NoerdlingenKeller1714   BorrominiFilippini  

Südflügel der Deutschordensresidenz Ellingen

Exkurs

Böhmisch-österreichische Wurzeln

Schon das erste Bauwerk Kellers in Nördlingen (1714) zeigt spezifisch böhmische Fassadenelemente. Diese Kielbogen-, Bügel- und Vorhangverdachungen findet man früh in Böhmen. Erstmals von Borromini 1647 in Rom angewandt,[1] finden sie den Weg vorerst nach Böhmen. Am Barockschloss Rothenhaus (Červený Hrádek), 1669 von Antonio Porta begonnen, ist bereits das gesamte Repertoire zu finden.[2] Am Prager Palais Kaiserstein, 1700 von Alliprandi gebaut, sind sie in plastisch vollendeter Form zu sehen. Mit dem Künstlertransfer von Prag nach Ludwigsburg und der Veröffentlichung derartiger Verdachungen 1710 durch Nette finden sie den Weg in den Westen.[3] Gabriele de Gabrieli lernt sie in Wien kennen, er wendet sie 1714 am Rathaus von Windsheim an. In Wien baut Johann Bernhard Fischer von Erlach 1712 das Palais Trautson, 1713 in Prag das Palais Clam-Gallas. Sie dürften die Vorbilder für die skulpturale Gestaltung des Südflügels von Ellingen sein. Der Bildhauer aus Virnsberg (bei Windsheim!), Johann Friedrich Maucher könnte, wie Franz Keller, die neuere böhmische oder wienerische Architektur eher aus direkter Anschauung als aus Stichen kennen. Nicht auszuschliessen ist, dass der als Zeichner für Franz Keller tätige Stuckateur Franz Joseph Roth an der plastischen Gestaltung der Südfassade mitarbeitet. Sein Einfluss auf die Gesamtgestaltung des Südflügels darf jedenfalls nicht unterschätzt werden.
Bisher werden für die Ellinger Südflügelgestaltung ausschliesslich Wiener Wurzeln angeführt. Dies ist eine sehr vereinfachte Aussage. Sie trifft zu, wenn damit die ausschlaggebenden frühen Anwendungen in Böhmen (und Breslau) dazugezählt werden. Immerhin ist der bewegte und kurvierte deutsche Spätbarock ein böhmischer Export. Zudem führt der direkte Weg zur Breslauer Residenz des Hoch-und Deutschmeisters nicht über Wien, sondern über Prag.

Pius Bieri 2018















[1] Südfassade des Convento dei Filippini an der Via della Chiesa Nuova 18, von Francesco Borromini 1647–1650 erstellt. Siehe dazu auch Stichveröffentlichung 1658.

[2] Zu Antonio Porta (1631/32–1702) aus Manno siehe den Artikel 0118 von Martin Krummholz im RIHA Journal.

[3] Johann Friedrich Nette (1673–1714), zu ihm siehe die Biografie in dieser Webseite.
Siehe auch: Direktlink zum Tafelwerk.
Nördlingen. DO-Kastenhaus Franz Keller 1714.
Bild: Rufus46 in Wikipedia
  Rom. Oratorio dei Filippini.
Francesco Borromini 1647
.
Bild: Pippo-b in Wikipedia.
 
RothenhausPorta  
Rothenhaus (Červený Hrádek) von Antonio Porta und Jean-Baptiste Matthey, 1669/70 begonnen.
Bild: Salim2 in Wikipedia
 
PalaisKaisersteinPrag   WinsheimGabrieli  
Prag. Palais Kaserstein.
G. B. Alliprandi 1700.
Bild: Michal Kmínek in Wikipedia.
  Windsheim. Rathaus.
Gabriele de Gabrieli 1714.

Bild: Franzfoto, Wikipedia.
 
TrautsonWien  
Wien. Palais Trautson. 1712 von Johann Benrhard Fischer von Erlach.
Bild: Thomas Ledl in Wikipedia.