Johann Friedrich Nette (1673–1714)

Württembergischer Hofbaudirektor 1707–1714

Johann Friedrich Nette wird am 5. Juli 1673 als Sohn des Königlich Preussischen Hoforgelbauers Johann Nette in Bernau bei Berlin geboren. 1685 bis um 1700 wohnt die Familie in Dresden und zieht dann nach Berlin. In Dresden besucht der junge Nette die Kreuzschule und studiert anschliessend bis um 1695 an der Universität Wittenberg. Nachher verlieren sich die Spuren. Er muss sich in Dresden und später in Berlin, vielleicht schon dort Militärangehöriger, in Zivilbaukunst ausgebildet und Praxiserfahrung gesammelt zu haben. Während des Spanischen Erbfolgkrieges ist er 1706 als Ingenieur-Hauptmann im Regiment des Generalmajors von Sternenberg in Balingen stationiert. Sternenberg empfiehlt den 23-jährigen Nette seinem Schwager Georg Friedrich von Forstner, einem Jugendfreund des Württemberger Herzogs Eberhard Ludwig.[1] Forstner leitet als Oberhofmarschall das württembergischen Bauwesen und nimmt Nette in seine Dienste. Der offensichtlich gut ausgebildete Ingenieur-Hauptmann löst am Hof von Stuttgart den Mathematiker und Theologen Philipp Joseph Jenisch ab, der hier seit 1703 als Landbaumeister wirkt.[2] Jenisch baut zu dieser Zeit das Corps de Logis des neuen Erlachhofes, ein nördlich von Stuttgart gelegenes Jagdquartier der Herzöge, dass nun zu einer Dreiflügelanlage vergrössert werden soll. Der entstehende Schlossbau wird seit 1704 Ludwigsburg genannt. Für das Bauvorhaben, das infolge des Spanischen Erbfolgekrieges erst bis zum Erdgeschoss gewachsen ist, erstellt Nette schnell Neuplanungen. Er liefert 1707 eine Serie von neuen Entwürfen, nach denen er das Corps de Logis bis 1709 im Rohbau erstellt und die beiden Flügelbauten beginnt. 1708 und 1709 reist Nette zweimal nach Prag, um Fachkräfte für den beginnenden Innenausbau zu gewinnen. Er lernt hier wegweisende  Bauwerke des barocken Sakral- und Residenzbaus kennen und findet mit den Stuckateuren Soldati und Frisoni sowie den Freskanten Colomba und Stevens von Steinfels ausgewiesene Meister, die bereit sind, nach Ludwigsburg zu ziehen.[3] 1712, inzwischen sind die beiden Flügelbauten auch unter Dach, wird von Nette bereits ein Erweiterungsprojekt mit Flügelverlängerungen nach Süden erstellt. Eine Stichserie, die Nette in Augsburg in Druck gibt, zeigt die Dreiflügelanlage und die von ihm entworfenen Gärten. Dieser erste, schon grosszügig wirkende Schlossbau mit den nördlichen Gartenanlagen ist 1714 weitgehend fertig. Der Friedensschluss mit Frankreich gibt Nette die Möglichkeit, eine Studienreise nach Paris zu unternehmen. Sie wird unter anderem durch die seit Jahren dauernden Intrigen des entlassenen Jenisch gegen seinen offensichtlich erschöpften Nachfolger ausgelöst, der mit der Reise Distanz gewinnen will.[4] Auf der Rückreise, um die ihn dann der Herzog selbst bittet, stirbt er am 9. Dezember 1714 unerwartet im Alter von erst 41 Jahren in Nancy an einem Schlaganfall.
Sein Wirken während der achtjährigen Tätigkeit für den württembergischen Hof darf sich sehen lassen und wird von ihm auch laufend bei Wolff in Augsburg veröffentlicht. 1710 folgen erste Stiche der Ludwigsburger Anlage und unter dem Titel: «Adeliche Land- und Lust:Häusser nach Modernen Gout» auch weitere Bauten in Ludwigsburg, Stuttgart und in Bad Teinach. Schon 1709 ist er Verfasser des ersten Gesamtplanes für die neue Barockstadt Ludwigsburg. Sein Name ist allerdings fast ausschliesslich mit dem Schlossbau der Residenz, aber auch mit dem zermürbenden Kampf gegen seine Feinde in der Stuttgarter Baudeputation verbunden.

Pius Bieri 2011

Literatur:
Höper, Corinna: Das Glück Württembergs. Ausstellungskatalog. Stuttgart 2004.
Merten, Klaus: Die Baugeschichte von Schloss Ludwigsburg bis 1721, in Schloss Ludwigsburg. Stuttgart 2004.

Anmerkungen:

[1] Georg Friedrich Forstner von Dambenoy (1676–1717) ist um diese Zeit Hofmarschall. 1700 ist er und sein Schwager von Schellenberg Mitglied der Reisegesellschaft des Herzogs Eberhard Ludwig, die vor allem neue Schlossbauten und Gärten in Holland und London zum Ziel hat. Er muss 1716 wegen seiner Opposition gegen die Mätresse des Herzogs nach Paris flüchten. Als Verantwortlicher des herzoglichen Bauwesens und Jugendfreund des Herzogs kann zwischen 1705 und 1716 bei den meisten Beschlüssen zu Ludwigsburg seine entscheidende Mitwirkung angenommen werden.

[2] Philipp Joseph Jenisch (1671–1736), aus Marbach. Er geht 1727 nach Blaubeuren und wird dort Abt.

[3] Die in Prag angeworbenen Meister sind: Tommaso Soldati (1665–1743), aus Ponna im Val' Intelvi, er arbeitet um 1700 am Palais Toskana und 1704−1707 am Palais Lobkowitz; Donato Giuseppe Frisoni (1683–1735) aus Laino im Val d'Intelvi, der Schwager Soldatis, er wird 1714 Nachfolger von Nette in Ludwigsburg; Luca Antonio Colomba (1674–1737) aus Arogno. Er ist Schwager von Carlo Innocenzo und Diego Francesco Carlone; Johann Jakob Stevens von Steinfels (1651–1730) aus Prag. Er ist einer der frühen deutschen Freskanten.

[4] Die Gründe zur Reise werden von deutschen Historikern nicht hinterfragt, obwohl eine solche Reise eigentlich vom Oberhofmarschall als Verantwortlicher für das Bauwesen genehmigt oder sogar in die Wege geleitet wird. Nicht nachvollziehbar ist die Darstellung von Klaus Mertens, dass Bildungseifer der Antrieb des schon kranken Baudirektors für einer solche Reise ist. Glaubhaft schildert hingegen der italienische Historiker Remo Boccia die Angelegenheit. Auslöser der Flucht nach Paris ist demnach eine vom Umkreis des Theologen Jenisch erhobene Falschanklage wegen Unterschlagung. Diese Anklagen sind damals das übliche Mittel, um Konkurrenten loszuwerden.

  Johann Friedrich Nette (1673–1714)  
  Biografische Daten        
  Geburtsdatum Geburtsort     Land  
  5. Juli 1673 Bernau   Berlin D  
    Land 18.Jh.     Bistum 18.Jh.  
    Kurfürstentum Brandenburg   Brandenburg (Lutheranisch)  
  Sterbedatum Sterbeort     Land  
  9. Dezember 1714 Nancy   Dep. Meurthe-et-Moselle F  
    Land 18. Jh.     Bistum 18. Jh.  
    Herzogtum Lothringen   Toul  
  Kurzbiografie        
  Der Werdegang von Johann Friedrich Nette als Ingenieur-Architekt ist leider bisher nicht bekannt, da das dafür wohl entscheidende Lebensjahrzehnt 1695 bis 1705 noch ganz im Dunkeln liegt. Er erwirbt seine Kenntnisse in Zivilbaukunst in der Armee. 1706 wird er, inzwischen Ingenieur-Hauptmann für den württembergischen Hof angeworben. Seine Werke und der zweimalige Aufenthalt in Prag zeigen, dass er den böhmischen Barock kennt und von dort auch Stuckateure und Maler nach seinem Hauptwerk, der Residenz in Ludwigsburg holt. Hier hat er sich mit der Zurücksetzung seines Vorgängers Jenisch und dem Beizug der «Italiener» Feinde geschaffen, deren Nachstellungen ihn erschöpfen und die vermutlich auch zu seinem frühen Tod beitragen.     Nette1709  
    pdf       legende  
1712 wird in Augsburg eine Stichserie der geplanten und teilweise schon ausgeführten Schlossanlage von Ludwigsburg veröffentlicht. Der vorliegende Stich nach einer Vorlage (um 17099 von Johann Friedrich Nette zeigt die Dreiflügelanlage von Norden, darunter die geplanten Nordgärten.
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