Die Meister des Bauwerks
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Br. Heinrich Mayer SJ (1636–1692) Altenburg Sachsen ok   Ordensarchitekt, Stuckateur 1676   1680
P. Johann Franz Demess SJ (1633–1695) Zug ok   Jesuitenbaumeister 1676   1681
Br. Christoph Brack SJ (1652–1692) Tirol     Altarbauer, Stuckateur 1683   1688
Pietro Neurone (17. Jahrhundert) Lugano Tessin     Stuckateur 1686   1688
Giacomo Neurone (17. Jahrhundert) Lugano Tessin     Stuckateur 1686   1688
Wolfgang Aebi (1638–1694) Solothurn     Maler, Freskant 1686   1688
Franz Carl Stauder (1660/64–1714) Konstanz ok   Maler 1692   1702
Franz Joseph Otter (1761–1807) Aedermannsdorf SO     Orgelbauer 1791   1794

Solothurn
Jesuitenkirche Mariä Himmelfahrt

Geschichte
1646 beruft der Grosse Rat die Jesuiten nach Solothurn, um hier die Lateinschule zu übernehmen. Bereits im ersten Jahr unterrichten sie 150 Schüler. 1668 kann, finanziert durch städtische Stiftungen, ein Kolleg gegründet werden, wie dieses in Luzern schon neun Jahrzehnte besteht. Von 1676 bis 1679 entstehen die Kollegiengebäude mit dem Gymnasium. 1680 ermöglichen Schenkungen der wichtigsten Patrizierfamilien[1] und des französischen Königs[2] die Grundsteinlegung der Kirche, die 1689 geweiht wird. Die Jesuiten prägen von nun an das kulturelle Leben Solothurns. Ihr Theatergebäude ist noch heute Stadttheater.
Die weitere Geschichte hat Parallelen zu Luzern: Die päpstliche Ordensaufhebung von 1773 lässt den Stadtrat um den Fortbestand des Schulbetriebs bangen. Die Jesuiten bleiben deshalb in Solothurn. Der Schulbetrieb wird mit neun Priestern und zwei Brüdern weitergeführt. Weltgeistliche übernehmen nach deren Ableben das Gymnasium. 1805 ersucht Solothurn den Papst um Wiedereinsetzung der Jesuiten, ohne Erfolg. 1833 hebt der aus dem Stadtstaat hervorgegangene Kanton Solothurn das Professorenkonvikt auf und wandelt es in eine «höhere Lehr- und Erziehungsanstalt» um. Die Kirche verbleibt im Besitz der Einwohnergemeinde, die das mangelhaft unterhaltene Bauwerk 1922 aus Sicherheitsgründen schliesst, aber noch 1936 die Fassade als Notstandsarbeit restauriert. Die im Innenraum noch immer im originalen barocken Kleid verbliebene Kirche wird 1952 an eine Stiftung abgetreten, die 1952–1953 die fällige Innenrestaurierung[3] durchführt. 1980 erfolgt eine letzte Fassadenrestaurierung.

Jesuiten als Planer
Wieder können Parallelen zu Luzern gezogen werden: Der Jesuitenpater und Liebhaberarchitekt Christoph Vogler, der Planer der Luzerner Jesuitenkirche, erstellt 1669 vor seinem Wegzug nach Innsbruck für das Kolleg und die Kirche in Solothurn erste Planungen. 1671 kommt Pater Franz Demess, ein ebenfalls in Baufragen ausgebildeter Jesuit, ans Kolleg Solothurn. 1672 trifft aus dem Jesuitenkolleg München Br. Heinrich Mayer in Luzern ein, um für die neue Luzerner Jesuitenkirche die Stuckausstattung zu planen. Er bleibt in Luzern und stellt die Kirche bis 1681 fertig, ist aber schon 1672 auch in Solothurn, um mit Pater Franz Demess den hiesigen Kirchenneubau zu besprechen. Br. Heinrich Mayer kann als Baumeisterpersönlichkeit mit dem Einsiedler Br. Caspar Moosbrugger verglichen werden, ist aber als Jesuit geografisch nicht gebunden. Sein letztes Bauwerk ist die Wallfahrtskirche Schönenberg ob Ellwangen, ein Schlüsselbauwerk des süddeutschen Barock. Für die Solothurner Jesuitenkirche erstellt 1679–1680 die definitive Planung und ändert die von Pater Christoph Vogler geplante Emporenbasilika in eine Wandpfeilerhalle. Vermutlich ist er auch Planer der Kollegbauten, die 1676–1679 unter der Leitung von Pater Franz Demess erstellt werden. Br. Heinrich Mayer kommt nach der 1680 erfolgten Grundsteinlegung der Kirche regelmässig von Luzern nach Solothurn und nimmt die Oberaufsicht des Kirchenneubaus wahr. Ursprünglich geplante Türme zwischen Langhaus und Chor werden nach einem Turmeinsturz nicht weiterverfolgt, stattdessen fügt er ein Querhaus ein. Nach der Versetzung Mayers von Luzern ins Kolleg Ellwangen übernimmt 1682 Pater Franz Demess, der soeben wieder nach Solothurn versetzt worden ist[4] , die Leitung des Kirchenneubaus.
Die Baumeisterfunktionen haben also, wie bei allen Jesuitenkirchen dieser Zeit, in Ingoldstadt und München geschulte Jesuiten übernommen, die den ausführenden Maurermeistern und Stuckateuren vorstehen.

Das Bauwerk
Die Solothurner Jesuitenkirche ist eines der besten Barockbauwerke der Schweiz, dank der vortrefflichen «römischen» Fassade und der klaren Durchbildung des Raumes nach den vorweggenommenen Prinzipien der Vorarlberger Meister und dank der hervorragenden Stuckaturen der Brüder Neurone. Sie ist nicht mehr Emporenbasilika (wie noch Luzern und Innsbruck) und zeigt, dass die Entwicklung der Wandpfeiler-Halle mit eingespannten Emporen nicht eine reine Angelegenheit der Vorarlberger Meister ist[5] . Zwar weist der Innenraum mit knapp 40 Meter eine relativ geringe Länge auf. Vielleicht deswegen treten die Charakteristiken der Architektur so stark hervor und wirkt der Stuckdekor so plastisch.

Schaufassade mit königlichem Stifter
Die Schaufassade in der Häuserfront der Hauptgasse ist zur besseren Wirkung aus perspektivischer Sicht mit dreiachsigen Seitenflügeln verbreitert. Ein 1676 nach Paris eingereichter Plan auf den Grundlagen der von Pater Christoph Vogler geplanten Emporen-Basilika wird von Br. Heinrich Mayer nach dem Entscheid zur Wandpfeiler-Halle verändert. Der Originalplan ist nur in einer Umzeichnung von 1683 erhalten. Er zeigt zwei Bekrönungs-Varianten der Seitenflügel, von denen die rechte Variante mit der Balustradenbrüstung gewählt wird. Die Fassade muss als eigenständige jesuitische Planung in profunder Kenntnis des italienischen Architekturerbes gewürdigt werden. Die nach der letzten Restaurierung wieder hergestellte tektonische Gliederung durch den Materialwechsel zwischen Kalkstein-Tragstrukturen und hellen Verputzflächen verleiht der «römischen» Fassade eine bereits süddeutsche Grazilität. Eine monumentale, 1688 entstandene Immakulata des Solothurners Johann Peter Frölicher (Hauptmeister des Chorgestühls von St. Urban) krönt den mit kräftigem Gebälk gerahmten Dreieckgiebel. Sie steht anstelle der Bourbonenkrone des 1676 nach Paris gesandten Risses, auf welche die Solothurner offensichtlich zu Gunsten einer Inschrift über dem Portal verzichtet haben. Die goldenen Lettern sind eine Dankesbezeugung an Louis XIV, welcher die Fassade gestiftet hat. Sein Wappen findet sich auch im Frontispiz.

Innenraum
Kräftige Stuckaturen überspielen die Architektur des Raumes. Sie zeichnen sich durch hervorragende Qualität aus. Neben den klassischen Motiven und den Kartuschen fällt die Vielfalt der bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Pflanzen- und Blumenformen auf. Der Stuck wird 1686–1688 von Giacomo und Pietro Neurone aus Lugano erstellt. Zurückhaltender als der Stuck sind die Gewölbefresken in Chor und Mittelschiff. Der Solothurner Maler Wolfgang Aebi (1638–1694) hat hier bereits 1686 gekonnt illusionistische Scheinarchitekturen gemalt, offensichtlich in frühester Kenntnis der Werke des Jesuitenpaters Andrea Pozzo.

Ausstattung
Die heutige Altarausstattung ist nicht in einem Zug und erst nach der Kircheneinweihung entstanden. Weil sie immer paarweise identisch erstellt wird, zeigt sich trotzdem eine einheitliche Wirkung. Der grosse Hochaltar, aus marmoriertem Holz, wird 1704 vom Jesuitenbruder Jakob Moser geschaffen. Er umschliesst mit monumentalem Säulenrahmen das 1703 gefertigte Bild Mariä Himmelfahrt von Franz Carl Stauder. Der grosse Tabernakel wird 1756 von Johann Baptist Babel gefertigt. Ignatius- und Franz-Xaver-Altar im Querhaus sind 1688 entstandene Stuckmarmorwerke des Jesuitenbruders Christoph Brack, der 1687 auch die Kanzel anfertigt. Der Josefs- und Anna-Altar im zweiten Langhausjoch stammen aus 1706 und 1698, der Stanislaus-Kostka- und Schutzengelaltar im ersten Langhausjoch sind 1692 entstanden. Die Maler der Altarblätter dieser sechs Altäre sind nur zur Hälfte bekannt: Johann Kaspar Sing (Ignatius-Altar), Franz Carl Stauder (Stanislaus-Kostka-Altar) und Johann Andreas Wolff (Schutzengelaltar).
Erst 1794, nach der Jesuitenzeit, wird die heutige Orgel von 22 Registern vom Orgelbauer Franz Joseph Otter aus Aedermannsdorf geliefert. Das Gehäuse von Jeremias Schlapp, das originale Pfeifenwerk und die mechanische Traktur sind im Original erhalten und werden 1953 restauriert.

Pius Bieri 2009

 

Benutzte Einzeldarstellungen:
Schubiger, Benno: Jesuitenkirche in Solothurn, Kunstführer GSK Nr. 366, Bern 2003.
Schubiger, Benno: Die Jesuitenkirche in Solothurn, Solothurn 1987.

Weiterführende Links:
Homepage der Schweizer Jesuiten
Jesuitenkirche Solothurn 1660-1688 in: Architekturkontext der Universität Zürich

Anmerkungen:

[1] Sie können sich mit Wappenkartuschen über den Fenstern als Gönner und Mäzen verewigen.

[2] Solothurn ist Sitz des französischen Ambassadors. Mit dem sogenannten Pariser Plan der Schaufassade, auf dem übergross das Wappen Bourbon–Navarra und die französische Krone am Giebel prangen, wird 1676 bei Louis XIV um finanzielle Unterstützung nachgesucht. Tatsächlich bezahlt der französische Hof in der Folge die gesamten Baukosten der Fassade.

[3] Wichtigste Beteiligte: Linus Birchler als Bundesexperte, Gottlieb Loertscher als Denkmalpfleger und Alois Griessl als Stuckateur.

[4] 1678 bis 1682 ist er Superior im Priorat St. Morand bei Altkirch im Elsass. Von hier aus plant er für Arlesheim 1679–1680 den neuen Dom.

[5] Es ist kein Zufall, dass Br. Heinrich Mayer 1683 den Vorarlberger Michael Thumb beim Bau der Schönenberger Wallfahrtskirche in Ellwangen ablöst. Erst mit dem Bau der Kirche von Obermarchtal (1686–1701) setzt Michael Thumb den Anfang für die erfolgreiche Periode der Vorarlberger Wandpfeilerhallen.

 

 

 

  Jesuitenkirche Mariä Himmelfahrt Solothurn  
  Solothurn1  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Solothurn CH
Eidgenössischer Stand
Solothurn
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Lausanne 1678
Bauherr und Bauträger

okDeuring Pater Felizian Deuring SJ (1628–1704)


 
  Die hochbarocken Stuckaturen der Brüder Neurone und die Fresken von Wolfgang Aebi haben entscheidenden Einfluss auf die Raumwirkung der Jesuitenkirche.   pdf  
   
SolothurnFassade
Ein Fassadenriss (um 1680) von Br. Heinrich Mayer SJ ist als Kopie erhalten. > Bildinfo.  
   
SolothurnGrRiss
Der Grundriss der Kirche zeigt ihre Einbindung in die Strassenflucht. Als Vorgängerbauwerk der Schönenbergkirche von Ellwangen und der Stiftskirche von Obermarchtal weist das kleine Bauwerk bereits alle Attribute auf, die dann von der Vorarlberger Schule aufgenommen werden.  

Solothurn1833

Im Stadtplan (1833) von Johann Baptist Altermatt ist die Gebäudegruppe von Jesuitenkirche und Jesuitenkollegium (2, Gelb) mit Jesuitengymnasium und Theater (3, Rot) im Kontext des alten Stadtgefüges und der Stiftskirche St. Ursen (1, heute Kathedrale) gut ablesbar.  

Solothurn2

Ein Blick vom Kronenplatz in die Hauptgasse auf die Nordfassade der Jesuitenkirche. Ursprünglich ist dies die einzige im Stadtbild sichtbare Fassade, auf italienische Art in die Strassenflucht eingepasst.  

Solothurn3

Der Innenraum mit Chor, Querschiff und erstem Wandpfeiler-Emporenjoch.  

Solothurn4

Ähnlich der Luzerner Jesuitenkirche, dem Vorgängerbauwerk von Solothurn, ist auch die im Grundriss kleinere Solothurner Kirche im Emporenbereich dreigeschossig. Eindrücklich wir hier die Höhe des Bauwerkes gezeigt.  
Solothurn5
Der Hochaltar (1704, Br. Jakob Moser SJ) trägt ein Altarblatt von Franz Carl Stauder.
> Zum Bild Mariä Himmelfahrt (1703).
 
1683 kopiert Br. Johannes Hörmann SJ einen Fassadenriss der Solothurner Jesuitenkirche für sein Werk «Delineationes variae epitaphiorum, altarium etc.». Es stellt einen um 1680 von Br. Heinrich Mayer SJ für Solothurn angefertigten Vergleichsriss mit unterschiedlichen Bekrönungen der Flügelbauten. Gewählt und ausgeführt wird der (rechte) Balustradenabschluss.

Original in der Staatsbibliothek München.
Quelle: Druckveröffentlichung.