«Architecte du Roy, et de son Académie Royale d'Architecture, Premier Architecte et Inspecteur Général des Ponts et Chaussées du Royaume»[1]
Nantes und Paris 1667–1704
Herkunft, Ausbildung
Germain Boffrand wird am 16. Mai 1667 in Nantes geboren. Er ist das zweite von zwölf Kindern des Bildhauers und Architekten Jean Boffrand. 1682, mit knapp 15 Jahren, verschafft ihm sein Onkel Philippe Quinault eine Lehrstelle im Umkreis des Bildhauers und Akademieprofessors François Girardon in Paris. Der junge Boffrand profitiert so vom Beziehungsnetz seines Onkels, eines berühmten Dichters, Opern-Librettisten und Akademiemitgliedes seit 1670. Er erwirbt gleichzeitig auch eine ausgesprochen gute humanistische Bildung.[2]
Jules Hardouin-Mansart
Boffrand nimmt 1685 an einer Hochzeit seiner Cousine mit dem Neffen und Patensohn des Hofmalers Charles le Brun teil und wird damit zum ersten Mal erwähnt. Die nun vertieften Beziehungen zu den «Bâtiments du Roi»[3] zeigen den jungen Boffrand 1686 als Zeichner bei Jules Hardouin-Mansart, «premier architecte du Roi».[4] Er erhält in diesem Jahr für die Pläne zur Place Vendôme und dem Couvent des capucines[5] eine Entschädigung. 1690 wird er, mit 23 Jahren, «conservateur des dessins aux Bâtiments du Roi».[6] Er übernimmt jetzt für Mansart auch Bauleitungen. 1692 leitet er die Arbeiten an der Place Louis-le-Grand, der späteren Place Vendôme. 1699 beendet er seine Mitarbeit im Büro Mansart und bei den Bâtiments du Roi, offenbar nach Differenzen mit Mansart.
Erste freie Aufträge
1700 realisiert er für Charles II Le Brun und Marie-Louise Quinault, an deren Hochzeit er 1685 teilgenommen hat, das Hôte[7] Le Brun. Es liegt frei in einem Garten, getrennt durch eine Häuserzeile von der Rue des Fossés-Saint-Victor.[8] Als Erstlingswerk erregt es durch seine schlichte Vornehmheit Aufsehen.
1704 baut er in Paris zwei heute abgebrochene Hôtels. Im Marais errichtet er auf altem Grundriss das Hôtel de Mesme. Nicht grösser, aber wesentlich wichtiger ist sein Neubau des Hôtel d'Argentan[9] am Garten des Palais Royal.
Für den Bauherrn des Hôtel de Mesme kann er in Roissy-en-France auch einen Schlossneubau verwirklichen. Der Entwurf einer Dreiflügelanlage, den Nicodemus Tessin 1697 erstellt, ist dem Comte d'Avaux nicht genehm. Boffrand baut ein klassizistisch anmutendes Corps de Logis mit zwei flankierenden Pavillons. Der Entwurf Tessins wird später Vorbild für das Schloss Pommersfelden.
Spanische Niederlande 1705
Max II Emanuel von Bayern[10]
Neun Jahre, 1692 bis 1701, hält sich der bayrische Kurfürst als Statthalter der Spanischen Niederlande mit seinem Hof in Brüssel auf. Dort lernt er 1693 Agnes Françoise Le Louchier, die spätere Comtesse d'Arco kennen.[11] Sie wird seine Favoritin. 1700 wechselt der Kurfürst ins französische Lager und rüstet zum Krieg gegen Deutschland auf.[12] Gleichzeitig lernt der grosse bayrische Kunst- und Baumäzen die französischen Hofkünstler schätzen. Unfreiwillig und als Verlierer hält er sich 1704 wieder in Brüssel auf. Die Comtesse d'Arco, eine äusserst gebildete und kunstinteressierte Person, wird nun wichtigste Bezugsperson in Kunstankaufs- und Inneneinrichtungsfragen. Sie vermittelt zu den entsprechenden Pariser Kreisen. 1705 kann sie Germain Boffrand zu einer Reise nach Brüssel bewegen. Boffrand hält sich vom Februar bis November im Residenzschloss Coudenberg auf, wo er einige Räume neu einrichtet, einen Neubau für das Jagdschloss Bouchefort plant und auch ein Appartement im Schloss von Tervuren einrichtet. Nur die Pläne des nie verwirklichten Jagdschlosses Bouchefort sind erhalten. Boffrand stellt sie 1745 im Druck vor. Sie zeigen, dass er 1704 noch voll dem von der Pariser Akademie geprägten palladianischen Klassizismus anhängt.[13]
Der bayrische Kurfürst muss 1706 auch aus Brüssel fliehen. Die Kontakte zu Boffrand bleiben bestehen. Er kann 1713 den Umbau des kurfürstlichen Landsitzes Saint-Cloud ausführen. Boffrand ist für die spätere bayrische Hofarchitektur trotz dieser eher kleinen Aufträge von grosser Bedeutung, denn ein vom kurfürstlichen Hof vermittelter Zeichner im Baubüro des Pariser Architekten wird vor allem die Innenarchitektur Boffrands fast wortgetreu in München weiterführen.
Boffrand und Effner
1706 beginnt der 19-jährige, als Gärtner ausgebildete Joseph Effner[14] aus Dachau bei Boffrand ein Praktikum, wie es Boffrand im gleichen Alter bei Hardouin-Mansart geleistet hat. Effner ist an vielen Bauten des Baubüros Boffrand beteiligt, anfänglich als Zeichner und später als Bauleiter. Die ersten Münchner Bauten Effners sind im Innenausbaubereich derart vom Stil der Régence-Räume Boffrands geprägt, dass grosse Übereinstimmungen feststellbar sind. 1715 verlässt Effner Paris und kehrt mit dem kurfürstlichen Hof nach München zurück.
Paris 1706–1715
Hôtels particuliers in Paris
Vom Pariser Adel wird Boffrand vor allem für die Planung und Leitung von Neu- und Umbauten ihrer Hôtels particuliers beigezogen. Bis zum Ende des Spanischen Erbfolgekrieges und damit zum Ende des Aufenthaltes Effners baut Boffrand zehn wichtige Hôtels oder baut sie um. Nur vier dieser Stadtpalais sind heute noch erhalten, und nur im Hôtel Petit-Luxembourg ist auch die Régence-Ausstattung Boffrands noch nicht zerstört.
Das Petit-Luxembourg, heute Sitz des Staatspräsidenten, wird zum direkten Vorbild Effners für seine Umbauten und Neueinrichtungen in Dachau oder Nymphenburg nach 1715.
Ein architektonisch aussergewöhnlicher und noch bestehender Neubau, als lateinamerikanische Botschaft heute unzugänglich, ist das Hôtel Amelot de Gournay oder de Montmorency mit seinen dem ovalen Innenhof angepassten Fassaden. Hier zeigt Boffrand, dass er dem in Paris vorherrschenden klassizistischen Architekturkanon nicht folgen will und wirklich barock gestalten kann. Wie auch die beiden anderen noch bestehenden Hôtels de Torcy (heute Beauharnais) und de Seignelay ist das Hôtel Amelot ein Spekulationsbau Boffrands. Er verkauft die Bauten schlüsselfertig. Sein Wohlstand und sein Ansehen in Adelskreisen ist jetzt auf dem Höhepunkt. 1709 erfolgt zudem die Aufnahme in die erste Klasse der königlichen Architekturakademie.
Saint-Cloud und Saint-Ouen
1713 und 1714 beginnt Boffrand zwei Landhäuser an der Seine bei Paris. Das eine ist das «Maison» in Saint-Cloud für den bayrischen Kurfürsten, das Effner plant und leitet. Es ist zweigeschossig und entspricht dem Maison de plaisance, das Blondel später als «demeure oeconome» bezeichnet.[15] Völlig anders ist das Maison de plaisance in Saint-Ouen für den Duc de Rohan. Das Corps de Logis, eingeschossig, liegt tempelartig erhöht inmitten der Hofbauten. Kaum für mehr als einen Tagesaufenthalt geeignet, wird es als «Folie de Rohan» bezeichnet.[16] Interessant an der «Folie» ist die für Paris atypische Verwendung von äussern Stuckornamenten über den Fensterstürzen, wie sie einige Palais des Wiener Baumeisters Johann Bernhard Fischer von Erlach aufweisen.[17]
«Premier architecte du duc de Lorraine»
Schlossbauten für Herzog Leopold von Lothringen 1704–1722
1711 wird Boffrand Hofarchitekt des in Wien erzogenen Herzogs Leopold Joseph von Lothringen. Der Herzog residiert während des Spanischen Erbfolgekrieges in Lunéville.[18] Hier beginnt er um 1704 mit Neubauten an der 1612 gebauten Residenz, vielleicht mit den beiden Hofflügeln. Er zieht nebst seinen Hofarchitekten auch Boffrand bei, den er dann 1711 zu seinem ersten Architekten befördert. Das Corps de Logis brennt 1719. Erst jetzt kann Boffrand die 1745 veröffentlichte Planung teilweise verwirklichen. Weitere Brände folgen. Nach dem erneuten Grossbrand von 2013 können heute nur noch die rekonstruierte Gebäudehülle und die Schlosskapelle als Werk Boffrands gelten.
1712 beginnt er, wieder für Herzog Leopold, mit dem Neubau des Schlosses Malgrange in der Tradition von Vaux-le-Vicomte (Louis le Vau 1656–1661). Das zu grosse Schloss wird nie fertig und schon 1737 zu Gunsten eines Neubaus des Herzogs Stanislaus I. Leszczyński abgebrochen.[19]
1714 kann Herzog Leopold nach Nancy zurückkehren. Hier beginnt Boffrand 1717 mit dem Neubau einer Residenz östlich des alten Herzogpalastes. Eine einfühlsame Vorgängerplanung von Jules Hardouin-Mansart wird von ihm nicht berücksichtigt. Boffrand plant radikaler. Seine Vierflügelanlage im Ausmass von 138 auf 89 Meter soll das alte Schloss der burgundischen Herzöge ersetzen. Ähnlich dem ersten Louvre-Projekt von Bernini (1664) öffnet sich der Südflügel in einer konkaven Wölbung zur Place de la Carrière. Weil Boffrand den Neubau mit dem Südflügel und Ostflügel beginnt, fallen grosse Teile des alten Schlosses und auch die Kollegiatskirche Saint-Georges dem Abbruch zum Opfer. Der Bau des «Louvre von Nancy» wird aber schon 1722 eingestellt. Grund ist der Brand von 1719 in lothringischen «Versailles» Luneville, dessen Wiederaufbau alle Geldmittel verschlingt. Alle begonnenen Bauten in Nancy werden 1745 abgebrochen.
Schlossbauten für den lothringischen Adel
In Lothringen ist Boffrand mit weiteren Schlossneubauten beschäftigt. In Commercy plant er das Corps de Logis, ähnlich dem Schloss von Lunéville, in strengem klassizistischen Barock.
Die Schlösser in Haroué (château de Craon) und in Croismare sind Wasserburgen, mit ihren runden Ecktürmen eher dem 16. Jahrhundert als dem Barock verpflichtet. Offensichtlich ist der Anachronismus bewusst gestaltet, denn Boffrand wählt noch 1745 Haroué zur Veröffentlichung in seinem Werk. Für den Bauherrn dieser Wasserburgen, Marquis de Beauvau-Craon, kann er 1714 in Nancy auch das Stadtpalais erstellen. Das Hôtel de Craon liegt an der Place de la Carrière.
Paris 1715–1735
Privatleben
Wenig ist über das Privatleben Boffrands bekannt. Er heiratet um 1710 Marie Leneuveu de Beauval. Die Eheleute Boffrand haben vier Kinder.[20] Als die Ehefrau 1730 stirbt, sind noch nicht alle mündig. Die beiden Söhne treten in die Fussstapfen des Vaters, der eine als Architekt, der andere als Ingenieur. Beide sterben vor ihrem Vater.
Boffrand ist nicht nur Architekt, Ingenieur und Literat, er ist, wie dies die schon vor 1713 auf eigene Rechnung erstellten Pariser Hôtels zeigen, auch Spekulant.
Eine gewaltige Summe legt er 1718 aus. Für 650 000 Livres[21] erwirbt er die Grundstücke des Hôtels de Soissons (les Halles) in Paris.
1720 kauft er vom Marquis de Beauvau-Craon die Herrschaft Thuillières in den lothringischen Vogesen. Von hier erreicht er Nancy über die Route de Mirecourt in einem Tag. Er baut das Herrschaftshaus neu auf. Den Kauf tätigt er sicher auch wegen der Projekte in Lothringen. Dies gehen aber mit dem Tod von Herzog Leopold I. zu Ende. Bereits 1736 verkauft er die Herrschaft wieder.
Die Grundstückspekulationen Boffrands enden 1720 abrupt. Das Livre verliert innerhalb eines Jahres 50 Prozent und hat Ende 1720 noch 30 Prozent des Wertes von 1709. Gründe sind die hohen Staatsschulden des verstorbenen Louis XIV und der Zusammenbruch eines Refinanzierungssystems des Schotten John Law.[22]
Boffrand verliert dabei den Grossteil seines Vermögens und zieht sich aus dem Spekulationsgeschäft zurück.
L'Arsenal und l'Hôpital Général
1712 wird Boffrand von Louis XIV als «Architecte de l'Arsenal» eingesetzt. Der Duc de Maine ist Bauherr für die Neubauprojekte.[23] Sie betreffen vor allem das damals zur Seine orientierte lange Gebäude des «Grand Maître» des Architekten Sully. Ihm setzt Boffrand ein neues Gebäude als Wohnung für den Duc de Maine vor. Der Bau wird 1715 begonnen. Finanzielle und politische Schwierigkeiten verhindern nach 1725 den Ausbau, der erst nach 1750 begonnen wird. Erhalten ist ein Gebäudeteil, die heutige Bibliothèque de l'Arsenal. Anstelle zum Seine-Arm und der Insel Louvier orientiert, ist das Gebäude seit den Auffüllungen des 19. Jahrhunderts in einer Strassenschlucht gelegen.
Für die Duchesse de Maine baut Boffrand 1729 auf einer Eckbastion des Arsenals ein kleines Belvedere, ein Gebäude mit grossem Charme, den ovalen Salon im Hôtel de Soubise vorwegnehmend.
Schlossbauten in der Île-de-France
Der Comte d'Avaux, Jean Antoine de Mesme, zieht Boffrand in seiner Funktion als Premier Président 1712 für die Umbauten des Palais de Justice auf der Île de la Cité zu. Sie dauern bis 1723. Während dieser Periode kann Boffrand für ihn erneut ein Schloss in Moissy-Cramayel bauen. Im Gegensatz zum ersten Schloss von 1704 in Roissy-en-France ist das Schloss Cramayel, ähnlich wie die lothringischen Schlösser, wieder ein mit Rundtürmen bewehrtes Wasserschloss. In Fouchères in der Nähe von Troyes baut er ab 1723 das Châteaux de Vaux, das aber erst in den 1750er-Jahren vollendet wird.
Sakralbauten
Boffrand ist Planer zweier Kapellenneubauten. Die eine ist die Schlosskapelle in Lunéville, die er um 1720 baut,[24] die zweite ist die Kapelle der Enfants Trouvés in seinem letzten Bauwerk auf der Île de la Cité. Von diesen Bauten abgesehen, beschränkt sich seine Sakralbautätigkeit auf die Leitung von Umbau- oder Fertigstellungsarbeiten. So gestaltet er 1709 die Fassade der Kirche La Merci im Marais neu, leitet in Nancy 1723 die Fertigstellung der Primatiale mit den Glockentürmen, und baut 1746 die Spitalkirche Saint-Esprit am alten Pariser Rathaus um. In Saint-Merri, heute beim Centre Pompidou, projektiert er einen Kapellenbau. In Würzburg beteiligt er sich 1724 an den Planungsvarianten zur Hofkirche. Er veröffentlicht sein Projekt noch 1745, obwohl in den 1730er-Jahren durch Hildebrandt und Neumann das Gegenteil seines klassizistischen Entwurfs entstanden ist. Die Sakralarchitektur des süddeutschen Barocks hat jetzt mit Frankreich keine Gemeinsamkeiten mehr.
Dies gilt auch für die unterschiedlichen Einstellungen zur mittelalterliche Sakralbaukunst. Hier verhält sich Boffrand bereits wie Viollet-le-Duc im 19. Jahrhundert.[25] Er bewundert die gotische Sakralbaukunst, sofern sie seinen klassischen Proportionsvorstellungen entspricht. Er bewundert auch die Ingenieurbaukunst der gotischen Baumeister. Die Kathedrale Notre Dame in Paris entspricht vollkommen seiner Vorstellung eines der Klassik gleichwertigen Bauwerkes.
1725 bis 1727 ist Boffrand hier tätig. Seine Rekonstruktion der Gewölbe des südlichen Querschiffes von Notre Dame ist eine technische Meisterleistung, am interessantesten ist aber seine präzise Bauaufnahme der Innenfassade mit der grossen Fensterrose. Er richtet für den Bauherrn der Kathedrale, den Kardinal de Noailles, auch eine Seitenkapelle ein. Seit der Regotisierung durch Viollet-le-Duc ist auch dieses Werk nicht mehr erhalten.
Architecte et directeur de l'Hôpital Général à Paris
1724 beginnt Boffrand als Architekt der Pariser Spitäler mit einem Projekt für die Salpétrière. Seine geplanten Erweiterungen der Anlagen, die schon damals 6500 Patienten beherbergen, werden erst 1753 verwirklicht. Im Spital von Kremlin-Bicêtre baut er 1733 ein Wasser-Hebewerk mit Reservoir. 1746 verwirklicht er auf dem heutigen, von allen Gebäuden «befreiten» Platz vor Notre-Dame ein grosses Waisenhaus, das Hôpital des Enfants Trouvés. Er bricht dafür die mittelalterliche dichte Bebauung und zwei alte Kirchen ab. Das gleiche Schicksal trifft 1874 auch sein Gebäude.
Arbeiten für deutsche Fürsten
Balthasar Neumann und Germain Boffrand
Der Würzburger Fürstbischof ermöglicht 1723 dem «Stückhauptmann und Ingenieur Balthasar Neumann» eine gut vorbereitete Reise nach Paris, um sich in der Baukunst «fähiger und vollkommener» zu machen, und mithin bei der Fortführung des angefangenen Residenzneubaus «desto bessere und nützlichere Dienste leisten zu können». Neumann tritt damit aktiv in die Mitplanung der neuen Würzburger Residenz ein und löst Johann Dientzenhofer ab.[26] In Paris bespricht er die bestehenden Pläne vorerst mit dem «premier architecte du Roi» Robert de Cotte, findet dann aber einen besseren Draht zu Germain Boffrand, der ebenfalls Planungsänderungen vorschlägt. Die Planungen beider Architekten sind erhalten. Man darf von Glück reden, dass ihre Vorschläge der Fassadengestaltungen in Würzburg keine Gnade finden. Die Kaisertreppe dürfte hingegen einer Anregung des Pariser Kreises entsprechen.[27] Im Juli 1724 reist German Boffrand selbst nach Würzburg. Diesen Aufenthalt nutzt er, um zusammen mit dem Stuckateur Carlo Antonio Castelli die Innenausstattung des Residenz-Nordblockes zu planen. Mit Boffrand und Castell hält das Régence in Würzburg Einzug.
Planungen für Lothar Franz von Schönborn
Der Kurfürst von Mainz, Lothar Franz von Schönborn, Onkel des Würzburger Fürstbischofs, ist gleichzeitig Fürstbischof von Bamberg. Er ist Drahtzieher der Planungen seines Neffen in Würzburg. Hier berät ihn Boffrand auch für die Schönborn-Kapelle am Dom. Auf das 1711–1718 gebaute Schloss Pommersfelden, ein Werk von Johann Dientzenhofer, ist der Kurfürst stolz. Boffrand besucht das Schloss 1724. Ob er erfährt, dass das Vorbild in einer 1709 veröffentlichten Planung von Nicodemus Tessin für das Schloss Roissy-en-France liegt? Das wahrscheinlich liebste Bauvorhaben des Kurfürsten sind aber die Garten- und Schlossanlagen der Favorite in Mainz. Er nennt es sein kleines Marly, nach den Gärten von Marly-le-Roy. Nur aus der Korrespondenz des Kurfürsten mit Boffrand erfahren wir, dass dieser als Berater und Planer für eine weitere Ausbauetappe und für die Kaskaden der ersten Etappen auch in Mainz tätig ist. Er gilt auch als Entwerfer des sogenannten Porzellanhauses, ein erst 1730 begonnenes Gebäude. Die Favorite wird 1793 zerstört.
Planungen für den Grafen von Törring-Jettenbach
Noch 1737 ist Boffrand für frankophone deutsche Fürsten tätig. Der Graf von Törring unterbreitet in Paris Projekte für seinen neuen Münchner Palais. Boffrand nimmt dies zum Anlass, 1738 eine Serie von Projekten auszuarbeiten. Der erst 1747 begonnene Neubau der Brüder Gunetzrhainer nimmt aber keinen Bezug auf die Pläne Boffrands.
Paris, nach 1735
Hôtel de Soubise
Der Umbau des alten Hôtels de Guise in das Hôtel de Soubise und der Neubau des grossartigen Eingangshofes ist, wie auch der Neubau des angrenzende Hôtels de Rohan, ein Werk von Pierre-Alexis Delamair.[28] Als Boffrand 1735 mit der Neugestaltung der Appartements im Erdgeschoss (Appartement du Prince) und im 1. Obergeschoss (Appartement de la Princesse) des zum Garten orientierten Flügels beginnt, ist der Bau von Delamair schon einige Jahre bezogen. Boffrand verlängert den Flügel um zehn Meter und betont die Verlängerung mit einem Eckpavillon, der innen zwei ovale Salons aufnimmt. Sie liegen in der Achse der Enfilade von repräsentativen Wohnräumen, für die er alle Stuck- und Boiserieausstattungen plant und leitet. Sie sind nun im «style rocaille» oder, wie das Rokoko in Paris auch genannt wird, im «goût nouveau» oder «genre pittoresque» gestaltet. Das Hôtel de Soubise, vor allem der Salon de la Princesse, wird dank dieser Intervention von Germain Boffrand zu einer wichtigen Inkunabel des höfischen Rokoko.[29]
Inspecteur Général des Ponts et Chaussées
Schon 1723 ist Boffrand als Ingenieur Mitglied im noch heute bestehenden Amt für die Brücken und Strassen Frankreichs.[30] 1742 wird er erster Ingenieur, 1743 Generalinspektor. Mit der Gründung der École des Ponts et Chaussées 1747 beginnt die Spezialisierung des Ingenieurberufes. Boffrand ist einer der letzten Architekten-Ingenieure bei den «Ponts et Chaussées». Er ist vor allem für Brückenbauten an Seine und Yonne zuständig. Keine seiner Brücken ist heute original erhalten.
Hôpital des Enfants-Trouvés
Der 1746 begonnene Neubau des Waisenhauses auf der Île de la Cité am Zugang zur Kathedrale Notre Dame ist Boffrands letztes grosse Bauwerk. Ein dichtes Häusergewirr und zwei mittelalterliche Kirchen fallen ihm zum Opfer. Im Gebäudekomplex der Enfants-Trouvés ist eine grosse Kapelle erhalten.[31] Sie ist nach Lunéville der zweite sakrale Neubau Boffrands. 1874, anlässlich der Vergrösserung des Platzes vor Notre Dame, fällt mit dem Waisenhaus auch die Kapelle dem Abbruch zum Opfer.
Planungen für die Place Louis XV
Die heutige Place de la Concorde entsteht aus der letzten Auftragsplanung Boffrands 1753, die nach seinem Tod durch Jacques-Ange Gabriel weitergeführt wird. Dem neuen Platz am Ende des Tuileriengartens geht 1748 ein Wettbewerb voraus, an dem alle Architekten der Akademie teilnehmen. Der Standort der heutigen Place de la Concorde wird allerdings von keinem der Teilnehmer untersucht. Boffrand gibt drei Entwürfe ab. Die erste Variante zeigt den Platz an der Spitze der Île de la Cité, mit Opferung der Place Dauphine. Der zweite Entwurf entspricht dem heutigen Forum des Halles, südlich von Saint Eustache. Die dritte Variante ist fast identisch mit der heutigen Place du Carrousel zwischen dem alten Louvre und den Tuilerien. Die Projekte Boffrands werden von Pierre Patte 1767 veröffentlicht.[32]
Architekturtheorie, Tod und Nachruhm
Livre d'architecture
Mit einem französisch und lateinisch abgefassten Architekturtraktat, das er 1745 veröffentlicht, setzt sich Boffrand selbst ein Denkmal.[33]
Im ersten Teil wiederholt er seine 1734 in der Akademie vorgetragene Erörterung über den guten Geschmack in der Architektur. Er führt auch das Thema des Charakters in die französische Architekturdiskussion ein. Die Zeichensprache des Hauses im Äussern und im Innern solle den Charakter und die Stellung des Bewohners oder die Art seiner Nutzung wiederspiegeln. Er liefert damit die Grundlagen für die zentralen Vorstellungen der Revolutionsarchitektur und tippt ein Thema an, das er sich noch gar nicht vorstellen kann: Die architektonische Zeichensprache eines grössenwahnsinnigen Diktators.
Im zweiten Teil stellt er eigene Werke vor, die seinen Vorstellungen des guten Geschmackes und des architektonischen Charakters entsprechen.
Nachwirkung in Frankreich
Am 19. März 1754 stirbt Boffrand im 86. Altersjahr in Paris.
Sein Nachruhm als Architekt wird vor allem durch die Tafelbände «Architecture françoise» von Jacques-François Blondel gefördert, die 1752–1756 erscheinen.[34] Blondel stellt hier die wichtigsten Werke Boffrands nochmals vor und verbindet sie, trotz seiner Bewunderung der Rokoko-Ausstattung des Hôtels de Soubise, sie mit der Aufforderung zum «grand goût de la belle simplicité», das heisst zum reinen Klassizismus. Der Schüler Blondels, Pierre Patte, verbreitet die städtebaulichen Ideen Boffrands 1767 in seinem Werk der Monumente zu Ehren Louis XV. Die Revolutionsarchitekten Etienne-Louis Boullée und Claude Nicolas Ledoux, ebenfalls Schüler Blondels, setzten die Charakter-Lehre mit ihrer «architecture parlante» für ihre utopisch wirkenden Planungen radikal um.
Nachwirkungen der Innenarchitektur Boffrands
Régence und Rokoko werden nicht nur durch die Werke Boffrands vermittelt. Unzweifelhaft hat die Rokoko-Innenarchitektur des Hôtel de Soubise Einfluss, die dortigen Ovalsäle stellen auch das Hauptwerk Boffrands dar. Viel wichtiger sind aber seine frühen Werke der Régencezeit, die der Schüler Joseph Effner fast wortgetreu in München umsetzt. Schon für François Cuvilliés und Johann Baptist Zimmermann gilt dies nicht mehr. Als Boffrand 1736 mit der Ausstattung des Hôtel de Soubise beginnt, ist das Rokoko-Lusthaus der Amalienburg im Nymphenburger Schlossgarten schon im Bau. Die Verbreitung des höfischen Rokoko in Deutschland wird durch die dritte Auflage des «Cours d'Architecture» von D'Avilers, die 1738 erscheint,[35] bedeutend mehr gefördert als durch die Veröffentlichungen über das Hôtel de Soubise. Für die süddeutsche Baukunst hat Boffrand so gut wie keinen Einfluss.
Pius Bieri 2016
Siehe zum Begriff der «Dekoration» auch:
Innenarchitektur oder Innendkoration? Ein Exkurs zu Boffrand als «Dekorateur»
Literatur: |
Glaser; Hubert (Hrsg.): Kurfürst Max Emanuel. Ausstellungskatalog Band I. München 1976. |
Gams, Jörg: Les projets de Mansart et de Boffrand pour le palais ducal de Nancy. In: Bulletin Monumental, tome 125, n° 3, année 1967, pp. 231-246. |
Gallet, Michel und Garms, Jörg (Hrsg.): Germain Boffrand 1667-1754. L'aventure d'un architecte indépendant. Ausstellungskatalog. Paris 1986. |
Pozsgai, Martin: Germain Boffrand und Joseph Effner. Studien zur Architektenausbildung um 1700 am Beispiel der Innendekoration. Berlin 2012. |
Links: |
Germain Boffrand in Wikipedia (de) |
Turgot Map of Paris Kyoto University Library. |
Anmerkungen:
[1] Titelbezeichnung Boffrand in seinem «Livre d'architecture» Paris 1745.
[2] Ein vorgängiges Studium für den «maître ès arts» an der Universität in Nantes wird in Biografien erwähnt, ist aber zeitlich nicht einzuordnen. Die literarischen Werke Boffrands belegen allerdings eine ausserordentlich gute humanistische Bildung. Vielleicht erwirbt er diese in Paris und parallel zu seiner Lehre.
[3] «L'administration des Bâtiments du Roi» ist für alle Bauten des Königs, insbesondere der Schlösser und der Palais in Paris und Umgebung, zuständig. Der Leiter (surintendant généraux) ist 1664–1683 Jean-Baptiste Colbert, 1683–1691 François Michel Le Tellier de Louvois, 1691–1699 Éduard Colbert de Villacerf und 1699–1708 Jules Hardouin-Mansart.
[4] Jules Hardouin-Mansart (1646–1708), Paris, seit 1681 «premier architecte du Roi». Hauptwerke siehe Werkverzeichnis (PDF).
[5] Das Kloster der Klarissinnen (capucines) wird gleichzeitig mit der Place Louis-le-Grand (heute Vendôme) gebaut. An der Stelle des Klosters ist heute die Rue de la Paix, die von der Place Vendôme zur Opera führt. Siehe > Grundriss 1686.
[6] Im Planbüro für die Bâtiments du Roi werden Zeichnungen erstellt, aufbewahrt und kopiert. Als Leiter des Amtes wird Boffrand auch Mitglied der Administration unter Le Tellier de Louvois.
[7] Das Hôtel particulier ist ein repräsentatives Stadthaus des Adels im französischen Sprachraum. Es erfüllt die gleiche Funktion wie das Stadtpalais im deutschen Sprachraum, darf aber nicht als Palais bezeichnet werden, da dieser Begriff in Frankreich mit einer Hofhaltung verbunden ist.
[8] Die Häuserzeile fällt dem Bau der heutigen Rue du Cardinal-Lemoine (anstelle der Rue des Fossés-Saint-Victor) zum Opfer. Heute ist das Gebäude von der Strasse sichtbar. Siehe Foto 2013 (Quelle: Mbzt in Wikipedia).
[9] Das Grundstück in der damaligen Häuserzeile am Garten des Palais Royal hat eine Tiefe von 24,5 Toises oder 48 Meter und eine Innenbreite von 10 Toises oder 19,5 Meter. Der Eingang zum östlichen Hof liegt an der damals längeren Rue des Bons-Enfants, dort, wo der heute noch bestehende Strassensüdteil an der Rue du Colonel Driant bei der Banque de France endet. Die Westfassade des Hôtels d'Argentan ist bis 1784 in den Ostabschluss des Jardin du Palais Royal integriert. 1784 wird dieser zu Gunsten der neuen Rue des Valois und der heutigen klassizistischen Kolonnaden verschmälert. Gleichzeitig erfolgt ein klassizistischer Umbau des Hôtels d'Argentan, das inzwischen Chancellerie d'Orléans genannt wird. 1923 muss es dem riesigen Neubau der Banque de France weichen. Siehe dazu die Wikipedia (französisch).
Den Grundriss des Hôtel d'Argenton im Zustand vor 1781 stellt Boffrand in seinem Werk (1745, Tafel 21) vor. Siehe Grundriss 1745.
[10] Zum Leben des Kurfürsten Maximilian II. Emanuel von Bayern siehe die Biografie von Ludwig Hüttl (1990) in der NDB (Online-Fassung) unter http://www.deutsche-biographie.de/sfz59368.html.
[11] Agnès Françoise Lelouchier (1675–1717), Favoritin von Kurfürst Max II. Emanuel von Bayern seit 1693. Sie wird 1694 mit dem Grafen d'Arco scheinverheiratet und ist in der deutschsprachigen Literatur nur unter dem Namen Gräfin von Arco bekannt. Mit ihrem Sohn, dem 1695 geborenen «Comte de Baviére», zieht sie um 1700 nach Paris. Zu ihr ein Wikipedia-Beitrag.
[12] Statthalter wird er im Glauben, die Spanischen Niederlande durch Erbschaft in seinen Besitz zu bringen. Als sich diese Spekulation zerschlägt, wechselt er 1700 die Seite und will seine Grossmachtsträume mit Unterstützung des französischen Sonnenkönigs verwirklichen. Dem Plan, mit Hilfe Frankreichs auch noch Österreich zu erobern, wird 1704 durch die Entscheidungsschlacht bei Höchstädt ein jähes Ende gesetzt. Er muss in die Obhut des französischen Königs fliehen, der im Frieden von Baden 1714 die erneute Rückkehr des ihm charakterlich ähnlichen Wittelsbacher Herrschers nach München erreicht.
[13] Das Jagdschloss ist ein Zentralbau. Ein kreisrunder Salon von 19,5 Meter Durchmesser liegt im Zentrum eines achteckigen Körpers von 39 Meter Durchmesser. Der «Salon» ist kuppelgewölbt und hat eine Höhe von 20,5 Meter. Das Gebäude ist eine Übersetzung der Villa Rotonda von Palladio in den akademischen französischen Klassizismus. Boffrand verpasst dem ausgewogenen Palladio-Vorbild vier zusätzliche Aussenecken und eine gotisch anmutende Höhenentwicklung. Zuccalli oder Viscardi hätten diese Bauaufgabe barocker gelöst und vor allem auch die «Utilitas» und «Firmitas» beachtet. Wenn es ein Beispiel braucht, wie weit sich die Architektur um 1700 in Paris schon von den in den Spätbarock weisenden Prager Bauten um Guarini oder Mathey entfernt hat, dann ist es das Projekt von Bouchefort. Siehe Grundriss und Schnitt aus der Veröffentlichung 1745.
[14] Joseph Effner (1687–1745). Siehe die Biografie in dieser Webseite.
[15] Blondel, Jacques François: De la distribution des maisons de plaisance et de la décoration des édifices en général. Paris, 1737, Seite 156. Abrufbar unter: digi.ub.uni-heidelberg.de
[16] Der französische Begriff les Folies bezeichnet liebevoll «nutzlose» Gebäude in einem Garten, wie zum Beispiel die Folies im Parc de la Villette (1982) von Bernard Tschumi.
[17] Katharina Krause in: Die Maison de plaisance. Sie vermutet, dass Boffrand das 1715 erschienene Erstlingswerk des Sohnes Joseph Emanuel Fischer kennt, dieser übereicht es vielleicht anlässlich seines Pariser Aufenthaltes 1717–1719. Siehe Grundriss mit Gartenfassade.
[18] Trotz der Neutralitätserklärung des Herzogs lässt Louis XIV 1702 die Residenzstadt Nancy besetzen.
[19] Boffrand hat zu diesem Schloss auch eine zweite Variante veröffentlicht, die praktisch dem Lusthaus Althann in der Wiener Rossau entspricht, welches Johann Bernhard Fischer von Erlach 1689–1693 baut. Da schon dieses eine Abwandlung des 1575 von Serlio veröffentlichten Renaissancegebäudes ist, kann die Ähnlichkeit zufällig sein. In jedem Fall zeigt sie aber, wie stark Boffrand im Schlossbau auf längst veraltete Konzepte zurückgreift. Zu Malgrange I (verwirklicht) siehe Grundriss und Fassade. Zu Malgrange II siehe Grundriss und Fassade.
[20] Pierre, Germain, Marie Marguerite, Marie Thérèse
[21] Das Livre Tournois hat 1709 noch einen Goldwert von 0,400 Gramm und fällt bis zum Tiefpunkt im September 1720 auf 0,124 Gramm. Um 1709 entspricht ein Livre in rheinischer Währung ungefähr 21 Kreuzer, 1718 noch 18 Kreuzer und fällt 1720 auf 8 Kreuzer. 650 000 Livres entsprächen 1718 rund 195 000 Gulden rheinischer Währung. Vergleich: Das gleichzeitige Jahreseinkommen eines gelernten Bauhandwerker-Gesellen beträgt zwischen 80 und 160 Gulden. Vergleiche dazu das Glossar Geldmittel und Masseinheiten der Barockzeit in dieser Webseite.
[22] Die Staatsschulden betragen nach dem Tod des Sonnenkönigs 2 800 000 000 (2,8 Milliarden) Livres. Um den Staatsbankrott zu verhindern, werden Noten gedruckt und die Schulden in einer Aktiengesellschaft aufgefangen, die von 1718 bis 1720 dank Gewinnversprechungen und Spekulationsfieber einen steilen Kursaufstieg verzeichnet. Die Aktien werden an Privatanleger verkauft. Als diese beginnen, mit den erworbenen und immer höher gewichteten Aktien Immobilien zu erwerben, bricht das System 1720 zusammen.
[23] Louis Auguste de Bourbon, duc du Maine, ist seit 1694 Grand Maître de l'artillerie und damit zuständig für das Arsenal. Er ist legitimierter Sohn von Louis XIV und der Madame de Montespan. 1718 versucht er einen Staatsstreich gegen die Régence von Philippe d'Orléans und muss bis 1720 ins Exil.
[24] Die Schlosskapelle von Lunéville ist eine Variation der Schlosskapelle von Versailles. Sie wird 2010 rekonstruiert.
[25] Viollet-le-Duc (1814–1879) ist Architekt und Kunsthistoriker. Sein «Dictionnaire raisonné de l'architecture française du XIe au XVIe siècle» ist ein Standardwerk es 19. Jahrhunderts in zehn Bänden über die Baukunst des Mittelalters. Er restauriert in radikaler Rückführung auf das Mittelalter fast alle gotischen Kathedralen Frankreichs.
[26] Zur Planungsgeschichte der Würzburger Residenz siehe den Beitrag in dieser Webseite.
[27] Der Treppenraum ist aber auch im Stichwerk Boffrands (1745) noch mit Säulen bestückt. Eine Einwölbung des Raumes ohne weitere tragende Elemente ist für die Franzosen undenkbar. Boffrand äussert sich 1724 verständlicherweise erstaunt über die grosse Meisterschaft der deutschen Zimmerleute, welche die grossen Gewölbespannweiten überhaupt erst ermöglichen.
[28] Pierre Alexis Delamair (1675–1745). Er ist Architekt von François de Rohan (1630–1712) für das Hôtel de Soubise und des Hôtel de Rohan. Er baut die beiden Hôtels mit ihren Höfen und Gärten 1705–1709. Intrigen seines ehemaligen Vorgesetzten in den Bâtiments du Roi, Robert de Cotte und die Bekanntschaft des Sohnes Hercule-Mériadec mit Boffrand (siehe Saint-Ouen 1714) führen zum Wechsel des Architekten, vielleicht schon 1712. Zur Planungsgeschichte siehe Langlois: Les Hôtels de Clisson, de Guise & de Rohan-Soubise au Marais. Paris 1922.
[29] Dazu tragen auch die Künstler bei. Stuckateure und Bildhauer sind die Brüder Adam, François Boucher entwirft Tapisserien, Boucher, Jean Restout, Pierre Charles Trémolières und Charles-Joseph Natoire sind die Maler der in die Täfelungen eingelassenen Gemälde. Heute sind die beiden Hôtels Teil der «Archives nationales». Die Räume Boffrands und auch der Ehrenhof von Delamair sind erhalten. Die Gartenanlagen weichen 1880 neuen Flügeln der «Archives nationales», sodass heute die Räume zum Cour des Dépôts mit seinen neobarocken Fassaden orientiert ist. Vergleiche dazu den Grundrissplan der beiden Hôtels (aus Jacques-François Blondel in: Architecture françoise, Paris 1752/56).
[30] Die seit dem 17. Jahrhundert bestehende Einrichtung wird mehrfach reorganisiert. 1743–1769 leitet Daniel-Charles Trudaine das Büro (le «Détail») des wichtigen Amtes. Trudaine ist Schöpfer des topografisch einmaligen «Atlas des Routes de France» in 3000 Tafeln.
[31] Der Innenraum enthält illusionistische Decken- und Wandmalereien von Charles-Joseph Natoire und der Freskanten Gaetano und Paolo Brunetti . Das Deckenfresko im Flachgewölbe ist ungewöhnlich. Es ist die scheinarchitektonische Darstellung eines ruinösen Gewölbes, das grosse Durchblicke in den Himmel erlaubt und von Holzgerüsten provisorisch gestützt wird. Die der Rokokomode folgende Ruinendarstellung ist ohne jeden sakralen Bezug.
[32] «Monumens érigés en France a la Gloire de Louis XV», abrufbar unter gallica.bnf.fr
[33] «Livre d'architecture contenant les principes generaux de cet art, et les plans, elevations et profils de quelques-uns des batimens faits en France & dans les pays etrangers», abrufbar unter gallica.bnf.fr
[34] Als Neudruck 1904 abrufbar unter: uni-heidelberg.de
Süddeutscher Barock • Home • Feedback
Die vorliegende Seite ist unter dem Label {{CC-nc-by}} für nichtkommerzielle Zwecke und unter der Nennung des Autors frei verwendbar.
Die noch erhaltenen Werke sind gelb gekennzeichnet.
Für die alten Pariser Adressen siehe Plan Turgot 1739.
|
Jahr | Ort, Bauwerk | Bauherr | Plandokumente |
1704/ 1705 |
Boitsfort (Bouchefort) im Wald von Soignes. Jagdschloss. | Kurfürst Max II. Emanuel von Bayern. | Quelle: Boffrand 1745 |
Grundriss | |||
Schnitt | |||
1712 | Jarville-la-Malgrange. Château de la Malgrange. Projekt II als Kopie des Lusthauses Althann in der Rossau (Fischer von Erlach, 1689/93). | Leopold Joseph Herzog von Lothringen (Léopold Ier de Lorraine). | Quelle: Boffrand 1745: |
Grundriss | |||
Fasssade | |||
1724 | Würzburg. Schönbornkapelle am Dom. Die Beratungen und Plankorrekturen Boffrands sind für das Bauwerk von Welsch und Neumann unerheblich geblieben. | Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn. | Sammlung Eckert im Mainfränkischen Museum Würzburg. |
1738 | München. Palais Törring. Die Projektpläne Boffrands werden für den Bau der Brüder Gunetzrhainer 1747–1754 nicht berücksichtigt. | Graf Ignaz von Toerring-Jettenbach. | Toerring-Archiv München. |
1748 | Paris. Place Louis XV. Projekte Boffrand liefert drei Projekte: 1. An der Spitze der Île de la Cité mit Zerstörung der Place Dauphine. 2. An der Lage und in gleicher Grösse wie das heutige Forum des Halles südlich von Saint Eustache. 3. Zwischen dem Louvre und dem Palais des Tuileries (damals noch dicht überbaut). |
Direction des Bâtiments du Roi. | In Pierre Patte: «Monumens érigés en France à la Gloire de Louis XV», Paris 1765. |
1711 | Paris. Hôtel de Broglie-Revel in 35, rue Saint-Dominique (Expertise?). |
1713 | Paris. Kloster Saint-Sépulcre de Bellechasse (Arbeiten? Kloster ist abgebrochen). |
1714 | Nancy. Palais Ducal. Umbauarbeiten «pour le rétablissement du Chateau de Nancy» unter Leitung von Architekt Sébastien Demangeot und Baumeister Joseph Duc, Boffrand ist hier höchstens beratend beteiligt. |
1714 | Nancy. Hôtels Ferrari und Custine. Entwürfe, aber keine Ausführungen durch Boffrand. |
1716 | Paris. Maison Gilles Louis Boîteulx in der Rue du Temple. Keine Anhaltspunkte für eine Planung durch Boffrand, der als Experte und Unternehmer bezeichnet wird. |
1718 | Paris. Hôtel de Soissons aux Halles. Keine Baumassnahmen (spéculation et projects). |
1722 | Boissette bei Melun. Schloss. Umfang der Arbeiten am heute abgebrochenen Schloss nicht bekannt. |
1738 | Lyon. Projekt für das Arsenal. Ausführung unbekannt. Zerstörung der Bauten 1793. |
1725 | Joigny. Teilrekonstruktion der Brücke über die Seine (drei Bögen). Die Brücke wird 1850 ersetzt. |
1730 | Bray-sur-Seine. Wiederherstellung von acht zerstörten Bögen der Brücke über die Seine. Ersatzloser Abbruch der Brücke nach Neubau einer Umfahrungsstrasse-Brücke 1966. |
1730 | Montereau-Fault-Yonne. Provisorische Holzbrücke über die Yonne, in Funktion bis 1755. |
1735 | Villeneuve-le-Roi (heute Villeneuve-sur-Yonne). Neubau der zerstörten rechtsufrigen Brücke, anstelle von vier nur drei Bögen. Rekonstruktionen beider Brücken 1851 (linkes Ufer) und 1861 (rechtes Ufer). Nur noch der mittige Bogen der rechtsufrigen Brücke ist original. |
1738 | Pont-sur-Yonne. Brücke über die Yonne (1684). Wiederherstellung. Brücke wird im Zweiten Weltkrieg beschädigt und nachher ersatzlos zu Gunsten einer Schnellstrassen-Brücke abgebrochen. |
1739 | Sens. Brücke über die Yonne. Anstelle sieben Rundbögen drei Korbbögen. Im Werk Boiffrand (1745) veröffentlicht. 1911 Abbruch und Neubau mit breiterer Fahrbahn und flachen Bögen. |
Süddeutscher Barock • Home • Feedback
Die vorliegende Seite ist unter dem Label {{CC-nc-by}} für nichtkommerzielle Zwecke und unter der Nennung des Autors frei verwendbar.
Boffrand «Dekorateur»?
Mit grosser Selbstverständlichkeit beschreiben Kunsthistoriker die Innenraumgestaltungen Boffrands als Dekoration. Im Werk «Germain Boffrand et le décor intérieur» unterteilt Bruno Pons 1986 in die «décoration civile» und die «décoration religieuse».[1] Was in der französischen Sprache noch harmlos tönt und als Abgrenzung des leichtfüssigen französischen Régence- und Rokoko-Ornamentes zur klassizistischen «reinen» Architektur verstanden werden kann, ist für die Raumausstattungen des süddeutschen Barocks nicht mehr übersetzbar.
Der Salon de la Princesse im Hôtel de Soubise, Paris, von Germain Boffrand 1735–1739. Foto: Chatsam 2016 in Wikipedia. |
Der Spiegelsaal der Amalienburg im Garten von Nymphenburg entsteht gleichzeitig, als Gemeinschaftsarbeit von François Cuvilliés und Johann Baptist Zimmermann. Kann man die Architektur dieses Saales und damit auch der Amalienburg wirklich unter Dekoration abhaken? Foto: Bieri 2003. |
Burckhardt und die moderne Kunstwissenschaft
1855 veröffentlicht Jacob Burckhardt seinen «Cicerone».[2] Er gliedert dieses kunsthistorische Grundlagenwerk in Architektur, Dekoration, Skulptur und Malerei. Zur Dekoration zählt er Stuck, Fresken und die feste Ausstattung mit Altären. Auch die Stein-«Dekoration» von Wand und Fassade fällt unter diesen Begriff, nicht aber die Skulptur und die Tafelmalerei. Burckhardt bezeichnet den Barock als «verwilderten Dialekt der Renaissance». Er bedauert die «Exzesse» der Dekorationen im Barock. Zwar ist die Beurteilung dieser «Exzesse» seit 1900 völlig anders. Aber die Grundlagen Burckhardts wirken nach. Noch immer wird der «reinen» Architektur und ihrem Schöpfer Priorität eingeräumt. Falls überhaupt, wird die «Dekoration» getrennt und nebenbei behandelt. Setzt sie sich über die Tektonik hinweg, wie dies im süddeutschen Spätbarock und Rokoko der Fall ist, kann der moderne Kunsthistoriker zwar die einmalige Leistung der «Dekorateure» erkennen, bedauert aber gleichzeitig, dass Maler, Bildhauer und Stuckateure nicht der Versuchung widerstanden haben, die Architektur zu dominieren.
Ein kunsthistorisches Unwort
Die Bezeichnungen Fassadendekoration oder Raumdekoration für Raumgestaltungen des süddeutschen und österreichischen Spätbarocks mögen langjährige Fachbegriffe sein. Die Sprache des Kunsthistorikers für den Beschrieb barocker Bauwerke darf aber heute nicht mehr diejenige Burckhardts oder französischer Klassizisten sein. Das Wort Dekoration für ein unauflösbares Ganzes, wie dies der Raum einer Rokokokirche darstellt, ist ein Unwort. Der Stuckateur, der Bildhauer, der Schreiner und der Maler werden so zu Dekorateuren herabgestuft. Das Wort wird heute zudem völlig anders verstanden. Es gilt vor allem für kurzfristige Modeinstallationen. Ein Dekorateur dekoriert Schaufenster. Dekor kann schmücken, ist aber immer nicht notwendiger Zusatz. Mit dem Begriff wertet man die wichtige Arbeit der Künstler im barocken Gesamtkunstwerk ab. Bei einer barocken Altarausstattung oder einer ikonografischen Inszenierung von Deckenfresken rückt der Begriff in die Nähe von Blasphemie.
[1] Bruno Pons in: Germain Boffrand 1667-1754. L'aventure d'un architecte indépendant. Paris 1986. Der Begriff «décoration civile» ist in Frankreich allerdings schon damals für die militärische Brustdekoration mit Orden reserviert!
[2] Jacob Burckhardt: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel 1855.
Süddeutscher Barock • Home • Feedback
Die vorliegende Seite ist für nichtkommerzielle Zwecke und unter der Nennung des Autors frei verwendbar.