Wiblinger Wappen des 18. Jahrhunderts und die Heilig-Kreuz-Reliquie

oder wie der Vogel Strauss des Klosterwappens durch das Doppelkreuz ersetzt wird.

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Abt Modest I. Huber (1692–1729) lässt 1702 auf dem Altarblatt der Wallfahrtskirche St. Antonius von Hüttisheim das Klosterwappen anbringen. In Rot ist auf grünem Dreiberg ein hufeisentragender Vogel Strauss zu sehen. Auf anderen Darstellungen ist die Wappenfarbe blau.   Auf dem Wappenschild unter dem Porträtstich des Abtes Modest I. Huber im 1702 erschienenen «Templum Honoris» ist der Vogel Strauss im Herzschild zu finden. Der Wappenschild selbst zeigt im Geviert in Feld 1 und 4 das Wappen des Abtes (gespalten von Silber und Purpur) und in Feld 2 und 3 die Kirchberger Mohrin mit Krone und Mitra.   Der nachfolgende Abt und Erbauer der Bibliothek, Meinrad Hamberger (1730–1762) führt in seinem ExLibris im Wappenschild nun bereits das Doppelkreuz als neues Wappenelement. Noch ist es mit der Kirchberger Mohrin und dem Vogel Strauss vereint. Dieser trägt nun aber zusätzlich noch das Doppelkreuz. Das Herzschild, ein Stern über Dreiberg, ist das persönliche Wappen des Abtes.
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In der Zürcher Wappenrolle (um 1350) ist die Kirchberger Mohrin erstmals farbig abgebildet. Sie trägt hier noch keine Krone und hält in der Hand eine Lilie, die dann später durch die Mitra ersetzt wird.   Abt Modest II. Kaufmann (1762–1768) führt in seinem Exlibris noch immer den kreuztragenden Vogel Strauss (nun ohne Hufeisen) als Herzschild. Nebst seinem persönlichen Wappen, einem Geviert von Rot und Silber, taucht nun im Wappenschild plötzlich eine neue Kreuzdarstellung auf. In Feld 4 sind in Silber auf grünem Dreiberg drei Tau-Kreuze dargestellt. Das Wappen ist mit vertauschten Feldern und jetzt ohne Vogel Strauss auch an der Nordseite der Bibliothek angebracht.   Abt Roman Fehr (1768–1797, der Erbauer der Klosterkirche, verbannt den Vogel Strauss endgültig aus dem Klosterwappen. Sein Wappenschild ist geteilt. Oben gespalten, zeigt er rechts in Gold das rote Doppelkreuz auf grünem Dreiberg, links die Kirchberger Mohrin. Unten ist sein persönliches Wappen zu sehen. Es zeigt in Blau eine goldene Sonne über einer naturalistisch dargestellten Sonnenblume.
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Die Wiblinger Wappen im 18. Jahrhundert und die Heilig-Kreuz-Reliquie
Auf dem Altarblatt der von Abt Modest I. Huber errichteten Wallfahrtkirche in Hüttisheim hält rechts unten eine Putte das alte Wiblinger Klosterwappen. In Rot? ist ein silberner Vogel Strauss mit einem Hufeisen im Schnabel dargestellt. Wir finden dieses Wappen solitär auch auf Wappendarstellungen anderer Äbte. Vielfach ist es auch mit dem Wappen der Grafen von Kirchberg, den Klostergründern kombiniert. Ihr Wappen zeigt im 14. Jahrhundert in Gold eine Mohrin im roten Gewand mit blauem Mantel, in den Händen ein rote Lilie haltend.[1]  Später erhält die Kirchberger Mohrin eine rote Krone und man gibt ihr eine rote Mitra in die Hand. So, wenn auch selten mit den korrekten Farben, wird das Gründerwappen in fast allen Wiblinger Darstellungen des 18. Jahrhunderts verwendet. Der korrekte Umgang mit der Heraldik ist den Menschen des späten Barock nicht mehr geläufig. Freie und «sprechende» Wappenfiguren sind jetzt Mode. Schon auf einem Kupferstich von 1681 fehlt der Straussenvogel, stattdessen ist jetzt ein Wappen mit drei Taukreuzen auf Dreiberg und ein Wappen mit dem Wiblinger Kreuz auf Dreiberg dargestellt.[2]
Die Kreuzdarstellung in Form des Patriarchen- oder Lothringer-Doppelkreuzes ist aus der Wiblinger Fassung der Partikel vom Heiligen Kreuz abgeleitet, die angeblich von den Klostergründern aus Rom nach Wiblingen gebracht und hier schon im Mittelalter verehrt werden. Eine wunderbare Reliquienauffindung nach dem Dreissigjährigen Krieg ist der Beginn der barocken Wallfahrt zum Heiligen Kreuz in Wiblingen. Die Wiederauffindung wird 1778 in den vier Chorzwickelfresken von Januarius Zwick geschildert. Mit der Aufnahme des Doppelkreuzes als zusätzliches Klosterwappen handelt Wiblingen wie viele anderen Abteien, die ebenfalls ihre in Form des Doppelkreuzes gefassten Kreuzreliquien im 17. Jahrhundert als neues Wappen verwenden.[3]  Gleichzeitig wird jetzt für Wiblingen das Doppelpatrozinium «SS Crucis et Martini» beansprucht.
In der Martinskirche von Unterkirchberg werden 1731 die drei oben beschriebenen Wappen am Chorbogen angebracht. Links befindet sich in Blau das goldene Doppelkreuz. Rechts davon die Mohrin der Kirchberger. Und unten finden wir den Vogel Strauss von Wiblingen.[4]  Langsam verschwindet in der Mitte des 18. Jahrhunderts der Straussenvogel, nachdem er noch unter den Äbten Meinrad Hamberger und Modest II. Kaufmann eine seltsame Verwandlung durchsteht. In ihren Wappendarstellungen hält der Vogel Strauss plötzlich das Doppelkreuz Wiblingens in seiner linken Kralle. So auf dem Aquarell des Abtes Meinrad Hamberger, auf seinem Exlibris und auf seinem Wappen am südliche Rand des Deckenfreskos im Bibliothekssaal. Auch sein Nachfolger Modest II. Kaufmann verwendet diese Darstellung in seinem Wappenstich von 1762. Aber schon in seinem nachträglich im nördlichen Teil des Freskos im Bibliothekssaal gemalten Wappen fehlt das Herzschild mit dem kreuztragenden Vogel. Dann fällt es der Vergessenheit heim. Nun besteht das Klosterwappen nur noch aus dem Doppelkreuz und der Kirchberger Mohrin. Kein Wunder, dass heutige Historiker dem doch eher seltsamen Straussenvogel nicht nachgehen und trotz fehlender vorbarocker Wappendarstellungen lieber das Doppelbalkenkreuz als ursprüngliches Abteiwappen bezeichnen  und den Straussenvogel abwechselnd einem beliebigen Abt zuordnen.[5]

Pius Bieri 2012

Anmerkungen:

[1] Wappenrolle von Zürich, Mitte 14. Jahrhundert.

[2] Stich von Bartholomäus Kilian, Augsburg. Er zeigt über der Klosterdarstellung mit dem Wappen die Einsiedler Madonna. Das Wappen im Zentrum ist dasjenige des Abtes Maurus Falkner. Der Stich erscheint nach der Einweihung der Kapelle Maria Einsiedeln auf einem Hügel beim Kloster Wiblingen. Die Kapelle ist eine Replik der 1615−1634 von Santino Solari gebauten Gnadenkapelle im innerschweizerischen Wallfahrtsort. Die Wiblinger Einsiedeln-Kapelle wird 1811 abgebrochen.

[3] Ein Beispiel ist die Benediktinerabtei Scheyern (Reliquienfassung byzantinisch, 12. Jahrhundert, im Klosterwappen erst seit Ende des 17. Jahrhundert). Nur wenige Klöster haben das Doppelkreuz als Ableitung einer Heilig-Kreuz-Reliquie schon früher als Hauszeichen oder Wappen, wie die Benediktinerabtei Donauwörth oder das Augustinerinnenkloster Stuben an der Mosel (Reliquienfassung 10. Jahrhundert, im Klosterwappen). Andere Klöster führen das Doppelkreuz als Wappen der Stifter, wie das Franziskanerkloster Königsfelden (Stifterin ist Königin Agnes von Ungarn) oder zum Andenken an ein Ordensmitglied, wie das Dominikanerinnenkloster Töss (Wappen der Elisabeth von Ungarn).

[4] Die drei Klosterwappen werden von Gerhard Rimmele in der Wappengeschichte von Illerkirchberg als Wappen des Abtes Georg Hacker (reg. 1517−1527) bezeichnet.

[5] «Ein Doppelbalkenkreuz auf einem Dreiberg wird schon im Mittelalter Wappen und Wahrzeichen von Wiblingen» schreibt Wolfgang Urban in Wiblingen, Kloster und Museum, Stuttgart 2006. In der gleichen Publikation behauptet Catharina J. Fehrendt, dass das Wappen mit den drei Taukreuzen das ursprüngliche Wipplinger Wappen sei und der Straussenvogel mit dem Hufeisen das Wappen des Abtes Modest I. Huber bedeute. Dies, obwohl sie im gleichen Aufsatz einleitend schreibt, dass das «Wappen mit dem Strauss und dem Wiblinger Doppelkreuz am südlichen Rand des Gewölbefreskos» dasjenige des Abtes Meinrad Hamberger sei. Die persönlichen Wappen dieser Äbte zeigen aber ein gespaltenes Schild (Huber), einen Stern auf Dreiberg (Hamberger) und ein geviertetes Schild (Kaufmann).

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