SchlossLustheim
NeuesSchloss

Die Meister der Gärten und Kanäle von Schleissheim
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Enrico Zuccalli (um 1642–1724) Roveredo, Misox CH ZuccalliE   Hofbaumeister-Architekt 1684   1704
Charles Carbonnet (um 1658–1732) Paris Ile de France F     Wasserbauingenieur, Gartenplaner 1701   1704
Dominique Girard (um 1680–1738) Ile der France F     Wasserbauingenieur, Gartenplaner 1716   1726
Joseph Effner (1687–1745) Dachau, Bayern D Effner   Hofbaumeister-Architekt 1718   1726
Giuseppe Volpini (1670–1729) Oberitalien (Mailand?)     Bildhauer 1718   1724
Matthias Diesel, Disel, Disl (1675–1752) Bernried, Bayern D     Garteninspektor, Gartenplaner 1718   1726
Carl von Effner (1831–1884) München D     Hofgärtner,Hofgartendirektor 1865   1868


2.  Das Kanalsystem und der Schlossgarten

2.1 Das barocke Kanalsystem um Schleissheim

Der Würmkanal von Herzogs Maximilian I. 
Gleichzeitig mit dem Neubau des Schwaighofes Schleissheim, dem heutigen Alten Schloss, lässt Herzog Maximilian I. von Bayern[1] 1601 den Bau eines Kanals ab der Würm nach Schleissheim beginnen. Das Wasser wird der Würm kurz nach dem Pfarrdorf Allach entnommen und als Würmkanal nach Schleissheim geleitet.[2] Die drei Höfe der herzoglichen Schwaige[3] quert er in separaten Kanälen. Das Wasser wird anschliessend über den Würmbach in die Amper geleitet. Die drei Wasserquerungen der Schwaige sind in der Vogelschauansicht von Ertl (1687) dargestellt und noch heute vorhanden. Sie dienen dem Hofbrunnen, der Mühle und der Viehwirtschaft.

Erweiterung der Kanallandschaft durch den Kurfürsten Max II. Emanuel 
1683 beginnt der aus den Türkenkriegen zurückgekehrte Kurfürst Max II. Emanuel[4] mit Planungen für eine neue Gartenanlage im Osten des Alten Schlosses Schleissheim. Sein Planer ist Hofbaumeister Enrico Zuccalli.[5] Mit dem Bau des in der Ostachse liegenden Jagdschlösschens Lustheim wird 1684 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt hat Zuccalli die neue Gartenanlage von Schleissheim schon entworfen. Sie ist Grundlage für das Kanalsystem um Schleissheim, das der Kurfürst gleichzeitig beginnen lässt. Er lässt als ersten neuen Wasserlauf den Schleissheimer Kanal bauen, der Wasser von der Isar zuführt. Dann sorgt er mit dem Zuleitungskanal Neugröben für eine neue Wasserzufuhr des alten Würmkanals, lässt diesen begradigen und vereinigt ihn mit dem Schleissheimer Kanal. Als letztes Bauwerk der neuen Kanallandschaft um den Schleissheimer Garten lässt er den Kanal von Schleissheim nach Dachau bauen. 1691 ist das das Kanalsystem, das die Landschaft nördlich von München nachhaltig prägt, vollendet. Im folgenden Jahr ziehen der Kurfürst und sein Hof nach Brüssel. Am Garten wird weitergearbeitet, weitere Bauvorhaben in Schleissheim unterbleiben.

Die einzelnen Kanalbauten dieser Bauperiode in der Übersicht
Der Schleissheimer Kanal wird 1688 an beiden Enden gleichzeitig begonnen und ist 1689 fertig. Er führt Isarwasser ab dem Schwabingerbach bei Freimann nach Lustheim.[6] Seine gerade Linienführung parallel zu Isar biegt gegenüber Ismaning rechtwinklig nach Westen in die Schloss- und Gartenachse von Schleissheim ein. Vor Lustheim teilt er sich der Kanal stimmgabelartig in zwei Arme und fasst so den gleichzeitig im Bau befindlichen neuen Barockgarten bis zu den Wasserläufen des Würmkanals an der Schwaige Schleissheim. Dieser Kanal wird für die grossen Materialtransporte der Bauvorhaben und für spätere Vergnügungsfahrten gebaut. Mehrere hundert Tagwerker, aber auch bis zu 200 türkische Kriegsgefangene werden für die Grabarbeiten eingesetzt.
Die Begradigung des Würmkanals ab der Hochbrücke bei Karlsfeld beginnt schon 1687. Begradigung und Ausbau sollen vor allem die Wasserzufuhr verbessern. Zu diesem Zweck wird im gleichen Jahr auch der Zuleitungskanal Neugröben gebaut, der Wasser vom Gröbenbach in die Würm bei Allach leitet.[7] Der Würmkanal bedient wie bisher die Querkanäle der Schwaige Schleissheim, sein Hauptwasser fliesst jetzt entlang des Barockgartens nach Lustheim, wo es sich nach 10 000 Meter mit dem Wasser des Schleissheimer Kanals mischt.[8]
Noch vor seiner Übernahme der Statthalterschaft der Spanischen Niederlande und der damit verbundenen zehnjährigen Abwesenheit von Bayern lässt Max II. Emanuel auch den Dachauer Kanal bauen. 1691 ist das Bauwerk im Wesentlichen fertiggestellt. Er leitet das Wasser bei Dachau in die Amper.[9] Auch dieser Kanal wird dank eines dichten Schleusensystems für Materialtransporte und Lustfahrten genutzt.

2.2 Erweiterungen der Kanallandschaft nach 1700

Die Kanäle für Nymphenburg 1701–1704
1701 kehrt Kurfürst Max II. Emanuel wieder nach Bayern zurück. Er und sein Hofbaumeister Enrico Zuccalli bringen wertvolle neue Erfahrungen der holländischen Gärten mit ihren Schleusen- und Kanalanlagen mit. Der Kurfürst beginnt im Jahr seiner Rückkehr gleichzeitig mit den Neubauten in Schleissheim und Nymphenburg. Nur für Nymphenburg ist aber, zusammen mit der Schlosserweiterung, auch auch ein neuer Garten geplant. Holland ist für diesen Garten und die Kanalplanung Vorbild. Der Garten von Nymphenburg wird im Beitrag «Der Schlossgarten und das Rondell» in dieser Webseite vorgestellt. Bei den Wasserbauwerken handelt sich um folgenden Kanäle:
1. Pasinger Kanal. Er führt in der Schlossachse Nymphenburgs das Wasser von der Würm in den Nymphenburger Garten, bildet dort den grossen Mittelkanal, setzt die Schlossanlage in eine Insellage und verlässt das Schlossareal im nördlichen Teil des Rondells. Er wird heute als Pasing-Nymphenburger Kanal bezeichnet.[10]
2. Nymphenburger Kanal[11] und Biedersteiner Kanal.[12] Diese Kanalbauwerke führen das Wasser ab dem Rondell in den Schwabingerbach der Hirschau bei Schwabing. Sie sind bis 1704 erstellt. Heute werden die beiden Kanäle als Nymphenburg-Biedersteiner Kanal bezeichnet.
3. Der Nymphenburger Stichkanal
Dieser den heutige Stadtteil Neuhausen prägende Kanal wird von zwei Zufahrtsalleen begleitet und beginnt beim grossen Bassin vor dem Schlossrondell. Er setzt die Achse des Paisinger Kanals auf der Ostseite fort und endet nach 1450 Meter wieder in einem Bassin nördlich des Pfarrdorfes Neuhausen. Der Kanal wird 1728 gebaut. Er dient nebst den beiden schattigen und beidseitig mit Linden bepflanzten Zufahrten vor allem den Lustfahrten des Hofes. Das namenlose Beispiel grosszügiger barocker Städteplanung liegt noch bis ins späte 19. Jahrhundert im Brachland.[13]  

SchleissheimGartenKan5   NamphenburgGeer   BiedersteinerKanal
Der Pasinger Kanal (heute Pasing-Nymphenburger Kanal) vor der Einleitung in den Garten von Nymphenburg.
Foto: AHert (2011) in Wikipedia.
  Kanallandschaft um Nymphenburg 1723. Vogelschauansicht aus Osten von Maximiilan de Geer. Quelle: Luisa Hager 1955, nach dem Original im Miniaturkabinett der Residenz.     Der heutige Nymphenburg-Biedersteiner Kanal kurz nach dem Austritt aus dem Olympia-See mit Blickrichtung West.
Foto: Gras-Ober (2013) in Wikipedia.

Schwabinger Kanal und Neuer Schleissheimer Kanal
Die direkte Kanalverbindung zwischen der Münchner Residenz und Schleissheim ist ein weiteres Kanalprojekt des Kurfürsten Max II. Emanuel. Der Kanal beginnt bei der Münchner Residenz, wird von Isarwasser des westlichen Stadtgrabenbaches gespeist und kreuzt den Nymphenburger Kanal bei der Georgenschwaige. Bis hier wird er vor 1704 tatsächlich gebaut. Schifffahrten von der Residenz nach Nymphenburg sind jetzt möglich. Der schnurgerade Weiterbau nach Schleissheim wird nie verwirklicht. Das gebaute Teilstück, der sogenannte Türkengraben,[14] wird 1811 zugeschüttet. Die heutige Belgradstrasse liegt über dem «Türkengraben».

2.3 Der barocke Garten [15]

1684–1701: Enrico Zuccalli
Gleichzeitig mit den Kanalbauten und den Neubauten für Lustheim plant und leitet Hofbaumeister Enrico Zuccalli die neue Gartenanlage von Schleissheim und Lustheim. Bis 1691 sind die Arbeiten an den Kanälen und Gebäuden vollendet. In diesem Jahr verlegt der Kurfürst als Statthalter der Spanischen Niederlande 1692 seinen Hof nach Brüssel. Am Garten wird weitergearbeitet, auch wenn jetzt die Befehle aus Brüssel kommen. Anstelle des von Zuccalli geplanten Mittelkanals in der Blickachse nach Lustheim wünscht der Kurfürst eine lindenbesäumte Sandbahn für das beliebte Mailspiel.[16] Als er Anfang 1701 aus Brüssel zurückkehrt, sind die über 2000 Lindenbäume entlang der Mailbahn und der Auffahrtsalleen bei den Seitenkanälen in bestem Wuchs. Beidseitig der 700 Meter langen Mailbahn sind die Bosketts und ihre grünen Innenräume schon fertig. Eine 2700 Meter lange und 3,5 Meter hohe Mauer fasst den Garten ein. Noch fehlen die beiden Gartenparterres um Lustheim und vor dem inzwischen begonnenen Neuen Schloss. Das im Osten den Garten abschliessende Zirkelgebäude um Lustheim befindet sich noch im Rohbau.

1701–1704: Erste französische Gartenplaner
Mit Kurfürst Max II. Emanuel kommen auch die ersten französischen Gartenplaner nach München. Der französische Hofgärtner Charles Carbonnet[17] leitet die Arbeiten am Gartenparterre in Nymphenburg. Für Schleissheim entwirft er einen Garten von riesigen Dimensionen. Sein Parterre umfasst die Fläche zwischen den Kanälen und reicht bis Lustheim. Die Boskettzonen befinden sich jenseits der Kanäle. Ein weiterer französischer Hofgärtner, Claude Desgots,[18] schlägt in seiner Planung ein vertieftes Wasserparterre in der Länge von über 500 Metern vor. Auch er plant Bosketts jenseits der Kanäle. Der Beizug von weiteren Planern ist bei barocken Bauherren die übliche Vorgehensweise zu einer abschliessenden Meinungsbildung. Der Kurfürst bleibt allerdings weiterhin beim Projekt Zuccallis. Einflüsse der beiden beigezogenen Hofgärtner zeigen sich nun auch in dessen Planung. So ist nun auch bei ihm das Parterre vor der 330 Meter breiten Gartenfassade des Neuen Schlosses auf die ganze Breite vertieft. Fieberhaft wird 1701–1704 am Neuen Schloss Schleissheim, an den Zirkelgebäuden von Lustheim und am Schloss Nymphenburg mit dem Gartenparterre und den Kanälen gearbeitet. Der Garten von Schleissheim bleibt dagegen bis 1704, der Flucht des Kurfürsten in französische Obhut, in der Planungsphase. Zehn Jahre bleibt jetzt selbst die Planung unterbrochen.

1714: Robert de Cotte
Mit dem Friedensschluss von Rastatt zeichnet sich 1714 eine Wiedereinsetzung von Max II. Emanuel als bayrischen Kurfürst ab, die dann mit dem Frieden von Baden Tatsache wird. Schon während den Friedenskongressen lässt dieser die Residenzpläne Zuccallis von München nach Saint-Cloud senden. Er übergibt sie an Robert de Cotte, den ersten Architekten des Königs. Nun beginnt nebst der Schlossplanung auch die Gartenplanung Schleissheims von neuem. Die Gartenpläne von Robert de Cotte sind in der Bibliothèque nationale de France erhalten. Ein 1714 datierter Gesamtplan ist das Dokument einer zu diesem Zeitpunkt völlig unrealistischen Planung. Cotte legt vor eine riesige Schlossanlage mit doppelten Seitenflügeln und Ehrenhof einen Garten von 650 Meter Breite. Er ignoriert damit alle bereits gebauten Kanäle und Gärten. Auch Lustheim existiert bei ihm nicht mehr.

Der Ausführunsgplan 1716/17 (Girard?)
SchleissheimGirard1715
Der Ausführungsplan der Gartenanlage von Schleissheim und Lustheim (1716/17) entspricht der Planung von Enrico Zuccalli. Der Zeichner des 385,5 auf 103 Zentimeter grossen Plans ist unbekannt. Er muss im Umkreis von Dominique Girard und Joseph Effner entstanden sein. Das Original befindet in der Albertina in Wien. Der Plan ist hier gedreht, Norden ist oben. Foto: Bieri 2016.

Das untere Bild zeigt die heutige Situation im gleichen Massstab als GoogleEarth-Aufnahme. Das Parterre ist leicht anders gestaltet, die beiden zentralen Längsbecken sind heute Grünstreifen, die Zirkelgebäude um Lustheim fehlen, und der heutige Mittelkanal ist eine spätere Zugabe.
SchleissheimVergleichGirard

1716–1726: Dominique Girard, Joseph Effner und Matthias Diesel
Erst 1715 kehrt der Kurfürst aus Saint-Cloud nach München zurück. In Schleissheim kann er 1716 drei in Frankreich geschulte jüngere Fachkräfte einsetzen, die das Projekt in der letzten Regierungsperiode des Kurfürsten Max II. Emanuel betreuen werden. Dominique Girard,[19] seit 1709 als «garçon fontainier» in Versailles tätig, wird als Garteninspektor und maître fontainier (Brunnenmeister) in Hofdienste genommen. Er plant für Schleissheim das Gartenparterre mit der Kaskade und entwirft für Nymphenburg die zahlreichen Wasserkünste, die Brunnhäuser und die Kaskaden. Der Gesamtplan des Schleissheimer Gartens in der Wiener Albertina wird ihm zugeschrieben. Der Plan übernimmt das Konzept Zuccallis, senkt aber das Parterre zweistufig ab und gestaltet die Wasserspiele mit der Kaskade neu. Die Ausführung erfolgt nach diesem Grundriss. Erstmals ist jetzt nur noch der Ostflügel des Neuen Schlosses im Plan enthalten, was zeigt, dass sich auch der Kurfürst mit einem Fragment der geplanten Residenz abgefunden hat. Als Leiter der Arbeiten in Schleissheim setzt er 1718 Hofbaumeister Joseph Effner[20] anstelle des noch immer aktiven Enrico Zuccalli ein. Effner leitet die Ausführung auch während der Dauerabwesenheit des französischen Starplaners souverän. Ihm zur Seite steht Matthias Diesel, seit 1718 Ingenieur der Hof- und Lustgärten.[21] Wie bei allen barocken Grossprojekten darf deshalb die Fertigstellung des Zuccalli-Gartens von Schleissheim einem Kollektiv von jungen, französisch geschulten Planern zugesprochen werden.

Der Barockgarten nach 1726
1726 stirbt Kurfürst Max II. Emanuel. Der Barockgarten ist zu diesem Zeitpunkt mit Ausnahme des beabsichtigten Skulpturenschmucks und des Parterres von Lustheim fast vollendet. Die nachfolgenden Kurfürsten Karl Albrecht und Max II. Joseph interessieren sich wenig für weitere Investitionen in den Garten. Der Skulpturenschmuck unterbleibt, das den Garten abschliessende Zirkelgebäude von Lustheim wird ersatzlos abgebrochen. Der Garten kann seine Aufgabe als höfischer Festraum nie erfüllen, ebenso wie im einzigen gebauten Flügel des  Neuen Schlosses nie höfisches Leben einzieht. Wahrscheinlich erst unter dem Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz wird um 1781 der schon von Zuccalli geplante Mittelkanal zwischen der Kaskade am Ende des Parterres und Lustheim gebaut.[22] Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verfällt der Barockgarten.
Erst der Märchenkönig Ludwig II. lässt 1865–1868 durch seinen Hofgarten-Inspektor Carl von Effner[23] den Garten wiederherstellen. Effner rekonstruiert das Broderie-Parterre nach alten Ansichten. Der Gartenplan in der Wiener Albertina von 1716/17 ist ihm noch nicht bekannt. Auch das kleinere Parterre zwischen dem Alten und dem Neuen Schloss ist eine neubarocke Schöpfung Effners. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind weite Teile des Gartens wieder verwüstet. Für die Wiederherstellungsarbeiten wird nun auch der Albertina-Plan berücksichtigt. Die Bosketts sind heute in der Grundform, aber ohne ihre aufwändige barocke Innengestaltung wieder erlebbar. Bis 1999 wird die Kaskade restauriert, 2010 ist auch die Freilegung des von Carl von Effner rekonstruierten Parterres abgeschlossen.

Der Garten von Schleissheim als Zeitdokument
Der Barockgarten (heute «Schlosspark») von Schleissheim ist eine der wenigen höfischen Gärten Deutschlands, die barocke Gartenraum-Vorstellungen des Absolutismus bis heute bewahrt haben. Die Einheit und Gleichwertigkeit von Schloss und Garten ist einmalig. Das monumentale Parterre mit seinen Blumenrabatten und dem Wasserspektakel in der Schlossachse ist vergleichbar mit den besten Schöpfungen Le Nôtres. Die Bosketträume können, wenn auch nicht mehr mit ihren barocken Finessen, noch immer erlebt werden und bieten einen guten Einblick in diese heute sehr selten erhaltenen grünen Lusträume. Für das mit den malerischen englischen Landschaftsgärten von München und Nymphenburg verwöhnte Publikum ist der streng geometrische Barockgarten von Schleissheim gewöhnungsbedürftig. Der Biergarten beim Alten Schloss ist im Sommer jedenfalls mehr besucht.

Pius Bieri 2016

Fotos:
Fotos dieser Seite sind aus den Wikipedia-Commons übernommen. Den Autoren danke ich für die Genehmigung zur Weiterverwendung.

Literatur:

Paulus, Richard Adolf Luitpold: Der Baumeister Henrico Zuccalli am kurbayrischen Hofe zu München. Strassburg 1912.
Heym, Sabine: Henrico Zuccalli. Der kurbayrische Hofbaumeister. München und Zürich 1984.
Hojer, Gerhard: Die Münchner Residenzen des Kurfürsten Max Emanuel, in: Kurfürst Max Emanuel. Ausstellungskatalog Band I. München 1976.
Heym, Sabine: Henrico Zuccalli und der Kreis der Graubündner Baumeister am kurbayrischen Hof in München, in: Graubündner Baumeister und Stuckateure, Lugano 1997.
Paula, Georg und Weski, Timm: Denkmäler in Bayern, Landkries München. München 1997.
Späth, Martin: Dokumentation der historischen Sichtachsen und Kanäle der Schleissheimer Schlösser. Karlsfeld 2002.
Götz, Ernst und Langer, Brigitte: Schlossanlage Schleissheim. Amtlicher Führer. München 2009.
Breitmann, Bert: Schleissheim, in: Geschichte der Gartenkunst, Band 3, Online-Publikation o.J., Stand 2016.

Anmerkungen:

[1] Maximilian I. von Bayern (1573–1651), Herzog von Bayern ab 1597, Kurfürst 1623–1651. Führende Persönlichkeit der Katholischen Liga im Dreissigjährigen Krieg.

[2] Der (alte) Würmkanal wird bis 1624 fertig. Seine Länge beträgt rund neun Kilometer. Der Lauf ist noch in den Positionsblätter 1:25000 (1817-1841) sichtbar.
Nach der Begradigung ab 1687 wird der alte Lauf belassen und als Alter Würmkanal bezeichnet.

[3] Schwaige oder Schwaighof sind bayrische Begriffe, ursprünglich für eine Sennerei. Im 17. und 18 Jahrhundert gelten sie für grosse Hofanlagen mit einem Verwalter- oder Herrenhaus.

[4] Maximilian II. Emanuel von Bayern (1662–1726), Kurfürst 1679–1706 und 1714–1726, Generalstatthalter der Spanischen Niederlande 1691–1701, in französischem Exil 1704–1715 und unter Reichsacht 1706–1714. Zu ihm siehe die Biografie von Ludwig Hüttl «Der blaue Kurfürst» (München 1976) und die Biografie des gleichen Autors in der NDB (Online-Fassung, 1990).

[5] Enrico Zuccalli (1642–1724) aus Roveredo. Siehe die Biografie und das Werkverzeichnis in dieser Webseite.

[6] Fassung beim Ausmeisterhaus, der heutigen Gaststätte am Nordende des Englischen Gartens von München. Das Gefälle betragt auf die Distanz von 12 000 Meter nur sieben Meter. Die Ingolstädter Landstrasse überquert den Kanal 2000 Meter vor Lustheim auf einer Hochbrücke, um Vergnügungsfahrten und Materialtransporte mit dem Schiff zu ermöglichen. Die Brücke gibt dem heutigen Ort Hochbrück den Namen. Der Kanal ist zum grossen Teil erhalten.

[7] Distanz 4000 Meter. Der Kanal wird im 19. Jahrhundert eingeebnet.

[8] 10 000 Meter beträgt die Distanz vom Wehr in der Würm bis zum Zusammenfluss in Lustheim. Das Gefälle beträgt rund 13 Meter. Der Kanal ist heute noch vollständig erhalten. Der neue Würmkanal wird auch Allacher Kanal und Karlsfelder Kanal genannt.

[9] Distanz 9000 Meter. Höhendifferenz fünf Meter. Teilweise muss der Kanal künstlich mit Dämmen erhöht werden. Schleusen regulieren die Strömungsrichtung des Wassers, das auch in Ostrichtung fliessen kann. Der Kanal ist erhalten und verläuft parallel zur heutigen Schleissheimer Strasse.

[10] Der Pasinger Kanal wird 1701 gebaut. Er beginnt beim Würm-Wehr in Pasing (beim heutigen Bahnhof), verläuft kurz nördlich, um dann in der Schlossachse nach Nymphenburg abzubiegen. Die Grosse Kaskade im Garten von Nymphenburg erreicht er nach 2800 Meter. Dann bildet er das 1000 Meter lange Mittelbecken der Gartenanlage und umschliesst in der Fortsetzung die Schlossanlage (Südarm bis Rondell weitere 1200 Meter). Der Paisinger Kanal ist erhalten.

[11] Der Nymphenburger Kanal verlässt das Schlossrondell als (ebenfalls schiffbares) Abflussbauwerk. Ein Achsenbezug fehlt. In leicht nordöstlicher Richtung erreicht er nach 5100 Meter die Georgenschwaige (heute Verkehrsknoten mit Einfahrt in den Petueltunnel). Der Kanal ist teilweise erhalten. Er speist heute auf dieser Strecke die Seen des Olympiageländes.

[12] Ab der Georgenschwaige setzt der Kanal unter dem Namen Biedersteiner Kanal den Lauf in südöstlicher Richtung fort und mündet nach 2400 Meter bei Schwabing in einen Zufluss des Schwabinger Baches (Schwarze Lacke). Der Biedersteiner-Kanal ist zwar noch wasserführend, aber verläuft teilweise unterirdisch.

[13] Der Kanal wird trotz seiner grossen städtebaulichen Qualität kaum beachtet. Die zeigt sich auch darin, dass er und auch die Bassins keine Namen haben. Der Stichkanal wird in den amtlichen Plänen einmal als Schlosskanal, dann als Schlossgartenkanal, in der Literatur auch als Waisenhauskanal bezeichnet. Nur die beiden begleitenden Strassenzüge tragen noch alte Namen. Sie werden als Südliche und Nördliche Auffahrtsallee bezeichnet.

[14] Der Name ist irreführend, denn die türkischen Kriegsgefangenen arbeiten nur an den Kanälen 1684–1691. Die noch überlebenden türkischen «Sklaven» werden 1699 gegen Christen ausgetauscht.

[15] Der Schlossgarten wird seit kurzen auch als Hofgarten oder Schlosspark bezeichnet. Ich übernehme hier die alte Bezeichnung. Der Begriff «Barocke Parkanlage» (in: Denkmäler in Bayern, Landkreis München 1997) ist ein Widerspruch in sich, denn die Bezeichnung Park für einen (Volks)-Garten taucht im deutschen Sprachraum erst im 19. Jahrhundert auf. Selbst die amtlichen Führer führen noch bis 2005 den Titel «Schleissheim, Neues Schloss und Garten». Zu den Begriffen «Barockgarten» und «Park» siehe das Glossar in dieser Webseite. 

[16] Zum Mailspeil siehe das Glossar in dieser Webseite.

[17] Charles Carbonnet (v.1660–n.1730), von Saint-Roch, auch Carbonet geschrieben, Mitarbeiter des «Jardinier du Roi» André Le Nôtre, wechselt 1701 auf Empfehlung des französischen Hofes an den kurfürstlichen Hof in München.

[18] Claude Desgots (v. 1658–1732), von Paris, Neffe und 1700 Nachfolger des «Jardinier du Roi» André Le Nôtre, ist kurzfristig als Planer für Schleissheim tätig. Eine Mitarbeit an Nymphenburg, vielleicht für die Kaskaden, wird vermutet.

[19] Dominique Girard (um 1680–1738). Gesuchter französischer Wasserbautechniker. Garteninspektor und maître fontainier ab 1715. Für den Nymphenburger Garten ist er als Planer der Wasserwerke, der Kaskaden (mit Effner) und der Bassins gesichert. 1717 ist er in Wien und plant mit Johann Lucas von Hildebrandt die Wasserwerke für den Belvedere-Garten des Prinzen Eugen. Ob er dort auch den Garten plant, ist umstritten. 1728 ist er zusammen mit François Cuvilliés für die Gärten des Schlosses Augustusburg in Brühl tätig. In Schleissheim ist er Entwerfer des Parterres mit der Kaskade. Der berühmte Schleissheimer Gartenplan in der Wiener Albertina wird ihm zugeschrieben. Die Bedeutung Girards als Gartenplaner wird in Anbetracht der meist kollektiven Planungen überschätzt. Die Überhöhung des französischen Garteninspektors ist auf den ebenfalls französischen Beichtvater des Kurfürsten, Pierre de Bretagne, zurückzuführen, der 1723 Girard als Planer der Gärten von Schleissheim, Fürstenried und Nymphenburg bezeichnet. Die grosse damalige Wertschätzung der Wasserkünste (allein in Nymphenburg 600 «laufende und springende» Wasser) und die vorherrschende Frankophonie des Adels mag der Grund für diese Zuschreibung sein.

[20] Joseph Effner (1687–1745) aus Dachau. Hofbaumeister 1715–1745. Siehe die Biografie und das Werkverzeichnis in dieser Webseite.

[21] Matthias Diesel oder Disl, Disel (1675–1752) aus Bernried ist ursprünglich Gärtner, wird nach der Rückkehr von einem Studienaufenthalt in Paris 1713 Garteninspektor beim Salzburger Fürstbischof, 1718 Ingenieur der Hof- und Lustgärten am Münchner Hof, berühmt wird er aber vor allem durch seine Kupferstiche über die Gärten Europas, die er 1717 bei Jeremias Wolff in Augsburg verlegt. Sein Beitrag an den Gartenplanungen von Nymphenburg wird im Gegensatz zu demjenigen des hochgelobten Dominique Girard unterschätzt.

[22] Noch 1781 sind 300 Arbeiter am Mittelkanal tätig.

[23] Carl von Effner (1831–1884) aus München, Hofgärtner 1857, 1873 königlich bayrischer Hofgartendirektor, wird 1877 geadelt. Er stammt nicht aus dem gleichen Familienzweig wie Joseph Effner (oben).

 


  Schleissheim: Das Kanalsystem und der Schlossgarten  
  SchleissheimGarten1  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Oberschleissheim Bayern D
Kurfürstentum Bayern
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Freising   1684
Bauherr und Bauträger
Kurfürst Max II. Emanuel von Bayern
(reg. 1679–1726)
KurfürstCarl Theodor von der Pfalz
(reg. 1777–1799)
König Luwig I. von Bayern (reg. 1825–1848)
 
  Das Schloss Schleissheim am Ende des Mittelkanals, gesehen vom Garten des Schlosses Lustheim.  Foto: Bieri 2016.   pdf  
   
SchleissheimKanaele1
Plan des Kanalsystems. Für Vergrösserung und Legende anklicken.  
   
SchleissheimGartenKan2
Der Würmkanal östlich der Hochbrücke Karlsfeld im heutigen Zustand.
Foto: Wikipedia (Wzwz 2013).
 
SchleissheimGartenKan3
Der Schleissheimer Kanal am Beginn im Englischen Garten beim Aumeister. Der Schwabinger Bach ist der von rechts ankommende und der nach hinten ausgeleitete Bach, nach links fliesst der Garchinger Mühlbach im Bett des ursprünglichen Schleissheimer Kanals.
Foto: AHert (2011) in Wikipedia.
 
SchleissheimKan8
Der Schleissheimer Kanal nach der Hochbrücke (bei Hochbrück) Richtung Schloss Lustheim.
Foto: AHert (2011) in Wikipedia.
 
SchleissheimGartenKan4
Vor dem Schloss Lustheim gabelt sich der Schleissheimer Kanal und bildet die Insellage von Lustheim und Schleissheim. Die direkte Verbindung mit den inneren Ringkanälen von Lustheim durch ein grosses Bassin ist heute nicht mehr vorhanden, das Bassin existiert nur noch isoliert als Naturweiher. Unten ist die frühere Kanal- und Bassinausbildung mit dem 1741 abgebrochenem Zirkelgebäude an dieser Stelle zu sehen.
Foto: AHert (2011) in Wikipedia.
LusteimGeer
Das Ende des Schleissheimer Kanals bei seiner Einmündung in die Gabelung von Lustheim, mit den Zirkelgebäuden, in einer Vogelschauansicht von 1730.
Im Vordergrund vergnügt sich eine Hofgesellschaft mit Gondolieri auf dem Bassin. Im Zentrum ist Lustheim, hinten Schleissheim und am Horizont das Schloss Dachau sichtbar. Miniatur von Maximilian de Geer um 1730.
Foto: Bieri 2016.
 
SchleissheimKan9
Der Kanal auf der Südseite des Neuen Schlosses grenzt direkt an den Südpavillon. Nord- und Südkanal definieren nicht nur die Breite des Gartens, auch die Schlossfrontlänge ist damit durch die Kanäle definiert.
Foto: Rufus46 (2008) in Wikipedia.
 
 
Der barocke Garten
SchleissheimDeGeer
Kanallandschaft um Nymphenburg 1723. Vogelschauansicht aus Westen, mit dem Alten Schloss im Vordergrund, von Maximilan de Geer.
Quelle: Luisa Hager 1955, nach dem Original im Miniaturkabinett der Residenz.  
 
SchleissheimGarten10
Die Luftaufnahme 2014 zeigt die beiden Parterres vor dem Alten und dem Neuen Schloss.
Foto: Aisano in Wikipedia.
 
SchleissheimGarten17
Die Panoramaaufnahme zeigt das vertiefte Parterre des Neuen Schlosses in seiner vereinfacht rekonstruierten Form. Fotostandort ist die Südostecke.
Autor: digital cat (2009) in Wikipedia.
 
SchleissheimGarten11
Das Kaskadenbassin mit  Durchblick durch die Fontänen nach Lustheim. Derart erlebt der Besucher die Kaskade erst nach 1780, da sie vermutlich erst bei der damaligen Garten-Instandstellung unter dem Verwalter Freiherr Adrian von la Fabrique wirklich fertig wird. Zweimal wird sie nachher nochmals neu gebaut: 1840 und 1996.
Foto: Rufus46 (2008) in Wikipedia.
 
SchleissheimGarten12
Das Kaskadenbassin von Süden gesehen. Foto: Bieri 2016.  
SchleissheimDiesel3
Matthias Diesel stellt in Blatt 31 der «Erlustierende Augenweide» die Kaskade des Parterres von Schleissheim mit der nach Lustheim führenden Mailbahn vor. Beidseitig sind die streng geschnittenen «Wände» der Bosketts zu sehen. Die Mailbahn nennt er «Palmey», weil das Spiel auf italienisch «Pallamaglia» und auf französisch «Boulemail» genannt wird.
Bildquelle: ETH Zürich.
 
SchleissheimGarten18
Blick vom Mittelkanal Richtung Lustheim. Der schon von Zuccalli geplante Kanal wird erst 1781 anstelle der Sandbahn für das Mailspiel gebaut, gleichzeitig mit den inneren Ringkanälen von Lustheim. Er verjüngt sich von 22,5 auf 17 Meter Breite, die Uferböschung fällt von 70 auf 10 cm ab und die Höhe des Heckenschnittes nimmt gegen Lustheim ab, um mit diesen perspektivischen Täuschungen den Kanal optisch zu verlängern.
Bild: Gras-Ober (2013) in Wikipdia.
 
SchleissheimGarten14
Die Statue des Herkules wird 1718-1721 von Giuseppe Volpini für Schleissheim geschaffen. Zusammen mit der Athena oder Minerva wird sie später nach Nymphenburg versetzt. Die Statue in Schleissheim ist eine moderne Kopie.
Foto: Rufus46 (2008) in Wikipe
 
SchleissheimGarten13
Die 1721–1723 von Giuseppe Volpini geschaffene Athena (griechisch) kann auch als Minerva (römisch) bezeichnet werden. Auch sie wird später nach Nymphenburg versetzt. Dort ist sie die Minerva, ihre moderne Kopie in Schleissheim die Pallas Athena.
Foto: (2006) Rufus46 in Wikipedia.
 
SchleissheimGarten15
Blick in einen der quadratischen, ehemals Kabinett oder Salon genannten Innenräume im westlichen Boskett. Sie sind seit der ersten Bauphase unter Zuccalli und Carbonnet vorhanden. Nachdem Zweiten Weltkrieg in ihren Umrissen wieder rekonstruiert. Die heutige Nüchternheit verdanken sie der fehlenden, weil zu pflegaufwändigen Geschlossenheit der «Innenräume», auch den nicht mehr vorhandenen Einrichtungen dieser grünen Rückzugsräume für die Hofgesellschaft.
Foto: (2006) Rufus46 in Wikipedia.
 
SchleissheimGarten16
Ein runder «Salon» im Boskett. Die im Barock noch gestaltete Mittelfläche ist heute Rasen. Trotzdem können die Bosketts von Schleissheim eine Vorstellung von den Rückzugsräumen der höfischen Festkultur des Barocks geben.
Foto: (2006) Rufus46 in Wikipedia.
 
   
Die Miniatur von Maximilian de Geer, entstanden um 1723,  zeigt eine ideale Vogelschauansicht von Westen. Im Vordergrund ist das Alte Schloss in einer idealen barocken Überformung dargestellt, auch die beiden Verbindungsgalerien zum Neuen Schloss mit den seitlichen Gärten dürften allenfalls dem damaligen Planungsstand entsprechen. Korrekt ist das Neue Schloss und der dahinterliegende Barockgarten mit Lustheim dargestellt, sieht man von den nicht gebauten Giebelbetonungen der Abschlussrisalite ab.
Foto Bieri 2016 ab Grafik in Ausstellung. Originalminiatur  in der Residenz München.