Als 1726 Abt Augustin Müller nach 30-jähriger Regierung in der Reichsabtei Gengenbach stirbt, schreibt der Chronist im «Protocollum Gengenbacense», dass sich während dessen langer und dauernden Regierung wenig oder nichts Lobenswertes gezeigt habe, für das sich die Nachwelt interessieren würde.[1] Chronist ist ab 1719 der erst 1708 in Kloster eingetretene P. Augustin Dornblueth, der den Nekrolog als eine Abrechnung mit dem verstorbenen Abt betrachtet. So bezeichnet er ihn anschliessend, noch bevor er dessen Frömmigkeit, seinen Uneigennutz und die zuvorkommende Freundlichkeit beschreibt, als unmässig verfressen und versoffen.[2] Die Chronik des geschwätzigen Gelehrten hat Nachwirkungen. Noch 1908 nennt Max Wingenroth die Regierung des Abtes Augustin als «gänzlich unfähig».[3]
Der Lebenslauf des derart negativ beschriebenen Abtes ist noch wenig erforscht. Er wird 1665 geboren. Als Geburtsort gilt die Stadt Wil in der Herrschaft St. Gallen.[4] 1683 leistet Gregorius Müller Profess in Gengenbach und nimmt den Namen Augustinus (Augustin) an. Soeben ist ein Aggressionskrieg des Sonnenkönigs beendet, bei dem 1677 Lahr zerstört wird und noch 1678 die kaiserliche Armee mit allen Schrecken für die Bewohner im Kinzigtal überwintert. Es ist auch der Beginn der Regierung von Abt Placidus, einem Landsmann des Novizen Augustin. Sie soll nur wenige Jahre ohne Krieg dauern. 1689 brennen die Franzosen Abtei und Stadt Gengenbach nieder. Der Konvent ist wieder einmal im Exil. Erst 1693 beginnt der Wiederaufbau der Klostergebäude. Noch während den Arbeiten stirbt 1696 Abt Placidus. Als Nachfolger wird, erst im dritten Wahlgang, Augustin Müller gewählt. Er übernimmt einen Konvent, der mit seinem kleinen Herrschaftsbereich kaum genügend Mittel erwirtschaften kann, um alle durch die Kriegszerstörungen verursachten Baukosten sofort zu tilgen. Kurz nach dem Bezug der neuen Klostergebäude ist die Ortenau von 1702 bis 1709 erneut Kriegsbrennpunkt. Gengenbach wird zwar verschont, aber Truppendurchzüge im Herrschaftsbereich und fast unerschwingliche Kontributionen sind wieder an der Tagesordnung. Erst nach Friedensschluss 1714 kann der Abt mit dem Bau des Kirchturms ein schon 1702 an Franz Beer I verdingtes Bauvorhaben in Angriff nehmen. Nun ist es der ehemalige Palier von Franz Beer I, der Heidelberger Baumeister Johann Jakob Rischer, der den Bau ausführt.[5] Ein Neffe des Abtes Placidus, inzwischen Schlossermeister in Gengenbach, stiftet die grosse Turmuhr mit Garantie auf Lebenszeit. Auch die Kirche wird weiter ausgestattet. 1723 ist das Erstellungsjahr des freistehenden Hochaltars. Mit der Gründung einer Glashütte im Moosgebiet betätigt sich Abt Augustinus als frühindustrieller Wirtschaftsförderer. Inzwischen hat das Kloster, finanziell schon im Krieg schwer getroffen, 21 000 Gulden Schulden, für die es bei seinen geringen Jahreseinnahmen fast 20 Jahre zur Tilgung brauchen wird. Der Chronist Dornblueth schiebt dies der Schwäche des Abtes zu, der sich vom betrügerischen Grosskeller Pater Anselm Binder an der Nase herumführen lasse. Am 25. September 1726 stirbt Abt Augustin im Alter von 61 Jahren und zwei Monaten. Der Krieg hat 13 der verflossenen 30 Regierungsjahre belastet. Pater Augustin Dornblueth, der den Abt nach seinem Tod aburteilt, kann das Wirtschaften in Zeiten von Krieg und Kontributionen gar nicht ermessen, denn er ist damals noch nicht im Kloster.[6] Trotzdem kann man sich dank seinem Beschrieb von Abt Augustin ein Bild machen. Er sei ansehnlich und ehrfurchtgebietend von Statur, sehr freundlich und ebenso grosszügig, von den Regierenden und vom Bischof anerkannt, schreibt Dornblueth ergänzend zu seinen Injurien.[7] Ein erst kürzlich im Pfarrhaus Zell als Porträt des Abtes identifiziertes Ölgemälde bestätigt den Beschrieb.[8] Sein Grab in der Klosterkirche ist seit dem purifizierenden Umbau von 1896 verschwunden. Nur das schöne Wappen über dem Haupteingang hält die Erinnerung an den Bauabt wach. Gehalten von zwei Putten und bekrönt mit Schwert, Inful und Krummstab, den Insignien eines Reichsabts, zeigt es in Rot ein goldenes Mühleisen, besetzt von goldenem Hauszeichen.[9]
Pius Bieri 2011, rev. 2014
Literatur:
Baumgarten, Fritz: Aus dem Gengenbacher Klosterleben, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Band IX. Karlsruhe 1894.
Wingenroth, Max: Die Kunstdenkmäler des Kreises Offenburg in: Die Kunstdenkmäler des Grossherzogtums Baden. Tübingen 1908.
Lederer, Wienfried: Benediktinerabtei und Reichsstadt Gengenbach, Band 1, Äbte und Mönche der Abtei, Lindenberg 2007.
Bächle, Alexander: Streiflichter der Klostergeschichte, in: Gengenbacher Blätter 2014.
[2] «Erat, si otium, gulam et crapulam excipias, sat bonus religiosus, pacificus, castus, nullius fastus amator, neque multi precibus seu Devotionalibus deditus.»
[3] In: Die Kunstdenkmäler des Grossherzogtums Baden. Tübingen 1908.
[4] Wil, heute Kanton St. Gallen. Die Stadt ist damals Hofamt und Residenz des Fürstabtes von St. Gallen.
[5] Bei der Darstellung des Turmbaus ist die damals noch von Abt Augustin redigierte und vom Konventualen P. Nazarius Pistorius geführte Chronik Quelle von Missverständnissen. Zwar ist klar belegt, dass Johann Jakob Rischer den Turm baut. Nur wenige Baumeister sind um 1715 dazu überhaupt fähig. Rischer und Peter Thumb sind die bekanntesten. Aufgrund einer Fehlinterpretation wird P. Nazarius Pistorius, Theologe, 1694–1699 Pfarrer von Gengenbach, von Max Wingenroth in «Die Kunstdenkmäler des Kreises Offenburg» als Ersteller der beiden ersten Geschosse bezeichnet. Der gleiche Autor schreibt die Betreibung der Vollendung 1715–1716 dem Cellarius P. Anselm Bender und nicht dem («unfähigen») Abt zu.
[6] Lebensdaten unbekannt. Geboren um 1690 in Gengenbach, tritt er unter dem Klosternamen Augustinus 1708 ins Kloster ein. Abt Augustin sendet ihn zur Ausbildung nach St. Blasien. P. Augustin Dornblueth ist als Verfasser mehrerer gedruckten Werke bekannt, unter anderem auch im Kampf gegen die Einführung der norddeutschen Schriftsprache. Er stirbt nach 1755.
[7] «Spectabilis et venerandi erat statura, perhumanus ac proinde magnatibus, domino prae primis Badensi ac episcopo acceptus».
[8] Alexander Bächle 2012.
[9] Es ist nach Rickenmann (Thurgauer Wappenbuch 1940) das Wappen der Müller von Wallenwil, einer dem Spital Wil gehörenden Herrschaft im Thurgau.
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Abt OSB Augustin Müller (um 1665–1726) von Gengenbach | ||||||||
Biografische Daten | Zurück zum Bauwerk | |||||||
Geburtsdatum | Geburtsort | Land 18. Jahrhundert | ||||||
um 1665 | Wil St. Gallen CH | Fürststift St. Gallen | ||||||
Titel und Stellung | Regierungszeit | |||||||
Reichsabt OSB der Benediktinerabtei Gengenbach | 1696–1726 | |||||||
Sterbedatum | Sterbeort | Land 18. Jahrhundert | ||||||
25. September 1726 | Gengenbach Baden-Württemberg D | Reichsabtei Gengenbach | ||||||
Kurzbiografie | ||||||||
Abt Augustin Müller regiert 30 Jahre als Reichsabt in Gengenbach. Er stellt den von seinem Vorgänger begonnenen Klosterneubau fertig. Der Reichskrieg gegen Frankreich belastet derweil mit Truppendurchzügen und Kontributionen das erste Jahrzehnt der Regierung, die von interner Opposition gegen den vielleicht zu gutmütigen und eher führungsschwachen Abt geprägt sind. Die vernichtende spätere persönliche Abrechnung des 25 Jahre jüngeren Konventualen P. Augustin Dornblueth mit seinem ehemaligen Vorgesetzten prägt noch heute das Bild des Abtes aus der Schweiz. | ||||||||
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