpl[18] 1772 den Katharinenaltar am hintersten südlichen Wandpfeiler bauen. Als der Propst 1777 stirbt, ist das finanzielle Gleichgewicht des Klosters trotz der jahrzehntelangen Bauausgaben noch vorhanden. Die kurze spätbarocke Blüte ist trotzdem Vergangenheit. Schon der Nachfolger, Propst Innozenz Deiserer,[19] regiert in zunehmend klosterfeindlicher Zeit. Als Bauherr ist er vor allem in Kirchen der Herrschaft tätig, investiert aber noch immer in die Klosterkirchen-Ausstattung. Er lässt alle sieben Wandpfeileraltäre (erstmals?) fassen, in den Chor stellt er 1778 zwei Seitenältere des Bildhauers Rämpl und erteilt 1795 einem Mindelheimer Orgelbauer[20] den Auftrag für die neue Emporenorgel. Propst Innozenz resigniert 1798 mit 83 Jahren, er überlebt seinen nur sechs Monate regierenden Nachfolger aber noch um drei Jahre. Die Wahl des letzten Propstes Maximilian Grandauer[21] 1798 ist schon deutlich von der Säkularisation überschattet. Die Novizenaufnahme wird ihm nicht mehr gestattet. Als die Klosterherrschaft 1803 vom bayerischen Staat in Besitz genommen wird, ist die Zahl der Konventualen wieder auf zwölf geschrumpft. Sie und der Propst müssen das Kloster verlassen. Die jüngeren Chorherren nehmen Pfarrstellen an. Die Liquidationen des von den Kommissären auf 267 000 Gulden geschätzten Klosterbesitzes findet sofort statt. Für 23 064 Gulden erwirbt der kurfürstliche Kommissar Schilcher einen grösseren Teil der Kloster- und Ökonomiegebäude mit der Bierbrauerei und mit dem Grossteil der riesigen Waldungen.[22] Die nördliche, nicht verkaufte Klosterhälfte dient ab 1803 als Aussterbekloster der Klarissinnen aus dem aufgehobenen Münchner Angerkloster. Damit entgeht die Pfarrkirche St. Martin, die ab 1803 auch als Klosterkirche dient, dem Abbruch. Dieses Schicksal wird für die ehemalige Stiftskirche erst 1851 abgewendet. Seither ist sie Pfarrkirche von Dietramszell mit Baupflicht des bayerischen Staates.

Von 1803 bis in die Gegenwart

Konventgebäude
1831 kommen Salesianerinnen als Schulschwestern nach Dietramszell. Sie sind seit 1784 im kurz vorher aufgehobenen Chorherrenstift Indersdorf wohnhaft, wohin sie damals vom Kurfürsten verwiesen werden. Dies, weil Kurfürst Karl Theodor ihr Münchner Salesianerinnenkloster St. Anna der Kurfürstenwitwe zur Gründung eines adeligen Damenstifts zur Verfügung stellt. Für die Alimentation der adeligen Damen in München säkularisiert der Kurfürst das Stift Indersdorf schon 1783.[23] Die in München nicht mehr genehmen Salesianerinnen wirken nun fast ein halbes Jahrhundert in Indersdorf. Sie nutzen aber 1831 das Angebot in Dietramszell und ziehen in den Nordteil des ehemaligen Chorherrenstifts, den sie mit den noch sechs Münchner Klarissinnen teilen.[24] Hier führen sie als Schulschwestern erfolgreich eine Töchter-Schule mit erstaunlich hohem Unterrichtsniveau und mit Pensionat. Nach einer weiteren erfolgreichen Neugründung im ehemaligen Kloster Pielenhofen kaufen sie 1846 auch das nahe ehemalige Kloster Beuerberg und richten hier eine gleiche Lehranstalt ein. 1858 können sie in Dietramszell alle Klostergebäude erwerben. Sie betreiben noch bis 1992 eine Mädchen-Realschule. Noch heute ist das Kloster im Besitz der Chorfrauen, aber von ehemals 64 Dietramszeller Salesianerinnen sind 2018 nur noch sechs verblieben. Den Südflügel belegt jetzt eine Montessori-Schule. Die Konventgebäude von Dietramszell, Pielenhofen und Beuerberg sind nur dank dieser weiteren Klosternutzung noch heute erhalten, allerdings zum grossen Teil für die späteren Schulzwecke innen stark umgebaut. Auch die den Salesianerinnen übertragene ehemalige Pfarrkirche St. Martin ist erhalten. Sie ist 1966–1968 von Veränderungen des 19. Jahrhunderts befreit worden und zeigt nebst den Altären von 1719/20 die ursprünglichen Gewölbestuckaturen und Fresken der Werkstatt Zimmermann von 1726.

Ehemalige Stiftskirche
Restaurierungen des Innenraums der seit 1851 als Pfarrkirche dienenden ehemaligen Stiftskirche werden für 1910 und 1963/64 gemeldet. Der Kirchenraum dürfte heute, vor kurzem offenbar erneut konservatorisch gereinigt,[25] in Gestalt und Farbe dem barocken Zustand entsprechen.

Das Klosterwappen    
  Schon im 15. Jahrhundert führen die Pröpste von Dietramszell ein nach vorn geöffnetes Feldzelt als Stiftswappen. Die Farben sind nicht überliefert, meist sind sie Silber in Blau. Im 18. Jahrhundert werden in die Zeltöffnung auch Attribute gelegt, wie der Stern im heutigen Gemeindewappen oder eine auffliegende Friedenstaube bei Propst Franziskus. Die Pröpste legen manchmal auch ihr persönliches Wappen in die Zeltöffnung, wie Propst Petrus 1726 in der Kirche St. Martin. Das persönliche Wappen wird aber meist als zweiter Schild beigegeben. In späteren Dreischildwappen ist zusätzlich der Klosterpatron St. Martin zu Pferd bei der Mantelteilung mit dem Bettler als Wappenfigur enthalten. Derart sind die Dreischildwappen des Propstes Franziskus auf einem Exlibris oder im Wappenschild des westlichen Klostereingangs zu sehen. Eine interessante Kombination zeigt der Wappenschild im Wening-Stich. Hier liegt das Klosterwappen im Bild des Hl. Martin, der Bettler ist aber ein Kind mit Hammer, vielleicht als Anspielung auf das persönliche Wappen des Propstes Marcellin, der zur Zeit des Stiches regiert und der einen wachsenden Mann mit Hammer im Wappen führt.
Im Dreischildwappen von Franziskus (F.P.D.Z.= Franziskus, Propst in Dietrams-Zell) sind unten das Klosterwappen mit dem geöffneten Feldzelt (hier mit der Friedenstaube), oben links (heraldisch rechts) der hl. Martin mit dem Bettler und oben rechts (heraldisch links) das persönliche Wappen des Propstes. Quelle: Kloster-Exlibris der Bayerischen Staatsbibliothek.

 

Die Architektur des Klosters

Die Vorgängeranlage
 
Dietramszell im «Chur-Bayrischen–Atlantis» Nürnberg 1690. Stecher: Johann Ulrich Krauss. Verfasser: Wilhelm Ertl (1654–n. 1715). Bildgrösse 14x8 cm. Quelle: Bayerische Staatsbibliothek.


    Dietramszell im «Historico-topographica descriptio», 1701. Verleger, Zeichner und Stecher: Michael Wening (1645–1718). Zeichnung an Ort 1696/97. Bildgrösse 35x25 cm. Bildquelle: ETH-Bibliothek Zürich.

Das Vorgängerkloster im Zustand um 1690 ist von Anton Wilhelm Ertl und von Michael Wening in Radierungen festgehalten. Ihre Vogelschauansichten aus Osten beruhen auf einer gleichen Vorlage. Weil Ertl schon 1690, Wening aber erst 1701 die Stiche verlegt, scheint Wening vordergründig seinen Vorgänger «abzukupfern». Dies kann nicht zutreffen. Die Vogelschau Wenings ist derart detailliert und glaubwürdig, dass er die Vorlage an Ort und Stelle überarbeitet und ergänzt haben muss. Wening führt Details ein, die in der schwachen Stichübernahme bei Ertl nicht enthalten sind, wie die Kreuzbichlkirche oder die beiden Maierhöfe. Er korrigiert auch den bei Ertl falsch verlaufenden Zellerbach und zeichnet den Kreuzgang korrekt. Zudem ist die Gebäude-und Fensterdarstellung bei Wening realistisch, bei Ertl flüchtig und unglaubhaft. Immerhin ist die Ertl-Darstellung eine der wenigen nicht vollständig falschen Klosterabbildungen seines Werkes von 1690.
Beide Vogelschauansichten zeigen eine dreischiffige Kirche mit gotischem Chorabschluss. Die Fenster im Obergaden sind durch liegende Okuli des 17. Jahrhunderts ersetzt. Mit dem dreiflügeligen Konventbau und der Kirche als vierten Flügel im Norden entspricht die Anlage dem meistverbreiteten Klosterschema. Die Konventflügel sind zweigeschossige Massivbauten um einen quadratischen Innenhof, bei Wening mit Kreuzgang. Nichts deutet auf einen billigen Wiederaufbau als reine Holzbauten nach dem Brand von 1636 hin, wie dies von zeitgenössischen Historikern gebetsmühlenartig wiederholt wird. In ihrer Erscheinung deuten die Gebäude sogar eher ins 16. Jahrhundert. Sie könnten in den Aussenmauern derart schon vor 1636 bestanden haben.[26] Der damals ebenfalls ausgebrannte Kirchturm weist in seiner Wiederherstellung nach 1648 über dem romanischen Glockengeschoss einen Spitzhelm mit vier geschweiften Wimpergen auf.[27]
Südlich ist der Ökonomiehof vorgelagert. Ein zweigeschossiges Gebäude mit östlichem Klostertor liegt in der Flucht des Konvent-Ostflügels. Gegen den Zellerbach bildet ein langer Holzstadel und ein grösseres Gebäude an der Stelle des heutigen Gasthauses den Abschluss des längsrechteckigen Hofes. In seiner Mitte steht der Brunnen mit der Muttergottesfigur, der zwischen 1683 und 1698 errichtet wird.
Im ummauerten Garten vor dem Konvent-Ostflügel ist ein gestalteter Barockgarten gezeichnet, imn seinem höher gelegenen Teil nördlich der Kirche steht ein zweigeschossiges, turmartiges Garten-Lustgebäude mit Zwiebelhelm.
Auch wenn einiges an den beiden Vogelschauansichten vielleicht geschönt ist, widersprechen sie dem Eindruck eines zerfallenen und verarmten Klosters, den uns die Chronisten aufgrund der zweckgebundenen Hilfegesuche der Klosteroberen weismachen wollen.

Die Klosteranlage nach 1717
Mit dem Bau der Pfarrkirche St. Martin, des anschliessenden Nordflügels und des langen Ostflügels legt Propst Petrus Offner die endgültige Gestalt der nun dreigeschossigen Klosteranlage fest, deren Bau er 1717 beginnt.
Er plant eine Rechteckanlage mit der Kirche in der Mitte zweier Höfe.[28] Die neue Pfarrkirche St. Martin bildet den Westflügel des Nordhofs. Sie wird bewusst in die Flucht des alten Konvent-Westflügels am Südhof gelegt, der um Eingangsjoch-Tiefe von der Stiftskirchenfassade und vom Turm zurückgesetzt ist, wie dies auch die Klosteransicht von 1741 im Fresko der Stiftskirche bestätigt.[29]
Den neuen dreigeschossigen und 106 Meter langen Ostflügel legen der Propst und sein unbekannter Baumeister vor den Ostchor der Kirche und vor den bestehenden Ostflügel des Südhofs. Dieser muss damit erst nach dem Bezug des neuen Ostflügels abgebrochen werden. Auch die mittelalterliche Kirche bleibt so vollständig erhalten. In den drei neuen Flügeln sind alle notwendigen Konventräume bereits enthalten. Im Ostflügel sind im Mittelrisalit die repräsentativen Räume zu finden. Im Refektorium und im darüberliegenden Saal enthalten die Decken hervorragende Stuckaturen.[30]
Der Stiftskirchenneubau von Propst Dietram II. Hipper ab 1729 tangiert weder die alten noch die neuen Klosterflügel, denn durch den bestehenden Turm, die neue Pfarrkirche und den neuen Ostflügel sind ihre Masse vorgegeben.
Auch der südliche Ökonomiehof kann bis Mitte des 18. Jahrhunderts vollumfänglich bestehen bleiben. Erst mit dem Bau der neuen, den Südhof schliessenden West- und Südflügel (bis 1754?) wird er überflüssig. Im neuen Südflügel sind nun das Brauhaus, die Schmiede und die Lagerräume zu finden. In den  Westflügel kommen die Pfisterei, Schreinerei, Schenke und Schäfflerei zu liegen.[31]
Als einziger Teil des alten Ökonomiehofes bleiben die weit nach Westen vorspringenden Pferdestallungen am Zellerbach erhalten, an deren Stelle in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der heutige Gasthof gebaut wird.[32]
Die Gebäude des Chorherrenstifts haben zwar unter der späteren Schulnutzung gelitten, sind aber wahrscheinlich nur deswegen nicht abgebrochen worden und zeugen noch heute in ihrer äusseren Escheinung von der alten Klosterzeit. 

 

Die Architektur und Ausstattung der ehemaligen Stiftskirche

Ein veralteter Bautypus?    
  Die Kirche ist eine Wandpfeiler-Emporenhalle. Der Bautyp ist am Anfang des 18. Jahrhunderts auch in Bayern stark verbreitet. Dass er weder als veraltet noch in der Nachfolge der Münchner Michaelskirche verstanden werden darf, zeigt nicht nur die gleichzeitige Nutzung dieses Bautyps durch Johann Michael Fischer in Osterhofen, sondern auch seine noch spätere Stiftskirche von Zwiefalten, einem Höhepunkt der spätbarocken Baukunst.[33] Leider wird auch der Vergleich von Dietramszell mit der genau 100 Jahre vorher begonnenen Stiftskirche Beuerberg im abwertenden Sinn angewendet. Sie soll «im Grund- und Aufriss» identisch sein. Dieser Vergleich hinkt, denn er zeigt in den Aufrissen das genaue Gegenteil.[34] Beuerberg ist bei gleicher Spannweite des Tonnengewölbes über fünf Meter niederer und erreicht wegen dieser gedrückten Höhe trotz des Verzichts auf Seitenemporen, trotz der grossen Fenster und trotz des weissen Innenraums nicht die lichte Grosszügigkeit der Stiftskirche Dietramszell.
Mit diesem Vergleich ist gleichzeitig die hohe architektonische Qualität des Innenraums von Dietramszell erklärt. Schon der erste Architekturbeschrieb 1895 hält fest: «Die Gesamtwirkung des Gebäudes ist bedeutend, es hat vor allem den Vorzug, bei mässigen Dimensionen sehr gross zu erscheinen.» Die ausgewogenen Proportionen und die gute, dank den Seitenemporen auch indirekt wirkende Belichtung deuten auf einen erfahrenen Praktiker im Kirchenbau als Baumeister hin.
Grundriss der ehemaligen Pfarrkirche St. Martin
und der ehemaligen Stiftskirche Mariä Himmelfahrt
mit eingetragenen Fresken und Altären. Für die
Erläuterung und Vergrösserung bitte anklicken!.




 

Die Architektur
In den durch Turm und Pfarrkirche in der Breite vorgegebenen Rechteckgrundriss mit einem Innenmass von 18,6 m Breite und 43,6 m Länge legt der Baumeister fünf Wandpfeilerjoche und einen eingezogenen Chorraum mit zwei Freipfeilerjochen. Diesem Rechteck fügt er an der Stelle des vorherigen gotischen Chorabschlusses ein Übergangsbauwerk an, das im Erdgeschoss die Sakristei und im Obergeschoss den Psallierchor mit einem Innenmass von 8 m x 9 m enthält. Das erste Langhausjoch nimmt die Vorhalle und die zweigeschossige Empore auf. Das architektonische Ordnungssystem von Langhaus und Chor ist durch kannelierte Pilaster der Wandpfeilerköpfe mit ausladenden Pfeilergesimsen in der Art von Freipfeilern geprägt. Die Mittelräume von Langhaus und Chor weisen Tonnengewölbe mit Stichkappen auf. Die Wandpfeilerabseiten und die vorne bündigen Seitenemporen haben die üblichen Quertonnen. Deren Scheitel liegen 3 Meter tiefer als derjenige des Hauptgewölbes. Die offenen Abseiten im Chor sind kreuzgewölbt. Alle Gewölbe sind in Backstein gemauert.

Der Dachstuhl
Der imposante barocke Dachstuhl über Langhaus und Chor ist vollständig erhalten. Obwohl bei Wandpfeilerhallen in der Regel die tieferliegenden Gewölbescheitel der Wandpfeilerabseiten den Traufpunkt des Daches definieren (siehe dazu den Schnitt Rheinau im Glossar, Buchstabe W), werden in Dietramszell die Aussenmauern rund drei Meter höhergeführt, um den Zerrbalken über das Hauptgewölbe zu legen. Seine Auflagerung über den Wandpfeilerköpfen ist zudem nicht als Zimmermannsarbeit ausgeführt, sondern als gemauerte Arkadenreihe im Rhythmus der Wandpfeilerspannweite. Der Dachstuhl ist deshalb wie bei den mächtigen Hallenkirchendächern[35] als stehender Stuhl auf die Wandpfeileraufmauerung gestellt. Er verfügt aber im untersten Stockwerk abwechselnd auch über liegende Stühle und wechselt im zweiten Stockwerk sogar vollständig zum liegenden Stuhl. «Fast wirkt das Dach so, als habe der Zimmerer die Grundprinzipien des barocken Dachwerks nicht ganz verstanden».[36] Altertümliches spielt deshalb beim Dachstuhl, anders als bei der Wahl des Bautyps, wirklich eine Rolle.

Fassade
Im Gegensatz zum orchestrierten Innenraum wirkt die Westfassade äusserst bescheiden und scheint eher ein Zufallsprodukt zu sein. Die gemalte Architekturgliederung ist eine unbeholfene und heute verblasste Rekonstruktion. Dabei wäre die richtige Gliederung im Deckenfresko des letzten Joches vor dem Chor vorgegeben. Der selige Dietram weist hier auf die Fassade mit ihrer barocken Architekturgliederung hin. Im Fresko ist sie eingemittet, indem eine kräftige Ecklisene den Nordabschluss bildet und das südliche Gegenstück bereits zum Turm zählt. Ein ebenso kräftiges gebälkähnliches Gesims ist in der Mitte aufgebogen und fasst damit die drei gestuften Fenster schön. Heute ist leider die Turmlisene auf die ganze Höhe gleichbleibend durchgezogen. Anstelle der Fassade, die in den Turm eingreift, nimmt jetzt der Turm von der Fassade Besitz. Eine völlige Erfindung (1910?) ist das dünne horizontale Gesimsband mit den darüber aufgemalten Scheinfenstern. Nur die Portalrahmung, eine einfache jonische Pilaster-Ädikula mit geschweiftem Gesims, ist in Kalkstein hervorgehoben und derart auch auf dem Fresko dargestellt. Unecht wirkt aber auch hier die Jahreszahl 1747 und die befremdend manieristische Fassung der darüberliegenden Madonnen-Nische. Alle Fenster sind mit einfachen neobarocken Architekturmalereien gerahmt.

Stuck und Fresken im Innenraum
Ehemalige Pfarrkirche St. Martin
Im einfachen Saalraum von St. Martin sind nach umfangreichen Umbauten nur noch die Gewölbestuckaturen und die Gewölbefresken von 1726 original erhalten. Es sind Arbeiten von Johann Baptist Zimmermann, die Fresken gelten als eigenhändige Arbeiten. Bei den schlichten Stuckaturen der Wessobrunner Régence wird Gehilfenarbeit vermutet. Zimmermann legt im Gemeinderaum die Querfresken unüblich in die Jochmitte, was zwei vollständige und zwei gespaltene Bilder ergibt.[37] Beidseits jedes Querfreskos sind ovale Camaïeu-Emblembilder gemalt. Im Chor ist das grössere Mittelfresko über zwei Joche gemalt.[38] Auch es ist von Emblembilder begleitet.

Die Stuckaturen der ehemaligen Stiftskirche Mariä Himmelfahrt
Die Gewölbestuckaturen von 1741 sind ebenfalls Arbeiten von Johann Baptist Zimmermann. Es sind zartfarbig in Gelbocker gefasste, symmetrische Régence-Stuckornamente mit Rocaillen in den Kartuschen und mit blaugrauem Gitterwerk in den Stichbögen. Während im Langhaus nur die innere Stuckleiste des Mittelbildes vergoldet ist, ist das Chorfresko mit einem breiten, rotgoldenen Brokatmuster umgeben, das von Inschriften-Kartuschen mit Rocaillen begleitet  ist. Das gemalte Brokatmuster ist auch in allen seitlichen Tonnengewölben anzutreffen. Mit der zurückhaltenden, den Raum und die Bildfläche betonten Übernahme des höfischen Münchner-Rokokos in einem Sakralraum setzt Zimmermann einen beruhigenden Kontrapunkt zum gleichzeitigen, überschäumenden Rokokostuck der Stiftskirche Rottenbuch.[39]
Noch zurückhaltender und fast ausschliesslich mit repetitiver Régence-Ornamentik gestaltet er die Wandstuckaturen.

Die Fresken der ehemaligen Stiftskirche Mariä Himmelfahrt
Obwohl alle Deckenfresken die Unterschrift «Zimmerman.pinx» tragen, sind es Arbeiten seiner Werkstattgehilfen, allerdings unter seiner Leitung und nach seinem Entwurf gemalt.
Das grosse Mittelbild im Langhaus erstreckt sich über drei Joche. Es stellt die Gründung von Dietramszell gemäss der Klostertradition dar. In seinem östlichen, dem Besucher sofort ins Auge fallenden Gemäldedrittel ist in der terrestrischen Ebene die Gründung durch die Grafen von Andechs und dem Abt von Tegernsee dargestellt. In der darüberliegenden Himmelsebene umkreisen Heilige das im Strahlenkranz schwebende Symbol der Dreifaltigkeit.
In den vier Gewölbezwickeln um das Mittelbild sind die Evangelisten in Kartuschen gemalt.
Das rückwärtige Fresko im ersten Joch liegt über der Orgel und stellt, durch diese teilweise verdeckt, die hl. Cäcilia beim Orgelspiel dar.
Im fünften Joch vor dem Chor ist der sel. Dietram zu Füssen des hl. Martin gemalt. Der erste Propst überreicht dem Klosterpatron die Gründungsurkunde und weist mit der linken Hand auf die Westfassade des Klosters im Zustand des 18. Jahrhunderts.
Im Ovalbild des Chorraums ist die Hl. Dreifaltigkeit in Erwartung Mariens im Himmel zu sehen, das Fresko steht im Bezug zum darunterliegenden Altarblatt mit der Himmelfahrt Mariens.
Die acht Quertonnen unter den Seitenemporen enthalten in der Mitte des Brokatbandes kleine Szenen aus dem Marienleben.
Insgesamt malt die Zimmermann-Werkstatt 1741 das grosse Mittelbild im Kirchenraum, drei weitere grössere und 12 kleinere Bilder. Ein zusätzliches Mittelbild im Psallierchor hinter dem Altarraum stellt den harfenspielenden König David dar. Weitere Fresken Zimmermanns sind in der darunterliegenden Sakristei zu finden.


Ausstattung
Hochaltar
1728/29 ist der Hochaltar wahrscheinlich als transparenter Kolonnadenaltar mit Verbindung zum dahinterliegenden Psallierchor geplant.[40] Die Transparenz wird aber 1741/45 nicht mehr weiterverfolgt. Mit 11 m Breite und 17 m Höhe steht das Altarretabel zwar frei vor der Trennwand gegen Psallierchor und Sakristei, ist aber nicht transparent gebaut. Es ist mit einer hohen Sockelzone in der Tiefe gestapelt und in der hinteren Ebene mit einem dunkelblau gemalten Brokatvorhang hinterfangen. In dieser Ebene liegt das grosse Altarblatt mit der Himmelfahrt Mariens. In der gleichen Ebene stehen auch die äussersten der beiden Säulengruppen, deren auskragende Gesimse die hintersten Friese der Chorpilaster berühren. Ein weiters Säulenpaar rahmt leicht vorstehend das Altarblatt, um dann mittels diagonal gestellten Pilastern zum mittleren, frei vorstehenden Säulenpaar überzuleiten. Dieses trägt über goldenen Wolkenbändern und Putti im gesprengten Giebel Engel, die zur Gloriole im spangenartigen Auszug über dem Altarblatt hinweisen. Im breiten Zwischenraum der beiden inneren Säulenpaare stehen unten der hl. Martin und der hl. Korbinian. In der Sockelzone führen beidseits zwei Eingänge in die Sakristei.
Mensa und Tabernakel stehen, eingefasst von der konkav vorspringenden Sockelzone, dicht vor dem Retabel. Der Tabernakel ist als goldener Tempietto gebaut, der oben von einem goldenen Vorhang hinterfangen ist und mit dem unteren Rahmenprofil des Altarblattes korrespondiert.
Der Bildhauer und Altarbauer Franz Xaver Schmädl gilt als Schöpfer der Altäre in Dietramszell. Sein Hochaltar mag vom Vorbild in Diessen geprägt sein, er ist aber ein völlig eigenständiges Meisterwerk. Mit dem nachfolgenden Hochaltar Rottenbuch zeigt Schmädl eindrücklich, dass nur er der Altarbauer von Dietramszell sein kann.[41]

Wandpfeileraltäre
Zur Lage der Langhausaltäre, ihren Patrozinien und den Malern der Altarblätter siehe den nebenstehenden Grundriss der Stiftskirche.

Sieben Altäre sind kulissenartig an den Wandpfeilern des Langhauses aufgestellt und zusammen mit dem mächtigen Hochaltar vom eintretenden Besucher in der Art einer barocken Szenographie sofort ablesbar.
Die beiden vordersten Altäre am Choreinzug, der nördliche Kreuzaltar und der südliche Rosenkranzaltar sind Ädikularetabel mit marmorierten Pilastern und Sprenggiebeln, mit Baldachinen und Gloriolen im Aufsatz. Es sind Bildhaueraltäre mit bunt zusammengewürfelter Figuralplastik, einige Figuren sind auch von Franz Xaver Schmädl. Im südlichen Muttergottesaltar dominiert eine hochbarocke Rosenkranzmadonna unter dem silbernen Baldachin.
Die Altäre des gegen Westen folgenden Wandpfeilerjochs fassen mit übereck gestellten Pilastern die Altarblätter von Johann Baptist Zimmermann. Die alabastergefasste Figuralplastik weist eine hohe Qualität auf.
Die beiden weiteren Altäre im dritten Joch enthalten wieder Altarblätter von Zimmermann und seinem Schüler Heigl. Ihre Rokoko-Retabel deuten den architektonischen Aufbau nur noch an. Die Figuralplastik des südlichen Altars ist ein Werk des Bildhauers Rämpl von 1772. Diese beiden Altäre enthalten in der Predellazone «Heilige Leiber» der Katakombenheiligen Marcellinus und Demetrius.
Erst 1772 wird der Katharinenaltar von Philipp Jakob Rämpl am ersten südlichen Wandpfeiler nach der Empore aufgestellt. Sein Retabel mit der hervorragenden Figuralplastik ist noch immer vom Rokoko geprägt. Im gleichen Jahr liefert Rämpl auch zwei Seitenaltäre für die Chorabseiten, die aber vom Kirchenraum nicht sichtbar sind.

Kanzel, Monumentalskulpturen
Die Rokokokanzel und die Figuralplastik beidseits des Chorbogens werden als Werke von Schmädl bezeichnet.
Die Kanzel hängt am zweitvordersten Wandpfeiler. Reliefszenen aus der Augustinus-Vita und herumturnende Putti schmücken den Korb. Der zeltförmige Schalldeckel ist mit einer Kugel bekrönt. Von seinem bewegten Rand hängen vergoldete Lambrequins. Die Figuralplastik des Aufbaus reicht bis zur Höhe der Seitenemporen-Brüstung. Ein auf der Kugel stehender Engel hält die Gesetzestafeln und weist auf das über ihm schwebende Dreifaltigkeitssymbol. Die Figuralplastik an der weiss gefassten Kanzel ist vergoldet. Im Vergleich mit der Schmädl-Kanzel von Rottenbuch 1743 wirkt diejenige in Dietramszell bedeutend leichter und eleganter.
Schmädl gilt auch als Bildhauer der beiden hohen Figuralplastiken in der Mitte der Choreinzugswände, die Propst Franziskus um 1760 in Auftrag gibt. Vor dominierenden, durch Putti gehaltene blaugoldene Vorhangdraperien stehen unten auf Konsolen auf der Evangelienseite der hl. Johannes Nepomuk und auf der Epistelseite der sel. Pierre Fournier. Bekrönt werden die beiden Szenen durch wieder von Putti gehaltenen goldenen Gloriolen und Blumenkränzen in Wolkengebilden. Erstaunlich ist an diesen Bildhauerwerken vor allem, dass Propst Franziskus dem Gründer eines französischen Frauenordens, der 1730 seliggesprochen wird, einen derart prominenten Platz in der Stiftskirche gibt.[42]

Orgel
1795 hat das neue Orgelwerk noch 15 Register. 1848 wird es unter Beibehaltung des Prospektes neu gebaut. Heute enthält das Werk 17 Register. Der dreiteilige Prospekt mit zwei seitlichen Türmen steht auf der oberen Empore in der vorderen Hälfte. Er nimmt einen Drittel der Emporenbreite ein. Seine drei Felder stehen leicht konvex vor. Die Türme weisen Pilastergliederungen auf. Das Prospektgehäuse ist weiss gefasst. Die Gehäuseform und das vergoldete Schnitzwerk sind nur wenig klassizistisch beeinflusst. In ihrer Grösse und in ihrem Aussehen fügt sich die Orgel ausgezeichnet in die spätbarocke Umgebung ein.

Pius Bieri 2022

Literatur

Bezold, Gustav von; Riehl, Berthold: Die Kunstdenkmale des Regierungsbezirkes Oberbayern, 1. Teil. Seite 861–1863. München 1895.

Scheglmann, Alfons Maria: Geschichte der Säkularisation im rechtsrheinischen Bayern. Dritter Band. Zweiter Teil. Seite 532–555. Regensburg 1908.
Bauer, Hermann; Rupprecht Bernhard: Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland, Band 2, Dietramszell Seite 148–163. München 1981.
Krausen, Edgar: Das Augustinerchorherrenstift Dietramszell, in: Germania Sacra, NF 24. Berlin und New York 1988.
Paula, Georg und Wegener-Hüssen, Angelika: Landkreis Bad-Tölz Wolfratshausen in: Denkmäler in Bayern, Band 1.5 . München 1994
Pfarrverband Dietramszell (Hrsg.): Kirchen und Kapellen der Pfarrei Dietramszell. Kunstführer. Passau 1996.
Holzer, Stefan M. und Köck, Bernd: Meisterwerke barocker Bautechnik. Regensburg 2008.

Web:      https://iconographic.warburg.sas.ac.uk/home

Anmerkungen:

[1] Mittelalterliche Fälschungen der Klosterschreibstuben sind weit verbreitet und werden erst in der neueren Zeit vollumfänglich erkannt. Im Falle von Dietramszell sind die Fälscher im Dienste ihrer Klöster Dietramszell und Tegernsee tätig. Das Kloster Tegernsee hat Interesse, Dietramszell als sein Eigen zu belegen, während Dietramszell schon früh gewillt ist, sich von Tegernsee zu lösen. Die Gründungslegende von Dietramszell beruht deshalb auf einer Fälschung, die dem Gründerabt von Tegernsee nur noch eine Statistenrolle zugesteht. Sie nennt drei Einsiedler als Gründer, darunter den Priester Dietram, und beschreibt die Gründung als Folge einer Streitschlichtung mit Beteiligung des Grafen Otto II. von Diessen. Die Vögte der beiden Klöster Tegernsee und Dietramszell sind im 12. Jahrhundert die Grafen von Wolfratshausen und Andechs, was die legendäre Gründungsbeteiligung des Grafen Otto II. aus dem Hause Diessen-Wolfratshausen-Andechs erklären könnte.

[2] St. Leonhard liegt eine halbe Wegstunde nördlich des Klosters an idyllischer Lage. Das heutige Bauwerk ist ein Zentralbau der Münchner Baumeisters Matthäus Giessl, mit Fresken von Christian Thomas Wink von 1769.

[3] Die Kirche Mariä Geburt im Friedhofsbühl westlich über dem Kloster wird 1479 vollendet und 1641 mit der Kapelle Maria Einsiedeln erweitert.

[4] Der Ausschnitt stammt aus dem Blatt 83 (1812), das unter https://gateway-bayern.de/BV000453460 heruntergeladen werden kann.

[5] Die Vorwürfe an Propst und Chorherren sind meist happig und zeigen, dass die Augustiner-Chorherren von Dietramszell wenig von den bei anderen Prälatenorden längst durchgeführten Reformen halten. Nachdem noch 1560 eine fürstbischöfliche Visitation den Propst als gutes Exempel bezeichnet, weil er sich keine Konkubine halte und mit dem Konvent speise, ist der Ton im 17. Jahrhundert energischer. So wird 1626 der Propst abgesetzt, weil er die Jagd lieber als den Chorbesuch habe und auch Vater eines Kindes sei. Ein Propst fordert 1640 im Streit mit einem kurfürstlichen Hofrat diesen zum Duell mit Pistolen. 1666 werden Tabakmissbrauch und das Mitführen von Hunden ins Refektorium gerügt. Aber noch dem Erbauer der Klosterkirche, Propst Dietram II. Hopper, wird 1746 von den Konventualen vorgeworfen, dass er als Jagdliebhaber seine Hunde ins Refektorium bringe und deren Jaulen die Tischlesung störe.

[6] Petrus Offner (1668–1728) aus Beuerberg, Sohn des Ortskramers im Klosterdorf. 1690 Profess in Beuerberg. Studium an der Benediktineruniversität Salzburg. Propst in Dietramszell 1702–1728.

[7] Vielleicht die Bibliothek. Der heute als Bibliotheksaal bezeichnete Raum im 1. OG über dem Refektorium dürfte ein Festsaal gewesen sein.

[8] Der von Edgar Krausen (1988) vorsichtig genannte Fr. OFM Philipp Plank ist um diese Zeit in Weltenburg leitend tätig. Eine reine Planung wäre möglich. Zu ihm siehe den Beitrag in dieser Webseite.

[9] Johann Baptist Zimmermann (1680-1758) aus Wessobrunn, Hofstuckateur in München. Er signiert das Chorfresko 1726. Die Stuckaturen in der Martinskirche werden als Gehilfenarbeit der grossen Münchner Werkstatt Zimmermanns bezeichnet. Siehe zu Zimmermann den Beitrag in dieser Webseite.

[10] Dietram II. Hipper (1694–1745) aus Weilheim, Sohn eines Bierbrauers, 1717 Profess in Dietramszell, Studium an der Jesuitenuniversität Dillingen, Primiz 1724. 1728–1754 Propst in Dietramszell.

[11] Magnus Feichtmayr (*1679) aus Weilheim. Er wird von Norbert Lieb als Baumeister vermutet. Von ihm sind aber kaum Bauwerke und vor allem keine Sakralbauten bekannt. Im Dehio (2006) ist die Vermutung trotzdem bereits zur Gewissheit geworden. Als Mitarbeiter wird der junge Lorenz Sappel (1705–1759) aus Tölz genannt. Dieser ist aber als Palier im Umkreis des ebenfalls aus Tölz stammenden Münchner Baumeisters Michael Pröbstl (1678–1743) tätig. 

[12] Die bayerischen Aufhebungskommissäre sind 1802/03 bemüht, möglichst nur die Rechnungsbücher der letzten Jahre vor der Aufhebung zu requirieren, alle anderen aber zu entsorgen. Damit sind alle Quellen zu den beteiligten Unternehmern und ihren Arbeiten nicht mehr vorhanden. Allerdings wäre es für Dietramszell mit seinen erhaltenen Dachstühlen einfach, mindestens den Bauablauf mittels dendrochronologischen Proben der Dachtragwerke zu ermitteln. Interessiert dies wirklich niemand?

[13] Kurfürst Karl Albrecht, Sohn des für die bayerische Unterjochung 1704–1714 verantwortlichen Fürsten, eröffnet gemeinsam mit den Franzosen den Krieg gegen Österreich im Herbst 1741. Seine Truppen stossen über Oberösterreich nach Böhmen vor. In Prag lässt er sich zum Kaiser krönen. 1742 sind die siegreichen Österreicher wieder in Bayern und besetzen München. Erst mit dem Tod des Kurfürsten und Kaisers Anfang 1745 endet der Krieg. Seinem Sohn bürdet er Schulden von 35 Millionen Gulden auf, mehr als das 8-fache des Staathaushaltes.

[14] Franz Xaver Schmädl (1705–1777) aus Oberstdorf, seit 1732 Bildhauer in Weilheim. Schon 1735 erhält er vom Rottenbucher Propst Patritius Oswald den Auftrag für die Altäre von St. Martin in Oberammergau, die er aber nicht vor 1741 ausführen kann. Er wird in diesen Jahren zum führenden Rokokobildhauer im Pfaffenwinkel. Noch vor Dietramszell beginnt er 1743 mit der Ausstattung der Stiftskirche Rottenbuch.

[15] Franziskus Kamm (1709–1769) aus Augsburg, Sohn eines Tapetenwirkers. Nach Besuch des Jesuitengymnasiums in München 1729 Profess in Dietramszell. Propst in Dietramszell 1754–1769.

[16] Johann Marin Heigl (um 1730–1794). Er ist vor allem als Maler von Deckenfresken bekannt.
Zu Heigl mehr im Beitrag dieser Webseite.

[17] Leonhard II. Schwab (1717–1777) aus Polling, Sohn eines Maurers. Propst in Dietramszell 1769–1777.

[18] Philipp Jakob Rämpl (1728–1809), aus Holzhausen bei Waging, Schüler von Johann Baptist Straub, Bildhauer in Wolfratshausen.

[19] Innozenz Deiserer (1715–1801) aus Holzkirchen, Sohn eines Sattlers. Propst in Dietramszell 1777–1798.

[20] Erwähnt ist der Orgelbauer Meinrad Ellenbauer aus Mindelheim, dessen Lebensdaten nicht erforscht sind. Die Orgel hat 15 Register (II/P/15). Umbauten 1834, 1848 und 1985.

[21] Maximilian Grandauer (1746–1828) aus Geisenhausen, Sohn eines Bierbrauers. Studien in Dillingen. Propst in Dietramszell 1799–1803.

[22] Dietmar Stutzer (1986) beschreibt den Schätzwert des Klosterwaldes 1802 mit 142 500 Gulden für 279 Hektar oder 818 Tagwerke. Edgar Krausen (1988) bezeichnet die Grösse mit 1601 Tagwerken. Aber selbst bei der kleineren Grösse von 818 Tagwerken hätte der Insider-Käufer aus München einen Riesengewinn erzielt. Auch für die Klosterbrauerei zahlt er mit allen Vorräten nur 658 Gulden, obwohl ihm gleichzeitig der freie Bierverkauf bewilligt wird. Dieser wird den Chorherren unter Strafandrohung immer verboten.

[23] Die komplexe Geschichte der Aufhebung von Indersdorf zu Gunsten eines adeligen Damenstifts in München führt noch heute zur Bezeichnung der dortigen ehemaligen Stiftskirche als «Damenstiftskirche», obwohl die adeligen Damen sich nie in Indersdorf aufgehalten haben. Zur Geschichte der Säkularisation von Indersdorf 1783 siehe den Beitrag in dieser Webseite.

[24] Die letzte Schwester der Münchner Klarissinnen stirbt 1844.

[25] Publikationen für die neueren Restaurierungen in Dietramszell fehlen.

[26] Die Konventgebäude sind als verputzte Massivbauten gezeichnet. Dies deutet auf die Wiederverwendung der alten Mauern nach dem Brand von 1636 hin. Der Bericht, wonach 1636 das Kloster innert einer Stunde total in Asche gelegt worden sei (Krausen Seite 25), ist eine der üblichen Übertreibungen bei Grossbränden. Selbst bei Fachwerkbauten hätten die Fundamentgeschosse überlebt. Vielleicht sind die immer hölzernen Dachstühle und die Fachwerkbauten der Obergeschosse in kurzer Zeit ausgebrannt. Der Neubau einer Ziegelei mit Brennofen sofort nach dem Brand 1636 spricht aber genauso wie die angeführte Verwendung von alten Mauern («aus Mangel an Mitteln») nicht für einen Wiederaufbau in Holz. Auch der 1697 erwähnte eingefallene Kreuzgang ist in einem Holzbau nicht möglich. Die im Wahlbericht von 1683 genannten hölzernen Zellen der Konventualen sind, vielleicht in einem verputzten Riegelbau eines Obergeschosses, trotzdem möglich. Es gibt viele erhaltene Klosteranlagen des 15. und 16. Jahrhunderts mit Riegel- oder Fachwerkbauten, ohne dass diese derart abwertend beurteilt werden. Es wäre gut, wenn die Forschung den schriftlichen Quellen nicht aufs Wort glauben und Bilddokumente als gleichwertige Dokumente einbeziehen würde. Das Kloster kann unmöglich «angesichts der ärmlichen Verhältnisse des Klosters» noch bis ins 18. Jahrhundert aus Holz erbaut sein, wie dies Edgar Krausen 1988 (Seite 25) beschreibt und 1994 in Band 1.5 der «Denkmäler in Bayern» repetiert wird. Dieser Zustand müsste demnach für die alten Flügel noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts bestanden haben. Einzig der südliche Flügel des Ökonomiehofs ist bei Wening und Ertl ein reiner Holzbau. Wening stellt zudem Fachwerkbauten wie den Nordhof korrekt dar, er weiss also um den Unterschied zwischen reinem Holzbau, Fachwerkbau und Massivbau. Auch deuten das frühbarocke Adikulaportal (Malerei?) und andere Malereien an den Gebäuden der Ökonomie nicht auf Ärmlichkeit und Holzbauten hin.

[27] Die Wimperge sind mit kleinen Zifferblättern bekrönt. Bei Wening ist ihnen südlich A.R. (?) und östlich A.P.D.Z. (Augustin, Propst in Dietramszell?) eingraviert. Die romanischen Glockenstuben-Öffnungen sind bei Wening mit frühbarocken Dekorationsmalereien gefasst. Der dargestellte Turmhelm von 1648 wird 1753 durch das heutige schlichte, aber höhere Glockengeschoss ersetzt. Der Turm-Unterbau ist wahrscheinlich noch mittelalterlich, sicher steht er aber an alter Stelle.

[28] Dieses Schema wird in der Regel für repräsentative Klosterbauten angewendet, bei denen die dann doppeltürmige Kirche die Mitte gegen einen grossen Vorhof betont, wie im deutschsprachigen Raum erstmals in Vorau in der Steiermark 1619. Für Dietramszell kann diese Absicht ausgeschlossen werden. Die zwei Höfe beidseits der Kirche sind hier nicht in repräsentativer Absicht wie in Tegernsee, Wessobrunn, Ettal, Einsiedeln, Wiblingen etc. geplant.

[29] Beim Neubau des Westflügels bis 1754 wird dieses Konzept nicht mehr beachtet, sodass heute die Westfassaden des Südhofes und diejenige des Nordhofes wegen ihrer Tiefenstaffelung auseinanderfallen. Im Fresko von 1741 ist die Tiefenstaffelung bei beiden Westflügeln beachtet, sie liegen in gleicher Flucht. Dies, obwohl der südliche Westflügel schon dreigeschossig und mit dem Portal von 1754 dargestellt ist.

[30] Im Refektorium von Johann Baptist Zimmermann 1742 auch die Wandgestaltung. Im darüberliegenden Saal, der heute als Bibliothek bezeichnet wird, sind Rokokostuckaturen von 1791 zu finden, die dem Wessobrunner Franz Edmund Doll (1744–1824) zugeschrieben werden.

[31] Diese Angaben gemäss Scheglmann 1908. Sie treffen vielleicht nur für die beiden unteren Geschosse zu. Raumbeschreibungen oder gar Pläne vor den Neunutzungen nach 1803 sind nicht vorhanden.

[32] «Die seitwärts – wo jetzt der Pfarrhof und die Schenke stehen – errichteten Klosterstallungen…» beschreibt der gut recherchierende Scheglmann 1908 die Gebäudegruppe. Für die bedeutend oberflächlichere bayerische Denkmalliste gilt der Klosterplatz 2 in Dietramszell als Gebäude der Klosterzeit. Sie definiert: «Gasthof; zweigeschossiger langgestreckter Walmdachbau, wohl Mitte 18. Jahrhundert». Merke: Wo «wohl» steht, halten die Verantwortlichen der Inventarisation lediglich die Finger in die Luft.

[33] Die Vergleiche als «altmodisch im Vorarlberger-Schema und im Rückgriff auf Sankt Michael in München» von Hermann und Anna Bauer in «Köster in Bayern» (1985) sind schon damals nicht angebracht, werden aber noch heute repetiert. Mehr zum Bautyp der Wandpfeiler-Emporenhalle siehe im Glossar dieser Webseite, Buchstabe W.

[34] Vergleich im Dehio 2006, ohne dass aber ein «Aufriss» (Schnitt) für Beuerberg oder Dietramszell veröffentlicht würde. In Dietramszell beträgt das Verhältnis von Breite zu Höhe im tonnengewölbten Mittelraum (12 Meter Breite)  1: 1,55. Der Raumquerschnitt (mit Wandpfeilern) ist ein Quadrat von 18,6 x 18,6 Meter. In Beuerberg beträgt das Verhältnis im Mittelraum ungefähr 1:1,15. Der gedrückte Raumquerschnitt misst ungefähr 16,8 x 13,4 Meter.

[36] Stefan Holzer 2008 in «Meisterwerke barocker Bautechnik». Der Autor geht bei der Beurteilung der «Altertümlichkeit» allerdings vom Glauben aus, die Raumform von Dietramszell entspreche «exakt jener von Beuerberg». Der sonst auf Grund von Querschnitten die Baukonstruktionen untersuchende Autor fällt hier auf reine Grundrissbeurteilungen herein. In der niederen Wandpfeilerhalle von Beuerberg ist zudem, bei gleicher Gewölbekonstruktion wie in Dietramszell, die Dachtraufe auf der Höhe der Abseiten-Quertonnen und deshalb auch keine Spur eines mächtigen Hallenkirchen-Daches sichtbar. Beuerberg ist deshalb im Dachstuhl sogar moderner als Dietramszell.

[37] Von vorne nach hinten: Engelskonzert, Himmelfahrt Christi, Auferstehung Christi, Engelskonzert.

[38] Das Chorfresko (4,25 x 5,80) stellt das Pfingstwunder dar.

[40] Die Ausführung des Chors mit zwei Jochen und der zusätzlichen Raumverlängerung um ca. 1,80 m, verbunden mit  einem Zwischenraum von 1 m (im Grundriss) weisen darauf hin. Die Asam-Altäre von Rohr oder Weltenburg haben zwar keine Verbindung zu einem dahinterliegenden Psallierchor (wie zum Beispiel Fulda 1710 oder Banz 1714), könnten aber eine anfängliche Planungsanregung des Propstes sein, die dann 1741 nicht mehr berücksichtigt wird. Offenbar ist zur Zeit des Altarbaus dieser Bezug nicht mehr wichtig. Wie in Diessen muss die Teilnahme der Klostergemeinschaft am feierlichen Gottesdienst im Chorraum stattgefunden haben. Ein Chorgestühl ist aber weder im Psallierchor noch im Chor bekannt.

[41] Die Autorenschaft Schmädls für den Hochaltar in  Dietramszell wird zwar im «Dehio» (2006) als Zuschreibung bestätigt, der Hochaltar in Rottenbuch (1749/51) dann aber als «Schmädls erstes Grosswerk» bezeichnet.

[42] Pierre oder Petrus Fournier (1565–1640) ist Mönch in der Augustinerchorherren-Abtei Chaumousey und gründet 1603 den Lehrorden der «Congrégation de Nôtre Dame», der 1640 in Trier eine erste deutsche Niederlassung errichtet. Die Lehrschwestern werden dort Welschnonnen genannt. Der Ordensgründer wird 1897 heiliggesprochen. Der weibliche Lehrorden findet in den deutschen Bistümern im Rheingebiet bis nach Eichstätt schnelle Verbreitung, auch weil die Welschnonnen zweisprachig unterrichten. In Kurbayern sind keine Welschnonnen tätig. Umso erstaunlicher ist die Wertschätzung ihres Ordensgründers in Dietramszell.



Ehemaliges Augustiner-Chorherrenstift und Stiftskirche Mariä Himmelfahrt in Dietramszell
Dietramszell_I_1
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Dietramszell Kurfürstentum Bayern
Bistum (18. Jh.) Baubeginn
Freising 1717
Bauherr und Bauträger
Propst OA Petrus Offner (reg. 1702–1728)
Propst OA Dietram II. Hipper (reg. 1728–1754)
Propst OA Franziskus Kamm (reg. 1754–1769)
 
Innenraum der ehemaligen Stiftskirche mit ihren Altären, vom inneren Portal unter der Empore gesehen. Im Vordergrund die Stange einer Prozessionsfahne. Foto: Bieri 2022.
Dietramszell_A_1
Westfassade mit den Bauetappen 1717 (hinten), 1729 (Kirche) und 1754 (vorne). Foto: Bieri 2022.
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Lageplan
Im Lageplan des Gebäudezustandes um 1800 ist auch die wahrscheinliche Lage des Vorgängerklosters markiert. Für Vergrösserung und Erläuterung bitte anklicken.
Dietramszell in den Landtafeln von Philipp Apian 1568. Unten Tölz (heute Bad Tölz) mit der Isarbrücke. Oben, getrennt durch den Zellerwald, Holzkirchen. Die Abbildung ist eine Zusammensetzung der Tafeln 18 (oben) und 22 (unten). Bildquellen: Wikipedia.
Dietramszell1812
Dietramszell 1812 im «Topographischen Atlas vom Königreiche Baiern diesseits des Rhein». Die mehreren Weiher am Oberlauf des Zellerbaches, wie oben bei Apian gezeichnet, sind bereits Nassmooren gewichen. Die höhergelegene Siedlung Schöneck und die Mühlengebäude im Ober- und Unter-Mühltal sind inzwischen wichtiger als Dietramszell bezeichnet. Nördlich und südlich des ehemaligen Klosters sind seine Höfe Nordhof und Sonnenhof eingetragen. Bildquelle: Bayerische Staatsbibliothek.
Kirche und Kloster aussen
Die lange Ostfassade des Klosters um 1900, hier noch ohne Gartenneubauten und Baumbepflanzung, in einer Zeichnung (signiert C. Dietrich). Bildquelle: Bavarikon.
Die Ostfassade heute, fotografiert 2011 vor Vegetationsbeginn von Gras-Ober (Wikipedia).
Kirche, Turm und Westflügel vom südlichen Innenhof gesehen. Foto: Bieri 2016.
Die Kirchenfassade mit ihren fragwürdigen Malereien des 20. Jahrhunderts von Südwest gesehen. Hinten die alte Pfarrkriche St. Martin von 1717. Foto: Bieri 2023.
Kirchenportal der Erbauungszeit der 1730er-Jahre, mit Dekorationsmalerei und Jahreszahl 1747 (aus der «Restaurierung» von 1910).
Foto: G.Freihalter 2015.
Westfassaden-Portal des Durchgangs in den südlichen Innenhof, mit dem Wappen des Propstes Franziskus Kamm (reg. 1754–1764), der die West- und Südflügel vollendet. Die schlecht lesbare Jahreszahl 1754 wird mit dem Neubau in Verbindung gebracht, könnte aber auch auf das Wahljahr des Propstes hinweisen. Foto: Rufus46 (2016) in Wikipedia.
Innenraum der ehemaligen Stiftskirche
Der Innenraum Richtung Hochaltar von einem Standpunkt im dritten Joch (von Westen) gesehen. Foto: Bieri 2022.
Die ausgewogene tektonische Struktur der Wandpfeiler-Emporenhalle, hier die Südseite. Sie zeigt deutlich, dass in Dietramszell die optimale Anwendung des alten Bautypus für die Raumwirkung gleichwertig mit den hervorragenden Stuckaturen und Fresken der Zimmermann-Werkstatt ist. Foto: Bieri 2022.
Blick rückwärts zur zweigeschossigen Empore im ersten Wandpfeilerjoch. Die Prozessionsfahne erreicht eine Höhe von (geschätzten) 14 Meter. Foto: Bieri 2022.
Ein Ausschnitt mit der Orgel von 1795. Der dreiteilige Prospekt mit zwei seitlichen Türmen steht auf der oberen Empore in der vorderen Hälfte. Er nimmt einen Drittel der Emporenbreite ein. In ihrer Grösse und in ihrem Aussehen fügt sich die Orgel ausgezeichnet in die spätbarocke Umgebung ein. Foto: Bieri 2022.
Stuck und Fresken
1726 signiert Johann Baptist Zimmermann das Deckenfresko im Chor (im Plan: m5). Es stellt das Pfingstwunder mit Maria in der Mitte der zwölf Apostel dar. Zimmermann malt es in eine scheinperspektivische Tempelarchitektur. Bildquelle: Warburg Institute London.
Am Chorbogen von St. Martin ist der Wappenschild von Propst Petrus mit der Jahreszahl 1726 angebracht. In das geöffnete Feldzelt des Klosterwappens ist das persönliche Wappen des Propsts eingefügt. Bildquelle: Warburg Institute London.
Das grosse Mittelfresko der Zimmermann-Werkstatt von 1741 erstreckt sich über drei Gewölbejoche. Auch der Stuck wird der Werkstatt zugeschrieben. Die Stuckornamentik besteht aus zartfarbig in Gelbocker gefassten, symmetrischen Régence-Ornamenten mit Rocaillen in den Kartuschen und mit blaugrauem Gitterwerk in den Stichbögen. Das Fresko, hier in Blickrichtung Ost (im Bild unten) erzählt die Gründung von Dietramszell in der Klosterversion. Der Abt von Tegernsee ist zwar in der Gruppe der Gründer enthalten, aber nur als Hintergrundperson. Über der terrestrischen Szene schweben Heilige der Orden mit der Augustinerregel in Wolkengebilden im Kreis um die Dreifaltigkeit. Ihr Gnadenstahl trifft den hl. Augustinus. Foto: Bieri 2022.
In der Fortsetzung Richtung Chor folgt, ergänzend zum Hauptfresko, die Überreichung der Gründungsurkunde des ersten Propstes Dietram an den Klosterpatron Martin. Dann folgt im Chor das Kuppelbild mit der Hl. Dreifaltigkeit in Erwartung Mariens (im Bezug zum darunterliegenden Altarblatt). Dieses Chorfresko ist mit einem dichten Brokatrahmen betont. Foto: Bieri 2022.
Im Querfresko des letzten Jochs vor dem Chor mit der Überreichung der Gründungsurkunde an den hl. Martin (siehe oben), zeigt der Propst auf sein Kloster im Zustand des 18. Jahrhunderts. Die Westfassade des südlichen Hofes ist 1741 noch nicht gebaut, aber anders als 1754 ausgeführt, architektonisch korrekt in die Flucht des 1717 gebauten Flügels mit der Martinskirche gesetzt. Die Fassade der Stiftskirche zeigt eine schöne Barockgliederung, völlig anders als die Erfindungen der letzten «Restaurierungen». Foto: Bieri 2022.
Ausstattung
Die Ausstattung gilt mit Ausnahme des Katharinenaltars als Werk des Weilheimer Bildhauers Franz Xaver Schmädl (1702–1777).
Der Hochaltar füllt mit seiner Breite von 11 Meter und der Höhe von 17 Meter  den Chorabschluss. Mehr zu diesem Prachtswerk siehe im nebenstehenden Text. Foto: Bieri 2022.
Johann Baptist Zimmermann liefert 1745 das Hochaltarblatt. Seine Himmelfahrt Mariens steht in Bezug zum darüberliegenden Gewölbefresko mit der Hl. Dreifaltigkeit. Das untere Rahmenprofil korrespondiert mit dem davorstehenden Tabernakel. Foto: Bieri 2022.
 
Noch 1760 liefert Schmädl die beiden Monumentalskulpturen an den Choreinzugs-Wänden. Vor blaugoldenen Vorhangdraperien, die von Putti gehalten werden, steht unten der hl. Johannes Nepomuk (links). Oben halten Putti eine goldene Gloriole. Das Gegenstück rechts bildet die Statue des 1730 seliggesprochenen Pierre Fournier, des Gründers des Welschnonnen-Ordens. Hier halten die Putti oben einen Blütenkranz. Fotos: Bieri 2022..
 
Die beiden vordersten Altäre am Choreinzug, der nördliche Kreuzaltar und der südliche Rosenkranzaltar sind Bildhaueraltäre mit bunt zusammengewürfelter Figuralplastik, einige Figuren sind auch von Franz Xaver Schmädl. Im südlichen Muttergottesaltar dominiert eine hochbarocke Rosenkranzmadonna unter dem silbernen Baldachin. Fotos: Bieri 2022.
 
Im nach Westen folgenden Joch enthält der nördliche Augustinusaltar das Altarblatt des hl. Augustinus mit der Dreifaltigkeit, 1757 von Johann Baptist Zimmermann gemalt. Assistenzfiguren sind die hll. Florian und Georg. Das Altarblatt des südlichen Monikaaltars ist ebenfalls 1757 von Zimmermann gemalt, die Assistenzfiguren sind hier die hll. Joachim und Anna. Fotos: Bieri 2022.
 
Die Rokokoretabel des dritten Joches enthalten Altarblätter von 1758, im nördlichen Achatiusaltar vom Zimmermann-Schüler Heigl, im südlichen Magdalenenaltar von Johann Baptist Zimmermann. Hier sind die Assistenzfiguren von einem unbekannten Meister (Nord: hll. Christopherus und Pantaleon, Süd: hll. Petrus und Paulus). In beiden Retabeln sind Glasschreine mit «heiligen Leibern» des Marcellinus und des Demetrius eingelassen. Fotos: Bieri 2022.
 
Die Kanzel am zweitvordersten Wandpfeiler ist mit grösster Wahrscheinlichkeit um 1745 von Schmädl gebaut.
Der Katharinenaltar im Joch gleich nach dem Vorraum ist eine reine Bildhauerarbeit von Philipp Jakob Rämpl aus dem Jahr 1772. Die farbig gefasste hl. Katharina im Retabel lehnt sich an das zerbrochen Rad und wird von den weiss gefassten hll. Margaretha (mit dem Drachen an der Kette) und Barbara assistiert.
Fotos: Bieri 2022.