Residenz Rastatt
Rastatt_Stadt Stadtplanung Rastatt Rastatt_Residenz Residenz Rastatt res Residenzgarten und Kapelle Maria Einsiedeln
Home
home
Rastatt und Versailles
Anmerkungen

[1] Im Wikipedia-Beitrag «Buildings inspired by Versailles» werden alle Residenzen Europas, auch die vor oder gleichzeitig mit Versailles gebauten, als von Versailles inspiriert dargestellt.

[2] Die Gartenfront wird von Louis Le Vau und Jules Hardouin-Mansart 1668–1678 erstellt und 1682, im Jahr des Umzugs des Hofes nach Versailles, erstmals in einer Stichserie von Silvestre veröffentlicht. Die Veduten und Plandarstellungen der Anlage dienen Propagandazwecken zur Inszenierung des Sonnenkönigs.

[3] Andrea Palladio veröffentlicht 1570 die Fassade des Palazzo Porta in Vicenza.

[4] Der Palazzo Reale des Domenica Fontana wird 1600 begonnen. Erste Stichveröffentlichungen folgen 1616. Ein Planduplikat wird von Johann Ardüser schon um 1600-1610 angefertigt.

[5] In Wien ist der Palais Caprara, den Rossi um 1690 plant, eines der wenigen noch geschossweise durch Kranzgesimse gegliederten  Gebäude. Das von ihm gleichzeitig geplante und 1691 begonnene Gartenpalais Liechtenstein wird von seinem Konkurrenten Domenico Martinelli ausgeführt. Die Planung Rossis mit der Anlehnung an oberitalienische Villen des Seicento ist dem Fürsten Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein zu klassisch. Martinelli und auch der gleichzeitig in Wien tätige Fischer von Erlach sind beide Schüler von Carlo Fontana in Rom, dem Nachfolger Berninis.

[6] «Es ist ganz roth, wie ein Fleischerhaus, angestrichen» meldet das «Lexikon von Schwaben» 1801 über das Schloss.

[7] Die Dreiflügelanlage ist zu dieser Zeit im Schlossbau bereits Gemeingut. Selbst Versailles ist in der offenen Anlage vor 1678 praktisch eine Wiederholung des Schlosses Richelieu, das der «architecte du roi» Jacques Lemercier ab 1629 baut und das Louis XIV 1650 besucht. Klare dreigeschossige Dreiflügelanlagen in Deutschland sind zum Beispiel das Alte Schloss in Bayreuth (1610-1676), der Schönborner Hof in Aschaffenburg (1673–1681) oder das Schloss Elisabethenburg in Meiningen (1680–1692). Eine vorbildhafte Dreiflügelanlage bauen die Tessiner Francesco Caratti und Tessiner Antonio della Porta 1660–1684 im böhmischen Raudnitz. Dieses nördlich von Prag gelegene Schloss der Fürsten von Lobkowitz, in dem das Markgrafenpaar 1690 Hochzeit feiert, könnte sogar direktes Vorbild der Dreiflügelanlage Rastatts sein.

[8] Gartenplanveröffentlichung 1666 und Stichserie Israël Silvestre 1674.

Das gemeinsame italienische Erbe von Versailles und Rastatt
Versailles soll das Vorbild des Rastatter Schlosses sein.[1] Der 1668 begonnene Umbau des Renaissance-Jagdschlosses von Louis XIV ist 1678 vollendet und wird 1682 als neue Residenz bezogen. Propaganda-Stiche mit Veduten der neuen Schlossanlage folgen im gleichen Jahr.[2] Trotzdem kann ein Einfluss auf die Architektur von Rastatt ausgeschlossen werden. Denn in Versailles haben Le Vau und Hardouin-Mansart bei ihrer Gestaltung auf italienische Vorbilder zurückgegriffen, die Rossi genau so geläufig sind. Das gemeinsame italienische Erbe zeigt sich in den ausgeprägten, geschossbetonenden Kranzgesimsen mit  optisch tragenden Pilastern zwischen den Fensteröffnungen. Wie in Versailles ist auch das Piano Nobile von Rastatt doppelt so hoch wie das darüber liegende Mezzaningeschoss. Die italienischen Wurzeln dieser Architektur beginnen im 16. Jahrhundert mit den Veröffentlichungen Palladios.[3] Wenn für Rastatt und Versailles direkte Vorbilder gesucht werden müssen, dann vielleicht in der Fassadenarchitektur des ab 1600 gebauten Palazzo Reale in Neapel.[4]
versailles1
rastatt1
versailles2
palladio
neapel
rastatt2
versailles3
Versailles. Das 1668–1678 von Louis Le Vau und François Mansart erstellte Corps de Logis. Foto: Wikipedia by author MaitéLab.
Versailles, die südwestliche Eckausbildung nach Andrea Palladio. Foto by wikipedia author Thesupermat.
Rastatt, Corps de Logis (1698–1701). Nordöstliche Eckausbildung. Das Palladio-Schema ist aufgebrochen.
Andrea Palladio, Eckausbildung des Palazzo Porta in Vicenza. Veröffentlichung 1570.
Rastatt, Corps de Logis, Ausschnitt Gartenfassade. Fotoausschnitt aus Wikipedia. Foto Adrian Michael.
Palazzo Reale in Neapel, erbaut von Domenico Fontana ab 1600, vollendet 1620. Hier die Südfront in einer Umzeichnung des Originalplanes, ausgeführt um 1615 durch Johann Ardüser. Der Palast stellt den entscheidenden Schritt von der Typologie der Renaissance zum Fürstenschloss des Absolutismus dar. Die Verwandtschaft mit Rastatt ist ebenso gross wie die Distanz zu Versailles. Originalzeichnung in der Zentralbibliothek Zürich.
Versailles, Vogelschau von Osten, vor dem Umbau des Corps de Logis. Die radialkonzentrischen Strassenachsen sind erst als Naturstrassen vorhanden. Ausschnitt aus einem Gemälde von Pierre Patel um 1668. Bildquelle: Wikipedia.
Versailles1682
Versailles als städtebauliches Vorbild für Rastatt? Zeitgenössische Darstellugen:
Versailles, das Schloss des Königs von seiner Eingangsseite im Osten gesehen. Stich 1682 von Israël Silvestre.
Bildquelle: Wikipedia.
Delagrive
Versailles und die radialkonzentrischen Strassen, die schon 1674 in einer Propaganda-Stichserie enthalten sind, werden erst 1682 mit dem Bau der beiden Marställe im Winkel der drei Zufahrtsstrassen städtebaulich betont. Der Plan Delagrive 1746 (hier ein Ausschnitt) verdeutlicht die Wirkung der französischen Propagandastiche von 1674 und 1682 auf für die städtebauliche Planung von Rastatt.
Die für den süddeutschen Spätbarock wegweisende Architektur eines Borromini oder Guarini, wie sie um 1700 in Wien und Prag Verbreitung findet, spricht weder die Franzosen noch Rossi an.[5] Die von Rossi in Rastatt verwirklichte klassische Fassadengliederung mit ihren ausgewogenen Proportionen und der spannungsreichen plastischen Gestaltung, mit dem durch ein zusätzliches Geschoss herausgehobenen Mittelrisalit und der einheitlichen warmroten Sandsteinfarbe,[6]  ist trotz ihrer unverleugbar italienischen Herkunft eine singuläre Architekturleistung, eher beinflusst durch Rossis Wiener und Prager Tätigkeit als durch Versailles, das ihm und auch dem Bauherrn zudem nur aus Stichen bekannt ist.
Auch die Dreiflügelanlage mit dem Ehrenhof, wie sie in Versailles schon 1668 gebaut ist, kennt Rossi aus Böhmen, vielleicht auch von veröffentlichten Vorbilder wie Richelieu oder Clagny (siehe «Wege zur Residenz»). Die französische Renaissancearchitektur des Ehrenhofs von Versailles kann kein Vorbild sein, wie auch das Gemälde von Pierre Perell oder der Stich von Israël Silvestre zeigt.
Kann die Architektur der Dreiflügelanlage[7] nicht von Versailles stammen, ist dies bei der städtebaulichen Planung Rastatts nicht auszuschliessen. Schon früh dokumentieren Stichdarstellungen die drei strahlenförmig vom Versailler Jagdschloss ausgehenden Strassen.[8] Rossi könnte hier das Motiv für die Überlagerung seines Stadtrasters mit den zwei radialkonzentrischen Strassen gefunden haben.