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Carlo Domenico, Bartolomeo und Giovanni Battista Lucchese

Stuckateure, Maler und Baumeister in Thüringen und in der Oberpfalz

Die Lucchese (Lucchesi) aus Melide
Die Tessiner Familie Lucchese kennt zwei Stämme.[1] Im 16. und 17. Jahrhundert sind es vor allem die Mitglieder der in Pambio bei Lugano beheimateten Lucchese, die als Hofbaumeister im Tirol und in Niederösterreich bekannt sind.[2]  Filiberto Lucchese (1606–1666), Neffe des Innsbrucker Hofbaumeisters Alberto, ist der erste berühmte Meister aus dem Zweig der Lucchese von Melide. Er ist kaiserlicher Hofbaumeister in Wien und setzt damit die Tradition der Familie fort.[3] Der um 1630 geborene Geronimo Lucchese könnte sein Neffe sein, sicher ist er aber Vater der später in Thüringen und in der Oberpfalz tätigen Brüder Lucchese. Mit ihnen ist auch Cousin Giovanni Battista Lucchese im Norden tätig. Verschwägert sind die beiden Brüder mit Giovanni Battista II Brenni, dem Stuckateur von Ebrach.[4] Ihre umfangreiche Tätigkeit als Stuckateure, Baumeister und Maler ist nur zwischen 1687 und 1722 zu verfolgen. Nach 1724 verlieren sich alle Spuren.
Ihr Familienname wird unterschiedlich geschrieben. Die Schreibweise Lucchese ist heute im deutschen Sprachbereich üblich. Die alte Schreibweise Lucchesi und auch Luchese ist aber noch immer im Gebrauch.
Das Dorf Melide ist auch Heimatort der Stuckateure Castelli und des römischen Baumeisters Domenico Fontana.

Bartolomeo Lucchese (1666–n.1724)

Bartolomeo wird am 6. Mai 1666 in Melide geboren. Die Eltern sind Geronimo (Hieronimo) Lucchese und Elisabetta Maderna aus Bissone. Er ist verschwägert mit Giovanni Battista Brenni. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Carlo Domenico geht er (zusätzlich?) zu einem Maler in die Lehre und wird in der neueren Forschung ausschliesslich als Maler bezeichnet. Seine Lehrmeister sind unbekannt.[5] 1690 heiratet er in Melide Marta Maria Cecilia Castelli, die Schwester von Carlo Ludovico und Eugenio Flaminio Castelli.[6]

Speinshart
Sechs Jahre später wird Domenico erstmals erwähnt. Im Generalakkord mit dem Abt von Speinshart vom 10. August 1696 ist er Unterzeichner. Irritierend ist allerdings der Passus des Vertrages, dass «Herr Dominicus Luchese die vornembste Bilter selbsten und die Aussthaillung machen» solle. Carlo Domenico ist vorher ausschliesslich als Stuckateur bekannt. Sind die beiden Brüder Doppelbegabungen? Sie erstellen die Arbeiten in der Prämonstratenser-Abteikirche von 1696–1700. Bartolomeo wird trotz der Ungereimtheiten als Schöpfer des umfangreichen Freskenprogramms betrachtet. Die Bildinhalte, Marienszenen im Chor und Szenen der Norbert-Vita im Langhaus, sind vom Abt vorgegeben und in Rissen dem Vertrag beigefügt. Die Fresken sind im Kolorit hell und warm, kräftige Blautöne heben sich ab. Ähnlichkeiten mit den Fresken Bussis in Bissone lassen sich nicht verleugnen.

Coburg
Fast gleichzeitig mit Speinshart vollenden die Brüder Lucchese auch die umfangreichen Stuck- und Freskenausstattungen in der Schlosskirche und im Riesensaal des Schlosses Ehrenburg von Coburg. Sie beginnen dort 1697. Im Riesensaal nimmt Bartolomeo Allegorien aus dem 1690 erschienenen Druck «Le Cabinet des beaux Arts» von Charles Perrault zum Vorbild. Die Deckenbilder der Schlosskirche können erst 1700 erstellt werden.

Saalfeld, Meiningen
Die grossen und teilweise gleichzeitig laufenden Arbeiten setzen eine gut organisierte Werkstatt voraus. Inzwischen ist Bartolomeo verantwortlich für Entwurf, Leitung und Vorbereitung der Arbeiten. 1704 unterzeichnet er in Coburg einen Generalakkord für die Schlosskirche im Residenzschloss Saalfeld. Für 3500 Reichstaler soll er «Stuck wie auch Mahlerei Arbeit» entwerfen und ausführen, während er für die Gesimse, Säulen und Kapitelle nach dem Riss des Baumeisters arbeiten muss. Er inventiere (entwerfe) und dirigiere das Werk, schreibt er schon in der Bewerbung. Er tritt damit als Generalunternehmer auf. Die Deckengemälde überträgt er seinem Schwager Carlo Ludovico Castelli. Er zieht ihn aufgrund der Zahlungen für die Deckenfelder der Kapelle bei.[7] Das Haupt-Deckengemälde in der Kirche erstellt Castelli erst 1710, als die Brüder Lucchese ihre Arbeiten schon über ein Jahr beendet haben.
Ein Jahr nach dem Arbeitsbeginn in Saalfeld ist er als verantwortlicher Unternehmer auch im Schloss Elisabethenburg von Meiningen tätig. Er verfügt um diese Zeit nebst dem Bruder über mehrere ausgezeichnete Stuckateure, die er für jeweils für zwei Jahre für 4 bis 5 Reichstaler pro Woche einstellt.[8]   Ob nebst dem Stuck im Riesensaal auch Deckengemälde erstellt werden müssen, ist nicht bekannt.
Ein weiteres Bauwerk von Bartolomeo Lucchese ist die evangelische Pfarrkirche von Gestungshausen bei Sonnefeld im heutigen Oberfranken. Hier ist er 1713 erstmals nicht mehr nur organisierender Unternehmer, sondern auch planender Architekt. Die Stuckarbeiten werden aber nicht durch die Lucchese-Werkstatt, sondern durch einheimische Stuckateure ausgeführt.

«Bau-Director Lughese»
Als Baudirektor des Herzogtums Sachsen-Hildburghausen ist Bartolomeo Lucchese ab 1714 tätig.[9] Er ist für Herzog Ernst Friedrich I. tätig. 1721–1722 plant er den Hugenottentempel in der Neustadt von Hildburghausen.[10] 1724, im Todesjahr des Herzogs, ist ein letztes Schreiben von Bartolomeo erhalten. Er bittet um Einhaltung eines Vertrages über 4706 Reichstaler, von dem er bisher erst 600 Reichtaler erhalten habe. Nach diesem Datum ist von Bartolomeo Lucchese nichts mehr zu hören.

Pius Bieri 2015

Anhang:
VertragLucchese   Abschrift des Akkordvertrages mit den Brüdern Lucchese vom 10. August 1696

 Literatur:

Guldan, Ernst: Quellen zu Leben und Werk italienischer Stukkatoren des Spätbarock in Bayern, in: Arte e Artisti die Laghi Lombardi, II. Como 1964.
Baier-Schröcke, Helga: Der Stuckdekor in Thüringen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Berlin 1968.
Weidinger, Wilhelm: Barockbaumeister und –stukkatoren aus den Südalpen in der Oberpfalz, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg (VHVO) Nr. 147 Regensburg 2007. 
Fleck, Niels: Die Allegorisch-Emblematischen Bildprogramme in Schloss und Schlosskirche Saalfeld: Vorlagen, Genese und Auftraggeber, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 34. Bd. (2007).

Anmerkungen
[1] Zur Familie siehe die Webseite von Ursula Stevens Tessiner Künstler in Europa , Künstler II lob-lur. Ihrer Forschung sind auch die bisher unbekannten Geburtsdaten der Brüder Lucchese zu verdanken.

[2] Links zu den in Österreich tätigen Lucchese aus Pambio:
Giovanni (* um 1520 in Pambio, † 1581 in Innsbruck), Hofbaumeister.
Luccesse Giovanni in Historisches Lexicon der Schweiz
.
Alberto (* 1550 in Pambio, † 1600 in Melide), Hofbaumeister, Sohn von Giovanni.
Lucchese Alberto in Artisti Italiani Austria.
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Bartolomeo (* um 1580 in Pambio, † 1622 im Südtirol), Hofbaumeister, Neffe von Alberto.
Lucchese Bartolomeo in Artisti Italiani Austria
.
Francesco (*um 1580 in Pambio, † 1629 Tirol?), Maler, Neffe von Alberto.
Lucchese Francesco in Artisti Italiani Austria
.

[3] Zu Filiberto Lucchese siehe die Webseite Tessiner Künstler in Europa.

[4] Giovanni Battista Brenni (1649–1712) heiratet 1686 ihre 1660 geborene Schwester Felicitas. Siehe seine Biografie in dieser Webseite.

[5] Beziehungen des Vaters ins Nachbarort Bissone lassen Carpoforo Tencalla oder Carlo Antonio Bussi vermuten. Bussi malt die Kirche San Carpoforo in Bissone um 1682/83 aus. Ist Bartolomeo vielleicht hier als Lehrling tätig?

[6] Das Datum der Heirat gemäss Mitteilung Ursula Stevens. Zu Carlo Ludovico und Eugenio Flaminio Castelli siehe die Biografie (PDF) in dieser Webseite. Sie stammen aus dem Familienzweig der Ripa, während die Cousins Giovanni Pietro und Carlo Antonio Castelli aus dem Familienzweig Padua stammen.

[7] Zu Carlo Ludovico Castelli siehe die Biografie (PDF) in dieser Webseite. Er erhält 1711 als Anrechnung auf den Gesamtakkord 400 Taler oder 600 Gulden. Diese Summe umfasst die 1710 erstellten Deckengemälde (in Öltempera auf Putz?). 200 Taler zahlt ihm Bartolomeo Lucchese.  Die Zuschreibung aller schon 1709 bestehenden 78 Embleme und 20 Sinnbilder (in Freskomalerei) an Castelli ist zu hinterfragen. Sie basiert auf der sicher falschen Annahme, dass Bartolomeo Lucchese seit Coburg (1700) nicht mehr malt.

[8] Siehe dazu die Namen in der Biografie von Carlo Domenico Lucchese. Der Wochenlohn von 4 bis 5 Reichtalern oder 6 bis 7,5 rheinischen Gulden entspricht einem Jahreslohn von 240 bis 300 Gulden. Die Stuckateure in Thüringen erhalten damit ungefähr die gleiche Summe in Reichtalern wie die süddeutschen Stuckateure in Gulden ausbezahlt. Sie sind damit bedeutend besser (selbst im Vergleich mit Würzburg) entlöhnt. Dort wird ein derartiger Lohn erst 1770 bezahlt.

[9] Das Herzogtum Sachsen-Hildburghausen umfasst die Ämter Hildburghausen, Heldburg, Eisfeld und Schalkau und ist leicht grösser als der heutige thüringische Landkreis Hildburghausen.

[10] Saalbau mit umlaufenden Emporen, seit 1829 katholische Kirche. Heute stark verändert.

  Bartolomeo Lucchese (1666–n.1724)  
  Biografische Daten        
  Geburtsdatum Geburtsort     Land  
  16. Mai 1666 Melide   Tessin CH  
    Land 18.Jh.     Bistum 18.Jh.  
    Eidgenössische Vogtei Lugano   Como  
  Sterbedatum Sterbeort     Land  
  nach 1724 Unbekannt   Unbekannt  
    Land 18. Jh.     Bistum 18. Jh.  
    Unbekannt   Unbekannt  
  Kurzbiografie        
 

Bartolomo Lucchese ist der jüngere der beiden Brüder, die als Stuckateure und Maler am Ende des 17. Jahrhunderts und am Anfang des 18. Jahrhunderts in thüringischen Residenzen und im oberpfälzischen Kloster Speinshart durch ausgeprägt üppige und fantasievolle Stuckarbeiten vertreten sind. Bartolomeo wird spätestens 1696 zum eigentlichen Leiter des Unternehmens. Er übernimmt die Aufträge im Generalakkord, entwirft den Stuck, die Stuckmarmorarbeiten, die Decken- und Wandbilder und ist später auch Hofarchitekt. Wie heute allgemein angenommen wird, ist er auch Maler der Fresken in Speinshart. Eine Ausbildung als Freskant wäre dann (bei Carlo Antonio Bussi?) um 1682/83 anzunehmen.

    LuccheseBartolomeo  
  bio pdf       legende  
Die Fresken der Klosterkirche Speinshart werden dem jüngeren der Brüder Lucchese, Bartolomeo, zugeschrieben. Sie sind, wie die Stuckaturen des Bruders Carlo Domenico, eine Arbeit von 1696/97.
Bild: Bieri.