Die Meister des Kirchenumbaus
von bis
1703 1703
1717 1723
1719 1721
1719 1721
1719 1724
1719 1725
1721 1721
1721 1727
1721 1727
1724 1733
1724 1725
1725 1725


Niederaltaich

Benediktinerabtei und Kirche St. Mauritius

 

Die Abtei vom 8. bis zum 17. Jahrhundert

Gründung
Herzog Odilo von Bayern[1] stiftet um 741 in der Nähe seiner Pfalz Osterhofen an der Donau gelegene Güter . Er will hier ein Kloster mit der Benediktinerregel errichten. Der noch vom hl. Pirmin auf der Reichenau eingesetzte Abt Eddo (Etto),[2] der jetzt Bischof von Strassburg ist, sorgt für den Gründungskonvent. Das Gründungsdatum wird in der Klostertradition mit 731 angenommen. Präzisere Annahmen legen es in die Jahre 741 bis 748. Selbst damit ist Niederaltaich noch immer eine der frühesten Klostergründungen im alten Bayern. Zu den Patronen der Neugründung werden der hl. Mauritius und seine Gefährten erkoren. Die Wahl könnte auf damalige enge Verbindungen des Herzogs zum burgundischen Raum, aber auch auf den Einfluss des Strassburger Bischofs hindeuten.[3] Das Gründungsgut, das Herzog Odilo und sein Sohn Tassilo stiften, ist umfangreich. Im näheren Umkreis sind es zehn grössere Orte und viel Landwirtschaftsland südlich der Donau.

Lage
Der Name des Klosters lautet vorerst Altacha oder Altach, später Altaich. Er deutet auf die Lage der Gründung an Altgewässern der Donau hin. Die Altarme der Donau um Niederaltaich sind noch heute in der Topografie ablesbar, trotz der der inzwischen ausgeführten «Projectirten Direct-Linie», wie sie bei Riedl 1806 eingetragen ist. Im Riedl-Plan kann auch die nur 300 Meter vom Kloster entfernte alte Isar-Einmündung abgelesen werden. Das Kloster liegt auf einer leichten Erhöhung und könnte sich zur Zeit der Gründung noch in Insellage befunden haben. Ein damals schon bestehender Übergang an dieser Stelle wird vermutet.[4] Flussaufwärts am linken Ufer ist während fünf Jahrhunderten, bis zur Gründung von Deggendorf, die 766 gegründete Abtei Metten erster Nachbar. Weiter flussaufwärts und ebenfalls am linken Ufer liegt die Abtei Oberalteich. Diese zweite Abtei mit ursprünglichem Namen Obere Altaich ist eine späte Gründung von 1100. Ihr Gründungskonvent kommt aus dem schon bestehenden Altaich, welches sich fortan Niederaltaich nennt und diesen Namen bis in die heutige Zeit behält.[5] Niederaltaich liegt im Bistum Passau, Metten und Oberalteich aber bereits im Bistum Regensburg.

Zur Geschichte der Abtei in ihren ersten acht Jahrhunderten
Niederaltaich ist im Mittelalter eines der wichtigeren und reicheren karolingischen Königsklöster. Die ausgehende Karolingerzeit bedeutet das Ende dieser ersten Blüteperiode. Eine zweite grosse Bedeutung gewinnt die Abtei unter ihrem Abt Godehard im 11. Jahrhundert. Zwar geht die wiedergewonnene Reichsunmittelbarkeit mit dem Übergang der Vogtei an die bayerischen Wittelsbacher im 13. Jahrhundert endgültig verloren, aber noch im 14. Jahrhundert erlebt das Kloster unter fähigen Äbten eine neue spätmittelalterliche Blüte. Die Reformation geht am Kloster nicht spurlos vorbei, wieder verdankt es aber im 16. Jahrhundert hervorragenden Äbten eine erneute Festigung. Das 17. Jahrhundert ist ab 1633 von Kriegszerstörungen und Brandkatastrophen geprägt.
Im Anhang ist die interessante Geschichte von Niederaltaich vom Mittelalter bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zusammengefasst.

Mehr zur Klostergeschichte vom 8. bis zum 17. Jahrhundert siehe im Anhang I


Die Abtei im 18. Jahrhundert

Die Umgestaltung von Kloster und Kirche unter Abt Joscio Hamberger

Abt Joscio Hamberger
Ein ausserordentlich tatkräftiger Bauabt leitet in Niederaltaich das 18. Jahrhundert ein. Joscio Hamberger[6] der von 1700–1739 regiert, manövriert das Kloster erfolgreich durch den für Bayern verheerenden Spanischen Erbfolgekrieg, der 1704 nach der Flucht des Kurfürsten in französische Obhut zu einer zehnjährigen Administration durch Österreich führt. Noch während des Krieges, der Besatzung und der kaiserlichen Administration beginnt der Abt mit einer Neuausstattung der Kirche. 1703 lässt er im gotischen Chorabschluss durch den Kunstschreiner Jakob Schöpf aus Stadtamhof[7] den mächtigen Hochaltar und das Chorgestühl errichten. Dann kümmert sich der Abt um den weiteren Ausbau der Klosteranlage. Er berücksichtigt bei den Eingriffen die bestehende Baustruktur und vielleicht auch eine Gesamtplanung nach einem klaren, barocken Konzept, wie es später 1726 Michael Wening im Stich darstellt. Zu dieser Ergänzung der Nordhälfte kommt es aber nie. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts zeigt sich die Anlage in der Art, wie sie Franz Reicher schon im Stich vor 1685 darstellt.[8] Es scheint, dass der Abt für seine Bauvorhaben, zu denen auch die Aufstockung des östlichen Konventflügels zählt, den welschen Baumeister Antonio Rizzi[9] beizieht. Er wird bei einem Neubau von Weinkellern 1715 «architectus noster» genannt. Der Entwurf zum barocken Gesamtplan, bisher Carlo Antonio Carlone (siehe Anhang 1) zugeschrieben, könnte daher auch von Antonio Rizzi stammen.

Der Kirchenumbau von Jakob Pawanger
Abt und Konvent nutzen die Friedenszeit nach 1714. Sie beschliessen 1717 einen umfassenden barocken Umbau der gotischen Klosterkirche. Vorbild ist der Passauer Dom. Der Abt überträgt die Arbeiten jetzt dem Passauer Domkapitel-Baumeister Jakob Pawanger.[10] Die Ausstattung des Langhauses schenkt er vorgängig der Arbeiten, mit Ausnahme der Kanzel, einigen inkorporierten Kirchen des Klosters. Gottesdienst wird im Chor[11] abgehalten. 1718 ist Baubeginn. Noch im gleichen Jahr sind die Gewölbe der neuen Seitenemporen, die neue Befensterung und, anstelle der alten Gewölbe der drei Langhaus-Schiffe, auch die neuen Kuppelgewölbe erstellt. Im Langhaus können deshalb schon 1719 die Stuckateure und Freskanten mit ihren Arbeiten beginnen. Pawanger beweist damit seine Fähigkeiten als Baumeister eindrücklich. Noch 1719 beginnt er den Bau zweier ovaler Kapellen am Langhaus, im Norden die Gotthard- und im Süden die Frauenkapelle. Nach erfolgtem Abbau des Hochaltars geht er im gleichen Jahr an den Umbau des dreijochigen Altarraumes (des unteren Chors). Er bricht zudem den gotischen Chorabschluss zu Gunsten eines halbrunden Neubaus ab, der im Erdgeschoss die Sakristei und darüber einen zum unteren Chor geöffneten Psallierchor umfasst. Unter die Sakristei kommt auch die Konventgruft zu liegen. Bei diesem abschliessenden Neubau versagt der Baumeister. Der Psallierchor weist schnell wegen ungenügender Fundierung grosse Setzungsschäden auf. Trotzdem kann die praktisch fertiggestellte Kirche 1722 eingesegnet werden. Dann entziehen aber Abt und Konvent dem unglücklichen Baumeister Ende 1723 das Vertrauen und entlassen ihn als Klosterbaumeister.[12]
Der Abt zieht jetzt den noch unbekannten Baumeister Johann Michael Fischer bei,[13] der ihm Abbruch und Neubau der schlecht fundierten Chor-Erweiterung vorschlägt und diese 1724 und 1725 auch durchführt. Fischer vollendet zudem die Gotthard- und die Frauenkapelle am Langhaus.

Die Arbeiten im Kircheninnern 1719–1726
Parallel zu den Rohbauarbeiten im Chor können 1719 die Stuckateure und Freskanten in den Langhausgewölben mit ihrer Arbeit beginnen. Als Stuckateur verpflichtet Abt Joscio den aus der Valle d’Intelvi stammenden Giovanni Battista d’Allio,[14] der in Niederaltaich mit seinem Bruder Sebastiano Domenico[15] zusammenarbeitet. Die Empfehlung dürfte von Baumeister Pawanger stammen, der vorgängig mit den d’Allio in St. Nikola zu Passau gearbeitet hat. Sie arbeiten bis 1721 im Kirchenraum. Als einheimischer Stuckateur arbeitet im Werktrupp d’Allio auch Franz Ignaz Holzinger, der 1724/25 für den Chorneubau und die beiden Kapellen selbständig tätig wird.[16] Die Fresken in den Gewölben des Langhauses erstellt der Maler Wolfgang Andreas Heindl[17] von 1719 bis 1722, dann ist er nochmals 1725 im Psallierchor und in den beiden Seitenkapellen tätig. Er hat nun in der Kirche, den Kapellen und im Chor 232 Freskenfelder gemalt. Zusätzlich ist er auch in den Klostergebäuden tätig, wovon noch heute die 1721 erfolgte Ausmalung des ehemaligen Priorats im Ostflügel zeugt.
Am 19. September 1722 ist der Kirchenraum mit Langhaus und unterem Chor soweit fertiggestellt und ausgestattet, dass die Einsegnung und der erste Gottesdienst erfolgen können. Die Hauptaufmerksamkeit dieses Jahres gilt deshalb dem unteren Chor. Schon Ende 1721 stellt Pietro Francesco Giorgioli[18] die Kommunionbank aus Weltenburger Marmor auf. Der Hochaltar wird im April 1722 von Klosterbruder Pirmin Tobiaschu[19] aufgerichtet, der im gleichen Jahr mit seiner Werkstatt die meisten Kunstschreiner- und Bildschnitzerarbeiten in der Kirche ausführt. Er fertigt zudem die Altarpaare von Florian- und Antoniusaltar und  diejenigen der Liebfrauen- und Gotthardkapellen. Er ist auch am Bau der restlichen Altäre beteiligt, die unter der Leitung des Passauer Bildhauers Joseph Matthias Götz[20] geschaffen werden.
Im September 1724 beginnt der Orgelbauer Kaspar König[21] mit dem Einbau der grossen Westorgel von 27 Registern in das Gehäuse der Werkstatt Tobiaschu. Die Fassung fertigt hier im Sommer 1725 der Maler Joseph Rauscher.[22]
1726 folgt der Aufbau der sechs Altäre in den beiden Seitenkapellen und die Wiedereinrichtung des Chorgestühls im Psallierchor durch die Werkstatt Tobiaschu.

Jubiläum 1731 und Westfront
Nach der Fertigstellung des Psallierchor und der Seitenkapellen durch Johann Michael Fischer, und nach deren Stuckierung, Freskierung und Ausstattung kann die Kirche im September 1727 mit beiden Kapellen und 15 Altären eingeweiht werden.
1731 feiert Niederaltaich das 1000-Jahr-Jubiläum, das von Abt Joscio im Rangstreit mit Tegernsee bewusst um zehn Jahre vorgezogen wird.[23]
Mit diesem vorgezogenen Jubiläum steht die Fertigstellung der Kirchen-Westfront durch Abt Joscio in Verbindung. Ab 1730 führt er den noch fehlenden Nordturm hoch. 1731 lässt er eine grosse Jubiläumsglocke von fünf Tonnen Gewicht giessen.[24] 1734–1735 wird die Kuppel gedeckt, wobei nur schon für das Kupfermaterial (3 Tonnen) 2756 Gulden bezahlt werden.[25] Gleich nach der Fertigstellung des Nordturms beschliesst Abt Joscio zusätzlich den Neubau der erst 37-jährigen oberen Geschosse des Südturms. Hier schiebt er seinem Wunsch nach Symmetrie eine schlechte Mörtelverbindung vor. 1737 ist auch dieser Turm, nun mit identischer Kuppel, fertiggestellt. Johann Michael Fischer soll Planer und Baumeister dieser beiden Türme sein. Aufzeichnungen dazu fehlen aber, ebenso wie über den ausführenden Maurer- und Zimmermeister.
Mit diesen Turmbauten beschliesst Abt Joscio sein Lebenswerk als Bauherr der Kloster- und Kirchenerneuerung von Niederaltaich. Er stirbt im Alter von 72 Jahren am 4. November 1739. Während seiner Regierung hat sich der Konvent von 43 auf 63 Mitglieder vergrössert. Trotz der hohen Bauausgaben für die Neu- und Umbauten (in Niederaltaich, in den Propsteien Rinchnach und St. Oswald,[26] aber auch für die 16 inkorporierten Kirchen der Herrschaft) hinterlässt er einen geordneten Haushalt.[27]

Niederaltaich von 1739 bis 1803
1739 wird Marian Pusch[28] zum Abt gewählt. Als Prior von 1719-1733 ist er Verfasser eines noch erhaltenen Tagebuchs über die Bauarbeiten und auch einer detaillierten Kirchenbeschreibung von 1727, welche für die heutigen Architekturhistoriker noch immer wichtigste Quelle ist. Als Abt muss er wieder einen Krieg erleben, in den der Kurfürst das Land erneut hineinzieht. Nun trifft es aber Niederaltaich bedeutend härter als 1704/14. Das Kloster muss enorme Kriegslasten tragen. Mehrfache, wechselnde Einquartierungen und hohe Kontributionen belasten die Klosterwirtschaft und den Haushalt.[29] Nur ein Jahr nach Friedensschluss stirbt der Abt 1746. Trotz der grossen Kriegslasten wachsen die Passiven während seiner Regierung nur um 32 827 Gulden.
Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzt der wirtschaftliche Niedergang der Abtei ein. Keiner der fünf Äbte dieser Periode kann als guter Wirtschafter bezeichnet werden. Der wachsende Schuldenberg führt zum Einsatz kurfürstlicher Administratoren. Auch die Aufklärung drückt durch. Vermehrt nutzen die Neueintretenden die Förderung ihrer Studien durch das Kloster, ohne aber die einengende klösterliche Lebensform zu akzeptieren. Einige Konventualen nehmen nach der Auflösung des Lehrordens der Jesuiten 1773 auswärtige Professorenstellen an und verbringen alle Ordensjahre ausser Haus, wie der Aufklärer und Illuminat P. Joachim Schumacher.[30] Eine Ahnung vom Ende des Klosterlebens bildet die Regierung des selbstherrlichen und der Führung unfähigen Abtes Augustinus Ziegler von 1764–1775. Sie endet mit einem zerstrittenen Konvent und mit einer Überschuldung von mehr als 340 000 Gulden. Hier rächt sich der Umstand, dass Niederaltaich bewusst nie der bayerischen Benediktinerkongregation beigetreten ist und damit keine Visitationen mit den entsprechenden harten Sanierungsmassnahmen zu befürchten hat. Die beiden letzten Äbte können diesen riesigen Schuldenberg nicht mehr abtragen.


Von der Säkularisation bis zur Gegenwart

Die Säkularisation 1803
1803 wird die Klosterherrschaft mit allen Besitzungen und dem gesamten Inventar durch den Kurfürsten entschädigungslos enteignet. Die Verbindlichkeiten betragen noch hohe 212 147 Gulden, ihnen stehen aber Anlagewerte von 1 730 717 Gulden gegenüber. Die Fremdkapitalbelastung entspricht damit 12,25 %, eine aus heutiger Sicht in keiner Weise bedenklichen Belastung.[31] Die Aufhebung trifft Abt Kilian Gubitz und 48 Konventualen, davon 19 auf den Propsteien und angegliederten Pfarreien sowie in Niederösterreich. Sie müssen 1806 das Kloster endgültig verlassen. Die meisten nehmen Pfarrstellen an. Mit der Aufhebung verlieren auch 265 hauptberufliche Arbeitnehmer ihre Beschäftigung im Dienste des Klosters.
Schon 1803 werden alle mobilen Wertsachen, das Klosterarchiv und die Bibliothek von eifrigen kurfürstlichen Beamten entweder nach München gebracht oder entsorgt. Christoph von Aretin, der die Klosterbibliotheken nach wertvollen Büchern durchsucht, nennt die Bibliotheken in Niederaltaich und Aldersbach die beträchtlichsten in ganz Niederbayern.
Mehr zu den Auswirkungen der Säkularisation in Niederalteich siehe im Beitrag von Johannes Molitor 2005

Die ehemaligen Klostergebäude nach 1803
Schon im Ortsblatt der Landesvermessung von 1827 sind die meisten Konventflügel mit dem Kreuzgang, die ehemalige Pfarrkirche St. Magdalena, die Gotthard- und die Liebfrauenkapelle nicht mehr enthalten. Die sonst üblichen Mass- und Raumaufnahmen der Klosteranlage bleibt aus, weil offenbar die Aufhebungskommission Alternativen zum Abbruch nicht in Betracht ziehen will. Die Gebäude dieser ersten Abbruchwelle sind im beiliegenden Lageplan grau hinterlegt. Noch bis ins 20. Jahrhundert setzen sich die Abbrüche fort. Heute sind nur noch die Klosterkirche [1], der zweigeschossige lange Abteiflügel [6], der dreigeschossige östliche Konventflügel [7] und die markanten Ökonomiebauten der Brauerei [10.2] mit dem anschliessenden Traidkasten [10.3] in ihrer Gebäudehülle bestehend. Diese Gebäude sind im beiliegenden Lageplan dunkelblau hinterlegt. In diesem Plan sind die meist im neuester Zeit gebauten und die ursprüngliche Struktur verwischenden modernen Gebäude rot gestrichelt ablesbar.

Die ehemalige Klosterkirche nach 1803

Die Klosterkirche wird 1803 Pfarrkirche und muss seither durch den Staat unterhalten werden. Schon 1813 wird ihre Aussenerscheinung stark verändert. Ein Blitz schlägt in den Nordturm ein. Weil schon 1803 die Jubiläumsglocke und der Glockenstuhl nach Vilshofen geliefert und offenbar auch die Geschossböden entfernt werden, kann der Feuerherd im ausgehöhlten Turm nicht erreicht werden. Die brennende, zweigeschossige Kuppel stürzt auf den Südturm und fällt dann auf den Kirchendachstuhl, der sich ebenfalls entzündet und auch den Chordachreiter zerstört. Wie bei fast allen Dachstuhlbränden bleibt das Gewölbe intakt, wird dann aber sechs Monate ungeschützt der Witterung ausgesetzt.[32] Über die nach der Neuaufrichtung des Dachstuhls sicher notwendige Restaurierung der Deckenfresken ist nirgends eine Nachricht zu finden. Die vorher kupfergedeckten barocken Turmhelme, «doppelt gevierte Apfelkuppeln», werden vom Staat nun als einfache Pyramidendächer mit rot angestrichener Schindeldeckung wiederhergestellt. Keine Gnade kennt der Staat mit den beiden Kapellen, deren Kuppeldachstuhl ebenfalls gebrannt hat. Sie werden 1815 abgebrochen. Weil mit Ausnahme von unzuverlässigen Vogelschauen keine Ansichten des späten 18. Jahrhunderts bekannt sind, kann über die Gestalt und Grösse der Turmhelme und der Kapellen nur gerätselt werden. Anhand der beiden noch erhaltenen grösseren Altäre (vier kleinere sind nicht mehr erhalten) müssen die Kapellen beachtliche Ausmasse besessen haben. Auch die wahrscheinliche Lage der Gotthardkapelle mit einem direkten Eingang aus dem Kirchenraum würde einen durchgehenden Kreuzgang-Südflügel verunmöglichen. Ist dieser vielleicht Anfang des 18. Jahrhunderts schon abgebrochen?
Das Kircheninnere, vor allem die Ausstattung, bleibt selbst im wenig barockfreundlichen 19. Jahrhundert relativ unversehrt. Eine erste grosse Sanierung findet 1904 statt.
Das 1703 gebaute und 1726 umgebaute Chorgestühl des Psallierchors wird im Jahr der Kirchensanierung vom Pfarrer an die wiedererrichtete Abtei Ettal verkauft. Der Psallierchor ist seither ein halbrunder leerer Raum, weil auch die Chor-Orgel nach der Säkularisation als entbehrliche Ausstattung entfernt wird.
Eine letzte umfassende Sanierung erfolgt 1978–1989. Sie prägt das heutige Erscheinungsbild innen und aussen. Die Aussenfassaden zeigen seither eine fragwürdige Freilegung aller gotischen Quaderflächen mit darin schwimmenden weissen barocken Putzflächen. Im Wissen, dass zur Barockzeit nur die Strebepfeiler und Fenster von den weissen Fassaden grau abgesetzt sind, ist diese Massnahme der Denkmalpflege unverständlich.

Wiedererrichtung als Benediktinerabtei im 20. Jahrhundert
1918 wird in Niederaltaich ein Priorat der Abtei Metten eingerichtet. Metten ist eine der frühen, schon 1830 wiederbesiedelten Abteien. Sie kauft in Niederaltaich vorerst den Brauereitrakt und das davorliegende Gasthaus. Nach grossen Anfangsschwierigkeiten, seit 1930 wieder im Status einer Abtei, konsolidiert sich die Gemeinschaft und hat heute 22 Mitglieder. Niederaltaich hat leider 1918 nicht wie Ettal (1898)[33] das Glück, einen grosszügigen Sponsor zu finden, der anschliessend auch fähige Architekten beizieht. Mit dem Engagement der neuen Benediktinergemeinschaft für die Lehrtätigkeit sind nicht nur viele Neubauten im und um das ehemalige Klosterareal zu erklären, auch der vordergründig barock erscheinende neue Querflügel, ein Bau von 1953–1957 [15], ist dem Platzbedarf für das Internat geschuldet. Ungewöhnlich für eine Benediktinerabtei ist heute ihr ökumenisches Interesse für die Ostkirche, das 1986 zur Einrichtung einer Kirche St. Nikolaus im Sudhaus der ehemaligen Brauerei führt. Hier pflegen Mönche des Klosters seither den byzantinischen Ritus.


Die architektonische Gestalt von Kloster und Kirche

Die Klosteranlage

Zeichnungen und Veduten
Niederaltaich ist eine der grossen bayerischen Abteien, bei denen die Baugeschichte der Kirche gut, diejenige der Klosteranlage hingegen kaum erforscht ist. Eine zeitgenössische Bauchronik ist nur für die Kirche greifbar. In der Regel überbrücken aussagekräftige Zeichnungen und Veduten des 18. Jahrhunderts das Desinteresse der Chronisten an Bauvorgängen. Aber auch diese wichtigen Hilfsmittel beschränken sich für die Klosteranlage Niederaltaich auf eine laienhaft gemalte Vogelschauansicht am Ende der Barockzeit. Nachfolgend liste ich die vorhandenen zeichnerischen Darstellungen auf.

  Stengel 1619
Die ersten beiden Klosterdarstellungen sind Ansichten aus Nordwest. In der «Monasteriologia» veröffentlicht Carl Stengel (1581–1663) 1619 einen Stich des Klosters, der «Nidernaltaich» im Zustand des 16. Jahrhunderts mit der üblichen Addition mittelalterlicher Einzelbauten darstellt. Auffallend ist die Hervorhebung des nördlichen Hauptzuganges mit einem markanten Turm von 1542, der in späteren Darstellungen als Uhrturm oder Mathematischer Turm bezeichnet wird und offenbar mit dem Klostertor identisch ist.

Ausschnitt aus «Nidernaltaich» von
Carl Stengel. Bildquelle: Universitäts-
und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt
 
     
  Hollar 1636
Wenzel Hollar (1607–1677) zeichnet das Kloster 1636 aus der gleichen Perspektive, nun aber als Landschaftsdarstellung mit der Donau im Vordergrund. Neun Pferde ziehen zwei Lastschiffe stromaufwärts. Weil Hollar als Begleiter einer Reise nach Wien zeichnet, ist es die einzige Darstellung des Klosters mit sicherer Datierung. Deutlich stellt der geniale Zeichner den von der Brandschatzung 1634 verschonten Konventflügel dar. In der Übertragung n die Radierung ist der Krüppelwalm der Hallenkirche und der südliche Frontturm, im Gegensatz zur Zeichnung im Klosterarchiv, kaum sichtbar. Wäre der Turm aber so hoch gebaut, wie dies Stengel 1619 überliefert, hätte ihn Hollar nicht derart zurückhaltend gezeichnet.

Ausschnitt aus der Zeichnung von
Wenzel Hollar 1635.
Bildquelle: Thomas Fisher Rare
Book Library, Toronto.
 
     

  Meisner 1637
1637 veröffentlicht Paul Fürst in Nürnberg mit den Druckplatten von Daniel Meisner (1585–1625) in der «Sciographia Cosmica» auf Seite 17 auch «Nider Alteich». Der Stich ist eine Übernahme des 1619 veröffentlichten Stiches in der «Monasteriologia» von Carl Stengel und zeigt noch immer den Zustand des 16. Jahrhunderts. Nur der Kirchturm ist bei Meisner noch einmal gewachsen.

Ausschnitt «Nider Alteich» Blatt 17 in
der Sciographia Cosmica
Bildquelle: Bayerische Staatsbibliothek.
 
     
  Reicher 1681
Franz Reicher malt 1681 ein Altarblatt für die Kirche. Sein Stammbaum des Klosters Niederaltaich dürfte in diesen Jahren, sicher aber vor dem Brand von 1685 entstanden sein. Er zeigt den Äbte-Stamm unter dem Schutz der Klosterpatrone und weiterer Heiligen, mit dem regierenden Abt Adalbert an oberster Stelle im Baum. Unten halten, seitlich einer aussagekräftigen Klosterdarstellung, zwei Löwen Kartuschenschilde mit den Inschriften «Utilo, fundator monasterij anno 741» und «Tassilo, benefactor monasterij». Das Kloster ist aus Norden in einer Vogelschau dargestellt. Der Stammbaum spriesst aus dem Kern der Klosteranlage, dem Klosterhof nördlich der Kirche. Der Kirchturm ist noch ohne den beim Brand von 1671 eingebüssten Helm. Alle Klosterflügel sind zweigeschossig. Ihre Anordnung weicht kaum von der letzten Vogelschau am Ende des 18. Jahrhunderts ab. Der Stich ist deshalb absolut glaubwürdig.

Der Stammbaum des Klosters Niederaltaich, mit der Vogelschau unten, zwischen den beiden Kartuschen mit den Titeln «Utilo Fundator Monasterii Anno 741» und «Tassilo Benefactor Monasterii».
Bildquelle: Bayerische Staatsbibliothek Einblattdrucke.
     

  Ertl 1690
Im Stich «Closter Altaich das Niedere», den Anton Wilhelm Ertl im «Chur-Bayrischen Atlantis Zweyter Theil» 1690 veröffentlicht, stellt er das Kloster von Südost gesehen dar. Die Kirche ist recht abenteuerlich dargestellt, der Chor ist als Zentralbau gezeichnet. Der Osttrakt zeigt bereits die beiden flankierenden Zwiebelhelm-Türme, seine Fortsetzung mit einem gotischen Treppengiebel-Bauwerk entspricht aber nicht dem 1681 schon vorhandenen langen Ostflügel. Der Stich Ertl bezieht sich zwar auf eine veraltete Vorlage, ist aber die einzige Ansicht aus Ost. Er könnte auch einer seiner wenigen glaubwürdigen Stiche sein
«Closter Altaich das Niedere» Seite 124
im Chur-Bayrischen Atlantis» 1690.
Quelle: Bayerische Staatsbibliothek.
     
  Wening 1726
Michael Wening (1645–1718) zeichnet und sticht die bekannteste Darstellung des Klosters Niederaltaich nach einer ihm vorgelegten Gesamtplanung, die von Carlo Antonio Carlone oder von Antonio Rizzi stammt. Die postume Veröffentlichung (1726) trägt das Wappen des 1700-1739 regierenden Abtes Joscio. Die Klosteranlage ist in einer Vogelschau aus Nordwest zu sehen. Es ist die einzige Darstellung mit einer Legende. Der Realität der damaligen Zeit entspricht nur die südliche Hälfte. Um Wenings Legende zu benutzen: Es sind die Kirche A, der Kirchenvorhof F, die Pfarrkirche B, der Nordflügel S («Fürsten-Saal») der dreigeschossige Konvent-Ostflügel mit N, O, P, die beiden Konventhöfe Q (ihre zweigeschossigen Flügel aber dreigeschossig gezeichnet) und der lange Abteiflügel H,V,W. Auch der Ökonomiebau mit Hofstall 10, der Traidkasten 11 und selbst das Wasserschloss 12 sind gebaut. Hingegen sind der Nord- und Ostflügel des Ökonomiehofs 3, der verlängerte Bibliotheksflügel M und die West- und Ostflügel um den Abteihof G eine nie verwirklichte Idealplanung.
Ausschnitt aus dem (nie verwirklichten
Idealplan) von Michael Wening, der
erst 1726 veröffentlicht wird.
Bildquelle: Bayerische Staatbibliothek
.
 
     

  Gemälde eines unbekannten Malers (Konventuale?) um 1800
Das Klosterarchiv besitzt eine 56 x 45 cm grosse, farbige Darstellung der Klosteranlage im Zeitpunkt vor der Säkularisation. Das Bild zeigt Niederaltaich in einer Vogelschau aus Westen. Es ist sehr laienhaft gemalt. Trotz vielen Fehlern in der Gebäudedarstellung ist aber sein Informationsgehalt gross. Es ist die bisher einzige aussagekräftige und glaubwürdige Klosterdarstellung im Zustand des späten 18. Jahrhunde rts.
Bildquelle: Klosterarchiv Niederaltaich
     


Bildquelle: Klosterarchiv Niederaltaich
  Zeichnung von Peter Sanftl um 1803
Eine weitere Vogelschau aus Westen liegt als lavierte Federzeichnung von Peter Sanftl (oder Sänftl) im Klosterarchiv. Sie soll Niederaltaich im Zustand des 18. Jahrhunderts darstellen und zeigt das Kloster mit dem Klosterdorf im Vordergrund. Die Vogelschau ist aber, wie auch diejenige in der Monumenta Boica (1771) eine Übernahme des Wening-Stiches. Diese beiden Vogelschauen sind deshalb in Bezug auf das Kloster unglaubwürdig. Trotzdem werden sie noch lange als Grundlage für ausführliche Beschriebe der barocken Anlage benutzt, so bei Scheglmann 1906.
 


Die Klosteranlage am Ende der Barockzeit

Im beigelegten Lageplan ist die Klosteranlage Niederaltaich im Zustand vor der Säkularisation 1803 dargestellt. Abbrüche und Neubauten nach 1803 sind vermerkt. Die Nummern im nachfolgenden Beschrieb beziehen sich auf die Legende im Lageplan. Alle Baudaten aus den Klosterchroniken können sich auch auf reine Umbauten oder Wiederherstellungen beziehen.

Die geometrisch klare Barockanlage mit sechs rektangulären Höfen, wie sie Michael Wening in seinem Stich 1726 veröffentlicht, wird als Idealplanung bezeichnet. Keiner der im Stich neu vorgeschlagenen Flügel wird aber je verwirklicht, denn schon 1690/1700 sind die drei an die Kirche anschliessenden Höfe, und auch der lange, nach Norden vorstechende Abteiflügel gebaute Realität. Die Ergänzungen im Idealplan und auch die durchgehende Dreigeschossigkeit um den Konventhof bleiben Wunschdenken.

Kernanlage
Kern des Klosters bilden die drei zweigeschossigen Flügel um den Kreuzganghof nördlich der Kirche. Damit folgt Niederaltaich einem schon im Mittelalter üblichen Typus der Vierflügelanlage mit der Kirche als vierten Flügel. Sie liegt hier im Süden, was eher selten ist. Offenbar ist das Plateau nördlich der Kirche vor den gefürchteten Überschwemmungen sicherer.

Konventhof
Die barocke Klostererweiterung nach Osten mit den Flügeln um den ebenfalls quadratischen Konventhof beginnt noch vor dem Dreissigjährigen Krieg. Der Ostflügel [7.5] ist anfänglich zweigeschossig, allerdings noch nicht in der späteren Länge. Der Flügel endet im Süden frei und wird noch lange mit zwei Ecktürmen dargestellt. Um 1705/10 folgt die Aufstockung des inzwischen (um 1670?) verlängerten Flügels auf drei Geschosse. Der heute 90 Meter lange Ostflügel ist als einziger des Konventhofes erhalten, aber auch er wird nach 1815 im Norden, gleichzeitig mit dem Abbruch des Bibliothekflügels, um 20 Meter gekürzt. In den gewölbten Räumen des ehemaligen Priorats sind Stuck und Fresken von 1721 erhalten.
Die weiteren Flügel des Konventhofes sind heute abgebrochen. Ihre Raumnutzungen sind mit zwei Ausnahmen nicht überliefert. Im Erdgeschoss des alten Anschlusses an die Klosterkirche hält sich bis 1840 die Wintersakristei [7.2] Das Obergeschoss des schon vor 1827 abgerissenen Nordflügels [7.4] wird von der Bibliothek eingenommen.

Abteiflügel
Der zweigeschossige Westflügel des Kreuzganghofes, vielleicht schon ursprünglich Sitz der Prälatur, wird im 17. Jahrhundert in Etappen auf die Länge von 158 Meter verlängert. Nach 1803 wird der Bau von sieben verschiedenen Käufern durch Umnutzungen verändert oder der Verwahrlosung preisgegeben. Deshalb kann heute über die barocken Raumnutzungen nur wenig ausgesagt werden. Die Verbindung zur Kirche wird schon 1815 unterbrochen. Entweder als Lücke [6.1] oder als veränderter Kopfbau [6.2] ist diese Veränderung heute auf 25 Meter sichtbar. Die Räume der Prälatur sind im Obergeschoss des Südteils bis zum heute abgebrochenen Erkerturm zu suchen. Hier liegt im Erdgeschoss auch die ursprüngliche Klosterpforte. In der Mitte des Abteiflügels führt vom Abteihof ein gewölbter Durchgang in den Ökonomiehof. Nördlich dieser Trennung werden zur Barockzeit die Mühle und die Pfisterei beschrieben. Dass eine weitere Mühle an dieser Stelle kein Verschrieb ist, zeigt noch 1827 die Zuleitung des Mühlbaches im Abteihof und die Erweiterung im Ökonomiehof. Im Obergeschoss ist heute ein den nördlichen Kopfbau einnehmender Rokokosaal wieder restauriert. Noch 1927 wird dieser Saal als Heuboden genutzt.

Kirchhof und Abteihof
Die beiden Höfe sind zur Barockzeit der Kirche und dem Abteiflügel westlich vorgelagert. Heute ist von ihnen keine Spur mehr vorhanden. Sie sind auf barocken Klosterdarstellungen durch einen interessanten manieristischen oder frühbarocken Flügel [5.3] getrennt, der im Stich von Reicher 1681 und auch bei Wening 1726 neun Achsen aufweist. In der Mittelachse erschliesst eine repräsentative zweiläufige Freitreppe das Obergeschoss. Hier liegen beidseitig Säle, die bei Wening Fürstensaal und Fürstenzimmer genannt werden. Das repräsentative und architektonisch interessante Gebäude wird in allen Beiträgen zu Niederaltaich totgeschwiegen.
Abgebrochen wird es zusammen mit der Pfarrkirche St. Magdalena [4] und dem Eingangsflügel zum Kirchhof [5.1].
Anstelle des freigelegten Kirchhofes markiert schon 1827 ein Bürgerhaus [5.2] den ehemaligen Westabschluss.
Den Platz des Abteihofes beanspruchen heute das ökumenische Institut und die Landvolkshochschule.

Ökonomiehof
Den Nordabschluss des Ökonomiehofs (er wird heute Mauritiushof genannt) prägen nicht die geometrisch klaren Flügel des Idealplanes von 1726, sondern unförmige und noch in neuester Zeit stark veränderte ehemalige Ökonomiebauten des Klosters. Ihre Baudaten sind unbekannt, die Gebäude des 18. Jahrhunderts übernehmen aber im Grundriss unregelmässige vorbarocke Bauten, die dann noch bis ins 20. Jahrhundert stark verbreitert und mit riesigen Dachstühlen versehen werden. Der abgeknickte Ostteil [10.3] ist im Kern ursprünglicher. Karl Gröber bezeichnet 1927 den damals noch mit Rundtürmen und Arkadenhalle bestückten Nordostteil als wohl letzter Rest der Klosterbaulichkeiten vor dem Brand von 1671. Der Dachstuhl soll gemäss Dendrochronologie von 1740 stammen.
Im westlichen Gebäudeteil [10.2] ist ursprünglich die Brauerei des Klosters untergebracht. Beide Gebäudeteile werden nach der Säkularisation von Bierbrauern vorerst gepachtet und nach dem späteren Kauf wesentlich verändert. Im Ostteil richten sie den Fassboden und Eiskeller ein. Weil ab 1936 das Kloster eine (1972 wieder geschlossene) Brauerei führt, wird dieser Ostteil heute als Fassboden des Klosters bezeichnet.[34]
Im ehemaligen Brauerei-Sudhaus des Westteils richtet die Abtei 1977–1986 mit grossem Aufwand die Kirche St. Nikolaus ein, die dem byzantinischen Kultus dient. Ikonenmalereien überziehen bereits die neue äussere Eingangsvorhalle, Exonarthex genannt, der offenbar das davorliegende Gasthaus [11] der Barockzeit weichen muss. Es dient noch 1918 als Wohnstätte der ersten Mönche und ihres Priors.
Verschwunden ist auch das grosse Ökonomiegebäude [13], das 1827 noch steht und von Wening als Hofstall und Getreidestadel beschrieben wird.

Die Gärten
Als 1827 die erste Vermessung von Niederaltaich vorgenommen wird, sind die Gärten der Barockzeit längst verschwunden. Der französische Garten im Stich von Wening (1726) hat sicher nie so bestanden, schon gar nicht mit dem «Petit Trianon» in seiner Mitte. Der Konventgarten enthält zwar ein Gartengebäude, wie dieses im Stich von 1681 und dann wieder im Gemälde um 1800 dargestellt ist. Der Plan von 1827 zeigt an dieser Stelle ein Rundbecken als Rest eines viergeteilten Gartens, aber auch ein heute völlig umgebautes Gartengebäude [12] an der nördlichen Gartenmauer.
Ein wirklich französischer Garten besteht rudimentär noch 1827. Es ist der gegenüber des Kirchhofes gelegene «Äussere Hofgarten», der von Wening liebevoll detailliert gestochen wird. Diesem Garten des Prälaten, der von einer Mauer umschlossen ist, ist auch ein Gartenhaus zugehörig, das damals an der Stelle des heutigen Hauses Guntherweg 4 steht. Als «Innerer Hofgarten» gilt der Garten bei der ehemaligen Orangerie [14], dem heutigen Rathaus.

Die Klostermauern
Wie alle Klöster ist auch Niederaltaich bis 1803 allseits von Mauern oder Gebäuden umfasst. Die südliche und östliche Umfassung ist heute zum grossen Teil noch erhalten.

Die Architektur der Kirche

Die Baugeschichte der Klosterkirche ist schon früh auf grosses Interesse gestossen. Als Bauwerk des 13. Jahrhunderts, das im Barock umgeformt wird, sind die Baudaten und Bauabläufe deshalb bekannt. Daran hat vor allem der Prior und spätere Abt Marian Pusch grossen Anteil, der 1719 bis 1733 die Umbauten detailliert beschreibt. 1893 erscheint die erste umfassende Baugeschichte von Karl Muth.[35] Dann folgt 1927 der wichtige Beitrag von Karl Gröber im Rahmen der Kunstdenkmäler-Inventarisation. In der untenstehenden Zusammenfassung wird auch der 2022 erschienene architekturgeschichtliche Beitrag «Die Klosterkirche St. Mauritius zu Niederaltaich» von Ludger Drost berücksichtigt.

Die gotische Kirche
Niederaltaich ist eine in der Barockzeit umgebaute gotische Kirche, die im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts und Anfang des 14. Jahrhunderts in zwei Etappen anstelle einer romanischen Vorgängerkirche[36] neu gebaut wird. Zwischen 1261 und 1271 entsteht ein dreischiffiger und dreijochiger Hallenchor. Sein gerader Abschluss liegt gegenüber der heutigen Sakristeiwand leicht zurückversetzt. Das Langhaus wird ab 1306 gebaut und 1326 geweiht. Wie der Chor ist es sorgfältig in Quadermauerwerk erstellt. Mit 22,4 Meter Innenbreite knüpft das Langhaus an die Masse und auch an die Dreischiffigkeit des Chors an. Die sechs Langhausjoche mit dem Achsmass von 6,2 Meter schliessen mit einem Zwischenjoch von ungefähr 3 Meter an die beiden Türme an. Die unteren Geschosse dieser beiden Türme könnten bei ihrem Neubau 1514–1548 leicht vor die alte Westfassade gesetzt worden sein, was auch die Ausmauerung des breiteren südlichen Zwischenjochs mit Backsteinen erklären würde. Nach dem Bau des Langhauses hat die Kirche neun Joche und eine Innenlänge von ungefähr 64 Meter (heute, mit Psallierchor 74 m). Sie ist eine Freipfeilerhalle, wie sie im 14. Jahrhundert im deutschsprachigen Bereich vermehrt an Stelle des alten Basilika-Typus gebaut wird. Der Chor ist mit Kreuzgewölben versehen, während im Langhaus vorerst auf Gewölbe verzichtet wird. Erst 1570 erhält auch das Langhaus Gewölbe. Der Gewölbeschub wird mit Aussenpfeilern abgefangen.
Die Gebäudehülle dieser gotischen Kirche ist im Wesentlichen noch heute erhalten. Nur der gerade Ostabschluss weicht 1724 dem gerundeten barocken Psallierchor- und Sakristei-Abschluss.
Die gotische Freipfeilerhalle von Niederaltaich reiht sich in die vielen der im 14. und 15. Jahrhundert gebauten Klosterkirchen dieses Typus ein. Zwei ähnliche, aber im Barock nicht umgebaute Klosterkirchen der gleichen Bauperiode, von gleichem Typus und gleicher Grösse, sollen hier in Grundriss und Innenraum vorgestellt werden. Es sind die zweitürmige Benediktiner-Stiftskirche St. Lambrecht[37] und die ehemalige Zisterzienserkirche Neuberg an der Mürz,[38] beide in der Steiermark gelegen.[39]

Die barocke Umgestaltung von Jakob Pawanger

Nur Aussen kann der heutige Besucher ein gotisches Bauwerk erkennen. Tritt er in den barock umgestalteten, festlichen Innenraum ein, würde er ohne Vorwissen kaum vermuten, in einer umgewandelten gotischen Freipfeilerhalle zu stehen. Es ist dies das Verdienst des Abtes Joscio und seines Baumeisters Pawanger, welche den gotischen Innenraum in eine barocke Emporenhalle verwandeln.

Einflüsse
Beide kennen offenbar einige Kirchenbauten der Baumeister und Stuckateure der Carlone im Bistum Passau, wie die Stiftskirchen in Garsten, Schlierbach und St. Florian, sicher aber ihre Werke in Passau.[40] Pawanger arbeitet als Baumeister von St. Nikola in Passau 1717 mit Paolo d’Allio zusammen. Dieser ist Neffe und ehemals Kompagnon von Giovanni Battista Carlone beim Neubau des Passauer Domes. Deutlich ist im Innenraum von Niederaltaich der Einfluss des grossen, um 1700 vollendeten Bauwerks zu spüren – auch wenn der Dom keine Emporenhalle, sondern eine Basilika ist. Ludger Drost (2022) vermutet für den Emporeneinbau als weiteren Einflussfaktor auf Abt Joscio den damals schon 100-jährigen Neubau der Stiftskirche von Oberalteich.

Die barocke Architektur von Langhaus und Chor
Im gotischen Kirchenraum von Niederaltaich ist kein architektonischer Unterschied zwischen Chor und Langhaus spürbar. Neun Joche von gleichem Achsmass und gleichem Querschnitt bilden bis 1718 einen hallenartigen Einheitsraum.[41]
Die Verwandlung zu einer der «besten Barockkirchen im Donaugebiet»[42] durch Jakob Pawanger hat eine deutliche Trennung von Langhaus und Altarraum (dem Unteren Chor) zur Folge. Bereits mit der Gewölbelösung definiert er Langhaus und Chor als unterschiedliche Räume. Für die ersten sechs Joche des Langhauses wendet er im Mittelraum die Lösung des Passauer Doms an. Es ist eine Addition von durch breite Gurtbögen getrennte Hängekuppeln. Den Chorbereich der ersten drei Joche überspannt er mit einem einzigen Muldengewölbe.[43] Im später von Johann Michael Fischer erneut erstellten Psallierchor setzt dieser das Muldengewölbe fort. Beide Muldengewölbe haben ihr Auflager auf Höhe des Langhausgewölbe-Scheitels. Sie schneiden damit über zwei Meter in den Dachstuhl- Zerrbalken ein. Die Höhe des unteren Chors erreicht jetzt 20,8 m. Pawanger ummantelt die gotischen Pfeiler. Er legt im Langhaus das kräftig ausladende Gesims des Freipfeilergebälks an den Gewölbeansatz und setzt diese Höhenlage im Chor fort. Die Trennung des Langhauses zum Chor markiert er mit einem verbreiterten Pfeilerpaar. Die eigentliche Horizontalbetonung, und damit auch die grosse Raumveränderung, geschieht durch den Einbau von Emporen in die Seitenschiffe. Wieder gestaltet Pawanger Langhaus und Chor unterschiedlich. Die Emporenbrüstungen im Langhaus liegen auf der Höhe der Pfeilerkapitelle, die damit entstehenden hohen Seitenschiffräume kommen den Altären zugute. Im Chor ist das Verhältnis umgekehrt. Hier liegen die Emporen tief, ihre hohen Öffnungsarkaden wirken wie herrschaftliche Oratorien. Tatsächlich ist das Mitteljoch des Chors mit Emporen-Oratorien zusätzlich hervorgehoben. Ein Oratorium ist auch am Westende des nördlichen Seitenschiffs eingefügt, das vor 1803 vom Abt direkt aus der Prälatur erreicht werden kann.
Alle Seitenemporen und Seitenschiffe sind mit Hängekuppeln zwischen Gurten gewölbt, die von Pilastervorlagen aufgenommen werden. Die unteren Hängekuppeln sind in der Mitte mit einer grosse Rundöffnung durchbrochen, wie dies erstmals Carlone in Waldsassen und dann Fischer von Erlach in der Salzburger Kollegienkirche anwendet. Dieses «Opaion» öffnet den Raum der Seitenaltäre zur Empore der Oberkirche. Es dient weniger der Belichtung als dem Bildbezug zu den oberen Emporenfresken.


Die Stuckaturen der Brüder d’Allio und von Franz Joseph Holzinger
Trotz seiner Hallenform erinnert die Architektur des Langhauses von Niederaltaich an Wandpfeilerhallen wie die Stiftskirche Garsten oder an Pfeilerbasiliken wie den Dom von Passau. Die rauschende Formenfülle der dortigen hochbarocken Carlone-Stuckaturen ist aber um 1720 längst nicht mehr aktuell. Die architekturbetonende, leichte Régence gewinnt langsam die Oberhand. In Niederaltaich ist der Stuck bereits sehr zurückhaltend. Bandelwerk ist in den breiten Gurtbögen, hier durch Reliefs weiblicher Büsten unterbrochen, auf den Emporenbrüstungen und in Zwickelfeldern zu finden. Im Langhausgewölbe tragen schwebende Putti die Bildrahmen, Putti halten beidseits kräftiger Kartuschen auch die konvex vorspringenden Emporenbrüstungen und die Wappenkartusche am Chorbogen. Den Bildrahmen des Chorfreskos halten Karyatidenengel auf eingerollten Pilastern. An allen Bildmitten führen Kartuschen in die Gurtbogen und die Nebenbilder über. Die Mittelschiff -Gewölbeflächen enthalten Akanthus-Rankenwerk.

Der Psallierchor von Johann Michael Fischer
Für den normalen Kirchenbesucher ist weder die Sakristei noch der darüberliegende Psallierchor zugänglich. Für den Raumeindruck spricht er nicht mit. Aussen könnte der 1724–1726 neu erstellte Halbrundabschluss der Kirche zwar erfasst werden, aber nur aus dem Konventgarten, und auch der ist nicht zugänglich. Im Grundriss sind die Massnahmen Fischers aber gut ablesbar. Auch er vermeidet äussere Strebepfeiler, verstärkt aber das Mauerwerk auf eine Dicke von bis zu 3,5 Meter und kehlt dann aussen in den drei Fensterachsen wandhohe Rundbogennischen aus. Fischer könnte diese Wandlösung auf seiner böhmischen Wanderschaft kennengelernt haben.

Die Gewölbefresken von Wolfgang Andreas Heindl
Zur Lage der Fresken siehe den Grundriss mit dem Beschrieb der Bildthematik
Im Kirchenraum und in den beiden Geschossen des Psallierchors sind über 200 grössere und kleinere Deckenfresken des zu dieser Zeit noch in Kremsmünster wohnhaften Malers erhalten. Der Freskenzykus folgt einem detaillierten Programm von Subprior P. Ambros Ruepp[44] der seinen ausführlichen Bildanweisungen jeweils eine Skizze beifügt. Der Maler Heindl übersetzt die Vorgaben souverän in eine spätbarocke Bildersprache.
Im Mittelschiff des Langhauses erzählen sechs grosse längsovale und längsrechteckige Bilder vom Ruhm der Abtei Niederaltaich. Sie sind jeweils von zwei kleineren Bildern mit Aposteldarstellungen begleitet. Im Chor enthält das drei Joche zusammenfassende Mittelschiffsbild die Aufnahme des hl. Mauritius und seiner Gefährten in den Himmel. Heindl setzt hier die bereits in das Muldengewölbe eingreifende Architektur als Scheinarchitektur nach der Lehre von Andrea Pozzo fort. Auch hier begleiten an den Gewölbewangen je drei Kartuschenbilder das Hauptbild. Sie sind Christus, Maria und den vier Evangelisten gewidmet.
Diese 7 grösseren und 18 kleineren Bilder im Mittelschiff von Langhaus und Chor kann jeder Besucher beim Durchschreiten des Langhauses gut erfassen, weil sie und ihre Beschriftungen für den Betrachtungsstandpunkt vom Eingang Richtung Altar geschaffen sind. Ihre Thematik verläuft aber in umgekehrter Richtung.[45]
Die 12 grösseren, oblongen Kuppelbilder über den Seitenemporen im Langhaus sind thematisch auf die Altäre oder Beichtstühle der Erdgeschoss-Seitenschiffe bezogen, mit denen sie durch das «Opaion» verbunden sind. In diesen unteren 12 Kuppeln umrunden in einem lichten Wolkenhimmel Putti mit den entsprechenden Attributen das mittige «Opaion». Allen Seitenschiff-Kuppelbilder sind jeweils vier Emblembilder in den Pendentifs zugeordnet.
Im Chor enthalten die tiefergelegten Seitenemporen unten sechs Passionsszenen und oben wieder sechs oblonge Bilder, nun mit den Themen der wichtigsten Feste des Weihnachts- und Osterfestkreises, die von je vier Kartuschen mit Benediktinerheiligen begleitet sind.

Ausstattung

Zur Lage der Altäre siehe den Grundrissplan

Hochaltar
Der Hochaltar, vom Straubinger Tischlermeister Jakob Schöpf 1703 ausgeführt, ist aus der Vorgängerkirche übernommen. Weder der Entwerfer noch der Bildhauer des gewaltigen Werkes sind bekannt.[46] Bereits bei seiner Erstaufstellung füllt es den Ostabschluss des damaligen Altarraumes. Das Holzretabel wird 1717 abgebaut und 1721 durch Br. Pirmin Tobiaschu in der heutigen Form wieder aufgestellt. Nun erhält es auch die prägende Marmorfassung des Plattlinger Malers Sebastian Nickl. Dieses 18 Meter hohe Hochaltarretabel mit drei Säulenpaaren auf einem konkav vortretenden, zweigeschossigen Sockel ist mit Ausnahme einer Purifizierung (1865) und eines neuen Tabernakels (1885) erhalten. Seine Architektur, inspiriert durch die Monumentalaltäre der Jesuiten,[47] besteht aber im Gegensatz zu diesen aus einer mittebetonenden Säulenädikula mit gesprengtem Segmentgiebel. Diese Mittelädikula enthält das Altarblatt.[48] Die mittleren und äusseren Säulenpaare sind Beifügungen, das Aussenpaar wird sogar durch Freisäulen mit den Statuen der hll. Bischöfe Thiemo und Gotthard auf dem Säulengebälk gebildet. Zwei überlebensgrosse Statuen der hll. Benedikt und Scholastika stehen in den Interkolumnien auf dem Sockelgeschoss. Dominant ist die Architektur des Obergeschosses, die mit zierlichen Spiralsäulen die Elemente des Hauptgeschosses übernimmt und in der Mitte ädikulaartig das Oberblatt des Münchener Hofmalers Johann Caspar Sing[49] enthält. Darüber, als eigentlicher «Auszug», ist die plastische Gruppe der Dreifaltigkeit angebracht.
Der Hochaltar von Niederaltaich weist in seiner Gestaltung schon weit in den Spätbarock.

Hochaltar:
Masse Altarretabel: H 19 m; B 9,5 m / Altarblatt hl. Mauritius (Franz Joseph Geiger 1675). Oberblatt Engelsturz (Johann Caspar Sing um 1720). Wappen: Stift und Abt Joscio. Veränderungen nach 1803: Purifizierung 1865 und neuer Tabernakel 1885 (Johann Baptist Schrott).


Altäre in den Seitenschiffen
Wie im Dom von Passau sind die Seitenschiffaltäre nach italienischer Art an der Aussenwand platziert. Sechs der acht erhaltenen Altäre stehen zudem seit ihrer Erstellung am gleichen Ort, was wahrscheinlich ihrem klaren Bezug zu den Gewölbefresken zu verdanken ist. Nur die beiden Seitenaltäre des zweiten Jochs stehen heute nicht mehr in Niederaltaich.
Die Retabelarchitektur ist von einheitlichem Charakter, da alle Seitenaltäre zwischen 1722 und 1726 durch die Klosterwerkstätten unter Br. Pirmin Tobiaschu und mit Mitwirkung der Passauer Bildhauerwerkstatt Götz gefertigt und aufgestellt werden.
Es sind einfache, marmorierte Holz-Ädikularetabel, die wegen ihrer Aufstellung an der Aussenwand eine Strahlenglorie als Oberstück tragen. Über der Mensa liegt meist ein «Heiliger Leib» vor der Predella. Nur der Liebfrauenaltar besitzt anstelle des «Heiligen Leibes» einen Tabernakel. Der Liebfrauenaltar und auch der gegenüberliegende Gotthardaltar sind zudem mit zwei Säulenpaaren und reicherer Bildhauerarbeit ausgezeichnet.
Keines der fünf noch erhaltenen barocken Altarblätter ist von überragender Qualität. Nur die Blätter des Benedikts- [S6], des Kunigunde- [S5], des Sebastians- [S2] und des Martinsaltars [N2] sind gute barocke Arbeiten. Ansprechende spätbarocke Gemälde sind auch die heute nicht mehr aufgestellten Abdeckbilder vor den Glasschreinen der «Heiligen Leiber».

Mehr zu den Seitenaltären im Anhang II


Kanzel
Die Kanzel von sechseckiger Grundform wird von einem unbekannten Bildhauer zur Regierungszeit des Abtes Carolus zwischen 1685 und 1700 für die Vorgängerkirche gefertigt. Ihre strenge Form ist noch dem Frühbarock verhaftet. Der Kanzelkorb und die hohe geschlossene Kuppellaterne des Schalldeckels sind mit Spiralsäulen und Rundnischen gegliedert, in denen bewegte Statuen unter vergoldeten Muschelrundungen stehen. Am Korb ist zusätzlich Akanthuslaubwerk angebracht. Auf der Laterne steht der hl. Mauritius mit Marschallstab und Schild. In den Nischen des Korbes stehen Mose, David, Jesaia und Jeremia, in denjenigen der Kuppellaterne sind es die vier Evangelisten mit der Muttergottes. Obwohl die Kanzel nur in der Figuralplastik hochbarocke Formen übernimmt, fügt sie sich dank ihrer Höhenentwicklung und ihrer mehrheitlich in Birnbaumholz belassenen Oberfläche hervorragend in den Kirchenraum mit dem Tobiaschu-Gestühl ein.

Beichtstühle, Kirchengestühl
Die beiden grossen Beichtstühle aus Eichenholz stehen heute an der Stelle zweier nicht mehr vorhandenen Altäre im zweiten Joch. Ursprünglich im ersten Joch stehend, scheint ihre Höhe bewusst den Altar-Retabeln angeglichen. Mit wenigen Schnitzereien versehen, die zudem nicht gefasst sind, wirken sie in ihrem strengen und vielleicht auch purifiziertem Aufbau wie Möbel des 19. Jahrhunderts. Die kleineren Beichtstühle im ersten Joch sind gleich gestaltet.
Kräftiger und entsprechend barocker wirken die Akanthus-Bankwangen und die acht mit vier Feldern versehenen Abschlüsse der Bankreihen, die mit Blattranken- und Blumenschnitzereien versehen sind.

Orgel[50]
Die Orgel ist in ihrer heutigen Gestalt ein Werk des Orgelbauers Kaspar König aus Ingolstadt. Er baut das Instrument 1725 in den von Br. Pirmin Tobiaschu und der Klosterwerkstatt vorbereiteten Prospekt auf der Orgelempore ein. Es ist mit 27 Registern [II/P/27] schon damals gross und wirkt mit den 16-Fuss-Pfeifen in den Seitentürmen zusätzlich mächtig. König entwirft eine ungewöhnliche Prospektanordnung.
Siebenachsig, über hohem Sockel vor- und rückschwellend, nutzt er dafür die volle Mittelschiffsbreite. In die Mitte legt er das dreiachsige, zweigeschossige Haupt- und Oberwerk.
Die beiden Geschosse sind in der angedeuteten Form einer Serliana übereinandergelegt, unten mit glatten Säulen, oben mit zierlich gedrehten und blau gelüsterten Säulen. Darüber fasst ein Sprenggiebel eine Attika mit einem weiteren Pfeifenfeld. Hier dürfte eine Höhe von 12 Meter erreicht worden sein. Beidseits dieser architektonisch betonten Mitte legt der Orgelbauer die hohen Türme der 16-Fuss-Pfeifen und aussen, aus Rücksicht auf die auskragenden Pfeilergebälke, zwei weitere niedere Felder. Auch diese zwei Achsenpaare beidseits der Mitte sind architektonisch mit Säulen und Gebälk betont.
Alle Architekturelemente, die bekrönenden Vasen, aber auch die vergoldeten Akanthus-Schleierbretter können als eigenständige Arbeiten der Tobiaschu-Werkstatt betrachtet werden.

Klosterwappen
Das Kloster- oder Stiftswappen ist seit dem späten Mittelalter in Gold oder auch Silber ein grüner Dreiberg. Es ist nach der Klosterüberlieferung das legendäre Wappen des hl. Mauritius. In der Kirche ist dieses Wappen über dem Chorbogen, über dem Hochaltar und auch beim hl. Mauritius auf der Kanzel angebracht. Dem Stiftswappen ist manchmal das Konventwappen beigegeben, das in Blau einen geharnischten hl. Mauritius mit Lanze und Schild zeigt. Derart ist es auf dem Wenig Stich zu sehen.

Pius Bieri 2024

Literatur
Haiden, P. Placidus OSB: Tausend-Jähriges Jubel-Fest des Closters Niederaltaich, S. Benedicti-Ordens / im Unterland Bayern / Bistum Passau gelegen / Hochfeyerlich begangen im Jahr Christi 1731 / und mit der Genehmhaltung der Obern schriftlich verzeichnet …Regensburg 1732.
Muth, Karl: Die ehemalige Klosterkirche (nunmehrige Pfarrkirche) in Nieder-Altaich. Passau 1893.
https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11563668?q=Niederalteich&page=5
Scheglmann, Alfons Maria: Geschichte der Säkularisation im rechtsrheinischen Bayern. Dritter Band. Erster Teil. Seiten 533–561. Regensburg 1908.
Gröber, Karl: Die Kunstdenkmale von Niederbayern, Bd. XVII, Stadt und Bezirksamt Deggendorf, Seiten 206–245. München 1927.
Rose, Klaus: Die Klosterhofmark Niederaltaich, in: Historischer Atlas von Bayern, Heft 27 «Deggendorf» S. 221–242. München 1971.
Hauck, Johannes Fr. OSB: Benediktinerabtei und Basilika Niederaltaich, Kunstführer Nr. 130, Regensburg 2003.
Weber, Augustinus P. OSB: Benediktinerabtei Niederaltaich. Die Geschichte des Klosters von der Gründung bis zur Gegenwart. Hengersberg 2012.
Deutinger, Stephan und Roman (Hrsg.): Die Abtei Niederaltaich, Geschichte, Kultur und Spiritualität von der Gründung bis zur Säkularisation. Sankt Ottilien 2018.
Drost, Ludger: Die Klosterkirche St. Mauritius zu Niederaltaich, in: Abtei Niederaltaich Benediktinisch – Bayerisch – Byzantinisch. Regensburg 2022.
Die Baudokumentation enthalt hervorragende Fotos aller Fresken und Altäre.
Hauck, Johannes OSB: Kurze Geschichte der Abtei Niederaltaich, in: Abtei Niederaltaich Benediktinisch – Bayerisch – Byzantinisch. Regensburg 2022.

Anmerkungen:

[1] Der Agilolfinger Odilo ist 736/37–748 Herzog der Bajuwaren. Er ist mit Hiltrud, der Tochter des fränkischen Hausmeiers Karl Martell verheiratet, die nach dem Tod ihres Ehegattens zu Odilo flüchtet. Mit den Söhnen und Nachfolgern von Karl Martell, Karlmann und Pippin, gerät Odilo in kriegerische Auseinandersetzungen und muss 744 die fränkische Oberherrschaft über Bayern akzeptieren. Herzog Odilo und der Missionar Bonifatius sind 739 auch Neugründer der bayerischen Bistümer Regensburg, Freising, Passau und Salzburg. Tassilo III., der Sohn aus der Ehe mit Hiltrud, übernimmt nach 748 die Regentschaft.

[2] Eddo (oder Etto, Eto, auch Heddo), aus alemannischem Adel, wird 727 von Pirmin als Abt des Inselklosters Reichenau eingesetzt. Gründungskonvente aus der Reichenau besiedeln 727 Murbach und 731 Pfäfers. Pirmin zieht schon 726 weiter, Abt Eddo wird 731 durch den Konstanzer Bischof mit Hilfe des alamannischen Herzogs Theuedbald von der Reichenau vertrieben. Er ist von 734 bis nach 762 Bischof von Strassburg. Von Strassburg, nicht von der Reichenau aus, fördert er nach 734 mit Eigengut das Kloster Ettenheimmünster. Das Kloster auf der Reichenau wird 736–746 vom Konstanzer Bischof Arnefried regiert. Der Gründungskonvent von Niederaltaich kann deshalb nicht aus der Reichenau stammen. Ettenheimmünster wird neuestens vermutet.

[3] Saint Maurice, als Ort des Martyriums der römischen Thebäerheiligen, liegt im damals fränkischen Teilreich Burgund. Das Mauritius-Patrozinium ist vorher in Bayern nirgends zu finden. Der Historikertopos einer Patroziniums-Herkunft aus der Reichenau ist ebenso falsch wie die Besiedlung Niederalteichs von der Bodenseeinsel. Die nicht unter burgundischem Einfluss stehende Reichenau kennt im 8. Jahrhundert, im Gegensatz etwa zu Luzern oder dem Bistum Strassburg kein solches Patrozinium. Selbst in Konstanz kommt der Mauritiuskult erst im 9. Jahrhundert auf. Hingegen ist bekannt, dass Herzog Odilo um 740/43 in Agaunum (Saint Maurice) Thebäer-Reliquien erwirbt (Berthe Widmer, Basel, «Geschichtsfreund» 1995, S. 22).

[4] Mit der Gründung der Stadt Deggendorf 1250 und dem Bau der dortigen Donaubrücke geht die Bedeutung dieser Fortsetzung des Isartalweges (über das Kastell Moos-Burgstall) verloren.

[5] Die Gemeinde nennt sich seit dem 19. Jahrhundert, abweichend vom Namen des Klosters, Niederalteich. Dies ist der nun amtlich niedergelegte Name. Neben der Klosterkirche Niederaltaich steht deshalb heute des Rathaus Niederalteich.

[6] Joscio Hamberger (1667–1739) aus München. Den Namen Joscio wählt er nach einem 1163 verstorbenen und seliggesprochenen Mönch im Kloster Saint-Bertin. Er ist 1700–1739 Abt in Niederaltaich, 1720 bis 1739 Mitglied des bayerischen Landtags, vorerst als Prälatensteurer, dann als Landsteurer und ab 1731 als Verordneter.

[7] Jakob Schöpf (1665–1715) aus Haiming. Seit 1685 Kunstschreiner und Bildhauer in Stadtamhof (Regensburg), ab 1712 in Straubing. Niederaltaich ist vermutlich sein erstes grösseres Werk.

[8] Mehr dazu siehe im Abschnitt «Die architektonische Gestalt» unten.

[9] Antonio Rizzi (1671–1725) aus San Vittore im Misox. Zu ihm siehe die Biografie in dieser Webseite.

[10] Jakob Pawanger (1680–1743) aus St. Stefan am Walde. Er ist seit 1710 Domkapitel-Baumeister in Passau. Vor dem Auftrag in Niederaltaich ist er mit folgenden Bauwerken betreut: Westfassade und Lambertkapelle am Passauer Dom (1707/10), Pfarrkirche Hofkirchen an der Trattnach (1712/16), Pfarrkirche Kalham (1713/18), Barockisierung der Stiftskirche St. Nikola in Passau (1716), Friedhofkapelle St. Anna in Wegscheid (1716). Anschliessend an den Auftrag Niederaltaich: Georgskirche Schärding 1720/21, Pfarrhof Aicha vorm Wald 1730.
Offenbar ist die Referenz aus Passau (Lambertkapelle, St. Nikola) für den Beizug nach Niederaltaich entscheidend. Pawanger wird lange wegen des Gebäudeschadens am Chor «als keine gute Wahl» (Gröber 1927) hingestellt. In Wirklichkeit ist er um 1710/20 im Donaugebiet einer der besten Baumeister.

[11] Als Chor gilt die Gesamtheit des unteren Chors (die vorderen drei Joche des Altarraums, fertig 1722) und des dahinterliegenden östlichem Rundabschlusses, dem 1725 fertigen Neubau des Psallierchors über der Sakristei.

[12] Das Kapitel bestätigt aber Pawangers bis dahin gute Arbeit und bedauert die glücklose Ausführung des Chorabschlusses. Im Gegensatz zum Stadtmagistrat von Schärding, der ihn nach dem Einsturz eines Wandpfeilers beim Bau der Kirche St. Jakob Ende 1721 sogar verhaften lässt, werden an ihn in Niederaltaich keine finanziellen Forderungen gestellt. In Schärding kommt 1722 der Münchner Hofunterbaumeister Johann Baptist Gunetzrhainer zum Auftrag, der diesen an den jungen Johann Michael Fischer weitergibt. Auch der Auftrag für den Turmneubau in Deggendorf geht nicht an den dafür vorgesehenen Pawanger, sondern an Fischer. Pawanger steht damit ungewollt am Anfang der grossen Karriere des Münchner Baumeisters.

[13] Johann Michael Fischer (1692–1766) aus Burglengenfeld, Baumeister («Maurermeister») in München seit 1723. In Niederaltaich führt sein Bautrupp im April 1724 die Fertigstellung der Liebfrauen- und Gotthard-Kapellen durch und beginnt Ende Juni mit dem Abbruch des Pawanger-Chors. Vom April bis August 1725 erstellt Fischer den Rohbau. 1726 sind die Arbeiten am Chor vollendet. 1730 leitet Fischer auch den Ausbau der beiden Kirchtürme. Mehr zu Johann Michael Fischer siehe in der Biografie in dieser Webseite.

[14] Giovanni Battista d'Allio III, auch Aglio (1690–n. 1754) aus Scaria in der Valle d'Intelvi. Er ist Sohn des Paolo d'Allio und der Domenica Carlone und Bruder des Sebastiano Domenico. Sein Vater Paolo d'Allio arbeitet mit Diego Francesco Carlone zusammen. 1714 heiratet Giovanni Battista (auch Giambattista genannt) Maria Margherita, die Tochter von Giuseppe Tommaso Lurago, dem Neffen des Dombaumeisters (siehe Stammbaum Lurago). Seit 1718 ist Giovanni Battista auch mit dem Hofbaumeister Domenico d'Angeli verschwägert. In Werkstattgemeinschaft mit seinem jüngeren Bruder beherrscht er um 1720/30 die Stuckateurtätigkeit in der Passauer Landschaft fast vollständig. Zu ihm siehe A.I.A Allio, Giovanni Battista d'.

[15] Sebastiano Domenico d'Allio, auch Aglio (1697–1782) aus Scaria Val d'Intelvi. Er arbeitet in Werkstattgemeinschaft mit dem älteren Bruder. Erste Ehe 1732 mit Anna Margherita d'Allio di Diego Francesco. Zweite Ehe 1745 mit Francesca Orsolini. Sechs Kinder, davon vier Stuckateure (Daten: A.E. in: APPACUVI, Repertorio degli artisti 2009).

[16] Franz Ignaz Holzinger (1691–1775) aus Vöcklabruck. Er arbeitet im Umkreis der Carlone und d’Allio als Stuckateur und Marmorierer, so auch 1719/22 in Niederaltaich. Hier übernimmt er nach 1724 die Fertigstellung selbstständig. Seit 1724 ist er in St. Florian wohnhaft. 1722–1724  arbeitet er in der Kirche und der Bibliothek der Abtei Metten.Hier baut er zusätzlich die Seitenaltäre in Stuckmarmor. 1728 ist er nochmals für Niederaltaich in der Propsteikirche Rinchnach tätig. Zu ihm siehe die die Biografie in dieser Webseite.

[17] Wolfgang Andreas Heindl (1693–1757) aus Linz. Die Fresken in Niederaltaich sind Frühwerke. Er malt in der Periode 1717–1718 in St. Nikola zu Passau (Baumeister Pawanger!), dann in Niederaltaich 1719–1721, und in der Stiftskirche Metten. 1735 übernimmt er einen Gasthof in Wels und bleibt hier sesshaft. 1722–1724 malt in der Abtei Niederaltaich und 1728 in der Propsteikirche Rinchnach (Baumeister Fischer!) die Deckenfresken. Mehr zu ihm siehe in der Biografie in dieser Webseite.

[18] Pietro Francesco Giorgioli (*1687) aus Meride (Tessin), Bildhauer. Er ist 1718–1722 in Weltenburg tätig, arbeitet aber seit 1720 auch für Niederaltaich, wo er sich 1722–1723 aufhält. Er muss also bedeutend mehr als nur die heute teilweise abgebrochene Kommunionbank erstellt haben. Wegen einer Vaterschaftsklage verabschiedet er sich in Niederaltaich, um angeblich in die Heimat zurückzukehren. Er ist allerdings noch 1724 in Theres (Obertheres) und 1726 in Fulda nachgewiesen (Quelle: Odelli). Siehe zur Familie das HLS.

[19] Br. Pirmin Tobiaschu (1669–1743) aus Hengersberg, Taufname Georg Anselm, Lehre beim Vater. Er soll ich auf seiner Gesellenwanderung in Rom aufgehalten haben. 1703 leistet er in Niederaltaich Profess. Abt Joscio besorgt ihm die Meistergerechtigkeit von Deggendorf und stellt ihm (weltliche) Gesellen zur Verfügung. Er wirkt auch ausserhalb des Klosters.in der Klosterherrschaft, so beim Neubau der Propsteikirche Rinchnach. Sein Bruder ist Gerichtsschreiber in Hengersberg. Dessen 1694 geborener Sohn Franz Xaver Tobiaschu tritt 1715 ins Kloster Metten ein, nimmt den Namen Adalbert an und ist 1752–1771 Abt von Metten. Damit ist der Klosterbruder von Niederaltaich Onkel des Abtes von Metten.

[20] Joseph Matthias Götz (1696–1760) aus Bamberg. Sohn des Orgelbauers Johann Georg Götz. Seit 1715 in Passau als Geselle bei Joseph Hartmann, übernimmt er dessen Aufträge für das Stift St. Nikola und wird später zum Kunst-Unternehmer mit Bildhauergesellen, welche als selbstständige freie Mitarbeiter arbeiten. Nach der Arbeit in Niederaltaich erstellt er den Hochaltar der Stiftskirche Aldersbach. Götz dürfte für die Ausführung der Retabel auch die Klosterwerkstätten eingespannt haben. Er wird von Gerhard Woeckel in der «Neuen deutschen Biographie» als eine der fesselndsten Erscheinungen unter den künstlerischen Begabungen der 1. Hälfte des 18. Jh. in Deutschland bezeichnet. Siehe zu ihm auch die Wikipedia.

[21] Kaspar König (1675–1765) aus Ingolstadt. Sein Vater Johann stammt aus einer Solothurner Orgelbauer-Familie und lässt sich 1670 in Ingolstadt nieder. Er stirbt schon 1691. Die Söhne Caspar und Balthasar sind dannzumal noch in der Lehre. Die Witwe König führt das Geschäft mit Gesellen weiter und übergibt es um 1703 dem erstgeborenen Sohn Caspar. Er wird neben Brandenstein und Egedacher einer der führenden Orgelbauer in Kurbayern. Ab 1750 führt sein Sohn Franz die Werkstatt. Der jüngere Bruder Balthasar wird 1711 als Gründer einer Orgelbauer-Dynastie im Rheinland bekannt. Die grosse Emporenorgel erstellt Kaspar König von September 1724 bis März 1725 gemeinsam mit Br. Tobiaschu (das Datum der Fertigstellung 1725 wird selten korrekt wiedergegeben). Sie ist sein zweites Werk in der Klosterkirche. Die erste Orgel erstellt er 1718 mit 10 Registern für die Nutzung im Chor. Sie kommt nach dem Neubau des Psallierchors an die Rückwand des Hochaltars zu stehen und ist heute verschwunden.

[22] Joseph Rauscher (1683–1744) aus Murnau. Er arbeitet schon 1714 in der Region Niederaltaich und lässt sich 1724 in Aicha an der Donau (zwischen Niederaltaich und Osterhofen) nieder, wo er zur Absicherung des Familienunterhalts von Abt Joscio die Pacht der Hoftaverne erhält. Er ist in Niederaltaich auch Maler von Altarblättern. Im Klosterneubau von Osterhofen kann er die Fresken des Festsaals anbringen. Einer seiner Söhne ist Franz Joseph Rauscher (1731–1777), der vielleicht Schüler von Egid Quirin Asam ist und vor allem für Kirchen der Abtei Niederaltaich, aber ebenfalls als Hofwirt tätig ist.

[23] Tegernsee feiert das Jubiläum 1746. Der Streit um den ersten Rang unter den kurbayerischen Klöstern ist heute unverständlich. Zwar ist Niederaltaich mit dem überlieferten Jahr 741 ältere Gründung, was aber nicht entscheidend ist. Offenbar erträgt Abt Joscio, der inzwischen zum illustren Kreis der 16 Landtagsverordneten zählt, welche die Landschaft gegenüber dem Kurfürsten repräsentieren, die bisher unangefochtene Stellung Tegernsee an erster Stelle der bayerischen Klöster nicht mehr. Die Rangfolge in der barocken Etikette ist offenbar nicht nur in Adelskreisen das Wichtigste. Zur Vorverlegung des Gründungsdatums trägt sicher auch die für 1731 geplante 1000-Jahr-Feier der bedeutend jüngeren Abtei Oberalteich bei. In Niederaltaich wird für das Jubiläum 1731 eine Festschrift von über 350 Seiten verfasst, die vor allem zur Legitimation des Anspruches dient, heute aber eine wertvolle Geschichtsquelle bedeutet. Der Streit um das Primat Niederaltaichs ist noch in den 1770er-Jahren Thema von Prozessen gegen Tegernsee. Erreicht hat Niederaltaich den ersten Rang nie, ist aber schon in den 1770er-Jahren unangefochtener Primus in Bezug auf die erreichte Schuldenhöhe.

[24] Die Jubiläumsglocke wird 1733 aufgezogen und kommt nach der Säkularisation nach Vilshofen, wo sie noch erhalten ist. Alle weiteren Glocken der beiden Türme werden als Altmaterial verkauft. Drei im Südturm belassene Glocken fallen dem Brand von 1813 zum Opfer.

[25] Das Blech kommt aus der Kupferhütte Jenbach in Tirol, von wo es über den Inn nach Passau geschifft und dann auf der Donau nach Niederaltaich getreidelt wird. Der Chronist beschreibt die Lieferung von 50 Zentner Kupferblech und 35 000 Kupfernägel, deren Schiffsfracht 42 Gulden beträgt.

[26] In den Propsteien Rinchnach und St. Oswald sind die dortigen Pröpste von Niederaltaich zwar Auftraggeber und finanzieren die Bauten zum Teil aus Einnahmen der Propstei, Bauherr ist aber die Abtei Niederaltaich. Für den Kirchenneubau in Rinchnach ab 1727 wird wieder Johann Michael Fischer gewählt. Mehr zu Rinchnach siehe im Baubeschrieb dieser Webseite. In St. Oswald werden Kirche und Propsteigebäude ab 1727 ebenfalls neu gebaut.

[27] 1739: Kassa 12 460 Gulden, Guthaben 10 000 Gulden, Schulden 30 525 Gulden. Die Einnahmen- und Ausgabenseite ist 1738 knapp ausgeglichen.

[28] P. Marian Pusch OSB (1687–1746) aus Niederalteich. Er ist im Kloster Niederaltaich 1718–1732 Prior und 1739-1746 Abt. Zu ihm siehe die Kurzbiografie der Wikipedia.

[29] Der Krieg Bayerns mit Österreich ist eine Folge der Grossmachtsgelüste des bayerischen Kurfürsten, der die Konfrontation mit Österreich durch seinen Anspruch auf die Kaiserkrone und seinen Einmarsch in Österreich (1741) herbeiführt. Von Mai 1742 bis August 1742 wird das Kloster als Quartier der Bayern benutzt, während die mit Bayern verbündeten Franzosen ihr Lager zwischen dem Kloster und Hengersdorf aufrichten. Der Abt berichtet darüber in einem interessanten Augenzeugenbericht. Am 19. August müssen Bayern und Franzosen abrücken und die österreichische Armee schlägt nun im und beim Kloster ihr Lager auf.

[30] Joachim Schubauer (1743–1812) aus München ist Professor in Freising, Mindelheim und Amberg. Er tritt 1783 aus dem Orden aus, ist dann vor allem literarisch tätig und unter dem Decknamen Pillanzer auch Illuminat. 1786 muss er aus politischen Gründen Kurbayern verlassen und wird Professor in Passau.

[31] Die Zahlen aus Dietmar Stutzer: Klöster als Arbeitgeber um 1800 (Göttingen 1986).

[32] Die detaillierte Schilderung dieses Ereignisses kann im vorzüglichen Architekturbeschrieb «Die ehemalige Klosterkirche (nunmehrige Pfarrkirche) in Nieder-Altaich», von Karl Muth (1893) nachgelesen werden. Wie weit Vernachlässigungen von Gewölben nach Dachstuhlbränden gehen können, zeigt das Schicksal der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen.

[33] Theodor Freiherr von Cramer-Klett (1874–1938) kauft 1898 das Kloster Ettal. Er erteilt dem Architekten Friedrich von Thiersch (1852–1921) den Auftrag für ergänzende Massaufnahmen und Rekonstruktionsvorschläge, nachdem schon 1890 der Architekt Georg Friedrich Seidel (1823–1895) eine Baugeschichte mit Rekonstruktionsplänen veröffentlicht hat. 1903 beginnt der Wiederaufbau. 1907 ist Ettal wieder Abtei.

[34] Der Ostteil soll jetzt als «Kulturboden Niederalteich» eingerichtet werden, was die Presse zu folgender Aussage verleitet: «Vor 400 Jahren wurde für die zugehörige Brauerei – eine der ältesten Bayerns – ein Fassboden gebaut. (PNP.de, 23.6.23). Solche Aussagen können entstehen, wenn sich verantwortliche Planer und Lokalchronisten um die durchaus interessante Geschichte der Brauerei zur Klosterzeit bis 1803 foutieren.

[35] Karl Muth ist Geistlicher im Bistum Passau und ehemaliger Pfarrprovisor von Niederaltaich. Er veröffentlicht seine Arbeit im Eigenverlag. Für seine Beschreibung der Kirche benützt er auch einen (unveröffentlichten) kunstgeschichtlichen Bericht der Kirche, 1889 vom bekannten Münchner Kirchenarchitekt Johann Baptist Schott verfasst. Ist Muth vielleicht sogar Auftraggeber dieses Berichts, der damals noch im Pfarrarchiv Niederaltaich liegt?

[36] Die Vorgängerkirche soll schon 1033/37 gebaut sein. Sie dürfte trotz einem Brand von 1180 (mit Neuweihe 1185) in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts noch immer die Gestalt des frühen 11. Jahrhunderts bewahrt haben. Eine Doppelturmfront wird vermutet. Ihr vielleicht einzig aufgeführter Südturm stürzt 1504 ein. Das Langhaus könnte die heutigen Ausmasse erreicht haben. Es ist am ehesten eine dreischiffige flachgedeckte Basilika, wahrscheinlich wie heute ohne Querschiff. Anstelle des basilikalen Querschnittes schliesst Ludger Dorst auch eine Hallenkirche nicht aus und verweist auf das Beispiel der Freipfeilerhalle Walderbach (Bau um 1200). Wenn dem so wäre, müsste die Kirche im 12. Jahrhundert (1185?) neubauähnlich umgebaut worden sein. Denn 1033, dem Jahr des überlieferten Neubaus von Niederaltaich, sind in Europa grössere Hallenkirchen unbekannt. Eine der ersten, die Staffelhalle Notre-Dame-la-Grande in Poitiers, wird 1083 geweiht.

[37] Benediktiner-Stiftskirche St. Lambrecht. Bau von 1330–1419. Zweiturmfront. 11 Joche mit Rundchorabschluss. Innenbreite 20 m, Innenlänge bis zum Rundchor 66 m. Verhältnis der drei Schiffe: 6 m + 8 m + 6 m.

[38] Ehemaliges Zisterzienserkloster Neuburg an der Mürz. Bau der Stiftskirche ab 1335, Weihe 1461. Kein Turm. Gerader Chorabschluss. Neun Joche. Fünftes Joch querhausähnlich verbreitert. Innenbreite 23 m, Innenlänge 65 m. Grosse Innenraumähnlichkeit mit der gotischen Kirche von Niederaltaich, aber Mittelraum schmäler (Verhältnis der drei Schiffe 7 m + 9 m + 7 m)

[39] Gegenüber den beiden Beispielen St. Lambrecht und Neuburg hat Niederaltaich, gemeinsam mit der frühen Freipfeilerhalle der Marburger Elisabethenkirche (1235), den Vorteil des breiten Mittelschiffes. Die meisten Freipfeilerhallen des 14. Jahrhunderts achten demgegenüber wie Neuburg auf wenig abweichende Achsmasse der drei Schiffe. Mit den Achsbreiten von 5,9 m + 10,6 m + 5,9 m übernimmt Niederaltaich vielleicht (wie die Grosscomburg) die vorherigen romanischen Achsmasse, denn das breite Mittelschiff mit ungehindertem Blick zum Altar wird erst später eine wichtige liturgische Forderung.

[40] Die Stiftkirchen Garsten (1680–1685), Schlierbach (1681–1685) und St. Florian (1686–1708) sind Bauten von Carlo Antonio Carlone, der als Baumeister 1698–1700 auch in Niederaltaich wirkt. In Garsten und Schlierbach ist Giovanni Battista Carlone Stuckateur, in St. Florian ist es Bartolomeo Carlone.
In Passau bauen Pietro Francesco Carlone und sein Sohn Giovanni Battista 1665–1676 die Jesuitenkirche.
Der Dom von Passau wird von Carlo Lurago bis 1684 gebaut, von Giovanni Battista Carlone ab 1677 stuckiert und bis 1694 ausgestattet. Giovanni Battista formt das Innere des Doms derart um, dass nicht mehr allein von einem Bauwerk Luragos gesprochen werden darf. Er geht dann nach Waldsassen, wo bei der Stiftskirche wieder von einem Carlone-Innenraum gesprochen werden kann. Hier ist Paolo d’Allio Kompagnon. Paolo d’Allio stuckiert 1715/16 in Passau zusammen mit seinem Sohn Giovanni Battista d’Allio (siehe auch Anmerkung 14 und 15) die Stiftskirche St. Nikola in Passau, deren Bau der Passauer Baumeister Jakob Pawanger leitet. Damit schliesst sich auch der Kreis zu Niederaltaich.

[41] Die neun Joche haben gleiche Breite. Eine betonte Trennung erfolgt bei gotischen Freipfeilerhallen in der Regel durch den Lettner. Wo dieser wegfällt, ist eine architektonische Trennung (St. Lambrecht, Amberg, Dinkelsbühl oder Lauingen) nicht mehr vorhanden. Ich führe dies an, weil bei solchen Räumen mit Selbstverständlichkeit die Jochzählung beim Eingang beginnt. Diese etablierte Zählweise benutze ich (im Gegensatz zu vielen Historikern) auch bei barocken Bauten wie Niederaltaich. Das sechste Joch ist deshalb bei mir das letzte Joch vor dem Unteren Chor.

[42] «Pawangers Bau zählt im Donaugebiet zu den besten Barockkirchen überhaupt» schreibt Bernhard Schütz in: Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben 1580–1780 (München 2000).

[43] Es sind massive Muldengewölbe, keine Spiegelgewölbe, wie dies der Dehio (1988, 2008) und auch Schütz (2000) beschreiben. Muldengewölbe sind an den Schmalseiten abgewölbte Tonnengewölbe. Spiegelgewölbe sind hingegen unterhalb des Gewölbescheitels flach geschnitten und damit immer nichttragende Scheingewölbe. Der irrtümliche Begriff in Niederaltaich scheint eine Fehlinterpretation des Längsschnittes zu sein.

[44] P. Ambros Ruepp (†1727) tritt 1690 in Niederaltaich ein. Er ist zur Zeit der Konzepterarbeitung 1718/19 Subprior und Professor der Theologie, auch Pfarrprovisor von Niederaltaich. Vom Maler verlangt er, sich bei jedem Bild an das Konzept und an die jeweiligen Bildskizze zu halten. Im Diarium des Kloster wird er als «picturarum et inscriptionum, queis splendet templum Altachense, ingeniosus Auctor» genannt.

[45] Weil die thematische Folge der Bilder im Chor den Ausgangspunkt hat, folgen alle Kunstführer dieser liturgisch geprägten Reihenfolge von Ost nach West, leider immer ohne Bezug zum Grundriss und auch ohne Rücksicht auf den betrachtenden Besucher. Dieser kann die Langhausfresken aber nur von West nach Ost lesen und hat in den «Führern» (auch im «Dehio») keinen Bezug zu seinem Standort in der Kirche. Bisher habe ich nur bei der Webseite «Erdteilallegorien» der Uni Wien eine Beschreibung von West nach Ost gefunden. Siehe auch die Anmerkung 41 zur Jochzählung.

[46] Die Nennungen als Altarbauer beziehen sich auf die Übernahme des Werkes im Generalakkord unter Einschluss der Bildhauerarbeiten. Deshalb ist bei Ausstattungen meist nur der ausführende und rechnungsstellende Unternehmer bekannt.

[47] Die Monumentalaltäre in der Jesuitenkirche Luzern 1681 (P. Heinrich Mayer SJ); in der Stiftskirche Schlierbach 1685/1700 (Carlone), aber auch der wegweisende Gonzaga-Altar in Sant’Ignazio von Rom 1697 (Andrea Pozzo) sind immer Stuckmarmoraltäre. Ein grosser Stuckmarmoraltar von 1705 in der Jesuitenkirche Freiburg im Breisgau (Johannes Veit SJ) ist mit einem gleichen Aufbau wie Niederaltaich überliefert. Joseph Braun beschreibt 1910 seine Wirkung mit den Worten: «Man sollte fast glauben, der mittlere, das Altarblatt enthaltende Teil des Aufbaues stehe in einer riesigen, vorn durch kulissenartig aufgestellte Säulen abgeschlossenen Nische». Diese freigestellte mittlere Ädikula ist der Grund, warum der Hochaltar von Niederaltaich weniger monumental als die ersterwähnten Stuckmarmoraltäre wirkt.

[48] Das Blatt ist von Franz Joseph Geiger (1644–1691) aus Landshut mit 1675 signiert. Der Maler stellt in einer manieristisch verwirrenden Komposition in der unteren Hälfte den hl. Mauritius im roten Feldherrenmantel inmitten gefallener Krieger dar, der zu einem Heiligenhimmel mit der Dreifaltigkeit und Maria aufblickt.

[49] Johann Caspar Sing (1651–1729) aus Braunau ist seit 1698 Bürger von München. Der als Hofmaler tätige Sing ist gesuchter Maler in Süddeutschland und in der Schweiz. Er ist auch Lehrer von Franz Joseph Spiegler. Das Oberblatt des Hochaltars von Niederaltaich mit der grandiosen Darstellung des Hl. Michael ist über 2 Meter gross. Es hätte mehr Beachtung verdient.

[50] Über die Orgel, dem architektonisch wichtigen Gegenpart des Hochaltars, wird im Dehio (1988, 2008) und auch im Kunstführer 2002 kein Wort verloren. Der neuste Kunstführer beschreibt sie als «1985 von Georg Jann aus Allkofen bei Abensberg neu geschaffen». Immer nennen Historiker bei ihren Beschrieben das jeweils neueste Instrument. Auf die Prospektgestaltung wird selten eingegangen. Keinem dieser Historiker würde es aber einfallen, bei einem barocken Bibliothekraum nur die Bücher zu beschreiben. Das barocke Instrument (oder das Orgelwerk) ist in Niederaltaich aber schon seit 1927 nicht mehr vorhanden. Dieses ursprünglich mechanische Schleifladen-Werk wird nach drei Umbauten 1927 durch ein pneumatisches Werk ersetzt, das aber schon 1985 wieder einem Neubau weichen muss. Es ist das heutige Werk (IV/P/48) der Firma Jann. Die Spieltraktur ist jetzt erneut mechanisch. Zur spannenden Geschichte des barocken Orgelwerks im 19. Jahrhundert lohnt sich die ausführliche Beschreibung von Karl Muth 1893 (Seite 78 und 79).


 



Benediktinerabtei und Kirche St. Mauritius in Niederaltaich
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Niederaltaich Kurfürstentum Bayern
Bistum (18. Jh.) Baubeginn
Passau

Kirche 1718

Bauherr und Bauträger der Barockzeit

Kirchenumbau:
Abt Joscio Hamberger (reg. 1700-1739)
Der gewaltige barocke Innenraum ist das Ergebnis einer genialen Umwandlung der gotischen Freipfeilerhalle durch Baumeister Jakob Pawanger. Foto: Bieri 2024.
Die Doppelturmfront der Kirche mit dem heutigen Rathaus im Vordergrund. Foto: Bieri 2024.
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Ausschnitt der Karte «Le Cercle de Bavière subdivisée en tous les Estats» von Guillaume Sanson 1703. Im Ausschnitt liegt Niederaltaich (N.Altaich) im Zentrum. Enthalten ist die Donauregion zwischen Straubing und Passau mit den damaligen Staatsgrenzen zu Böhmen (oben, rot) und zum Fürstbistum Passau (rechts, grün). Auch die damals noch nicht zu Bayern zählende Reichsgrafschaft Ortenburg ist rot umrandet. Das Nachbarkloster Metten ist mit «Merthen» bei «Deckendorff» eingetragen.
Bildquelle: Bibliothèque nationale de France.
11806 veröffentlicht Adrian von Riedl im «Strom-Atlas von Baiern» eine präzise Vermessung der alten Donaulandschaft zwischen den Klöstern Niederaltaich und Metten. Fähren verbinden die beiden Klöster mit dem rechten Donauufer. Die Donaukorrektion und die neue Isareinmündung sind als Projekt bereits eingetragen. Die einzige Brückenverbindung dient der «Chaussee von Landshut nach Böhmen», die durch Deggendorf führt. Bildquelle: Bayerische Staatsbibliothek.
Lageplan des Klosters Niederaltaich mit dem Gebäudebestand um 1800. In der Vergrösserung (anklicken!) sind alle Gebäude mit ihrer Zweckbestimmung im 18. Jahrhunderts eingetragen. Die im 19. und 20. Jahrhundert abgebrochenen Gebäude sind Grau und Türkis hinterlegt, die in diesem Zeitraum entstandenen neuen Gebäude sind rot gestrichelt mit rötlicher Hinterlage erfasst.
Eine Aufnahme von GoogleEarth von 2019 zeigt im Vergleich zum obigen Lageplan um 1800 deutlich die grossen Veränderungen des 20. und 21. Jahrhunderts. Von fünf Innenhöfen nördlich und westlich der Kirche sind heute nur zwei erhalten.
Kirche und Kloster aussen
Die westliche Doppelturmfront ist das Ergebnis von fünf Bauetappen. 1514 werden die Sockelgeschosse gebaut, aber nur der Südturm hochgeführt. Dieser wird 1698 neu gebaut. 1730–1733 folgt der Nordturm. 1735-1737 wird ihm der Südturm durch einen Neubau angeglichen. Die barocken Zwiebelkuppeln werden nach dem Brand von 1813 durch die heutigen Pyramidendächer ersetzt.
Foto: Bieri 2024.
Die Südfassade der Klosterkirche zeigt eine fragwürdige Freilegung aller gotischen Quaderflächen mit darin «schwimmenden» weissen (barocken) Putzflächen. Im Wissen, dass zur Barockzeit nur die Strebepfeiler und Fenster von den weissen Fassaden grau abgesetzt sind, ist diese Massnahme der Denkmalpflege der 1980er Jahre unverständlich. Foto: Bieri 2023.
Der Hof nördlich der Kirche ist nach Abbrüchen und Neubauten mehrfach grösser als der alte Kreuzgang-Hof an dieser Stelle. Erhalten sind nur die Kirche (ohne Kreuzgang und mit archäologisch freigelegter Nordfassade) und der modernisierte dreigeschossige Ostflügel im Hintergrund. Foto: Bieri 2024.
Der nördliche ehemalige Ökonomiehof hat in seiner Nordhälfte das barocke Ambiente noch immer bewahrt. Im Bild das ehemalige Bräuhaus [10.2] mit dem Sudhaus, in dem sich heute hinter den Arkaden eine byzantinische Kirche befindet. Foto: Bieri 2024.
Die eindrückliche Foto von Simon Waldherr zeigt den Ökonomie-Nordflügel aus erhöhter Lage. Im Vordergrund die Schütte [10.3] mit dem riesigen Dachstuhl von 1740. Das Gebäude wird im 19. Jahrhundert als Fasslager der vergrösserten Brauerei genutzt. Foto: Simon Waldherr 2019.

Die Kirche

Alle nachfolgenden Fotos: Bieri 2023/24
Schnitte und Grundriss der Kirche von Kurt Müllerklein 1927, hier mit eingetragener Ausstattung.
Das Mittelschiff von Langhaus und Chor. Niederaltaich ist mit der bewusste Annäherung an den barocken Dom von Passau, dank seiner Einfügung von Seitenemporen, auch dank der klaren Trennung von Chor und Langhaus, eine Meisterleistung von Jakob Pawanger. Er wandelt eine gotische Freipfeilerhalle in ein barockes Kunstwerk um. Im Vordergrund das Weihwassererbecken aus rotem Salzburger Scheckmarmor (um 1700).
Der untere Chor, auch Presbyterium oder Altarraum genannt, mit dem Hochaltar (zu diesem unten mehr). Der Hochaltar trennt den unteren Chor vom dahinterliegenden oberen Chor (Psallierchor) und der Sakristei. Die Emporen sind im Chor tiefergesetzt und enthalten Oratoriumsloggien. Im Vordergrund der moderne Zelebrationsaltar mit einem buntfarbigen Antependium.
Das Langhaus in Richtung Empore gesehen. Breite Gurtbögen trennen die freskierten sechs Hängekuppeln des Langhauses.
Die Tektonik des Langhauses ist im Aufbau der südlichen Wandschichtung ablesbar. Mit dem Einbau von hochliegenden Emporen betont Pawanger die Horizontale und verändert damit die alte Vertikalbetonung der gotischen Freipfeilerhalle. Die Hängekuppeln im Mittelraum und in den Seitenschiffen sind durch Gurtbögen getrennt. Die Seitenemporen sind in der Mitte mit einer grossen Rundöffnung durchbrochen.
 
Die Rundöffnung oder das «Opaion» in der Hängekuppel über den Seitenaltären öffnet zur Empore der Oberkirche. Die Öffnung dient weniger der Belichtung als dem Bildbezug zu den oberen Emporenfresken.
Linkes Bild: Südseite. Rechts: Nordseite. Beide Fotos mit Blickrichtung Richtung Westen zu den abschliessenden Oratoriums-Emporen mit ihren Zugängen vom Turm oder vom (abgerissenen) Abteiflügel 6.1.
Das sechste (vorderste) südliche Seitenschiffjoch mit der durchbrochenen und freskierten Hängekuppel ist durch eine Scheidewand von der tiefergelegten Empore des folgenden ersten Chorjoches getrennt. An der Wand das Ovalgemälde mit der Darstellung des  Bayernherzogs Tassilo. Der Sohn des Klosterstifters zählt zu den Wohltätern Niederaltaichs.

Stuckaturen und Gewölbefresken
Der Freskenzyklus von Andreas Wolfgang Heindl ist hier im Grundriss eingetragen und in der Vergrösserung (anklicken!) thematisch erläutert.
Die nachfolgenden Fotos (alle Bieri 2023/24) können das gewaltige Werk nur auszugsweise wiedergeben.
Bildfolge 1–7 unten:
Freskenzyklus im Mittelraum von Langhaus und Chor. Alle Fresken sind in der Ansicht für den eintretenden Besucher gemalt. Die Fresken in den Gewölbejochen 1–6 des Langhaus sind als Ruhmesspiegel der Abtei abgefasst.
1  Lobpreisung des regierenden Abtes Joscio     Hamberger (mit Chronogramm 1720)
2
  Errichtung eines Ehrenmals für das Kloster
3    Künste und Wissenschaft im Schutz der       Eiche (Die Eiche immer als vermeintlich       namensgebend für Altaich).
4    
Pflege der Eiche (Altaich) durch die Mönche.
5    Pflanzung einer Eiche an der Stelle des       späteren Klosters (Gründungsakt Altaich)       durch Bischof Pirmin.
6    Vertreibung des Heidentums vom Bauplatz       des Klosters.
7    Aufnahme des heiligen Mauritius und seiner       Gefährten in den Himmel (Bezug zum       Hochaltarblatt).
Am Chorbogen des sechsten Joches halten Engel Stuckkartuschen mit den Wappen des Klosters und des Abtes Joscio. Die Inschriftenkartusche weist dem Abt die Gestaltung des neuen Innenraumes zu:      IOSCIO INFERIORIS ALTAHAE ABBAS ECCLESIA HANC IN PRAESENTEM FORMAM REDEGIT.
 
In den seitlichen Emporenuntersichten des Altarraumes ist die Passion Christi gemalt. In die nördlichen Fresken malt Heindl die Szenen von Christi im Ölberg (oben links), Geisselung (oben rechts) und im Mittelfeld die Dornenkrönung (unten). In diesem Fresko ist oben rechts auch die Signatur Heindls zu finden.


Ausstattung (ohne Seitenschiff-Altäre)
Der Hochaltar wird schon 1703 vom Straubinger Tischlermeister Jakob Schöpf erstellt und nach dem Abbau 1717 durch Br. Pirmin Tobiaschu 1721 neu aufgerichtet. Fassmaler ist 1721 der Plattlinger Maler Sebastian Nickl. Mit Ausnahme des fremd wirkenden Tabernakels von 1896 hat der monumentale Hochaltar (9,5 x 19 m) bereits spätbarocken Charakter
Franz Joseph Geiger (1644–1691) aus Landshut signiert 1675 das Hochaltar-Blatt. Es stammt aus der Neueinrichtung des Abtes Adalbert Guggemoos. In noch frühbarocker Manier steht der hl. Mauritius, Anführer der legendären Thebäischen Legion, aufrecht im Schlachtfeld über den Gefallenen. Im Himmel darüber verfolgen Dreifaltigkeit, Muttergottes und Klosterpatrone das Geschehen. Über dem Altarblatt sind die Wappen des Klosters und von Abt Joscio angebracht.
Im Gegensatz zum 1865 ausgeräumten Hauptgeschoss des Hochaltar-Retabels ist die dominante Architektur des Obergeschosses noch im originalen Zustand. Mit zierlichen Spiralsäulen übernimmt sie die Elemente des Hauptgeschosses und fasst in der Mitte ädikulaartig das Oberblatt des Münchener Hofmalers Johann Caspar Sing. Darüber, als eigentlicher «Auszug», ist die plastische Gruppe der Dreifaltigkeit angebracht. Das Oberblatt des Hochaltars von Niederaltaich mit der grandiosen Darstellung des Hl. Michael ist über 2 Meter gross.
Die Orgel ist in ihrer heutigen Gestalt ein Werk des Orgelbauers Kaspar König aus Ingolstadt. Er baut das Instrument 1725 in den von Br. Pirmin Tobiaschu und der Klosterwerkstatt vorbereiteten Prospekt auf der Orgelempore ein. Wie üblich, findet das wichtige Gegenstück des Hochaltars wenig Aufmerksamkeit. Siehe dazu die Anmerkung 50.
Auch die Kirchenbänke sind eine Arbeit der Tobiaschu-Werkstatt der 1720-Jahre. Die Frontseiten enthalten kräftige Schnitzereien mit Blatt- und Blumenmotiven.
Die Bankwangen enthalten ausgeprägt kräftige Akanthus-Schnitzereien der Klosterwerkstatt.
Oratoriums-Loge im Chor (Altarraum) der Nordseite. Ursprünglich ist sie aus der 1840 abgerissenen Wintersakristei des Konventflügels [7.3] direkt erreichbar.
Die grossen Beichtstühle aus Eichenholz stehen seit der Säkularisation an der Stelle zweier nach der Säkularisation entfernter Altäre im zweiten Joch. Mit wenigen Schnitzereien versehen, die zudem nicht gefasst sind, wirken sie sehr streng.
Seitenschiff-Altäre
Die untenstehenden Fotos sind Ausschnitte mit Altarblatt und Predella. Ausführliche Beschreibungen der an den Aussenwänden der Seitenschiffe stehenden Seitenaltäre sind im nebenstehenden Anhang II zu finden..

Link zum Anhang II

Johannesaltar im Joch 6 Nord.
Altarblatt: Johannes der Täufer predigt am Jordan, F. S. Sutor, signiert 1780.
Assistenzfiguren: Hll. Stephan und Johannes Evangelist.
Predellazone: Liegender «Heiliger Leib» des Katakombenheiligen Julius (1725).
Benediktusaltar im Joch 6 Süd.
Altarblatt: Tod des hl. Benedikt, von Joseph Rauscher (1683–1744).
Assistenzfiguren: Hll. Placidus und Maurus (beide mit Stab).
Predellazone: Liegender «Heiliger Leib» der Katakombenheiligen Julia (1692 in Rom erhoben).
Josephsaltar Joch 5 Nord
Altarblatt: Tod des hl. Joseph, 1935.
Assistenzfiguren: Hll. Gregor und Benno.
Predallazone: Liegender «Heiliger Leib» des Katakombenheiligen Antonin.
Kunigundenaltar Joch 5 Süd (Altar des Kaiserpaars Heinrich und Kunigunde)
Altarblatt: Die hl. Kunigunde schreitet zum Beweis ihrer Unschuld über glühende Pflugscharen, vom Passauer Hofmaler Johann Christoph Platzer (1659–1733).
Assistenzfiguren: Hll. Oswald und Kilian.
Predellazone: Schrein der Inklusin Alruna, mit Bildtafel der liegenden Heiligen (1731) abgedeckt.
Gotthardaltar Joch 4 Nord, aus der 1815 abgebrochenen Gotthardkapelle. Ehemals mit Mittelnische wie der Liebfrauenaltar.
Assistenzfiguren: Hll. Nikolaus und Rupert.
Predellazone: Ursprünglich Tabernakel wie am Liebfrauenaltar. Nach 1815 kommt die ursprünglich auf dem Scholastika-Altar der Frauenkapelle liegende Wachsfigur des hl. Augustinus (im Glasschrein) an die Stelle des Tabernakels.
Liebfrauenaltar Joch 4 Süd, aus der 1815 abgebrochenen Liebfrauenkapelle.
Altarbild: In der Mittelnische unter dem Dreipassbogen eine Pietà von 1480.
Assistenzfiguren: Zwei Engel mit Leidenswerkzeugen.
Predellazone: Rokoko-Drehtabernakel unbenannter Herkunft, der erst in neuerer Zeit an Stelle eines nach der Säkularisation entfernten Tabernakels getreten ist.
Martinsaltar Joch 3 Nord
Altarblatt: Apotheose des hl. Martin, gemalt vom Wolfang Andreas Heindl 1721.
Assistenzfiguren: Die Bischöfe Wolfgang und Pirmin.
Predellazone: Liegender «Heiliger Leib» des Katakombenheiligen Magnus 1724.
Sebastiansaltar Joch 3 Süd
Altarblatt: Martyrium des hl. Sebastian, gemalt 1681 von Franz Reicher.
Assistenzfiguren: Hll. Rochus und Rosalia.
Predellazone: Liegender «Heiliger Leib» der Katakombenheiligen Aurelia.


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Anhang 2

Die Seitenaltäre in Niederaltaich

1. Seitenaltäre im sechsten (vordersten) Langhaus-Joch
  Johannesaltar N6
Bauform: Säulenädikula mit Volutenstücken über dem Gebälk, dazwischen Strahlenglorie.
Altarblatt
: Johannes der Täufer predigt am Jordan, sehr schwache Arbeit von F. S. Sutor, sign. 1780.
Assistenzfiguren: Hll. Stephan (mit Steinen) und Johannes Evangelist (mit Schlange im Kelch)
Predellazone: Liegender «Heiliger Leib» des Katakombenheiligen Julius (1725)
  Benediktsaltar S6
Bauform: Säulenädikula mit Volutenstücken über dem Gebälk, dazwischen Strahlenglorie.
Altarblatt
: Tod des hl. Benedikt, von Joseph Rauscher (1683–1744)
Assistenzfiguren: Hll. Placidus und Maurus (beide mit Stab)
Predellazone: Liegender «Heiliger Leib» der Katakombenheiligen Julia (1692 in Rom erhoben)
       
2. Seitenaltäre im fünften Langhaus-Joch
  Josephsaltar N5
Der Josephsaltar ist von 1815–1885 Kreuzaltar, dann Herz-Jesu-Altar mit einer Herz-Jesu-Statue.
Bauform: Säulenädikula mit Vasen auf dem Säulengebälk, dazwischen Strahlenglorie.
Altarblatt:
Tod des hl. Joseph, 1935 von Fr. Angelikus Henfling OSB aus Ettal als Ersatz der Herz-Jesu-Statue des 19. Jahrhunderts gemalt.
Assistenzfiguren
: Hll. Gregor (mit Pontifikalstab, Tiara, Buch, Taube) und Benno (Fisch m. Schlüssel)
Predallazone: Liegender «Heiliger Leib» des Katakombenheiligen Antonin
  Kunigundenaltar S5 (Altar des Kaiserpaars Heinrich und Kunigunde)
Bauform: Säulenädikula mit Vasen auf dem Säulengebälk, dazwischen Strahlenglorie.
  Altarblatt: Die hl. Kunigunde schreitet zum Beweis ihrer Unschuld über glühende Pflugscharen, vom Passauer Hofmaler Johann Christoph Platzer (1659–1733) gemalt.
Assistenzfiguren: Hll. Oswald (Königskrone, Szepter, Schwert) und Kilian (Mitra, Schwert, Palme)
Predellazone: Schrein der Inklusin Alruna, mit Bildtafel der liegenden Heiligen (1731) abgedeckt. Foto Alrunaschrein: Edelmauswaldgesit 2021 in Wikipedia.
       
3. Seitenaltäre im vierten Langhaus-Joch
Die beiden Altäre stehen bis 1813 in den aussenliegenden und dann abgebrochenen Ovalkapellen. Ihre heutige Aufstellung liegt vor den damaligen Zugangsportalen in der Mitte von je zwei Seitenaltarpaaren. Diese ehemaligen Zugänge markieren die Querachse der Kirchenbestuhlung zusätzlich. Die Mittenbetonung ist aber durch das Aufstellen beider Altäre vor die Portale seit 1815 und der gleichzeitigen Entfernung der Altäre im zweiten Eingangsjoch nicht mehr ablesbar. Seit dem Versetzen der Kapellenaltäre vor ihre Eingangsportale wirken die stuckierten Portalbekrönungen mit ihren auf dem Portalbogen sitzenden Engeln und der darüber von Putti gehaltenen Draperie wie Oberstücke der beiden Retabel. Das Fehlen der Ausätze auf den beiden Seitanaltar-Retabeln wird daher kaum bemerkt.
  Gotthardaltar N4
Bauform: Ädikulamotiv mit konkav zum Raum geöffneten Säulenpaaren, mehrfach verkröpftes Gebälk.
Altarblatt:
Bis zur Neuaufstellung ist das Blatt mit einer Darstellung des hl. Gotthards versenkbar. Damit wird das Messgewand des hl. Gotthard in einer verglasten Nische freigelegt. Bei der Neuaufstellung 1815 verschwindet das Altarblatt und nur die ursprüngliche Nische mit den Pontifikalgewändern des hl. Gotthard bleibt bestehen. So beschreibt noch 1927 Gröber die Situation.  Weil auch der Gotthardaltar ehemals einen Tabernakel besitzt, kann man seine vormalige Erscheinung gut mit dem gegenüberliegenden Liebfrauenaltar vergleichen. Heute ist der Mittelnische ein zu kleines, barockes Ex-Voto-Gemälde im eigenen Rahmen aufgepfropft.
Assistenzfiguren: Hll. Nikolaus (Mitra, Stab, Buch mit drei Kugeln) und Rupert (Mitra, Stab, Salzfass)
Predellazone: Ursprünglich steht hier ein Tabernakel wie am Liebfrauenaltar. Nach den Abbrüchen von 1815 kommt die ursprünglich auf dem Scholastika-Altar der Frauenkapelle liegende Wachsfigur des hl. Augustinus im Glasschrein an seine Stelle. Ein von Br. Pirmin Tobiaschu geschnitztes Akanthus-Antependium ist in die Vorderseite der Mensa eingefügt (ein gleiches auch am Hochaltar!).
  Liebfrauenaltar S4
Bauform: Ädikulamotiv mit konkav zum Raum geöffneten Säulenpaaren, mehrfach verkröpftes Gebälk.
Altarbild
: Im Liebfrauenaltar ist die Escheinung der Mittelpartie vermutlich unverändert geblieben. In einer Mittelnische wird unter Dreipassbogen das «uralte» Steinguss-Vesperbild, eine Pietà von 1480 gezeigt.
Assistenzfiguren: Zwei Engel mit Leidenswerkzeugen.
Predellazone: Rokoko-Drehtabernakel unbenannter Herkunft, der erst in neuerer Zeit an Stelle eines nach der Säkularisation entfernten Tabernakels getreten ist. Noch 1893 beschreibt Karl Muth an dieser Stelle eine liegende Wachsfigur des hl. Johannes Nepomuk aus der abgebrochenen Liebfrauenkapelle (gleich wie die Augustinusfigur am Gotthardaltar). Tatsächlich ist damit in Niederaltaich kein Tabernakel der barocken Bauzeit mehr vorhanden.
Das Antependium (um 1726) stellt die Grablegung Christi dar.
       
 4. Seitenaltäre im dritten Langhaus-Joch
Die Gebälke der beiden Ädikula-Retabel werden in Abweichung zu vorderen drei Seitenaltar-Paaren nicht von Säulen, sondern von Engels-Karyatiden über vergoldeten Pilastern getragen.
  Martinsaltar N3
Bauform: Ädikula mit Karyatiden, Segment-Sprenggiebel, dazwischen Strahlenglorie.
Altarblatt:
Apotheose des hl. Martin, gemalt vom Freskanten Wolfang Andreas Heindl 1721.
Assistenzfiguren: Die Bischöfe Wolfgang (mit Kirchenmodell) und Pirmin (mit Buch, Beschwörungsgeste). Beide stehen vor dem Pilaster.
Predellazone: Liegender «Heiliger Leib» des Katakombenheiligen Magnus 1724.
  Sebastiansaltar S3
Bauform: Ädikula mit Karyatiden
Altarblatt: Martyrium des hl. Sebastian, gemalt 1681 von Franz Reicher.
Assistenzfiguren: Hll. Rochus (Pilgerstab, Hund) und Rosalia (Kreuz, Kranz von Rosen auf dem Haupt)
Predellazone: Liegender «Heiliger Leib» der Katakombenheiligen Aurelia.[1]
       

Pius Bieri 2024

[1] Die Beschaffung von Katakombenheiligen aus Rom ist ein Phänomen der Barockzeit. Sie beginnt 1589 mit der Erlaubnis an einen spanischen Jesuiten, aus den Calixtus-Katakomben, in denen angeblich «die Leiber von 174 000 Märtyrern zusammen mit 46 Päpsten ruhen», Reliquien zu erheben. Die feierliche Übertragung eines «Heiligen Leibes» auf den Altar einer Klosterkirche ist in der Regel der Anlass für eine der aufwendigen und volkstümlichen Prozessionen der Barockzeit. Der Erwerb aller «Heiligen Leiber» des Abtes Joscio ist umfassend dokumentiert. Die Namen der Heiligen werden in Rom bestimmt. Die letzterwähnte hl. Aurelia wird nicht zum ersten Mal verkauft. Schon 1650 erhält das Kloster Tänikon im Thurgau eine hl. Aurelia. Für Niederaltaich beschreibt Karl Muth 1898 alle Erwerbungen, auch den Erwerb der hl. Aurelia (von Rom über Salzburg, mit der Fassung in Freising), diese mit Gesamtkosten von 650 Gulden. Der Beschrieb der Etappen des Erwerbs der hl. Aurelia von Karl Muth kann hier als Auszug abgerufen werden.

 

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Anhang I

Niederaltaich von der Gründung bis zum 17. Jahrhundert

Die Abtei in den ersten acht Jahrhunderten
Niederaltaich ist dank weiteren Schenkungen schon im 8. Jahrhundert ein reiches Kloster. 788 übernimmt Karl der Grosse die Abtei als fränkisches Königskloster. Es erreicht 857 die volle Reichsunmittelbarkeit. Die ausgehende Karolingerzeit bedeutet für Niederaltaich das Ende der ersten Blüteperiode. Zu Beginn des 10. Jahrhunderts befindet sich die Abtei wie die meisten Klöster in einem dekadenten Zustand. Ungarneinfälle, auch die Bereicherung des Hochadels mit Klosterbesitz zur Zeit des seit 907 herrschenden Herzog Arnulf führen zu einem Tiefpunkt.[1] Die ehemals garantierte Immunität und die Wahlfreiheit sind jetzt Makulatur. Einer der nachfolgenden Bayernherzöge überträgt das inzwischen nicht mehr nach der Benediktinerregel geführte Kloster dem Bischof von Salzburg. Dieser beruft 990 den Schwaben Erchanbert (Erkanberto) aus dem Reformkloster Einsiedeln, um in Niederalteich wieder die Benediktinerregel gemäss der Reform von Gorze einzuführen. Schon 996 wird Erchanbert durch seinen Schüler Gotthard (Godehard) abgelöst.[2] Abt Godehard setzt die Gorzer-Reform fort und führt unter seinem Mentor Heinrich IV. von Bayern, dem späteren Kaiser Heinrich II., die Abtei Niederaltaich zu neuem Ansehen. Viele Konventualen von Niederaltaich werden als Äbte in andere Klöster berufen[3] Auch Erstbesiedlungen von Neugründungen in Böhmen erfolgen unter Abt Godehard.[4] 997 gründet er den Marktort Hengersberg. 1009 errichtet er die Propstei Rinchnach. 1022 wird er von Kaiser Heinrich II. als Bischof nach Hildesheim berufen.
Niederalteich bleibt noch bis 1152 eine Abtei unter königlichem Schutz. Die wiedererworbene Reichunmittelbarkeit geht erst verloren, als Friedrich Barbarossa das Kloster an das Hochstift Bamberg übereignet. Noch kann es einige Rechte bewahren, wird aber 1242 durch den erbbedingten Übergang der Vogtei an die Wittelsbacher endgültig zum landständischen bayerischen Kloster. Mit seinen 12 Klosterämtern hat Niederalteich zu dieser Zeit bereits den grössten Güter- und Grundbesitz aller bayerischen Prälatenklöster. Die Konventgrösse schwankt zwischen 30 und 40 Konventualen und steht damit im Missverhältnis zum grossen Besitz, der aber für die Wittelsbacher Herzöge Grund einer Vorzugsbehandlung mit Erteilung vieler Privilegien ist. Mit dem Bau eines neuen Chors (1271) und einer neuen dreischiffigen Pfeilerhalle (1306–1326) setzen die Äbte Hermann und Wernhard ein starkes Zeichen für eine nun spätmittelalterliche Blüte. Noch im 14. Jahrhundert leistet das Kloster mit der Propstei Rinchnach im Bayerischen Wald Erschliessungs- und Kultivierungsarbeit um Frauenau und Zwiesel. 1321 kann das wirtschaftlich wichtige Braurecht erworben werden.
Wenig Positives ist für das 15. Jahrhundert überliefert. Für Niederalteich ist es eine Zeit der Stagnation, des geistlichen Niederganges und einer starken Abwehrhaltung des Konventes gegen Reformen.

Reformationszeit
1503–1534 regiert Abt Kilian I. Weybeck. Ihm gelingt die Durchsetzung der Melker Reform, Niederaltaich erreicht erneut das alte Ansehen. Kurzfristig wird das Kloster während des Bayerischen Erbfolgekrieges von Kaiser Maximilian als reichsunmittelbar erklärt, der bayerische Herzog kann sich aber als Landesherr durchsetzen. Abt Kilian lässt anstelle des einzigen Glockenturms, der 1505 einstürzt, die Fundamente zweier Fronttürme legen, von denen aber nur der Südturm vollendet wird. Gleichzeitig lässt der Abt die 1391 erstellte Pfarrkirche St. Magdalena beim Kirchenzugang neu bauen.
Die Reformation trifft auch das Kloster. Der 1550–1585 regierende Abt Paulus Gmainer beginnt mit nur noch 12 Konventualen, schafft aber in der Folge den Durchbruch zu einem erneut blühenden Kloster. Im Laufe seiner Regierung legen 118 Neueintretende die Profess ab. Der beeindruckte Herzog Albrecht überträgt der Abtei 1567 das verlassene Kloster St. Oswald im Bayerischen Wald, das fortan als weitere Propstei betreut wird. Als Bauherr in Niederaltaich tritt Abt Paulus mit der Einwölbung des Langhauses hervor.

Kriegs- und Brandkatastrophen im 17. Jahrhundert
Der erste im 17. Jahrhundert gewählte Abt ist Johann IV. Heinrich Lutz von Rizmannsdorf, der 1619–1634 regiert. Er ist 1622 Mitbegründer der Salzburger Universität und wirkt 1623–1625  als deren Präsident, 1626–1629 auch als Vertreter der bayerischen Provinz. Er muss 1633 den Einbruch des Dreissigjährigen Krieges in die Donauregion um Regensburg erleben.[5] Die jüngeren Konventualen flüchten in sichere österreichische Klöster oder gar nach Italien. Der Abt flüchtet nach Passau. Niederaltaich wird im Januar 1634 von schwedischen Truppen geplündert und teilweise in Brand gesteckt.[6] Im Mai stirbt Abt Johann IV. in Passau. Noch bis 1648 muss der nachfolgende Abt weitere Übergriffe von schwedischen und auch kaiserlichen Truppen in der Klosterherrschaft dulden, wie der Klosterchronist meldet.[7] Dem Abt macht der Haupttreiber des Krieges, Kurfürst Maximilian, interessanterweise den Vorwurf für die desolate wirtschaftliche Lage der Herrschaft am Ende des Krieges. Der Abt resigniert. Seinem Nachfolger gelingt der Wiederaufbau aller Konventflügel, der Mühle und des Kornkastens. Trotzdem resigniert er schon nach drei Jahren, das noch immer herrschende Elend wird ihm zu gross. Die beiden von 1651 bis 1672 regierenden Äbte erreichen eine Erneuerung von Konvent und Wirtschaft. Der 1666 verstorbene Abt Vitus Bacheneder wird in der Grabinschrift ausdrücklich für die völlige Abtragung der vorgefundenen grossen Schulden gelobt. Zu seinen baulichen Massnahmen zählt ein neues zweistöckiges Konventgebäude. Aber 1671 bricht ein Grossbrand aus, der auch das Kircheninnere und die Bibliothek erfasst. Der Abt resigniert. Sein Nachfolger Adalbert Guggemos,[8] und vor allem der letzte Abt des 17. Jahrhunderts, Carolus Koegl,[9] sind vor allem mit Wiederaufbaumassnahmen beschäftigt, zu denen seit 1693 auch die durch einen Grossbrand zerstörte Propstei Rinchnach zählt. Zudem brennen die Konventgebäude und der Kirchendachstuhl 1685 erneut.[10] Abt Carolus lässt nach dem zweiten Brand den Kirchturm, der seit 1671 eine Ruine ist, vollständig neu bauen. Er zieht dafür den welschen Baumeister Carlo Antonio Carlone bei, von dem wahrscheinlich auch der bei Wening 1726 dargestellte Gesamtentwurf der Doppelturmfront stammt.[11]

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[1] Arnulf I von Bayern regiert 907–937 und unternimmt 907–914 umfangreiche Säkularisationen, um mit den geraubten Ländereien den bayerischen Hochadel und die Bischöfe zu korruptieren, deren Unterstützung er für seinen Machterhalt benötigt. Dies ist der Grund, warum er in der Geschichtsschreibung «Arnulf der Böse» genannt wird.

[2] Godehard (960–1038) aus Reichersdorf. Er ist Sohn eines Niederaltaicher Dienstmannes und besucht die Klosterschulen in Niederaltaich, Sankt Emmeram in Regensburg und Sankt Peter in Salzburg. In Niederaltaich leistet er 990 Profess. 996 wird er auf Betreiben seines Förderers, des Herzogs Heinrich IV., Abt von Niederaltaich. 1022–1038 wirkt er als Bischof zu Hildesheim. Er wird 1131 heiliggesprochen. Schnell werden ihm zu Ehren Kirchen und Kapellen erstellt, so die 1172 vollendete Abteikirche St. Godehard in Hildesheim. Am bekanntesten wird aber ein kleiner Sakralbau. 1230 weiht der Mailänder Bischof eine San Gottardo gewidmete Kapelle auf der Passhöhe eines Alpenübergangs, der dann mit der Öffnung der Schöllenen im 13. Jahrhundert als Gotthardpass eine gesuchte Direktverbindung vom Rheinland nach Italien wird.

[3] Berufungen aus Niederaltaich erfolgen für Trier, Hersfeld, Göllingen, Memleben und Hildesheim im nördlichen Teil des Ottonenreichs; für Regensburg, Ebersberg, Seeon, Tegernsee, Kremsmünster und Salzburg im damaligen Bayern.

[4] Břevnov 993, Ostrov 999, beide in Böhmen.

[5] Die von Bayern 1632 besetzte Reichsstadt Regensburg wird im November 1633 von den Schweden erobert. Schwedische Truppen erobern anschliessend Straubig. Den Bayern gelingt anschliessend die Rückeroberung des nahen Plattling und im April 1634 auch von Straubing. Regensburg wird von der kaiserlich-ligistischen Armee im Juli 1634 zurückerobert.

[6] Verschont bleiben die Kirche, der Ostflügel («Schlaffhaus»), das Bräuhaus und die Kastnerei.

[7] P. Placidus Haiden meldet 1731: «Anno 1647 und 1648 haben die Bayrische und deren Alliierte beeden Gottshäusern zu Hengersperg die Kirchen-Thüren eingeschlagen, die Opffer-Stöcke zerbrochen», und: «Gemeldete Jahre ist obiges Hengersperg mehr von Freund- als von Feinds-Völckern rein ausgeplündert, mithin um 26 526 Gulden damnificiret worden».

[8] Adalbert Guggemos (1641–1694) aus Landsberg, Abt in Niederaltaich von 1672–1694. Er ist auch Verordneter der bayerischen Landschaft. In seine Regierung fällt der unglückliche Entscheid, der 1684 gegründeten bayerischen Benediktinerkongregation fernzubleiben. Als einzige von 21 Benediktinerabteien in Kurbayern treten Niederaltaich und Metten nie der Kongregation bei. Zwar bekämpfen alle Fürstbischöfe wegen des gefürchteten Machtverlustes die Vereinigung, aber offenbar kann das Ordinariat von Regensburg nur den Abt von Metten überzeugen, während der Fürstbischof von Passau mit Drohungen und Versprechungen alle bayerischen Benediktinerabteien des grossen Bistums vom Fernbleiben überzeugt.

[9] Carolus Koegl (1653–1700) aus München, Sohn des Gastwirtes «Zur goldenen Krone». Er ist 1695-1700 Abt in Niederaltaich.

[10] Die Brände entstehen immer durch Funkenwurf aus den Küchenkaminen und breiten sich bei Wind auf den Schindeldächern aus. 1685 brennen die Dachstühle der Klosterkirche, der Pfarrkirche, des Dormitoriums (Ostflügel) und der Bibliothek. Diese Gebäude sind durch Gewölbe geschützt. Der Westflügel (Prälatenstock) brennt völlig ab. Die Konventualen und Novizen werden in den Klosterpropsteien und Pfarreien untergebracht

[11] Carlo Antonio Carlone (1635–1708) aus Scaria in der Valle d’Intelvi, Sohn des Pietro Francesco (1606–1681) und Bruder des Giovanni Battista (1642–1721). Er ist gesuchter Baumeister der oberösterreichischen Prälaten im Bistum Passau (Kremsmünster, Schlierbach, Garsten, St. Florian). 1668 werden er und sein Bruder in Passau wohnhaft.
Der Werktrupp von Carlo Antonio arbeitet 1698-1700 in Niederaltaich. Carlo Antonio stirbt 1708 in Passau mit 73 Jahren. Für Niederaltaich wird eine Akkordsumme von 2000 Gulden genannt. Die Höhe der Summe deutet auf mehr als nur die Maurerarbeiten für den Turm-Wiederaufbau hin. Zur Familie Carlone siehe den Stammbaum in dieser Webseite. Zu Carlo Antonio siehe die ausführliche Biografie in AIA. Zum Bruder Giovanni Battista Carlone siehe die Biografie in dieser Webseite.




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