Exkurs

Sind die Brüder Asam auch Architekten?

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Selbstporträt von Cosmas Damian und Porträt von Egid Quirin Asam, beide um 1725 gemalt. Originale im Diözesanmuseum Freising.
Bildquelle: Ausstellungskataloge, überarbeitet.

«Architectus ist ein Baumeister»
Dies schreibt noch 1788 Johann Ferdinand Roth in seinem Lexikon. Die deutsche Bezeichnung Architekt für den Planer eines Bauwerks setzt sich im deutschen Sprachraum erst im späten 18. Jahrhundert durch. Zur Zeit der Brüder Asam ist der Baumeister (lateinisch architectus), für die von ihm geplanten Bauwerke technisch und kostenmässig verantwortlich, selbst bei übernommenen Gebäudeentwürfen von Künstlern oder Bauherren. Im architektonischen Standardwerk «De architectura libri decem» verurteilt der Verfasser Vitruvius die Trennung zwischen dem planenden und ausführenden Baumeister, wie sie in Italien und Frankreich schon im 16. Jahrhundert üblich ist.[1] Entwerfende Künstler- Maler- oder Bildhauerarchitekten als Baumeister im Sinne Vitruvs zu bezeichnen, ist aber sogar den deutschsprachigen barocken Zeitgenossen suspekt. Diese Entwerfer werden deshalb entsprechend der lateinischen Usanz «architecti» Architekten genannt. Die im heutigen Sinn grossen und umfassend tätigen Barockarchitekten wie Johann Michael Fischer nennen sich im deutschen Sprachgebrauch aber immer Baumeister.

Maler und Bildhauer als Architekten
Die grossen römischen Baumeister Carlo Maderno, Gianlorenzo Bernini und Francesco Borromini entstammen wie Egid Quirin Asam dem Bildhauerhandwerk. Wie Cosmas Damian Asam ist Pietro da Cortona Maler, prägt aber gleichzeitig die römische Barockarchitektur. Auch der für das Architekturverständnis der Brüder Asam entscheidende Andrea Pozzo stammt aus dem Malerhandwerk. Eine Bezeichnung der Asam als Baumeister oder «architecti» würde deshalb kaum besondere Beachtung verdienen, wenn sie wie die oben erwähnten römischen Baumeister die Architektur im Sinne von Vitruv als eigenständige Gattung verständen. Sie verstehen aber Sakralbauten nicht, wie dies bis zu ihrem Auftreten üblich ist, als arbeitsteilige Aufgabe zwischen Baumeister, Stuckateur, Bildhauer und Freskanten, «sondern – jenseits damals gängiger Berufs- und Fachgrenzen – als Synthese aller Künste, bei der die malerischen, bildhaften, atmosphärischen Werte zunehmend die tektonischen, struktiven, körperhaften Qualitäten verdrängen».[2] Sie bauen Bildräume, lösen die Architektur auf. Ähnlich planen ihre Wessobrunner Zeitgenossen, die Brüder Johann Baptist und Dominikus Zimmermann. Auch sie stammen aus dem Stuckateur- und Malerhandwerk. Zu den Brüdern Asam besteht aber der entscheidende Unterschied, dass Dominikus Zimmermann auch die Verantwortung als Baumeister übernimmt, etwa in Siessen, in Steinhausen oder bei der Wieskirche.

«Cosmas Damian Asam Pictor et Architectus»[3]
So lautet die Signatur im Fresko des Kuppelgewölbes von Weltenburg. Dass Cosmas Damian Asam das Fresko mit dem Zusatz «Architectus» unterschreibt, ist in Anbetracht seiner gestalterischen Leistung und seinem wahrscheinlichen Konkurrenzentwurf für die Kirche zwar selbstbewusst, aber korrekt. Denn die lateinische Bezeichnung steht hier eindeutig nicht für den Baumeister im barocken Sinn, sondern für den künstlerischen Entwerfer des Kuppelraums. Dass das Wort Architectus erst nachträglich angefügt worden sei, dürfte deshalb kaum zutreffen.[4] Die selbstbewusste Signatur in Weltenburg bleibt trotzdem einmalig. Keiner der beiden Brüder Asam wird sich nochmals als Architectus, der lateinische Bezeichnung für den barocken Baumeister bezeichnen, weder in Signaturen noch in schriftlichen Dokumenten. Derart werden sie erst von späteren Chronisten genannt. Egid Quirin wird 1721 in Rohr vom Chronisten sogar als derjenige bezeichnet, «(d)er das Gebäu führte». Bei ihrem dritten und letzten Bauwerk, der Johann-Nepomuk- oder Asamkirche in München, würde diese für Rohr noch falsche Benennung sogar zutreffen. Denn Egid Quirin ist der vielseitigere Künstler als sein älterer Bruder.
Dass heute aber darüber gestritten wird, ob Cosmas Damian Asam auch Architekt der Weltenburger Kirche sei, ist dem Wandel des Berufsbildes zu erklären. Der sich noch im vitruvischen Sinn selbst als Baumeister bezeichnende Handwerker-Architekt des Barocks verschwindet schon am Anfang des 19. Jahrhunderts. Als Architekt gilt nun jeder für die Planung eines Bauwerks beigezogener Fachmann. Die lateinische Usanz der Trennung von planendem Architekten und ausführendem Maurermeister hat sich durchgesetzt. Baumeister sind heute die damals ausführenden Maurermeister.
Die Brüder Asam sind als Konzeptentwerfer von Weltenburg, Rohr und der Johann-Nepumuk-Kirche in München deshalb im modernen Sinn sicher Architekten. Es wäre allerdings vorteilhaft, wenn ihre Tätigkeit den Tatsachen entsprechend als Entwerfer oder Planer bezeichnet würde. Dass die von ihnen gestalteten Räume in Weltenburg, Rohr und München als Asam-Kirchen bezeichnet werden, ist angesichts ihrer ebenfalls grossen Leistungen als Künstler in der Ausführungsphase eine vertretbare Aussage.

Der Kult mit grossen Namen
Grosse Künstlernamen, vor allem wenn sie keine «Ausländer» sind, führen schon schnell auch in der Kunstgeschichte zu verfälschenden Aussagen zur Architektur. Der Asam-Kult in Bayern ist ein Beispiel. Als Asam-Kirche wird hier jedes Sakralbauwerk mit Fresken oder Stuckaturen der Brüder Asam bezeichnet, völlig unabhängig vom tatsächlich planenden Baumeister (lat. architectus). Nicht nur St. Nepomuk in München, St. Georg in Weltenburg und die Marienkirche in Rohr sind jetzt Asamkirchen, die Wikipedia zählt nun gleich neun weitere Asamkirchen in Bayern auf. Man muss schon froh sein, dass Weingarten und Einsiedeln nicht auch noch als Asambasiliken bezeichnet werden. Natürlich sind diese Auswüchse vor allem lokalen Fremdenverkehrs-Organisationen zu verdanken, aber auch die Kunstgeschichte trägt wacker zu falschen Zuschreibungen der Architektur bei, indem sie grosse Künstlernamen bevorzugt.[5]

Pius Bieri 2023

 

Literatur

Stalla, Robert: Cosmas Damian Asam und Egid Quirin Asam. Der Maler und Bildhauer als Architekt, in: Architekt und / versus Baumeister. Die Frage nach dem Meister. Zürich 2009.
Egger, Hans Christian: Die Pfarr- und Abteikirche St. Georg in Weltenburg und ihre Baugeschichte. Eine Neuinterpretation. Dissertation Wien 2010.

Anmerkungen

[1]
Vitruv verurteilt in seinem Traktat «De architectura libri decem» die Trennung zwischen einem planenden und einem ausführenden Baumeister. Er nennt den Fachmann, der das Gebäude plant, für die Einhaltung der Regeln der Baukunst verantwortlich ist und das Werk auch erstellt «architectus», im Plural «architecti». Während diese Berufsbezeichnung in den deutschen Ausgaben des Traktates vom 16. bis zum 19. Jahrhundert als Baumeister übersetzt ist, wird der rein ausführende Baumeister selbst in den lateinischen Ländern nie als Architekt bezeichnet. Er wird im deutschen Sprachraum Maurermeister genannt, dieser heisst französisch: Maître maçon (maîte bâttiseur, maître constructeur), und italienisch: Capomastro, capomaestro, capomastro muratore.

[2] Robert Stalla 2009.

[3] Die lateinischen Bezeichnungen pictor, architectus für Maler und Architekt sind in der Signatur grossgeschrieben.

[4] Dissertation Egger (2010) mit entsprechender Fotomontage. In ihrer 2023 veröffentlichten Replik zur Dissertation Egger (Die barocke Klosteranlage in Weltenburg, neue Forschungen zur Architektenfrage und zum Hochaltar) weist die Autorin Gabriele Dischinger die Vermutung Eggers einer späteren Anfügung «Architectus» zurück.

[5] Zwei Beispiele für die Bevorzugung grosser Künstlernamen:

1.  Joseph Greissing ist Planer und ausführender Baumeister vieler wichtiger Bauten der Region Würzburg, so unter anderen der berühmten Neumünsterfassade (1710), des Klosters Ebrach (1715) und vieler Kirchen mit wegweisenden Einturmfassaden. Noch lange wollen viele Kunsthistoriker diese Werke Greissing nicht zuschreiben und suchen nach bekannteren Namen wie Johann Dientzenhofer (Neumünster) oder Balthasar Neumann (Ebrach, Kirche von Steinbach). Hier liegt der Grund in der abwertenden kunsthistorischen Einreihung Greissings als Zimmermann und nicht als Baumeister-Architekt.

2.  In Zwiefalten wird 1750–1753 durch den Bildhauer Johann Joseph Christian und den Baumeistern Schneider die Westfassade der Klosterkirche gebaut. Obwohl keine Dokumente auf den Baumeister Johann Michal Fischer hinweisen, der schon 1746 Zwiefalten verlässt, und obwohl die Fischer-Biografin Gabriele Dischinger das Werk ausschliesslich Christian zuordnet, wird noch von Bernhard Schütz (2000) die Fassade als Meisterwerk Fischers bezeichnet.