Die wichtigsten Meister des Bauwerks
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Franz Beer II (1660–1726) Au Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1705   1717
Franz Schmuzer (1676–1741) Wessobrunn ok   Stuckateur 1708   1717
Francesco Antonio Giorgioli (1655–1725) Meride Tessin ok   Maler, Freskant 1708   1709
Franz Xaver Wiederkehr( 1660–1760) Mellingen Aargau     Altarbauer, Bildhauer 1707   1709
Urs Füeg (1671–1750) Mümliswil Solothurn     Bildhauer 1707   1710
Joseph Anton Tschupp oder Schupp (1664–1729) Villingen     Bildhauer 1709   1710
Franz Carl Stauder (1660/64–1714) Konstanz ok   Maler 1709   1711
Johann Joseph Auer (1666–1739) Sipplingen     Altarbauer, Bildhauer 1711   1732
Johann Christoph Leu II (1675–1749) Augsburg     Orgelbauer 1711   1715
Judas Thaddäus Sichelbein (1684–1758) Wangen im Allgäu     Fassmaler, Altarbauer 1720   1728
Michael Schnell (1677–1736) Wessobrunn     Stuckateur 1721   1723
Pontian Gigl (1681–1742) Wessobrunn     Stuckateur 1723   1723
Jacob Carl Stauder (1694–1756) Oberwil Baselland ok   Maler 1723   1729
Johann Georg Bergmüller (1688–1762) Türkheim     Maler 1728   1728
Jacopo Appiani (1687−1742) Porto Ceresio Italien ok   Stuckateur 1728   1729
Sebastian Zureich (1696–1769) Altenburg bei Rheinau     Bildhauer, Stuckateur 1735   1753
Johann Michael Beer II von Bleichten (1700–1767) Bezau Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1740   1744
Franz Ludwig Hermann (1732–1791) Ettal ok   Maler 1750   1753
Johann Michael Beer I von Bildstein (1696–1780) Au Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1752   1753

Rheinau

Ehemalige Benediktinerabtei und Kirche Mariä Himmelfahrt

Gründung und Spätmittelalter
Das Benediktinerkloster auf der Rheininsel ist eine karolingische Gründung und wird 844 erstmals erwähnt. Die Abtei gibt 1455 die Reichsfreiheit auf, um sich unter den Schutz der Eidgenossen zu begeben. Damit kann sie sich aus der Vereinnahmung durch das habsburgische Vorderösterreich entziehen. Die Zürcher Reformation bringt 1529–1531 Turbulenzen. In der anschliessenden Gegenreformation blüht das Kloster, nun unter dem Schutz der katholischen Orte, wieder auf. Eine rege Bautätigkeit setzt ein. Die romanische Basilika, das «Münster» von 1114, wird zur gotischen Hallenkirche umgebaut. Ein neuer Mittelturm in der Westfront, unter Einbezug des romanischen Mittelportals, entsteht 1572–1578 unter Abt Werlin von Greiffenberg.

17. Jahrhundert
1602 schliesst sich Rheinau der Schweizerischen Benediktinerkongregation an. Abt Gerold I. Zurlauben beginnt 1604 mit dem Bau der «Neuen Abtei» (südlich an die Kirche anschliessend) und Abt Eberhard III. von Bernhausen baut 1628–1632 die neuen Konventflügel an der südlichen Rheinfront. Als Planer wird der Jesuitenpater Jakob Kurrer (1585–1647) genannt. 1656 verwüsten zürcherische Truppen erneut das Kloster, das sich rasch erholt, aber bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ein Konglomerat von Bauten aus verschiedenen Jahrhunderten bleibt.

18. Jahrhundert
Abt Gerold II. Zurlauben, ein Bruder des Fürstabtes von Muri, beginnt Anfang des 18. Jahrhunderts zielstrebig mit dem Gesamtneubau des Klosters. Er plant den Neubau vermutlich seit seinem Amtsantritt im Jahre 1697. Erste Pläne liefert auch hier Br. Caspar Moosbrugger aus Einsiedeln.
1704 verdingt er Franz Beer II für den Neubau der Kirche, dessen Parlier und späterer Schwiegersohn Peter Thumb zeichnet die Pläne. Ein Zusatzvertrag von 1705 verpflichtet Beer, eine Doppelturmfassade zu erstellen und den bestehenden Kirchturm von 1578 zu integrieren. Der neue Turm solle «dem schon stehenden Thurn gleich sein», das heisst, der neue Nordturm wird als identische Kopie des südlichen Renaissanceturmes gebaut. Im Südturm ist das romanische Portal der Vorgängerkirche erhalten.
Mit dem Abbruch der romanischen Klosterkirche wir am 3. Juni 1705 begonnen, nicht ohne vorher detaillierte Grundrissaufnahmen des alten Bauwerkes zu erstellen. Die Grundsteinlegung ist am 22. Juli 1705. Die Kirche wird am 5. Oktober 1710 vom Konstanzer Bischof geweiht. Der Nordkirchturm ist 1711 fertig gestellt, an der Ausstattung wird noch bis 1731 gearbeitet.
Nach der Einweihung der Kirche baut Franz Beer II 1711–1717 den neuen östliche Konventbau mit Bibliothek und Sakristei. Nach Beers Tod 1726 wird kurzzeitig der inzwischen berühmte Peter Thumb für den Umbau des südlichen Klosterflügels gerufen. Thumb, der 1707 von der Baustelle Rheinau weggezogen ist, um in Lachen sein erstes selbständiges Kirchenbauwerk zu errichten, tritt aber im gleichen Jahr zugunsten seines Schwagers Johann Michael Beer II (von Bleichten) zurück. Dieser ist bis 1744 für Rheinau tätig. 1752–1753 erbaut Johann Michael Beer I (von Bildstein) eine neue Felix- und Regulakirche am flussaufwärts gelegenen Ende der Klosterinsel. Sie ist (nicht wegen Baufälligkeit!) nach 1862 vom Kanton Zürich abgebrochen worden.

Exkurs zur Meisterfrage
Verwechslungen?

Die Vorarlberger Baumeister im 17. Jahrhundert mit dem Namen Beer sind in Au geboren und Mitglieder der dortigen Zunft, die von Michael Beer um 1650 gegründet wird. 1660 tauft dieser Michael Beer einen Sohn auf den Namen Franz. Ein Jahr vorher, 1659, hat ein anderer Michael aus der zweiten Auer Beer-Sippe dem dritten Sohn den Namen Franz gegeben. Nicht gerade originell, aber die beiden Franz Beer scheinen damals damit kein Problem zu haben.
Die Kunsthistoriker unserer Zeit haben da schon mehr Mühe. Den beiden Franz wird deshalb eine Nummer zugeteilt: Franz Beer I (1659–1722) ist ein Baumeister, dem nur wenige Werke auf Grund von Verträgen oder gar Plänen sicher zugesprochen werden. Er muss aber mehr gebaut haben, eine Chronik der Zeit spricht von 32 Klöstern. Das wäre genau ein Kloster pro Jahr seiner selbständigen Tätigkeit. Der stolze Bauherr, der diese Zahl nennt, zählt da vermutlich alle Bauten im Auftrag von Klöstern.
Franz Beer II (1660–1726) baut zur gleichen Zeit wegweisende Klosterkirchen, viele in Zusammenarbeit mit seinem Palier, Zeichner und Schwiegersohn Peter Thumb. Er ist gesuchter Baumeister der Äbte im Bistum Konstanz. Er wird 1722 vom Kaiser geadelt und kann sich «von Bleichten» nennen. Beide Baumeister nennen dann ihre Söhne wieder gleich: die Söhne Johann Michael Beer I und II werden die grossen Vorarlberger Baumeister des Spätbarocks.
Verwechslungen der beiden Baumeister haben bei Kunsthistorikern unserer Zeit sicher stattgefunden. Dem berühmten Franz Beer II von Bleichten werden vermutlich auch Bauwerke zugeschrieben, die von seinem weniger bekannten und gleichaltrigen Franz Beer I stammen. Und sicher sind einige Bauwerke sogar gemeinsam entstanden.

Rheinau als Werk von Franz Beer II (von Bleichten)
Den Bauriss zeichnet 1704 Peter Thumb. Er arbeitet als Zeichner auch später ausschliesslich für seinen Schwiegervater Franz Beer II, der das Risszeichnen nicht liebt. Er ist sein Palier in Rheinau und heiratet 1707, während der Bauzeit, seine Tochter. Er wird als bekannter und selbständiger Baumeister noch in 1711 in St. Urban und 1716 in Kaisheim für den Schwiegervater arbeiten. 1726, nach dem Tod von Franz II Beer, wird Peter Thumb als sein Nachfolger nach Rheinau bestellt. Er übergibt in der Folge die Aufträge an den Sohn von Franz Beer II, Johann Michael Beer von Bleichten. Am 19. September 1714 schreibt Franz Beer II von Rheinau aus, wo er am Konventbau arbeitet, dem Abt von St. Urban, dass er die Abrechnung der Kirche direkt mit dem dortigen Palier Peter Thumb vornehmen solle, er komme dann wegen der Planung der Konventgebäude im künftigen Winter nach St. Urban. Die Stiftskirche St. Urban, die hier mit Schwiegersohn Peter Thumb abgerechnet werden soll, ist 1711 an Franz Beer, «Bürger von Konstanz» verdingt worden, also wohl nicht an Franz Beer I. Rheinau ist ein Werk von Franz Beer II, dem Bürger von Konstanz seit 1706.
Hermann Fietz schreibt 1932:
«Die Klosterkirche von Rheinau ist neben den Kirchen von St. Urban und Weissenau das bedeutendste Werk des Franz Beer II, sie bildet ein ganz besonders interessantes Bindeglied zwischen der Klosterkirche von Irsee, dem ersten grösseren Bau des Meisters und der vollendeten Schöpfung von St. Urban.»
Dabei bleibt es, auch nach den «neuen Forschungen» der Herlinde Löhr aus Lindau.[1]

Der Kirchenraum und seine Ausstattung
Als Franz Beer II in Rheinau baut, stehen in Süddeutschland bereits vier Bauten, die dem Vorarlberger Wandpfeiler-Typus entsprechen: Schönenberg bei Ellwangen (begonnen 1682), Obermarchtal (begonnen 1686), Hofen bei Friedrichshafen (begonnen 1695) und Irsee (begonnen 1699). Bei allen Bauten ist Franz Beer II beteiligt, Irsee ist sein eigenes und letztes Werk vor Rheinau. Der Innenraum von Rheinau ist gegenüber den erwähnten Kirchen fortschrittlicher: Die Wandpfeiler sind freigestellt, nicht mit der Aussenwand verbunden, sie bilden eine durchgehende Lichtrahmenschicht, die Emporen weichen zurück, weit ausladende Gebälkfragmente zeigen die Auflösung der Wandlamellen voraus. Die reifen Leistungen von St. Urban und Weissenau künden sich im Innenraum von Rheinau an.
Eine reiche Altarausstattung, kulissenartig an die Wandpfeiler gestellt und in das Langhaus ausgreifend, verdecken zwar teilweise den tektonischen Aufbau, geleiten aber den Blick zum krönenden Abschluss, dem Hochaltar. Dieses Meisterwerk von Judas Thaddäus Sichelbein 1720–1723 füllt den ganzen Raum des letzten Chortravées. Er zeichnet einen eigentlichen heiligen Bezirk aus. Dieser wird überdacht von einer riesigen goldenen Krone von fünf Metern Durchmesser als Symbol königlicher Würde, Attribut der Kirchenpatronin und nicht zuletzt auch als Zeichen der äbtlichen Macht. Die Polychromie des Altars beruht auf einer Vielzahl verschiedener Fasstechniken wie Marmorierungen (roter, gelber, grüner Marmor), Metallauflagen (Gold, Silber, Kupfer) und blauem Marmorlüster.[2] Das Hochaltarbild der Himmelfahrt Maria stammt vom Konstanzer Maler Jacob Carl Stauder, der auch Altarblätter im ersten Langhausjoch geschaffen hat. Weitere Altarblätter sind von Franz Carl Stauder (Seitenaltäre und drittes Langhausjoch), von Johann Georg Bergmüller aus Augsburg (Querhaus) und von Franz Ludwig Hermann aus Kempten (Altäre im zweiten Langhausjoch).
Die nicht gefassten, weissen Stuckaturen sind vom Wessobrunner Franz Schmuzer. Es ist sein erster grosser Auftrag. Der Verding[3] datiert vom 29. Oktober 1707. Schmuzers Trupp erstellt die Stuckaturen bis zum November 1709.
Francesco Antonio Giorgioli aus Meride, der nach seinem ersten Hauptwerk in Pfäfers zum gesuchten Freskanten in der Schweizerischen Benediktinerkongregation geworden ist, wird am 18. Oktober 1707 für die Ausführung der Deckenfresken beauftragt. Jedes der 24 Gemälde wird gemäss dem Ikonographie-Programm des Bauherrn detailliert vereinbart. Giorgioli beendet die Arbeit 1709. Die Rheinauer Fresken sind, im Gegensatz zu den anderen Werken Giorgiolis, unverändert erhalten geblieben und nie übermalt worden.

Die Epitaphien
Die noch vorhandenen, unübersehbaren Epitaphien in der Rheinauer Klosterkirche beziehen sich mit einer Ausnahme auf hier beerdigte Äbte. Die Ausnahme betrifft das Epitaph des Hartmann von Habsburg an der Südwand des vierten Joches, 1717 von Franz Schmuzer geschaffen. Im – nur mit Führung zugänglichen – Querschiff sind die reichen Stuckepitaphien der Äbte Gerold I. und Bonaventura I. (1710, Franz Schmuzer), das Epitaph für den Abt Placidus von Muri (1723, Pontian Gigl und Michael Schnell), sowie die Epitaphien des Bauabtes Gerold II. und seiner Nachfolger (1735–1755, Br. Sebastian Zureich) zu finden. Die Epitaphien im Längsschiff betreffen von 1775 bis 1831 gestorbene Äbte, besonders reich ist dasjenige des Abtes Januarius I. gestaltet.

Chorgitter, Chorgestühl, Kanzel und Orgelwerke
Das Chorgitter trennt das vierjochige Laienschiff vom Konventchor, der in Rheinau bereits beim Querschiff beginnt. Das reiche schmiedeeiserne Gitter von 1731–1732 stammt aus der Werkstatt der Konstanzer Hans Jörg Allweiler und Franz Scheuermann. Es ist vermutlich nie farbig gefasst worden.
Das Chorgestühl von 1707–1710 ist ein Werk mehrerer Meister, darunter auch Urs Füeg aus Solothurn, der Schöpfer des Gestühls von St. Urban.
Die Rokokokanzel erstellt Johannes Reindl aus Konstanz 1756.
Die kleine Chororgel wird als Gegenstück zum Fintansgrab 1709–1710 vom Orgelbauer Johann Christoph Albrecht aus Waldshut gebaut. Das reich geschnitzte Gehäuse aus Nussbaumholz ist ein Werk des Lilienwirtes und Bildschnitzers von Villingen, Anton Joseph Tschupp.
Die Hauptorgel und das Rückpositiv mit insgesamt 36 klingenden Registern wird am 16. Juni 1711 an den Orgelbauer Johann Christoph Leu aus Augsburg (1675–1749) für 6500 Gulden verdingt. In einem Zusatzvertrag werden ihm für weitere 400 Gulden auch alle Holzbildhauerarbeiten übertragen. Die Orgel und das Schnitzwerk werden in Memmingen, am damaligen Wohnort von Leu, bis 1713 hergestellt. Die Aufbauarbeiten und die Intonation dauern bis 1715. Der Orgelbauer liefert Instrument, Gehäuse und Schnitzwerk, die Fassungen besorgen spezialisierte Fassmaler: Der Altarbauer Judas Thaddäus Sichelbein fasst das Rückpositiv, Bartholomäus Örtlin aus Wangen das Hauptwerk.

Baubetrieb und Baukosten[4]
Am Bau der Klosterkirche von Rheinau arbeiten zwischen 1705 bis 1732 über 70 namentlich genannte Handwerker und Unternehmer mit ihren Palieren, Gesellen und Lehrlingen. In vielen Fällen ist ein Verding mit genauer Spezifikation des Auftrags vorhanden. Im Auftrag des Klosters arbeiten zudem Taglöhner, die das vom Kloster zur Verfügung gestellte und angelieferte Material vorbereiten. In der Regel wird vom Beginn des Frühjahres bis Ende Oktober gearbeitet. Mit Ausnahme der Feiertage wird an sechs Wochentagen von Sonnenaufgang bis Abends um Sieben gearbeitet. Die Arbeit wird dreimal im Tag für eine Essenspause unterbrochen. Die Verpflegung übernimmt das Kloster. Der Verdienst eines Gesellen im Bautrupp Beer beträgt 36 Batzen[5] die Woche. Ein Stuckateur-Palier kann bis zu vier Gulden die Woche verdienen. Holzbildhauer Füeg und Altarbauer und Fassmaler Sichelbein erreichen den Lohn der Maurer.
Die Gesamtbaukosten von Kirche und Nordturm von 1705 bis 1733 betragen 83 792 Gulden. Sie sind wie folgt gegliedert:

Baukosten nach Bauteilen   Baukosten nach Leistung
Rohbau 28 518   Materialkosten 20 151
Ausbau 7 271   Fuhrleistungen 7 211
Ausstattung 31 978   Verpflegungskosten 9 603
Äusseres und Nordturm 16 025   Arbeitsleistungen Akkord 41 115
Total Reichsgulden 83 792   Arbeitsleistungen Taglohn 4 404
      Eigene Arbeiten 647
      Kirchweihe 661
      Total Reichsgulden 83 792

Die Arbeitsleistungen betragen also wie heute rund die Hälfte der Kosten. Interessant sind die beiden grossen Hauptposten der Akkordarbeiten: Der Baumeister mit 9700 Gulden und die Hauptorgel mit 9000 Gulden. Damit erahnt man, welchen Wert einer Orgel im Barock beigemessen wird. Für den Wert des Guldens im Verhältnis zum heutigen Euro muss ein Faktor von 1 zu 200 bis 250 eingesetzt werden.[6] Ein Maurergeselle im Trupp Beer käme dann auf ein heutiges Jahreseinkommen von 20-25 000 Euro, falls er während 40 Wochen Arbeit findet. 
Parallel zum Kirchenbau erstellt das Kloster auch den Konventneubau für 56 466 Gulden. Kirchen- und Klosterneubau sind aber nur ein Teil der Bauaufgaben. Von 1703–1733 bewältigt Rheinau Bauvorhaben in seinem Herrschaftsgebiet von 218 921 Gulden. Die Klöster zu dieser Zeit sind wahre Wirtschaftslokomotiven.
Die Tilgung der Baukosten ist in Rheinau noch während der Bauphase möglich. Abt Gerold II. Zurlauben hinterlässt bei seinem Tod die Klosterfinanzen in besserer Lage, als er diese angetreten hat.

Das 19. Jahrhundert
1799 wird Rheinau von der Französischen Revolution erfasst und aufgehoben. Das Kloster kann zwar schon 1803 wieder hergestellt werden. Napoleon hat es aber dem reformierten Kanton Zürich zugeschlagen, der eine katholische Gemeinschaft auf seinem Territorium nicht dulden wird.
Die Zürcher Regierung verhängt ein Verbot der Novizenaufnahme. Sie enteignet die Besitzungen nicht sofort, weil sie fürchten muss, bei einer Aufhebung die im Grossherzogtum Baden gelegenen Güter zu verlieren. Nach der Regelung dieser Frage mit Baden 1856 versucht Zürich, die badischen Güter zu verkaufen, scheitert nun aber an der erforderlichen Unterschrift der Abtei, die formell noch Eigentümerin ist. In der Zürcher Regierung ist eine liberale knappe Mehrheit noch gegen die Aufhebung. Diese kann erst sechs Jahre später, nach einem Wechsel in der Regierung, erfolgen. Die Aufhebung durch den Grossen Rat am 13. März 1862 ist nur aus den tiefen antikatholischen Gefühlen der damaligen Volksvertreter zu erklären und trägt viel zur Verhärtung im beginnenden Kulturkampf bei.
Pläne, das Kloster niederzureissen und einem Industriekomplex Platz zu machen, werden fallen gelassen. 1864 wird das Kloster zu einer Heil- und Pflegeanstalt für psychisch Kranke umgebaut. Wertvolle Bauten wie die Felix- und Regulakirche werden zerstört. Der Kreuzgang wird abgebrochen. 1867 beziehen 451 «Pfleglinge» mit 9 «Wärtern» und 20 «Wärterinnen» die Gebäude.
Die Klosterkirche wird der katholischen Kirchgemeinde Rheinau zur Nutzung überlassen, der Kanton sorgt im 20. Jahrhundert für den vorbildlichen Unterhalt.

Heute
Im Jahr 2000 wird die Inselklinik geräumt und die Psychiatrie im ausserhalb gelegenen, besser geeigneten Neu-Rheinau zusammengefasst.
Mit dem Wegzug der Psychiatrie stehen die ehemaligen Konventgebäude zurzeit leer. Eine sinnvolle Nutzung wird geprüft.
Die Kirche ist nur von April bis Oktober geöffnet und leider selbst in den Sommermonaten über Mittag geschlossen.

Pius Bieri 2008

 

 

Benutzte Einzeldarstellungen:
Fietz, Hermann: Der Bau der Klosterkirche Rheinau, Zürich 1932. Abrufbar unter:
http://e-collection.library.ethz.ch/
Baudirektion Kt. Zürich (Hrsg.): Kloster Rheinau, Ausstellungskatalog zur 1200-Jahr-Feier seiner Gründung, Zürich 1978.
Gubler, Hans Martin: Klosterkirche Rheinau, Kunstführer GSK, Nr. 663, Basel 1999.
Zürcher Denkmalpflege (Hrsg.): Monographien Denkmalpflege, Klosterkirche Rheinau Band I–III, Zürich 1997/2002.

 

Anmerkungen:

[1] Herlinde Löhr, geb. Moosbrugger (1927–2009) verbreitet in: Die Vorarlberger Barockbaumeister – Neue Forschung, Lindau 2002, die Zuschreibung von Rheinau an ihren Ahnen Franz I Beer. Absurde Stilvergleiche sind ihr einziger Beleg. Ärgerlich und unnötig, dass solche Schriften den Weg (als Link) in die Wikipedia finden.

[2] Die Lüsterung ist eine Metallauflage (hier Silber) mit transparenter Ölfarbe (hier Berlinerblau) übermalt.

[3] Der Verding ist ein Werkvertrag mit Pauschalvereinbarung oder Generalakkord, immer ohne Werkmateriallieferung, für die der Bauherr zuständig ist. In den meisten Fällen ist auch freie Kost und Logis vereinbart. Der Verding kann deshalb nur bedingt mit einem heutigen Werkvertrag gleichgesetzt werden.

[4] Hermann Fietz hat in seinem Werk über die Klosterkirche Rheinau (1932) den Bau nicht nur umfassend beschrieben, sondern ist auch sehr detailliert auf die wesentlichen Faktoren jedes neuen Bauwerkes eingegangen: Die Rolle des Bauherrn, der Wortlaut der Verträge, der Bauablauf und vor allem die Baukosten. Mit löblichen Ausnahmen abgesehen, vernachlässigen die heutigen Kunsthistoriker genau diese Elemente.

[5] 15 Batzen sind ein Gulden oder 60 Kreuzer.

[6] Die gilt nur für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts. Eine Entwertung tritt mit den Versorgungsengpässen und der Hungersnot um 1770 ein.

 

 

 

  Ehemalige Benediktinerabtei Rheinau  
  Rheinau1  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Rheinau Zürich CH

Herrschaft Abtei Rheinau
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Konstanz 1705
Bauherr und Bauträger

ok Abt Gerold II. Zurlauben (reg. 1697–1735)


 
  Die Klosterinsel Rheinau von Nordosten gesehen. Vorne, anschliessend an die Stiftskirche, der östliche Konventbau. Bildquelle: Hansueli Krapf (Wikipedia).   pdf  
   
Rheinau2
Der Innenraum als barockes Theatrum sacrum, dank der Staffelung der Altäre.  
   
RheinauLage
Der Lageplan zeigt das Kloster auf der Rheininsel mit dem Gebäudebestand der Barockzeit und mit den im 18. Jahrhundert abgebrochenen romanischen Bauten (gelb). Für Legende und Vergrösserung anklicken.  
RheinauGoogleEarth
Die Google-Earth-Luftaufnahme 2012 zeigt im Vergleich zum obigen Lageplan nur wenige Veränderungen, wie der Abschluss des Westhofes anstelle der 1862 sofort nach der Klosteraufhebung abgebrochenen Felix-und -Regulakirche (1753, Johann Michael Beer von Bildstein).  
Rheinau4
Die Hauptgebäude des Klosters sind an den südlichen Rheinarm gebaut. Sie stammen mehrheitlich aus dem 17. Jahrhundert. Vorne der Südost-Pavillon des Ostflügels (Franz Beer 1711–1717).
Bild: Christian Kleis in Wikipedia.
 
RheinauGrundriss1705
Eine 1705 erstellte Grundrisskopie des Bauplanes von Franz Beer entspricht in allen Details dem ausgeführten Kirchenbauwerk, das im gleichen Jahr begonnen wird.  
Rheinau5
Die westliche Doppelturmfassade der 1710 eingeweihten Stiftskirche scheint dem 16. Jahrhundert anzugehören. Tatsächlich ist der Südturm (rechts) ein Bauwerk von 1572–1578. Es ist der Mittelturm der Vorgängerkirche, wie dies im Lageplan ersichtlich ist. Franz Beer wird im Vertrag verpflichtet, diesen Turm stehen zu lassen und den Nordturm als Replik zu erstellen. Dies geht so weit, dass auch alle Wasserspeier (in Drachenform) und der Posaunenengel auf dem Turmhelm genau kopiert werden.
Bild: Roland Fischer in Wikipedia.
 
Rheinau6
Der Wandpfeiler-Emporenraum von Rheinau ist ein Bindeglied zwischen der ersten Kirche von Franz Beer in Irsee und seiner vollendeten Schöpfung in St. Urban. Alle Elemente der sogenannten Vorarlberger Schule sind ausgereift enthalten: Die Wandpfeilerhalle mit Längstonne, die freipfeilerrähnliche Kopfausbildung der Wandpfeiler mit weit ausladenden Gesimsen, die (hier erstmals) zurückgesetzten Emporen und die querschiffartige Ausbildung des Vorjoches zum Chorraum.  
Rheinau7
Judas Thaddäus Sichelbein ist Schöpfer dieses imposanten und farbenprächtigen Hochaltars. Das gelüsterte Blau der Säulen, das Rot und Gelbocker der Marmorierung und das Gold der fünf Meter weiten Krone betonen die raumfüllende Altararchitektur voller Bewegung und Spannkraft.  
Rheinau8
Die Deckenfresken (1708–1709) von Francesco Antonio Giorgioli sind ohne spätere Übermalungen erhalten. Ihre Beschränkung auf Bildfelder, die sich wie die Stuckierung von Franz Schmuzer der Architektur unterordnen, ist ein Kennzeichen der Kirchen von Franz Beer.  
Rheinau9
Die grosse Orgel ist ein Werk des Johann Christoph Leu aus Augsburg, der es mit den Schnitzarbeiten des Prospektes 1715 vollendet. Ursprünglich 30 Register, enthält das Werk heute einen 36 Register, davon 13 im Originalzustand und die weiteren rekonstruiert und ergänzt.  
Rheinau1912
Im Mönchschorbereich, vom Langhaus her hinter dem Gitter kaum einsehbar, sind die Bildhauerarbeiten des Chorgestühls, des Fintan-Grabmals und der Chororgel bei Führungen zu sehen. Die Arbeiten (1707–1710) stammen von Urs Füeg, Joseph Anton Tschupp und dem Laienbruder und Leiter der Arbeiten, Heinrich Fech aus Augsburg. Hier, auf einer Foto von 1912, die nördliche oder Evangelienseite mit der Chororgel, deren Form dem gegenüberliegenden Fintansgrab entspricht.
Bildquelle: e-collection.library.ethz.ch/
 
Rheinau11
Am nördlichen Zugang gegenüber der Klosterinsel liegt das Frauengasthaus. Der Nordflügel stammt aus dem 16. und 17. Jahrhundert, der Ostflügel wird 1740–1744 von Johann Michael Beer von Bleichten errichtet.  
Rheinau10
Der Ostflügel des Frauengasthauses mit den Ökonomiegebäuden im Hintergrund, darüber die Bergkirche, welche trotz ihres romanischen Aussehens erst 1579 für die protestantischen Einwohner Rheinaus gebaut wird.