Giovanni Francesco Marchini (1672–1745)

Quadraturist und Hofmaler im Dienste der Schönborns

Giovanni Francesco Marchini wird um 1672 geboren und stammt aus der Gegend von Como, damals unter österreichischer Herrschaft im Herzogtum Mailand gelegen.[1] Um 1706 ist er zum ersten Mal nördlich der Alpen als Quadraturist[2] fassbar. Im kursächsischen Herrschaftssitz Wiederau erstellt er für den Handelsherrn David von Fletscher monumentale Deckenfresken. Im Festsaal des Schlosses öffnet sich ein scheinperspektivischer Architekturraum zum Himmelsraum mit der Darstellung der göttlichen Weisheit. Gekonnt setzt er bei den schwebenden Figuren die Darstellung des «di sotto in sù» ein.[3] Unzweifelhaft ist Marchini zu diesem Zeitpunkt, mit 34 Jahren, ein geschulter Freskant mit profunden Kenntnissen der Quadraturmalerei in der Art des Andrea Pozzo. Der Jesuitenbruder Andrea Pozzo hat 1693 und 1700 das zweibändige Werk «Perspectiva pictorum et architectorum» über die Art der illusionistischen Malerei veröffentlicht.[4] Das Werk wird zur meistrezipierten Vorlage für die europäische Monumentalmalerei. Marchini ist einer der ersten Freskanten in Deutschland, die es derart konsequent anwenden. Er beherrscht die Technik des «fresco buono» und könnte das Hauptwerk Pozzos, die 1694 entstandene Monumentalmalerei im Langhaus von Sant'Ignazio in Rom sogar aus eigener Anschauung kennen, denn er bezeichnet sich später selbst als «pittore romano». Mit seinen ersten bekannten Werken in Kursachsen und Thüringen erwirbt er sich, trotz den künstlerischen Qualitäten der thematischen Deckenfresken, den Ruf eines reinen Quadraturisten. 1716 stellt ihn Lothar Franz von Schönborn, Kurfürst von Mainz und Fürstbischof von Bamberg, in seine Dienste. Vielleicht stammt die Empfehlung vom Bauinspektor des Kurfürsten, dem Jesuitenpater Nicolaus Loyson, vielleicht auch vom bereits in den Diensten des Kurfürsten stehenden Hofmalers Johann Rudolf Byss.[5] Zusammen mit Byss malt er im Schloss Weissenstein bei Pommersfelden die Quadraturmalerei im Treppenhaus, in der Sala Terrena und im Marstall. Das grosse Treppenhausfresko malt Byss, Marchini wird nur für die scheinarchitektonischen Randzonen eingesetzt. Gleichzeitig, oder vielleicht noch vor dem Beginn in Pommersfelden, kann Marchini in die Kuppel der Bamberger Jesuitenkirche St. Martin eine Scheinarchitektur nach Pozzo malen. 1719 sind die Arbeiten in Pommersfelden beendet. Marchini zieht jetzt mit seiner Familie nach Mainz.[6] Hier ist er bis 1731 als kurmainzischer Hofmaler ansässig. Lothar Franz lässt durch Marchini die Fassaden der Bauten im Mainzer Favorite-Garten und deren Innenräume mit Scheinarchitektur bemalen. Aufträge für Sakralräume im Erzbistum folgen, so die Wallfahrtskirche Walldürn. Hier überzieht Marchini die Gewölbe schon fast stereotyp mit einer kühlen Quadraturmalerei, deren rationaler Illusionismus mit dem feinen Bandelwerkstuck der Wände kollidiert. Walldürn ist sein schwächstes Werk. 1728 folgt ein Auftrag, bei dem kein Stuckateur stört und kein sakrales Bildprogramm vorgegeben ist. In der Schönborn-Herrschaft Wiesentheid errichtet der Neumann-Schüler Johann Georg Seitz eine Pfarrkirche mit einem schlichten saalartigen Innenraum. Marchini verwandelt den Saal in einen unglaublich komplexen Architekturraum mit einer Scheinkuppel in der Tradition des Andrea Pozzo. Wiesentheid bedeutet gleichzeitig auch den Schwanengesang der reinen Quadraturmalerei, die sich in dieser Absolutheit zum letzten Mal äussert und die im beginnenden Rokoko schon anachronistisch wirkt.
Nach dem Tod seines grossen Förderers, des Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn, tritt Marchini 1732 in die Hofdienste des Fürstbischofs von Speyer, Damian Hugo von Schönborn, einem Enkel des Kurfürsten.[7] Für ihn arbeitet er bis 1738, vorerst in Waghäusel, dann an der neuen Residenz in Bruchsal. Hier ist er Schöpfer der überzeugenden malerischen Fassadengestaltung am Corps de Logis und an den Orangerien. Im Corps de Logis freskiert er die Eingangshalle, die anschliessende Grotte unter der von Neumann ins Treppenhaus eingefügten Plattform, und die Sala Terrena. Dies Malereien sind rekonstruiert noch erhalten. Zerstört sind seit 1945 aber die Deckenfresken, die Marchini 1736 im Musiksaal des Kammerflügels anbringt. Noch im Auftrag von Damian Hugo von Schönborn kann er 1737 im Schönborn-Schloss Zeilitzheim im Fürstbistum Würzburg den Festsaal gestalten. 1740 freskiert er im bambergischen Unterleiterbach den Innenraum von Hofbaumeister Johann Jakob Michael Küchel erstellte Valentinskapelle. Im Januar 1745, im Alter von 73 Jahren, stirbt Giovanni Francesco Marchini in Bamberg.
Pius Bieri 2011

Benutzte Literatur:

Katerndahl, Jörg: Die Wand- und Deckengemälde von Giovanni Francesco Marchini in den Schlössern Wiederau und Crossen an der Elster. Rudolstadt 1998.
Trux, Elisabeth: Giovanni Francesco Marchini und die oberitalienische Quadraturmalerei nach Andrea Pozzo in Franken, in: «Frankenland», Würzburg 1999.

Weitere Literatur:

Seewaldt, Peter: Giovanni Francesco Marchini. Sein Beitrag zur Monumentalmalerei des Spätbarocks in Deutschland. Dissertation Mainz. Egelsbach 1984.

Anmerkungen:

[1]Geburtsjahr und Herkunft nach eigenen späteren Angaben Marchinis. Der Vermerk im Taufbuch Mainz, in dem er als «oriundus ex Como» bezeichnet wird, heisst nicht, lässt offen, ob es sich um die Stadt Como oder um das Bistum Como handelt.


[2] Mit dem Begriff der Quadratura ist ein streng architektonischer Illusionismus gemeint, der das zentralperspektivische Einfluchtsystem bei der Konstruktion der Architekturillusion für Wand- und Deckengemälde einsetzt.

[3] «di sotto in sù» oder «von unten nach oben» ist die Darstellung von Körpern in steiler Untersicht. Die Darstellungsart beginnt in der Renaissance bei Andrea Mantegna (1431–1506) und prägt den Barock.

[4] Andrea Pozzo SJ (1642–1709) arbeitet 1702–1709 auf Einladung des Kaisers in Wien. Sein Werk erscheint 1709 auf Deutsch mit dem Titel «Perspectiva pictorum atque architectorum / Der Mahler und Baumeister Persepectiv» in Augsburg. Abrufbar unter http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/fachinfo/www/kunst/digilit/architektur/pozzo.html.

[5] Nicolaus Loyson SJ (1676–1720) ist seit 1711, Johann Rudolf Byss (1660–1738) seit 1713 in Diensten des Kurfürsten.

[6] Offensichtlich ist Marchini kein Wanderkünstler, denn schon die ersten Kinder werden in Deutschland geboren. 1709 wird ihm in Crossen die Tochter Eleonora Christiana Sophia geboren, 1712 der Sohn Carolus Anton Heinrich. Der Sohn stirbt im gleichen Jahr. Mit Ehefrau Maria Margaretha (1685–1748) hat er in Mainz 1721, 1722 und 1729 weitere Kinder.

[7] Im Vertrag vom 3. Januar 1732 wird ein Jahreshonorar von 700 Gulden vereinbart, alle Materialien und Hilfskräfte werden vom Hof zu Verfügung gestellt. Gleichzeitig wird versprochen, dem zur Zeit in der sechsten Klasse studierenden Sohn, der Priester werden will, ein Kanonikat zu verschaffen. Der Vertrag wird am 26. Juli 1732, jetzt sehr detailliert abgefasst, erneuert. Siehe Abschrift in Rott, Bruchsal (1914) Seite 72–76.

 

  Giovanni Francesco Marchini (1672–1745)  
  Biografische Date        
  Geburtsdatum Geburtsort     Land  
  um 1672 Como?     Italien  
    Land 18.Jh.     Bistum 18.Jh.  
    Herzogtum Mailand     Como  
  Sterbedatum Sterbeort     Land  
  Januar 1745 Bamberg     Bayern D  
    Land 18. Jh.     Bistum 18. Jh.  
    Fürstbistum Bamberg     Bamberg  
  Kurzbiografie        
  Giovanni Francesco Marchini ist einer der wenigen im Norden sesshaft gewordenen Spezialisten in der Quadraturmalerei, wie die scheinarchitektonischen Darstellungen an Decken und Wänden genannt werden. Er muss in Rom mit den Werken des Jesuitenpaters Andrea Pozzo in Kontakt gekommen sein und ist einer der ersten Freskanten, die diese bis um 1730 beliebte illusionistische Monumentalmalerei im Norden anwenden. Quadraturisten werden auch nur als Maler der scheinperspektivischen Rahmenarchitektur beigezogen, so Marchini für das Treppenfresko des Johann Rudolf Byss in Pommersfelden. Er arbeitet nach 1716 ausschliesslich für die Schönborn, vorerst für den Kurfürsten Lothar Franz und dann für den Fürstbischof und Kardinal Damian Hugo.     Marchini1733  
  bio pdf werkliste     legende  
Giovanni Francesco Marchini malt 1733 das Deckenfresko in der «Intrata» der Residenz Bruchsal. Es ist das einzige nicht kriegszerstörte Fresko des von 1732 bis 1738 in Bruchsal arbeitenden Quadraturisten.
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Werke von Giovanni Francesco Marchini:

Jahr

Arbeitsort

Werk

Zustand

1706–1708

Wiederau bei Pegau (Sachsen). Herrschaftshaus des David von Fletscher.

Hauptfresko im Festsaal. In Himmel einer Scheinarchitektur nach Andrea Pozzo die Figurengruppe der «Divina Sapienza». Deckenfresken in weiteren Räumen.

Hauptbild erhalten. Weitere Bilder teilweise zerstört.

1709–1712

Crossen an der Elster (Thüringen). Schloss des David von Fletscher.

Scheinarchitektonische Wand- und Deckenfresken mit Mittelbild im Festsaal. Deckenfresken mit Scheinkuppel nach Pozzo in der Schlosskirche.

Festsaalfresken erhalten. Fresken der Schlosskirche seit 1930 zerstört.

1713–1715

Gotha (Thüringen). Schloss Friedenstein, für Herzog Friedrich II.

Decken- und Wandfresken in diversen  Räumen und im Münzkabinett. Stuckateur ist Abodino Minetti.

Teilweise erhalten.

1716

Bamberg. Jesuitenkirche St. Martin.

Scheinkuppel-Fresko nach Andrea Pozzo.

Erhalten.

1716–1719

Pommersfelden. Schloss Weissenstein, als Hofmaler des Fürstbischofs von Bamberg und Kurfürsten von Mainz, Lothar Franz von Schönborn.

Scheinarchitekturen im Treppenhaus und am Rande des Deckenfreskos von Johann Rudolf Byss. Illusionistische Ausmalung der Seitenräume der Sala Terrena. Malereien in der Sattelkammer des Marstalls.

Erhalten.

1719–1721

Mainz. Kurfürstliches Lustschloss Favorite.

Scheinarchitektur-Malereien an den Kavaliershäusern und im Rheinschlösschen.

Zerstört 1793.

1723–1724

Walldürn im Odenwald, bei Amorbach. Wallfahrtskirche zum Heiligen Blut.

Ausmalung der Stichkappentonnen in Architekturmalerei.

Erhalten.

1725 (um)

Seligenstadt. Benediktinerabtei. Refektorium.

Architekturmalerei in den Gewölben. Eventuell Schülerarbeit.

Erhalten.

1728-1729

Wiesentheid bei Kitzingen. Pfarrkirche St. Mauritius.

Ausgestaltung des Kirchenraumes mit scheinarchitektonischen Wand- und Deckenmalereien. Hauptwerk.

Erhalten.

1730

Wiesentheid. Kreuzkapelle der Grafen von Schönborn.

Scheinarchitekturmalerei der Kuppel als einstürzendes Gewölbe.

Erhalten.

1731–1732

Waghäusel. Eremitage.

Kuppelmalerei im Hauptbau.

1945 zerstört.

1732–1736

Bruchsal. Neue Residenz der Fürstbischöfe von Speyer, erbaut durch Fürstbischof Damian Hugo von Schönborn.

Fassadenmalerei am Corps de Logis und an den Orangerien. Ausmalung Eingangshalle und Grottensaal im Treppenhaus. Deckenfresken im Musiksaal.

1945 zerstört und mit Ausnahme der Musiksaalfresken bis 1991 rekonstruiert.

1737

Zeilitzheim bei Kolitzheim in Mainfranken. Schloss.

Architekturmalereien und Deckenfresken im Festsaal.

Erhalten.

1740

Unterleiterbach bei Zapfendorf. Friedhofskapelle St. Valentin.

Scheinarchitekturmalerei an Decken und Wänden. Deckengemälde.

Erhalten.