Die Klosterlandschaft | ||
Das Münster Unserer Lieben Frau |
Noch 1680–1689 wird das alte Münster um eine Kapellenreihe mit sechs Altären nach Süden erweitert und im Innern neu ausgestattet. Der Vierungsturm erhält einen Oktogonaufsatz mit Zwiebelhaube. 1709 liefert Franz Beer II einen Plan für einen Chorneubau mit zwei Chortürmen.[18] Ein Neubau des erst kürzlich barockisierten Münsters ist selbst 1735 kein Thema. Denn in diesem Jahr lässt Abt Augustin Stegmüller (reg. 1725–1744) durch die Brüder Hans und Joseph Schneider, die nach ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit Beer nun als Klosterbaumeister tätig sind, wieder einen Umbau des alten Münsters planen.[19] Ihr Entwurf übernimmt von Beer die zwei Chortürme und verändert das alte Münster im Querschnitt radikal, ohne aber die Dreischiffigkeit zu ändern. Zum Glück sieht der baufreudige Abt die Nachteile. Er beschliesst deshalb 1738 einen Neubau. Aktiver Widerstand im Konvent verzögert den Beginn. Erst nach einem positiven Beschluss des Kapitels kann 1739 mit dem Abbruch von Chor und Querhaus begonnen werden. 1740 wird auch das Langhaus des alten Münsters abgebrochen.
Die weitere Baugeschichte des Münsters, der Neubau von Johann Michael Fischer bis 1747 und die Vollendung des Rokokoraumes durch Johann Michael Feichtmayr und Franz Joseph Spiegler bis 1765, sowie der wichtige Anteil von Abt Benedikt Mauz am Gesamtkunstwerk finden sie unter: Zwiefalten. Zweiter Teil: Das neue Münster.
Zwischen 1792 und 1802 wird Zwiefalten mehrfach von Truppendurchzügen und Besetzungen französischer und kaiserlicher Truppen betroffen, Schutzgelderpressungen und Kontributionszahlungen sind an der Tagesordnung. Als Napoleon dem mit ihm verbündeten württembergischen Herzog Friedrich II. im Pariser Vertrag 1802 die Reichsabtei Zwiefalten als «Entschädigung» zusichert, besetzen württembergische Truppen im gleichen Jahr die Herrschaft und befehlen die Räumung des Klosters. 1803 erfolgt die Scheinlegitimation der Besitzergreifung durch den Reichsdeputationshauptschluss. Dem Konvent gehören im September 1802 nebst dem 1787 gewählten Abt Gregor Weinemer[20] 49 Konventualen an. In der Klosterherrschaft leben 4617 Einwohner, nur 99 davon in Zwiefalten. Für sie bedeutet die neue Landesherrschaft vorerst drückend höhere Steuern, Militärdienstpflicht und den Verlust aller Bildungseinrichtungen.[21] Schlimmer ergeht es dem ehemaligen Kloster und seinen Insassen. Der neue Landesherr verfügt den sofortigen Abtransport aller Wertgegenstände und der Bibliothek nach Stuttgart und Ludwigsburg, lässt alle Glocken, die Uhr, das Laiengestühl und die Westorgel des Münsters ausbauen und nach Stuttgart bringen und schliesst das Münster für jede Gottesdienstnutzung. Den ehemaligen Konventualen wird der Kontakt zum Abt und der Verbleib in den Konventgebäuden verboten, die im Reichsdeputationshauptschluss vereinbarte Pension um die Hälfte gekürzt.
Zwiefalten von der Aufhebung bis in die Gegenwart
Vorerst werden die Konventgebäude als Kaserne genutzt. Das Refektorium dient als Pferdestall. Die umliegenden Ökonomiegebäude werden verpachtet, verkauft oder abgebrochen. 1811 erfolgt die Umwandlung der Konventgebäude in eine «Irrenanstalt». 1812 siedeln 46 Insassen des «Tollhauses» Ludwigsburg nach Zwiefalten über. Im ehemaligen Kloster entsteht in der Folge das heutige psychiatrische Landeskrankenhaus. Der Kapitelsaal wird evangelische «Kapitelskapelle» und bleibt deshalb bis heute erhalten. Die übrigen Konventräume leiden unter der Neunutzung stark. Tragisch ist die völlige Zerstörung des Bibliotheksraums über dem ehemaligen Kapitelsaal. Auch weitere Eingriffe des 19. und 20. Jahrhunderts sind nicht mehr reversibel. Die vorhandene Substanz und die Aussenfassaden sind aber seit 1984 vorbildlich restauriert.
Das Münster bleibt nach der Aufhebung zehn Jahre gesperrt, kann dann aber auf Druck der Bevölkerung 1814 wieder benutzt werden und wird Pfarrkirche anstelle des heute profanierten Gebäudes vor dem Peterstor, dessen Kirchturm nun abgebrochen wird. Die Baulast des Münsters übernimmt das Königreich Württemberg. Es scheint, dass (vielleicht deswegen?) die verheerenden Restaurationen des 19. Jahrhunderts ausbleiben und dass das Münster nach der letzten grossen Restaurierung (1976–1984) wirklich wieder fast wie 1780 wirkt.[22]
Selbst die Klosterbauten der näheren Umgebung sind gut unterhalten. Es lohnt sich, anhand des Lageplanes von 1800 die noch verbliebenen Gebäude zu erkunden. Im einzig verbliebenen Tor, dem Peterstor gegenüber dem alten Haupteingang, ist heute ein Museum zur weiteren Information über die Klostergeschichte eingerichtet.[23]
Pius Bieri 2010
Pretsch, Hermann Josef: Kloster Zwiefalten, Ulm 1986.
Pretsch, Hermann Josef (Hrsg.): 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten, Ulm 1990.
Betz-Wischnath, Irmtraut und Pretsch, Hermann Josef: Das Ende von Reichsabtei und Kloster Zwiefalten, Ulm 2001.
Pechloff, Ursula: Münster Zwiefalten, Kunstführer, Passau 2008.
Halder, Reinhold: Das Zwiefalter Münster, in: Johann Michael Fischer, Ausstellungskatalog Band I, Tübingen 1995.
[1] Zwivaltaha bezeichnet den Ort am zweigeteilten Fliessgewässer (althochdeutsch Aha, heute Ach). Der Ort wird 904 als Besitz der Abtei Reichenau erwähnt. Das namengebende Gewässer entspringt stark wasserführend in einer Karsthöhle nördlich Zwiefaltens.
[2] Theoderich oder Dietrich von Wülflingen (um 1050–1116), Sohn von Kuno und einer Magd auf Kyburg, wird als Hirsauer Prior Reformabt in Petershausen. Von hier reformiert er Rheinau und gründet Mehrerau. Der Gründer Neresheims, der Thurgauer Graf Hartmann von Dillingen-Kyburg (um 1050–1121), lässt ihn 1105 das neue Kloster als Priorat von Petershausen besiedeln.
[3] Das Kloster geht im 14. Jahrhundert ein. An Stelle der Klosterkirche wird 1571 die heutige Friedhofskapelle an der Ortseinfahrt erbaut.
[4] Eine Hube entspricht 30 Morgen oder ungefähr 10 Hektaren oder 0,1 Quadratkilometer und umfasst die Bewirtschaftungsleistung einer Familie.
[5] Kongregation der schwäbischen Benediktiner «sub titulo S. Josephi», mit Weingarten, Petershausen, Ochsenhausen, Zwiefalten, Wiblingen, Mehrerau, Isny, später auch St. Trudpert, St. Peter und St. Georgen. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Niederschwäbischen Benediktinerkongregation vom Hl. Geist, mit Ottobeuren, Fultenbach, Donauwörth, Elchingen, Deggingen und Neresheim.
[6] Alpirspach hat das mittelalterliche Aussehen einer Hirsauer Gründung bis heute bewahrt, die Kirche hat zudem die fast identische Grösse des alten Zwiefalter Münsters. Dieses weist folgende Masse auf: Innenlänge 48 Meter, Innenbreite 18,5 Meter, Querhausbreite innen 27 Meter. Die Massbasis ist das Vierungsquadrat von sieben auf sieben Meter. Der Innenraum wird 1517 im Norden und 1680 im Süden um eine Kapellenreihe verbreitert und weist 20 Altäre auf.
[7] Frei vor dem Ostflügel vorstehende Marienkapellen finden wir auch in den mittelalterlichen Konventanlagen von Hirsau, Alpirsbach, Weissenau, Weingarten, Isny und Mehrerau, nur um einige zu nennen. Sie haben ihr Vorbild in Cluny II. Bucelin stellt das in Wirklichkeit freistehende zweigeschossige Gebäude von Zwiefalten etwas verwirrend nahe am Chor der Kirche dar.
[8] Dem widerspricht Reinhold Halder und glaubt hier die Bibliothek zu lokalisieren. Sie wäre dann allerdings grösser als die spätere Barockbibliothek.(Quelle: Reinhold Halder: Zur Bau- und Kunstgeschichte des alten Zwiefalter Münsters und Klosters, in: 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten, Ulm 1990)
[9] Das Gebäude ist mit dem Obergeschoss der Marienkapelle durch eine gedeckte Brücke verbunden. Es wird in der Legende zu einem Bild von 1659, offensichtlich falsch übersetzt, als «Priorat» bezeichnet. Das Priorat liegt in einem Benediktinerkloster nie ausserhalb der Konventgebäude. Reinhold Halder (siehe oben) vermutet wegen der Verbindung zur vermeintlichen Bibliothek, dass es ein «Studierhaus» von 1542 sei.
[10] Abt Christoph, aus einer Konstanzer Familie stammend, hat in der Verwandtschaft Jesuiten. Von ihnen dürfte die Empfehlung für Tommaso Comacio stammen. Von ihm ist bis zu diesem Zeitpunkt nur bekannt, dass er 1665 für die Jesuiten in Luzern tätig ist.
[11] Hermann Josef Pretsch, der verdienstvolle Bauforscher Zwiefaltens, schliesst einen Gesamtentwurf aus, weil kein solcher überliefert ist.
[12] Jakob Kurrer, der Jesuitenarchitekt, erstellt ein solches 1633–1644 für die Hofkirche von Luzern. Er nimmt dabei die etwas frühere imposante Anlage der Franziskaner-Wallfahrtskirche von Werthenstein bei Luzern zum Vorbild. Wir können uns den Arkadenhof von Zwiefalten ähnlich vorstellen.
[13] Peterstor 1681. Kloster Mariaberg bei Gammertingen (Konventbauten) 1682–1684, hier mit Palier Franz Beer II.
[14] Der Kapitelsaal wird in Zwiefalten Kapitelskapelle genannt. Sie wird 1688 geweiht. Der Wessobrunner Stuck wird hier 1715 durch Melchior Paulus (1669–1745) aus Ellwangen, einen Schüler von Heinrich Mayer SJ, ersetzt. Die Information in der Zwiefalter Literatur, dass die Benediktiner im Gegensatz zu den Zisterziensern keinen Kapitelsaal kennen, ist falsch. Er dient zur Zusammenkunft der Kapitelsmitglieder bei wichtigen Entscheiden. Die meisten dieser Kapitelsäle in den Klöstern der alten Orden sind trotz eines Altars ohne dauernde Sakralraumfunktion. Beispiele: Pämonstratenserabtei Weissenau (wie in Zwiefalten unter der Bibliothek), Benediktinerabtei Einsiedeln (vor dem Chor, ohne Altar), Benediktinerabtei Ottobeuren (in Eckrisalit, mit Altar).
[15] Nach der zweiten und vollständigen Zerstörung von Heidelberg lässt der grosse französische Kriegsverbrecher 1693 ein Te Deum feiern und die Medaille «Heidelberga deleta» prägen. 1715 wird der Tod Louis XIV in den südwestdeutschen Abteien mit Erleichterung zur Kenntnis genommen.
[16] Die Schreibweise entnehme ich der Literatur.
[17] Der Zwischentrakt fehlt auf einem Jubiläumsstich von 1689, auf dem der geplante Südtrakt bereits eingetragen ist. Dies berechtigt nicht zur Verneinung eines Gesamtentwurfes (Hermann Josef Pretsch in 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten). Idealdarstellungen halten sich im Barock selten an die Wirklichkeit. So sind auf dem Klosterprospekt unter der Darstellung des Stephanus-Reliquiars von 1690 (Maler Zehender, Stecher Kilian) auch die bestehenden Konventteile falsch dargestellt.
[18] Es ist ein Ovalchor mit zwei Chortürmen, der offensichtlich von Caspar Moosbruggers Kirchenentwürfen (vor 1696) beeinflusst ist. Caspar Moosbruggers Planungen sind Franz Beer bekannt, in St. Urban (Luzern) hat er Einsiedler Fassadenplanungen übernommen und er liefert selbst Varianten zu Moosbruggers Planungen in Einsiedeln.
[19] Joseph Benedikt Schneider (1689–1763) und Hans Martin Schneider (1692–1768) sind Söhne des Klostermaurers Benedikt Schneider (1654–1705) aus Baach bei Zwiefalten. Sie haben ihr architektonisches Handwerk in der Zusammenarbeit mit Franz Beer gelernt. Ihr bedeutendstes Werk ist der Neubau der Zwiefalter Propstei Mochental 1731–1734.
[20] Abt Gregor Weinemer (1738–1816, reg. 1787–1802), aus Leinstetten bei Sulz am Neckar, lebt nach 1802 in Mochental und stirbt dort trotz seiner hohen Pension von 3000 Gulden verarmt, auch weil er ältere Laienbrüder unterstützt, denen nur 100 Gulden Pension zugestanden wird.
[21] Erst 1950 hat Oberschwaben wieder so viele Gymnasien wie zur Zeit der Säkularisation.
[22] Weiterhin ein Fremdkörper bleibt die Orgel.
[23] Geöffnet sonntags 13.30 Uhr bis 16.00 Uhr, ab Ostern.
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Die Klosteranlage im zweiten Obergeschoss mit ihren Bauetappen. Vergrössern. | |
Der Lageplan mit dem Gebäudebestand zur Klosterzeit. Zum Vergrössern für Info und Legende anklicken. | |
Luftaufnahme der Klosteranlage von Norden. Fotograf: Lucian Wiesner, Bailingen. |
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Die Klosterlandschaft ist durch die Zwiefalter-Ach geprägt. Hier der Zusammenfluss zweier Arme im nördlichen Wirtschaftshof. | |
Die präzise Klosterdarstellung in einer Vogelschauansicht von Gabriel Bucelin zeigt die Klosterlandschaft vor dem Dreissigjährigen Krieg. Erläuterung siehe im nebenstehenden Text. Bitte Bild zur Vergrösserung anklicken. | |
Die Klosteranlage im Zustand von 1700 mit der in die Anlage integrierten alten Basilika und dem «Camposanto» nördlich der Kirche, das dann dem Kirchenneubau weichen muss. Vergrössern. | |
Der Nordwest-Eckflügel, 1668–1673 von Tommaso Comacio. Bild Wikipedia by author Andreas Praefcke. |
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Das Schulgebäude (rechts) wird 1673 fertig und ist ebenfalls ein Bau von Tommaso Comacio. Im Hintergrund die 1708 von Franz Beer erbaute Meierei, heute das Rathaus von Zwiefalten. | |
Über dem Mitteleingang des Westflügels befindet sich das Wappen des Abtes Johann Martin Gleutz mit der Jahreszahl 1680. Das gespaltene Schild stellt das Wappen von Zwiefalten in Allianz mit dem Wappen des Abtes dar. Dieses zeigt in Silber über einem grünen Dreiberg einen aufgerichteten roten Löwen , der in den Pranken einen grünen Pfauenstoss mit goldenen Augen hält. Die Überschrift IM•AZ bedeutet Johann Martin, Abt von Zwiefalten. Die Jahreszahl 1680 heisst, dass der Westflügel erst zur Amtszeit von Abt Johann Martin vollendet ist. | |
Das zweite und einzig erhaltene Torgebäude ist ein Werk von Michael Thumb, der es 1681 baut. | |
Eine raffinierte Wasserversorgung und Bewirtschaftung der Wasserläufe, ähnlich den Zisterzienserklöstern, zeichnet Zwiefalten aus. Siehe dazu den Lageplan um 1800 oben. Noch ist ein Wasserturm (1668) für die Frischwasserversorgung erhalten. Im Lageplan trägt er die Nummer 18. |