Wege zum süddeutschen Barock
Wege zur barocken Residenz
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Palazzo Barberini, Hoffassade.
Quelle: Wikipedia by author Mallowtek.
Palazzo Barberini

Als erster barocker Stadtpalast gilt der Palazzo Barberini in Rom, der durch Carlo Maderno (1556–1629) im Jahre 1626 begonnen und durch seine Schüler Gianlorenzo Bernini (1598–1680) und Francesco Borromini (1599–1667) vollendet wird. Der Stadtpalast öffnet sich mit zwei Seitenflügeln und einer durch Kolonnaden gegliederten Hauptfassade zur Piazza, völlig anders als die bisherigen geschlossenen Renaissance-Stadtpaläste. Anklänge an die Landvillen des Palladio sind vorhanden, an der von Bernini gestalteten Hoffassade des Palazzo Barberini erinnert aber nichts mehr an die Anti
ke.

Bernini und der Louvre
Bernini ist inzwischen nicht nur als Bildhauer und Architekt bekannt, mit den Kolonnaden der Piazza San Pietro zeigt er auch barocke Innovation im Städtebau. 1664 wird er für Entwürfe zur Vollendung des Louvre in Paris angefragt. Die Fäden zieht der neue Finanzminister und «Surintendant» der königlichen Bauten, Jean Baptiste Colbert. Die Einbindung der Künste für die Inszenierung des inzwischen 26-jährigen Louis XIV als Sonnenkönig ist sein ambitiöses Vorhaben, für das er auch ausländische Künstler gewinnen will. Der alte «Carrée» des Louvre wird seit 1546 auf die vierfache Fläche vergrössert, aber erst der Südflügel zur Seine und der Westflügel sind unter Louis XIII gebaut worden. Die Fertigstellung hat höhere Priorität als der Ausbau des Lust- und Jagdschlösschen Versailles. Das erste Projekt, das Bernini 1664 nach Paris sendet, zeigt einen Ostflügel mit konkaver Hofeinbuchtung, betont durch einen querovalen Mittelbau. Die meist veröffentlichte Perspektiv-Zeichnung dieses Projektes stimmt nicht mit dem Grundriss überein und vermittelt ein falsches Bild.[1] im Mai 1665 reist Bernini nach Paris. Intrigen verhindern die Ausführung des vierten Projektes. Schon im Oktober 1665 reist er wieder ab. Claude Perrault, ein Vertreter der klassizistischen Richtung, erstellt anschliessend den heutigen Ostflügel und blendet dem Südflügel eine neue Fassade vor. Das vierte Projekt Berninis wird später veröffentlicht, es hat ebenso wie sein erstes Projekt für den süddeutschen Schlossbau Vorbildcharakter.[2] Die Abreise Berninis markiert auch die endgültige Hinwendung Frankreichs zum akademisch klassizistischen Barock.

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Louvre. Die Westfassade des vierten Projektes (1665) von Bernini
in der Veröffentlichung 1756 von Blondel. Quelle: Wikipedia.
Louvre. Der Grundriss des vierten Projektes (1665) von Bernini. Bitte vergrössern.

Der «Kastelltyp»: Vierflügelanlagen mit Ecktürmen und ihre Nachfolger
Die quadratische Anlage mit Eck- und Mittelrisaliten, ähnlich dem Carrée de Louvre, entspricht einer Schlosstradition der Renaissance und ist im deutschsprachigem Gebiet schon im 16. Jahrhundert verbreitet, wie das 1557–1594 gebaute Schloss Messkirch zeigt. Bekanntester vorbarocker Bau ist das fürstbischöfliche Schloss Aschaffenburg, das noch mit vier monumentalen Ecktürmen bewehrt ist. 1605–1614 gebaut, ist es vom Manierismus geprägt. Dieser Bautyp mit Ecktürmen wird noch im Hochbarock angewendet, so im fürstbischöflichen Schloss Seefeld bei Bamberg. Aber schon vor dem Dreissigjährigen Krieg mutieren die Türme meist zu Eckrisaliten oder Eckbetonungen (Risalite, Pavillons) und finden derart auch im Konventbau Anklang. Ein frühes Beispiel ist die Anlage des Klosters Ochsenhausen, das 1615 begonnen wird. Die Vorbilder von Vierflügelanlagen mit oder ohne Kirche liegen nördlich der Alpen schon seit dem 16. Jahrhundert vor der Haustüre. Äbte und Fürsten brauchen kein Vorbild El Escorial, um solche Kloster- oder Schlossanlagen zu verwirklichen.
> Zum Beitrag «El Escorial und die barocken Klosterresidenzen in deutschen Ländern»

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Schloss Kirchheim in Schwaben. Erbaut 1578-1582 von Jakob Eschay im Auftrag der Fugger. Gemälde des 18. Jahrhunderts. Schloss Messkirch. Erbaut 1557–1594 von Jörg Schwarzenberger. Foto: Andreas Praefke.
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Schloss Raudnitz (Roudnice CZ) in Böhmen. Frühe Dreiflügelanlage mit noch geschlossenem Ehrenhof, erbaut 1653–1684 von Francesco Caratti und Antonio della Porta.
Stich 1710 von Jeremias Wolff in Augsburg.
Schloss Sagan in Schlesien, 1670–1685 von Antonio della Porta erbaut. Dreiflügelanlage.
Foto: Wikipedia.

Italienische Schlossbauten in Böhmen und Schlesien
1653 beginnt Francesco Caratti (1620–1677) das Schloss Raudnitz (Roudnice) in Böhmen. Es wird bis 1684 von Antonio della Porta (1631–1702) vollendet. Beides sind Tessiner Baumeister. Oberitaliener, Tessiner und Misoxer beherrschen um diese Zeit das Bauwesen in Böhmen und Mähren fast vollständig. Raudnitz ist eine frühe Dreiflügelanlage. Noch ist hier der Ehrenhof mit einem Verbindungsbauwerk abgeschlossen. Die folgenden 1680er-Jahre bedeuten für Böhmen den Durchbruch der Dreiflügelanlage mit Ehrenhof. Der blockartige Innenhof-Vierflügelbau italienischer Prägung, wie ihn Antonio della Porta noch 1675 in Rothenhaus erstellt, weicht jetzt der nach aussen geöffneten Schlossanlage. Wo dies bei Baubeginn noch nicht geplant ist, wird der vierte Flügel später zu Gunsten des Ehrenhofs weggelassen, wie dies das Schloss Austerlitz zeigt. 1692 planen hier Enrico Zuccalli (1642–1724) und später Domenico Martinelli (1650–1718) noch eine Vierflügelanlage, die dann später als Ehrenhof-Anlage vollendet wird. Die Entwicklung vom barocken blockartigen Innenhof-Schloss zur offenen Dreiflügelanlage ist um 1680 abgeschlossen.

Französische Dreiflügelanlagen des 17. Jahrhunderts
Anders verläuft die Entwicklung in Frankreich. Unbelastet von Einfällen feindlicher Heere kann sich der offene

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Schloss Sceaux, erbaut 1670–1673 für den Minister Colbert, in einer Darstellung des 18. Jahrhunderts. Quelle: Wikipedia.

Schlossbau als Landsitz königlicher Minister schon früh ausbreiten. Jaques Lemercier (1585–1654), der 1607–1612 in Rom studiert, ist Hofarchitekt von Louis XIII. 1631 baut er für den Kardinal Richelieu in dessen neuen Stadt Richelieu eine Dreiflügelanlage. Ihr Grundriss zeigt noch Festungsansätze mit Wassergraben, aber die lockere Gestaltung der Baukörper weist schon in die additive Pavillon-Bauweise, wie sie Colbert 1670–1673 im Landsitz Sceaux durch seine  Hofarchitekten verwirklichen lässt.
Eine Weiterentwicklung dieser beiden Anlagen stellt der Schlossbau von Clagny in Versailles dar. Jules Hardouin-Mansart (1646–1708) kann hier für eine Mätresse des Königs 1674–1675 in Sichtdistanz zur noch unvollendeten Königsresidenz eine Dreifügelanlage von ausgeprägt barockem Charakter erstellen. Das zweigeschossige Gebäude liegt in einem von Le Nôtre gestalteten Garten. Es wird zum Vorbild vieler Landresidenzen.
Nicodemus Tessin, ein Bernini-Schüler, entwirft 1697 ein Schloss in Roissy-en-France. Er kann das Projekt nicht ausführen, veröffentlicht es aber 1709 in einem Kupferstich. Es könnte das Vorbild von Schloss Weissenstein ob Pommersfelden sein, das im Auftrag von Kurfürst Lothar Franz von Schönbrunn durch Johann Dientzenhofer ab 1711 gebaut wird.

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Schloss Clagny in Versailles, erbaut von Jules Hardouin-Mansart 1674–1675. Ausschnitt Plan Jean Mariette.
Quelle: uk.wikipedia.org.

Wien, Prag und München nach 1680
Die barocke Schlossarchitektur in den katholischen deutschen Gebieten geht nach 1680 eigene Wege. Zwar zeigt die Inszenierung des Sonnenkönigs, vor allem durch die Stichveröffentlichungen, bei den deutschen Fürsten eine grosse Wirkung. Die königlichen Gärten werden bewundert und nachgeahmt. Versailles, das 1682 vom Hof bezogen wird, ist das Vorbild einer Planstadt. Weniger gilt dies für das königliche Schloss. Trotzdem finden die französischen Veröffentlichungen, vor allem der Bauten von Mansart, grosses Interesse. Aber die Residenzarchitektur des süddeutschen Barock wird jetzt in Wien, Prag und München geprägt. Hier berufen Heerführer der Türkenkriege «Italiener» oder in Rom geschulte Architekten für den Bau ihrer Palais und Lustschlösser.
> Zum Gebäudetypus der Lustschlösser und Lustgartengebäude

Das 1679 begonnene Lustschlosses Trója ausserhalb von Prag zeigt schon früh den völlig anderen Weg der süddeutschen Barockarchitektur. Gebaut wird es von dem in Rom geschulten Burgunder Jean Baptiste Mathey (1630–1695). In München baut Enrico Zuccalli (1642–1724) für den bayrischen Kurfürsten und Türkensieger 1684–1688 das Jagdschloss Lustheim und beginnt mit der Planung von Schleissheim. Vorbilder sind die Projekte Berninis. Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656–1723), auch ein Bernini-Schüler, ist seit 1688 mit der Planung von Schönbrunn beschäftigt und baut die ersten Wiener Stadtpalais für den Prinzen Eugen von Savoyen.
Domenico Martinelli (1650–1718) und Domenico Egidio Rossi (1659–1742), beide ab 1690 in Prag und Wien tätig, lösen sich 1690 im Bau des Gartenpalais Liechtenstein ab. Rossi baut ab 1698 in Rastatt die erste grosse Residenz im deutschen Südwesten.
Die Schlossbauten dieser Architekten sind in der Architektur noch vom italienischen Hochbarock geprägt.
Erst mit dem Auftreten des seit 1696 in Wien tätigen Johann Lucas von Hildebrandt (1668–1745), einem ebenfalls in Rom geschulten Architekten, findet auch in der Residenzarchitektur eine Hinwendung zum bewegten, plastischen Barock des Bernini-Konkurrenten Borromini und seines Schülers Guarini statt. Diese den süddeutschen Spätbarock prägende Architekturauffassung ist nun nicht nur im Sakralbau dominant, sie findet auch im Profanbau Eingang. Hildebrandt ist auch der erste Architekt, der für seine Gartenpalais das 1661 vollendete Lustschloss von Vau-le-Vicomte als Anregung aufnimmt und damit im süddeutschen Schlossbau auch französische Elemente einführt. Der Gartenpalais des oberen Belvedere in Wien und die Residenzen von Würzburg, Bruchsal und Ludwigsburg stellen die Höhepunkte der Entwicklung dar.

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Oberes Belvedere in Wien. Erbaut von Johann Lucas von Hildebrandt 1717–1723.
Foto: Wikipedia by author Hans Peter Schaefer.


Anmerkungen:

[1] In allen Veröffentlichungen wird die perspektivische Ansicht der Ostfassade Berninis gezeigt, die aber nicht mit dem Grundriss übereinstimmt. In diesem stösst der ovale Mittelrisalit nur mit acht Meter in den 30 Meter vertieften Hof vor, während er auf dser Perspektive bündig mit der Fassadenflucht dargestellt ist.

[2] Enrico Zuccalli, der offensichtlich die Projekte Berninis durch seine Aufenthalte in Rom und Paris kennt, zitiert den ersten Bernini-Entwurf bei Ettal. Den vierten Bernini-Entwurf mit den vier symmetrischen Treppenhäusern benutzt er 1702 im Projekt für Schleissheim. Ebenfalls zitiert wird dieser vierte Entwurf 1712 von P. Christoph Gessinger bei der Montfort-Residenz in Tettnang.

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