Die Meister des Bauwerks
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Antonio Riva (1650–1713) Roveredo Misox Riva   Baumeister-Architekt 1691   ~1693
Giovanni Pietro Camuzzi (um 1650–1718) Montagnola Tessin     Stuckateur 1693   1694
Giovanni Carloni oder Johann Carlone (1636–1713) Riva San Vitale     Maler, Freskant 1693   1694
Giacomo Antonio Mazza (Lebensdaten unbekannt) Unbekannt     Maler, Freskant 1693   1694
Andrea Giovanni Solari (geb. 1668/69) Verna, Val d'Intelvi (I)     Altarbauer 1693   1702
Franz Werner Tamm (1658–1724) Hamburg     Maler 1701   1701


Vilshofen
Wallfahrtskirche Maria-Hilf am Birnbaum


Ursprung der Wallfahrt  
Die Maria-Hilf Wallfahrt in Vilshofen beginnt 1657 mit der Anbringung einer auf Holz gemalten Kopie des Gnadenbildes der Passauer Mariahilf-Wallfahrt.[1] Ein Bürger von Vilshofen befestigt die Bildtafel an einen Birnbaum, der eine Viertelstunde ausserhalb der Stadt an der Landstrasse nach Osterhofen liegt. Sofort beginnt eine Wallfahrt zum Bild, und auch die üblichen Wunder bleiben nicht aus. 1660 wird durch das Vilshofener Kollegiatstift St. Johannes eine erste, hölzerne Kapelle für das Bild gebaut.

Baugeschichte

Neubau der Wallfahrtskirche 1691–1694
Kollegiatstift und Magistrat der Stadt Vilshofen beschliessen 1690 einen Neubau. Stiftsdechant Korbinian Haldenberger legt am 23. April 1691 den Grundstein. Planer ist der Misoxer Baumeister Antonio Riva, der um diese Zeit in München wohnhaft ist.[2] Als Stuckateur wird 1693 der Passauer Hofstuckateur Giovanni Pietro Camuzzi beigezogen.[3] Die Stuckmarmoraltäre sind Werke des eher unbekannten Andrea Solari, vielleicht eines Grossneffen des Salzburger Dombaumeisters Santino Solari.[4] Solari fertigt den Hochaltar 1693, die beiden Seitenaltäre erst 1702. Für die Gewölbefresken werden 1693  Johann Carlone[5] und Giacomo Antonio Mazza[6] verpflichtet. 1694 ist das Bauwerk mit Ausnahme der Kanzel, der zwei Seitenaltäre und der Orgel vollendet, in feierlicher Prozession wird das Gnadenbild am 21. November in die neue Kirche übertragen. Die Baukosten betragen zu diesem Zeitpunkt 4394 Gulden.

Ausstattungen des 18. Jahrhunderts
1702 erstellt Andrea Solari auch die beiden Seitenaltäre. Ihre Blätter malt der Wiener Hofmaler Franz Werner Tamm.[7] 1780 werden Kanzel, Tabernakel und auch Altarstipites in ansprechendem Spätrokoko eines einheimischen Kunstschreiners ersetzt. Erst 1768 folgt die Orgel. Ihr Werk wird 1828 ersetzt.[8]

Heute
Mehrere Renovierungen im 19. und 20. Jahrhundert, die letzte 1992, scheint das Gebäude unbeschadet überstanden zu haben. Verändert hat sich aber die nähere Umgebung. Die früher in freier Landschaft an der Landstrasse liegende Kirche ist heute durch Gewerbe- und Industriebauten eingekreist.

Die Architektur der Wallfahrtskirche

Schlüsselbau des bayrischen Zentralbaugedankens
«Die Wallfahrtskirche Maria-Hilf ist ein reiner Zentralbau in Form eines griechischen Kreuzes, mit einer Flachkuppel über dem Zentralraum und Halbkreistonnenüber den rechteckigen Kreuzarmen, als ein italienisches Barockschema».[9] Dieser Bautyp ist in Italien seit der frühen Renaissance Hauptthema vieler Kirchenbauten, während mit den Thermenfenstern ein venezianisches Palladio-Motiv der Spätrenaissance aufgenommen wird.[10] Für Bayern ist es der erste Zentralraum in derart klarer Form.[11] Viscardi, der Landsmann von Riva, wird 1700 mit seiner Wallfahrtskirche Maria-Hilf in Freystadt dem Zentralbaugedanken in Bayern zum Durchbruch verhelfen.

Stuckaturen und Deckengemälde
Im Innenraum der  Wallfahrtskirche von Vilshofen ist die glückliche Zusammensetzung der Stuckateure, Maler und Altarbauer  zu spüren. Alle stammen aus dem Kreis der in Passau tätigen Carloni. Die Stuckaturen sind von gleicher Qualität wie diejenigen der Stiftskirche Garsten, aber zurückhaltender angewandt. Das Kuppelgemälde der  Himmelfahrt Mariens und die Zwickelfresken der vier Evangelisten wirken im Vergleich zu den Werken in Ardagger (Mazza 1680), Baumgartenberg (Mazza 1696), Schlierbach (Carlone 1685) oder Pfarrkirchen (1695) allerdings seltsam leblos. Hier dürfte nach mehrfachen Übermalungen und Restaurationen (1908, 1934,1992) nur noch die Komposition original sein.[12] Der Gesamteindruck von Architektur, Stuck und Bildausstattung bleibt aber trotzdem beeindruckend.

Pius Bieri 2016

Literatur:

Burkart, Matthias: Maria-Hilf, das ist kurze Beschreibung der berühmtesten Gnadenbilder dieses Titels [etc.], München 1862. Seiten 50–51.
Mader, Felix und Ritz, Joseph Maria: Die Kunstdenkmäler von Niederbayern, Bezirksamt Vilshofen. München 1926.
Lippert, Karl-Ludwig: Giovanni Antonio Viscardi, München 1969.
Paulus, August: Maria-Hilf-Kirche – Friedhofskirche St. Barbara – Rundkirche Hausbach. Kunstführer der Pfarrei Vilshofen. Vilshofen 1999.

Fotos:
Einzelne dieser Seite sind aus den Wikipedia-Commons übernommen. Dem Autor danke ich für die Genehmigung zur Weiterverwendung.

Anmerkungen:

VilshofenCranach   [1] Die Wallfahrt zu Mariahilf in Passau geht auf ein Bild der sitzenden Muttergottes mit Kind zurück, das Lucas Cranach für den Kurfürsten von Sachsen malt. Dieser schenkt es 1611 an den Erzherzog Leopold V. von Österreich, der es auf Reisen mitnimmt und in seiner Eigenschaft als Fürstbischof auch in der Residenzkapelle Passau aufstellt. Noch bevor er 1650 das Bild an die Stadtpfarrkirche St. Jakob in Innsbruck schenkt, lässt ein Domdekan in Passau eine Kopie anfertigen. Das Passauer Bild ist Auslöser einer Wallfahrt und führt 1624 zum Bau der Wallfahrtskirche Mariahilf über der Innstadt von Passau. Bildquelle: Wikipedia.

[2] Antonio Riva (um 1645/50–1713) aus Roveredo. Er wird für die Planung der Wallfahrtskirche mit 18 Gulden entschädigt. Gemäss dem Kunstführer (1999) wird auch die Bauleitung an Riva übertragen. Dies ist wahrscheinlich, denn Riva leitet gleichzeitig in Aurolzmünster und in Wien Neubauten, sodass er für Vilshofen nur einen Umweg von wenigen Reitstunden einplanen muss. Zu Antonio Riva siehe die Biografie in dieser Webseite.

[3] Giovanni Pietro Camuzzi (um 1650–1718) aus Montagnola bei Lugano ist engster Mitarbeiter der berühmten Stuckateure Giovanni Battista und Bartolomeo Carloni aus Scaria (Val d'Intelvi). Mit ihnen stuckiert er 1682–1687 die Stiftskirche Garsten und arbeitet mit der Werkstatt Carloni auch in Passau. Hier heiratet er, erwirbt das Bürgerrecht und ist 1682–1702 Hofstuckateur.

[4] Andrea Giovanni Solari, geb. 1668/69 in Verna im Val d'Intelvi, Marmorierer und Stuckateur, Sohn des Baumeisters Francesco und Bruder des Pietro Solari (1687–1762), der als Marmorierer in der Lombardei und im Tessin bekannt wird.

[5] Giovanni Carlone oder Johann Carlone (1636–1713) aus Rovio im Tessin. Bis 1685 arbeitet er im Piemont und in der Heimat. Obwohl die Familie nicht mit den Carlone im nahen Val d'Intelvi verwandt ist, geht er anschliessend mit den beiden Stuckateuren Bartolomeo und Giovanni Battista Carlone nach Oberösterreich, wo er für das Stift Schlierbach einen ersten grossen Freskenzyklus ausführt. 1698 kehrt er in die Heimat zurück. Siehe zu ihm die Webseite «Artisti Italiani Austria» und «Tessiner Künstler iin Europa».

[6] Giacomo Antonio Mazza, auch Jacopo Antonio Maza. Lebensdaten und Herkunft ungeklärt. Aufgrund seiner Werke (Kremsmünster 1676, Ardagger 1680, Vilshofen 1693, Baumgartenberg 1696, Pfarrkirchen im Mühlkreis 1701) dürfte sein Geburtsdatum vor oder um 1650 liegen. Paulus nennt im Kunstführer (1999) das Sterbedatum 1729 und als Geburtsort Lanzo im Val d'Intelvi. Ursula Stevens (in Tessiner Künstler in Europa) vermutet in ihm den Vater des Misoxer Baumeisters Domenico Mazio aus Roveredo, der als Landauer Stadtbaumeister Dominikus Magzin in Niederbayern von 1690 bis 1726 tätig ist. Damit wäre Mazza oder Mazio mit Antonio Riva, dem Baumeister der Wallfahrtskapelle, verschwägert.

[7] Franz Werner Tamm (1658–1724) aus Hamburg, seit 1695 Hofmaler in Wien, hält sich 1701 in Passau auf.

[8] Das Instrument soll noch im Zustand von 1828 vorhanden sein. Georg Adam Ehrlich (1777–1848) aus Lauingen hat sich auf der Orgel als Orgelmacher «in Wiesent und Passau» mit Bleistift verewigt. Über das Werk finden sich keine weiteren Angaben.

[9] Aus Kunstdenkmäler von Niederbayern 1926.

sangallo   [10] Frühes Beispiel für den Zentralbau über griechischem Kreuz ist die Kirche Santa Maria delle Carceri in Prato (1486–1495, Giuliano da Sangallo). 1505 legt Bramante das gleiche Thema als Projekt für den Petersdom vor. Thermenfenster Thermenfenster an Kirchenbauten sind seit Palladio verbreitet. Beispiel: Fassade von «Le Zitelle» in Venedig, 1581–1585 gebaut, aus «Le fabbriche e i disegni di Andrea Palladio», Scamozzi 1796. Quelle: ETHZ.

[11] Ausserhalb Kurbayerns ist die Burgstallkapelle in Kissing (1681/82) der Jesuiten von Augsburg zu erwähnen. Sie ist vermutlich nach Plänen von Giovanni Antonio Viscardi gebaut. Riva könnte dieses Bauwerk seines Landsmanns kennen. Auch die Kapelle von Sameister von Johann Jakob Herkomer ist seit 1686 gebaut. Die Beispiele zeigen, dass das Thema auch im Norden der Alpen in der Luft liegt. Die Kapelle von Sameister liegt zudem am Weg von München nach dem Heimatort Roveredo.

[12] Die vorhandene Literatur sagt weder über die Aufteilung der Arbeiten, noch über die späteren Eingriffe etwas aus. Mangels Unterlagen kann auch nicht beurteilt werden, ob die Gemälde «al fresco» aufgetragen sind, oder ob es sich um Seccomalerei handelt. Zudem wird dem heutigen Besucher der Eintritt nur bis zum Gitter gestattet, was eine Betrachtung der vielen Bilder in den Kreuzarmen verunmöglicht.


Bild rechts:
Ex-Voto-Bilder als Zeugen der Volksfrömmigkeit im 18. und 19. Jahrhundert sind heute im südlichen Kreuzarm der Kirche als Bildmosaik aufgehängt. Früher wahrscheinlich in der immer zugänglichen Vorhalle für jeden lesbar (und dort sicher weniger geordnet) angebracht, sind sie heute vom Normalbesucher nur noch durch das Vorhallengitter zu sehen. Foto: High Contrast, 2011 in Wikipedia.


  Wallfahrtskirche Maria-Hilf am Birnbaum in Vilshofen  
  Vilshofen1926VilshofenGrundriss  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18 Jh.)
Vilshofen Bayern D Kurfürstentum Bayern
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Passau 1691
Bauherr und Bauträger

Kollegiatstift St. Johannes Vilshofen
 
  1926 steht die Maria-Hilf-Kirche noch frei in der Landschaft. Ansicht und Grundriss mit Schnitt aus den «Kunstdenkmälern von Niederbayern». Anklicken!   pdf  
   
Vilshofen2
Das Kuppelfresko, aus dem Vorraum gesehen. Foto: Bieri 2016.  
   
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Die Maria-Hilf-Kirche von Süden gesehen. Foto: High Contrast, 2011 in Wikipedia.  
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Der Hochaltar, erstellt 1693/94. Das Stuckmarmor-Retabel von Andrea Solari steht vor einer vorgängig gemalten Draperie (Carlone, Mazza). In den Stuckaturen von Camuzzi sind drei der zwanzig, 1693 mit Carlone und Mazza festgelegten Szenen aus der Marienvita zu sehen. Sie scheinen qualitativ besser als die Malereien der im Vertrag nicht erwähnten Kuppelbilder. Im Altarblatt ist das Gnadenbild von 1657 eingefügt. Foto: Bieri 2016.  
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Der linke Seitenaltar.  Beide Seitenaltäre sind ebenfalls Werke von Andrea Solari und qualitativ gleichwertig mit dem hochbarocken Hochaltar. Sie werden erst 1702 in die Kirche versetzt. Die Altarblätter, hier der hl. Joseph mit Jesuskind und im Auszug der hl. Johann Nepomuk, sind Werke des Wiener Hofmalers Tamm. Foto: High Contrast, 2011 in Wikipedia.  
Fotos: 
Fotos dieser Seite sind aus den Wikipedia-Commons übernommen. Den Autoren danke ich für die Genehmigung zur Weiterverwendung. ilshofen52
Der rechte Seitenaltar. Das Altarblatt stellt den hl. Benno im Bischofsornat dar. Im Auszug ist der hl. Franz Xaver gemalt. Foto: High Contrast, 2011 in Wikipedia.  
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