Klosteranlage
An der Stelle des Grabes des heiligen Trudpert, eines Wandermönches aus Irland, wird im oberen Münstertal ein Kloster gegründet. 965 lässt Bischof Konrad die Gebeine des Heiligen erheben. Es ist dies auch die erste gesicherte Nachricht über den Klosterort. Er ist 1185 als Benediktinerabtei bezeugt. Das Kloster liegt in einem mittelalterlichen Silberbergbau-Gebiet und teilt die Blüte des Gewerbes im Hochmittelalter, aber auch den Niedergang nach Erschöpfung der Vorkommen im 14. Jahrhundert. Zeugen der mittelalterlichen Hochblüte und des Reichtums sind zwei aus Silber gefertigte Reliquienkreuze des Klosters: Ein romanisches Niello-Kreuz und das gotische, vergoldete Vortragekreuz, das heute in der Eremitage von Petersburg[1] zu bewundern ist. Von der Klosteranlage dieser Zeit ist kein Dokument überliefert. An Stelle der heutigen Kirche steht bis 1450 eine romanische Basilika, deren Ostteil jetzt durch einen neuen, höheren gotischen Chor ersetzt wird. Zerstörungen im Bauernkrieg sind überliefert, die Gebäude werden aber im 16. Jahrhundert rasch wieder hergestellt.
Der Humanist Gabriel Bucelinus (1599–1681) ist 1624 Pater in St. Trudpert. Sehr präzise hat der begabte Zeichner das spätmittelalterliche Kloster auf einer Rohrfederzeichnung von Süden festgehalten. Sie zeigt eine geordnete, geschlossene Anlage um einen Hof, der dem heutigen Klausurhof im Süden der Kirche entspricht. Der Westtrakt ist dreigeschossig, Süd- und Osttrakt sind zweigeschossig. Das romanische Langhaus der Kirche wird vom 1456 eingeweihten gotischen Chor mit der zweigeschossigen Marienkapelle und einem Chorturm überragt. Im Westen des Langhauses ist der grössere Mittelturm in eine Art Westwerk integriert. Diese Klosteranlage wird 1632 von den Schweden gebrandschatzt.
Die Zerstörungen werden vorerst provisorisch behoben. Die Wiederherstellung der Kirche beginnt 1665 mit neuen Ausstattungen. 1670 fertigt Jakob Räber aus Luzern das Chorgestühl und eine (heute verschollene) Kanzel. Aber erst Abt Augustin Sengler (1694–1731) leitet die barocke Umgestaltung ein. 1698 lässt er im Nordosten die kreuzförmige Trudpertskapelle erbauen. 1709–1710 wird der spätgotischen Chor der Kirche gewölbt und 1715–1722 weicht das mittelalterliche Langhaus einem Wandpfeilerraum. Die Einweihung findet 1727 statt. Abt Franciscus Hermann (1731–1738) konsolidiert die Finanzen und kann 1737 Peter Thumb für den Neubau der Klostergebäude beauftragen. Unter dem Nachfolger Abt Coelestin Hermann (1738–1749) ist 1738 Baubeginn, aber erst unter dem Abt Paul Erhart (1757–1780) wird das Bauvorhaben zum Abschluss gebracht.
Trudpertskapelle und Chorumbau 1698–1710
Mit den Baumeistern Peter Gayet und Johann Travers aus Breisach baut Abt Augustin 1698–1700 die zweigeschossige Trudpertskapelle an der Stelle des legendären Märtyrertodes des heiligen Trudperts. Der Zentralbau stellt eine Durchdringung von Lang- und Querhaus dar und ist mit einer oktogonalen Kuppel bekrönt. Das Untergeschoss ist ein Brunnenhaus mit der Quelle des heiligen Trudperts.
Bis 1710 wird anschliessend der nach 1632 nur notdürftig gedeckte gotische Chor umgebaut und unter dem Ansatz des zerstörten gotische Gewölbes eine neue Stichkappentonne eingezogen. Sie ist massiv gemauert. Der Baumeister ist unbekannt. Nur der Maler der Fresken, die 1710 erstellt werden, ist bekannt. Es ist Francesco Antonio Giorgioli aus Meride.
Peter Thumb als Baumeister
Obwohl die Quellenlage wenig ergiebig sind, wird der Neubau des Langhauses von 1715–1722 seit jeher als Werk Peter Thumbs bezeichnet. Aber nur die Umgestaltung der Turm-Westfassade (1738) und der Klosterneubau von 1738 bis 1756 sind gesicherte Werke des Vorarlbergers. Thumb ist während der Bauzeit des Langhauses von St. Trudpert an Turmbauten in Erstein, der Residenz in Guebwiller und am Klosterneubau in Altdorf engagiert. Die Orte liegen im Elsass, wo er 1708–1712 auch die Doppelturmfassade des Klosters Ebermünster gebaut hat. Geografisch ist ein gleichzeitiger Kirchenneubau in St. Trudpert möglich. Die Leistungsfähigkeit ist bei Thumb legendär. Zudem hat Abt Augustin Sengler hervorragende Beziehungen zu den Bauherren im Elsass.[2]
Hans Martin Gubler, der Biograph Peter Thums, schliesst ihn trotzdem als Baumeister des Langhauses aus. Tatsächlich sind die Ausbildungen der Wandpfeiler und der Emporen im Vergleich zu seinem Werk in Lachen (SZ) und seinen Paliertätigkeiten in St. Urban und Rheinau sehr schwach und völlig untypisch für den Vorarlberger-Kreis um Franz Beer II und seinen Schülern um 1715. Ein Vergleich der Gesimsausbildungen und der Emporen von Lachen, Ebersmünster und St. Peter mit St. Trudpert zeigt die Richtigkeit der Einwände Gublers. Zudem spricht das an den Dachstuhl gehängte Gipslattengewölbe des Langhauses nicht für Thumb, der für Wandpfeilerräume das entsprechende massiv gemauerte Gewölbe ausführt. Wird Peter Thumb trotzdem weiter als Baumeister bezeichnet, so ist dies angesichts der architektonisch interessanten Lösung in St. Trudpert wenigstens keine störende Vermutung.
Barockes Langhaus als Einbau in mittelalterlichem Perimeter
Der neue barocke Wandpfeilerraum ersetzt das Langhaus der romanischen Basilika. Er schliesst an den 1456 errichteten und 1709–1710 barock umgestalteten Chor an und ist im Westen durch den Turm begrenzt. Der romanische Westturm, nach der Darstellung Bucelins ein mächtiges Bauwerk und axial ausgerichtet, ist mit grösster Wahrscheinlichkeit mit den heutigen unteren Turmgeschossen identisch. Seit 1712 wird an ihm weitergebaut. Mit dem Turm im Westen und dem Chor im Osten hat der Baumeister des Langhauses wenig Planungsspielraum. Es ist dem Baumeister aber gelungen, trotz der sehr einengenden Vorgaben eine beeindruckend einheitliche barocken Raumwirkung zu schaffen. Der Baumeister der frühen Gipslatten-Flachtonne kommt aber, wie oben dargelegt, kaum aus dem Vorarlbergischen.
Ausstattung der Kirche
Francesco Antonio Giorgioli, der 1710 bereits die Fresken im Chor erstellt, malt 1717–1722 auch die Deckenfresken des Langhauses. Es sind seine letzten Werke nördlich der Alpen. Die Stuckaturen sind Arbeiten von Landsleuten Giorgiolis: Carpoforo Ursate und Michelangelo de Prevoste aus Campione erstellen sie ab 1717. Acht der zehn neuen Altäre im Langhaus erhalten von 1717–1729 Altarblätter von Jacob Carl Stauder. Die Altäre werden 1763 umgebaut und neu gefasst. Der Hochaltar ist erst 1780–1784 entstanden, er ist ein frühklassizistisches Werk des Riedlingers Franz Josef Friedrich Christian (1739–1798), des Bruders des letzten Abtes Columban II. (1731–1810).
Die Kanzel gilt als ein Hauptwerk von Matthias Faller. Um 1750 für die Augustinerchorherrenkirche in Freiburg erstellt, ist sie 1823 vom letzten Überlebenden des säkularisierten Klosters St. Trudpert, Pfarrer Maurus Ortlieb, ersteigert worden.
Die barocken Abteigebäude von Peter Thumb
Die Planung ist grosszügig: Der Südtrakt entspricht zwar im Umfang und vermutlich zum grossen Teil auch in den aufgehenden Mauern dem alten Konventbau des 17. Jahrhunderts, jetzt allerdings mit dreigeschossigen Bauten. Thumb verlängert aber den Südflügel nach Westen, als langer Gast- oder «Hof»- Flügel und auch nach Osten, hier als vorstehende Eckrisalit. Einschneidender ist aber der neue Amtshausflügel nordseitig des Turmes in der Flucht des Konvent-Südflügels. Damit werden eine repräsentative Westfassade, mit dem Turm in einem umgestalteten Mittelrisalit, und ein Ehrenhof geschaffen. Ähnlich, wenn auch nicht in dieser Ausdehnung, plant Thumb später die Birnau.
Thumb beginnt nach diesem Plan am 22. April 1738. Bereits Ende 1739 werden die noch nicht ganz vollendeten Konventgebäude bezogen. Die Bauarbeiten gehen so schnell voran, weil Thumb nur die Verlängerungen völlig neu bauen muss und vorerst den durch den «Hof» verlängerten Südflügel erstellt. Die Bauarbeiten werden durch den notwendigen Neubau von Ökonomiegebäude unterbrochen, die 1738 einem Brand zum Opfer und Vorrang vor dem Weiterbau der Konventgebäude haben. Erst 1757, nach dem Amtsantritt von Abt Paul Erhardt, wird der nordseitige Amtshausflügel begonnen und die grosse Anlage so vollendet, wie wir sie aus den Altarbildern und Stichen kennen und wie sie Peter Thumb geplant hat.
Pius Bieri 2008
Benutzte Einzeldarstellungen:
Kraus, Franz Xaver: Die Kunstdenkmäler des Grossherzogtums Baden, Sechster Band, Die Kunstdenkmäler des Landkreises Freiburg, Tübingen und Leipzig 1904.
Sebert, Werner: Die Benediktinerabtei St. Trudpert im Münstertal, ihre Bau- und Kunstgeschichte, in: Freiburger Diözesan-Archiv, Band 82. Freiburg 1962. (Wichtigstes Werk zur Baugeschichte, siehe WWW-Links!).
Gubler, Hans Martin: Peter Thumb, Sigmaringen 1972.
Kurrus, Theodor: St. Trudpert im Münstertal, Schnell Kunstführer Nr. 1081, 1976 (2003).
Links:
1. Wikipedia
2. Baugeschichte Werner Sebert 1962, mit vielen Plänen und Bilddokumenten (PDF-Dokument 42 Mb)
Anmerkungen:
[1] Das Kreuz wird vor der Säkularisation nach Mariastein im Schweizer Jura verbracht, kommt aber nach der Aufhebung auch dieses Klosters an den Zarenhof.
[2] Abt Augustin Sengler ist Elsässer aus Schlettstadt, tritt ins Kloster Ebersmünster ein und hat dort einen Bruder, der später auch Abt wird.
[3] in «Die Kunstdenkmäler des Grossherzogtums Baden», 1904. Der Autor glaubt dort, dass die Klostergebäude offenbar nie vollendet wurden.
Heraldik in St. Trudpert: Wappenschilder als Türbekrönungen | ||||
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Mittelportal am Haupteingang zum Westflügel, der ehemaligen Prälatur. Die Prälatur ist ein Bauwerk des Abtes Coelestin Herman (reg. 1738–1749). Der Abt, der sich hier 1751 mit einem Portal und seinem Wappen verewigt, ist aber sein Nachfolger Columban I. Blonsche. Das Portal ist sein einziger baulicher Beitrag in St. Trudpert. Er bringt es an einem Bau an, mit dem der nichts zu tun hat, kein Ruhmesblatt für einen Prälaten. In Rocaille-Rahmung zeigt das Wappen zwei aufspringende, voneinander abgewandte Windhunde mit Halsband. |
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Der Lageplan zeigt den Zustand um 1780 und die seitherigen Abbrüche. Anklicken! | |
Der Grundriss der ehemaligen Stiftskirche mit den Bauetappen. Nur das Langhaus ist ein barocker Neubau. | |
Auf einer Vogelschauansicht aus Westen ist die Klosteranlage vor den Abbrüchen nach 1806 dargestellt. Noch steht der markante Kirchturm symmetrisch in der Westfront. Vergleiche mit dem Lageplan oben! | |
1904 wird der Grundriss der Anlage in den Kunstdenkmälern des Grossherzogtums Baden veröffentlicht. Der nördlich an die Kirche anschliessende Amtshausflügel und der Konvent-Südflügel existieren nicht mehr. Beim Hofgebäude ist der Eckrisalit-Bau verschwunden. | |
Eine Fotografie um 1900 zeigt des Kloster aus Südosten mit dem fehlenden Konvent-Südflügel, dem gestutzten Hofgebäude und dem um ein Stockwerk reduzierten Ostflügel. | |
Die Luftaufnahme des heutigen Klosters zeigt die gewaltigen Veränderungen durch die Neubauten des 20. Jahrhunderts, die das barocke Anlagekonzept wieder aufnehmen und dieses sogar noch mit einer Kuppelkirche erweitern. Bildquelle: Wladyslaw Sojka in Wikipedia. |
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Die Trudpertskapelle (1698–1700) ist der erste barocke Neubau in St. Trudpert. Im Hintergrund rechts ist der steil aufragende gotische Chor der ehemaligen Klosterkirche zu sehen. | |
Man stelle sich die Fortsetzung des Prälaturflügels nördlich des Turms vor. Diese gewaltige Westfront mit der dannzumal zentralen Turmfront existiert tatsächlich bis 1838 und geht dann derart vergessen, dass noch 1904 die alten Darstellungen als nicht verwirklichte Idealplanungen betrachtet werden. | |
Der Kirchen-Innenraum mit Blick zum Chor und zum schon frühklassizistischen Hochaltar von Franz Josef Friedrich Christian, dem auch das Relief am Triumphbogen zugeschrieben wird. Die zehn Seitenaltäre stammen mit Ausnahme von zwei Altären am Eingangsjoch aus den Jahren 1717–1727. Sie werden 1762–1764 neu gefasst und teilweise angepasst. Im Bild sind links der Rosenkranzaltar und rechts der Kreuzaltar zu sehen. Anmerkung: Völlig falsche Datierung (1665) für den Rosenkranzaltar im «Dehio»! Bildquelle: Andreas Praefcke in Wikipedia. |
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Francesco Antonio Giorgioli malt 1717–1722 die Deckenfresken im Langhaus. Im grossen Mittelfresko ist die Bekehrung des hl. Paulus dargestellt, die seitlichen Zwickelfresken stellen Szenen aus dem Leben des hl. Trudpert dar. |