Matthias II Schmuzer (1636–1686)

Wessobrunner Stuckateur

Wessobrunn und die Schmuzer
Vor der Benediktinerabtei Wessobrunn liegt das Klosterdorf Gaispoint, nördlich davon ist das Dorf Haid zu finden. Gaispoint nimmt 1852 den Namen des inzwischen zum grossen Teil zerstörten Klosters an. Die beiden Dörfer Gaispoint und Haid sind Ausgangspunkt der grossen Zahl von Stuckateuren und Baumeistern, die als Wessobrunner im 17. und 18. Jahrhundert führende Stuckateur-Zunft im süddeutschen Raum sind. Nach dem Dreissigjährigen Krieg treten sie in Konkurrenz zu den oberitalienischen und südschweizerischen «Stuccatori» und schaffen den Durchbruch um 1680. Als Baumeister lösen sie in Bayern die «Italiener» ab, wie die lange Zeit führenden Familiensippen aus dem südbündnerischen Misox genannt werden. Mit den gleichzeitigen Baumeistersippen der Beer und Thumb aus dem Vorarlbergischen arrangiert man sich geografisch, vor allem, weil die Vorarlberger für die Stuckaturarbeiten jahrzehntelang Wessobrunner Stuckateure bevorzugen.
Bekannteste Wessobrunner Stuckateuren- und Baumeisterdynastie ist die Familie Schmuzer. 300 barocke Bauten und Ausstattungen sind inzwischen als Werke dieser Künstlerfamilie bekannt. Sie entstehen zwischen 1621 und 1766 innerhalb von 145 Jahren und decken die gesamte Stilspanne des süddeutschen Barocks ab. Jörg[1] und Matthias I[2] Schmuzer stehen für den frühbarocken Beginn. Matthias II leitet zum Hochbarock über, dessen Hauptvertreter in Oberbayern sein jüngerer Bruder Johann wird. Die beiden Söhne von Johann Schmuzer, Joseph und Franz werden Vertreter des Spätbarocks. Der letzte grosse Stuckateur der Familie, Franz Xaver Schmuzer, ist ein Meister des süddeutschen Rokoko.
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Matthias II Schmuzer

Sein Leben
Matthias II Schmuzer wird am 24. Februar 1636 in der Pfarrkirche Wessobrunn als Sohn des Stuckateurmeisters Matthias I (Matthäus) Schmuzer und der Elisabeth Rohrmoser getauft. Die Familie wohnt im Klosterdorf Gaispoint. Matthias ist das zweite von sechs Kindern, welche das Erwachsenenalter erreichen. Sein Vater ist ein bereits bekannter Stuckateur und Baumeister. Wie seine jüngeren Brüder Michael[3] und Johann[4] geht auch Matthias beim Vater in die Lehre und arbeitet als Geselle im Familienverband. Zu dieser Zeit ist der Vater in der Jesuitenkirche Landshut und in Klosterlechfeld bei Augsburg tätig. Nur der jüngste der drei Brüder, Johann Schmuzer, bleibt in Gaispoint sesshaft. Michael Schmuzer verlegt seine Tätigkeit in die Schweiz. Matthias II Schmuzer, 1658 in Kaufbeuren erstmals als selbständiger Stuckateur erwähnt, zieht nach Augsburg. Im Gesuch an den Stadtrat um Zunftbeisitz vom Oktober 1664[5] begründet er sein Gesuch mit dem gewünschten Aufenthalt in Augsburg «mit Weib und Kind». Seine Heirat (in Augsburg?) ist ebenso wie der Name seiner Ehefrau bisher nicht erforscht. Von den Kindern ist nur die Tochter Maria Afra bekannt, die 1693 in Oettingen den Stuckateur Johann Georg Brix[6] heiratet. Matthias Schmuzer bleibt mit der Familie in Augsburg wohnhaft, und erhält die meisten Aufträge in der Reichsstadt oder in ihrer Umgebung. Im November oder Dezember 1686 stirbt er, erst 50 Jahre alt, vermutlich in Augsburg. Bekannt wird dies nur, weil am 17. Dezember sein langjähriger Palier Simon Stiller[7] das Nachfolgegesuch an den Stadtrat stellt.

Seine erhaltenen Werke
Die erste Schaffensperiode in den 1660er-Jahren der Wessobrunner Stuckateure ist noch immer vom Quadratur- und dem Felderstuck geprägt. Lange ist die Münchner Schule, deren Ausgangspunkt die Jesuitenkirche St. Michael in München ist, prägend. Der Modelstuck mit den in der Werkstatt vorgefertigten Stuckelementen ist vorherrschend. So stuckiert Matthias II Schmuzer in Kaufbeuren (1658) und Ochsenhausen (1660). Sein erstes grosses Werk ist der Raumstuck der Wallfahrtskirche Maria Birnbaum bei Sielenbach.[8] Hier arbeitet er 1664 und 1665 mit dem Baumeister und Stuckateur Konstantin Pader[9] zusammen, der wahrscheinlich auch die Entwürfe liefert. Das Gewölbe von Maria Birnbaum ist in Felder aufgeteilt, die ornamentale und figürliche plastische Motive aufnehmen. Die Stuckatur wird zum raumbeherrschenden Element. Um 1666 arbeitet Schmuzer in Wiedenzhausen bei Dachau nochmals mit Konstantin Pader zusammen. Vielleicht wird er auch in Pfaffenhofen an der Ilm vom Münchner Baumeister beraten. Hier formt Schmuzer 1671 eine gotische dreischiffige Stadtkirche zu einem festlichen frühbarocken Raum um, indem er nicht nur die neuen Stichkappengewölbe mit Stuckaturfelder belegt, sondern die Wände neu gliedert. Ein kräftig ausladendes Gesims des neuen, durchlaufenden Gebälks wirkt der gotischen Vertikaltendenz entgegen. Nicht alle Werke von Matthias Schmuzer sind durch Quellen gesichert. So der Gewölbestuck (1672) im Wasserturm von Augsburg oder der Stuck im Kreuzgang von Wettenhausen (1673). Zu dieser Zeit setzt bei den Brüdern Schmuzer eine tiefgreifende Wandlung und Abkehr vom Formenschatz der alten Münchner Schule und damit auch die endgültige Abkehr von der Spätrenaissance statt. Ausschlag gibt die steigende Präsenz der welschen Stuckateure, etwa in Passau oder in der Münchner Theatinerkirche. Die Wessobrunner lernen deren hochplastische, freiaufgetragene Stuckaturen schätzen und führen jetzt auch den Akanthus ein. Der Bruder Michael Schmuzer findet unter dem Einfluss des Jesuitenbaumeisters Heinrich Mayer in Luzern den Weg zur hochbarocken Stuckatur früh, er stirbt aber schon 1676. Matthias II nimmt die welschen Anregungen auch schnell auf, wie dies die Akanthus-Stuckaturen im Schloss und der Pfarrkirche von Oettingen (1680–1683) zeigen. Im Bauwerk des Bruders Johann Schmuzer in Vilgertshofen,[10] welches dieser als Baumeister 1686 beginnt und 1690 auch stuckiert, ist der Wandel zum eigenständigen Wessobrunner Hochbarock abgeschlossen. Im Jahr des Baubeginns von Vilgertshofen ist Matthias II Schmuzer aber bereits verstorben.

Pius Bieri 2024

                 
       
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1 Wallfahrtskirche Maria Birnbaum 1664. Stuck nach Entwurf Konstantin Pader. Blick in das Gewölbe. Foto: Bieri 2014.
2 Pfarrkirche St. Florian Wiedenzhausen 1666. Chorbogen mit Wappen Kurbayern und Freising. Foto: K. Baas 2020.
3 Pfarrkirche St. Johannes Baptist, Pfaffenhofen an der Ilm. Stuck 1671. Foto: -wuppertaler 2022 (Wikipedia).
4 Reichspropstei Wettenhausen. Kreuzgang-Stuckaturen um 1673. Foto: G. Freihalter 2012 in Wikipdia.
5 Schloss Oettingen bei Nördlingen, Detail Festsaaldecke. Hochbarocker Akanthusstuck. Foto: Hermetiker 1994.


Literatur (zusätzlich zu der für die Werkdokumentationen benutzte Literatur)
Buff, Adolf: Die Anfänge der Stuccaturkunst in Augsburg bis in das 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben. 1896.
Schnell, Hugo und Schedler, Ute: Lexikon der Wessobrunner. München und Zürich 1988.
Dischinger Gabriele: Johann und Joseph Schmuzer. Zwei Wessobrunner Barockbaumeister. Sigmaringen 1977.
Kosel, Karl: Die Stukkaturen der Schmuzergruppe 1695–1725, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben. Band 59/60, Augsburg 1969.
Rohrmann, Hans: Die Wessobrunner Stuckatoren, in: ICOMOS Bd. 50, 2010.


Anmerkungen

[1] Jörg Schmuzer (um 1575–1645) aus Gaispoint-Wessobrunn. Maurer und Stuckateur. 1621/26 leitet er den Umbau der Stiftskirche Polling als ausführender Meister nach Plänen von Hans Krumpper und erstellt die Stuckaturen. 1626 und 1627 dürfte er im Kloster Beuerberg an der Loisach tätig sein. Um 1628 arbeitet er in der Stadtpfarrkirche Weilheim. 1629–1631 baut er  in Füssen das Franziskanerkloster. 1633 ist er Stuckateur in der Jesuitenkirche Innsbruck.

[2] Matthias I Schmuzer I (1603–nach 1693), auch Matthäus oder Mathias geschrieben, aus Gaispoint-Wessobrunn. 1641/42 stuckiert er die Jesuitenkirche Landshut nach Entwürfen des Jesuitenbaumeisters Johannes Holl. Obwohl Stuckateur, ist er auch Gewölbebauer, so in der Pfarrkirche Eresing bei Landsberg 1646/56 (nicht erhalten) und in der Stadtpfarrkirche Schongau 1657 (nicht erhalten). In der Abtei Steingaden arbeitet er mit dem Sohn Johann Schmuzer zusammen, vermutlich ist er auch bei Bauten seines Sohnes Matthias II mitarbeitend.

[3] Michael Schmuzer (1639–1676) arbeitet bis 1669 nach Entwürfen von Heinrich Mayer in der Sebastianskapelle Ebersberg und folgt dem Jesuitenbaumeister 1673 in die Schweiz (Jesuitenkirchen Luzern und Brig). Er stirbt früh mit 39 Jahren. Sein letztes Werk ist die Wallfahrtskirche Oberdorf bei Solothurn (1676/77).

[4] Johann Schmuzer (1642–1701) aus Gaispoint-Wessobrunn. Der jüngste der drei Stuckateuren in der Familie ist auch Baumeister. Zu ihm siehe die Biografie in dieser Webseite.

[5] Im Gesuch führt Matthias II zusätzlich zu seinen bekannten Werken bis 1664 auch Arbeiten für die Klöster  Ottobeuren, Ettal und Hohenwart auf.

[6] Johann Georg Brix (um 1665–1742). Zu ihm siehe die Biografie in dieser Webseite.

[7] Simon Stiller (1643–1691) aus Gaispoint-Wessobrunn. Er ist seit 1662 Palier von Matthias II Schmuzer. 1686 übernimmt er die Werkstatt und führt die begonnenen Aufträge zu Ende. Siehe dazu die Werkliste von Arbeiten der Werkstatt Matthias II Schmuzer nach 1686.

[9] Konstantin Pader oder Bader (um 1597–1681) aus München, Bildhauer, Baumeister, Altarbauer und Stuckateur nach dem Dreissigjährigen. Er kennt Schmuzer wahrscheinlich bereits aus einer Beratungstätigkeit in Ellwangen. Zu ihm siehe die Biografie in dieser Webseite.




Werke von Matthias II Schmuzer, soweit bekannt

Jahr Ort Bauwerk Beschrieb; Tätigkeit; Bauherr  
1658
Kaufbeuren,
Franziskanerinnen-Kloster.
Quadraturstuck im Nonnenchor der Klosterkirche.
Stuckiertes Wappen des Abtes Maurus Keuslin von Irsee.
 
1660–
1663
Ochsenhausen,
Benediktiner-Reichsabtei.
Stuckaturen im Kapitelsaal und in der vorderen Sakristei.
Bauherr: Abt Alphons Kleinhans von Ochsenhausen.
 
1661 Ellwangen an der Jagst, Stiftskirche St. Vitus. Stuckatur des Innenraums der Stiftkirche (nicht erhalten). Zahlung 995 Gulden. Heutige Stuckatur 1737/40.  
1664 Stillern bei Wessobrunn,
Stephanuskapelle.
Stuckaturen in der Kapelle (Zuschreibung).  
1664–
1665
Sielenbach bei Aichach,
Wallfahrtskirche
Maria Birnbaum.

Raumstuck der Wallfahrtskirche, nach Entwurf des Baumeisters Konstantin Pader.
Zum Bauwerk siehe den Beschrieb in dieser Webseite

 
1666
(um)
Wiedenzhausen (Dachau),
Filialkirche St. Florian.
Stuckkleid des Innenraums, vielleicht wieder mit Konstantin Pader.
Zuschreibung Eva Christina Vollmer.
 
1667
(nach)
Augsburg,
Benediktinerkloster
St. Ulrich und Afra.
Stuckaturen im Kloster (Neu- und Umbauten unter Abt Gregor Jos). Zerstörung 1944. Nur im Kreuzgang Teile erhalten.  
1671–
1672
Pfaffenhofen an der Ilm,
Pfarrkirche
St. Johannes Baptist.
Stuck in der neuen Stichkappentonnen in allen drei Schiffen und Neugestaltung der Wände. Beratung vielleicht durch Konstantin Pader. Statuen in Wandnischen von Johann Pöllandt.  
1672 Augsburg,
Nördlicher Wasserturm.
Stuck des Gewölbes im obersten Stockwerk des nördlichen Wasserturms am roten Turm. Zuschreibung.  
1673–
1678
(um)
Wettenhausen (Günzburg),
Augustiner-Chorherren Reichspropstei.
Stuckierung des Kreuzganges (Die Zuschreibung bei Schnell/Schädler 1988 nicht erwähnt). Vielleicht auch Beteiligung an der Stuckierung des Kirchenraums (Stuckateure Georg Vogel und Christoph Gigl). Baumeister ist der Vorarlberger Michael Thumb.
Zum Bauwerk siehe den Beschrieb in dieser Webseite.
 
1678 Türkheim bei Mindelheim,
Pfarrkirche
Mariä Himmelfahrt.
Stuckierung, zusammen mit Bruder Johann Schmuzer und Simon Stiller. Zerstört 1873 (neuromanischer Umbau).  
1680–
1681
Oettingen bei Nördlingen,
evangelische Pfarrkirche
St. Jakob.
Barockisierung der Kirche des 14. Jahrhunderts. Hochbarocker Rahmenstuck in Chor und Langhaus. Die Ovalgemälde im Langhaus von Johann Georg Knappich.  
1682–
1683
Oettingen bei Nördlingen,
Neues Schloss,
Festsaal, Salons im 2. OG.
Stuckaturen der Festsaaldecke, im Goldenen- und im Grünen Salon. Johann Georg Brix ist hier Mitarbeiter (er heiratet 1683 die Tochter von Matthias II Schmuzer).  
1682 Belzheim bei Nördlingen,
Pfarrkirche St. Martin.
Deckenstuckaturen der Flachdecke.  
1686 Augsburg,
evangelische Pfarrkirche
St. Anna.
Stuckatur- und Stuckmarmorarbeiten, letzter bekannter Auftrag (24 Gulden Rechnung dat. 24. Oktober). Nur die Stuckmarmorpilaster sind erhalten. (1745 Neustuckierung).  
Zugeschriebene Werke mit Fertigstellung oder Ausführung durch Simon Stiller nach 1686:
1686 Augsburg,
Augustiner-Chorherrenstift
Hl. Kreuz.
Stuckaturen im 2. Obergeschoss des Prälatenbaus. Kriegszerstörung 1944.  
1688 Kühbach bei Aichach,
Benediktinerinnenabtei,
Klosterkirche St. Magnus.
Stuckaturen der Klosterkirche. Baubeginn 1687 unter der Äbtissin M. Helena von Lerchenfeld. Baumeister ist Giovanni Androy aus Roveredo (Graubünden).  

 

 

Eines der späteren Werke von Matthias II Schmuzer ist die Stuckierung der evangelischen Jakobskirche in Oettingen. Er nimmt hier 1681 die Anregungen des italienischen Stucks in Passau und in der Theatinerkirche München auf und leitet zum hochbarocken Wessobrunner Akanthus-Stuck über.
Foto: Andreas Praefcke 2015.
Matthias II Schmuzer und seine zwei Brüder Michael und Johann werden von ihrem Vater Matthias I nach dem Dreissigjährigen Krieg in das Stuckateurhandwerk eingeführt. Aus Gaispoint beim Kloster Wessobrunn stammend, bezeichnet man sie als Wessobrunner. Ein Hauptwerk von Matthias II ist die Stuckierung des Innenraums der Wallfahrtskirche Maria Birnbaum bei Sielenbach. Er führt diese Raumgestaltung 1664/65 zusammen mit dem Baumeister Konstantin Pader durch. Sie lässt den Abschied vom strengen Stuck der «Münchner Schule» des späten 16. Jahrhunderts ahnen. 1680/83 gelingt ihm in Oettingen bei Nördlingen unter dem Einfluss der in München und Passau tätigen welschen Stuckateure der Anschluss an den Hochbarock. Er stirbt aber schon 1686.
Land (heute)
Bayern D
Bistum 18. Jahrhundert
Augsburg
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