Die Meister
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Joseph Bader (†1721) Wessobrunn     Baumeister 1696   1721
Egid Quirin Asam (1692–1750) Tegernsee Bayern AsamEQ   Stuckateur, Bildhauer 1717   1723
Johann Jakob Plätzger (Lebensdaten unbekannt) Berchtesgaden     Maler 1721   1721
Cosmas Damian Asam (1686–1739) Benediktbeuern Asam   Maler 1725   1725
Johann Konrad Brandenstein (1695–1757) Kitzingen Brandenstein   Orgelbauer 1725   1725
Martin Bader (1704–1755) Rohr     Baumeister 1749   1755
Christoph Thomas Wolf (Lebensdaten unbekannt) Stadtamhof     Baumeister 1755   1760

Rohr
Ehemaliges Augustiner-Chorherrenstift und Stiftskirche Mariä Himmelfahrt

Klostergeschichte

RohrStifterbild   Das Chorherrenstift von der Gründung 1133 bis zum Dreissigjährigen Krieg
Der Edle Adalbert von Rohr,[1] ein Verwandter der Grafen von Abensberg, übergibt seinen Besitz 1133 dem Bischof von Regensburg zur Gründung eines Augustiner-Chorherrenstifts. Adalbert tritt selbst als Mönch ins Kloster ein. Die Neugründung liegt zwei Wegstunden südöstlich von Abensberg am Rohrbach, einem Zufluss der Grossen Laber. Hier besteht an der Kreuzung zweier alten Fernstrassen bereits ein Dorf,[2] der spätere Marktort Rohr. Schon bald übertragen die Chorherren den Schutz der Neugründung an die Grafen von Abensberg. Diese betätigen sich ebenfalls als Stifter und richten in Rohr ihre Grablege ein. Der Klosterort liegt jetzt im Absatz des stiefelförmigen Territoriums der Grafschaft Abensberg, das sich über die Donau bis ins Eichstätter Gebiet ausdehnt. Dem Stift sind inzwischen fünf Pfarreien inkorporiert. Unter Propst Petrus Fries, der als Professe von Indersdorf 1449 bis 1455 regiert, führt Rohr die Reform von Raudnitz ein, die auch als Indersdorfer Reform bekannt ist. Mit ihr wird im Stift das Privateigentum und das Pfründenwesen aufgehoben. Das 15. Jahrhundert bedeutet für Rohr auch den Übergang an Bayern. Nach dem Aussterben der Abensberger besetzt 1485 der Bayernherzog die Grafschaft und erwirbt sie 1493 endgültig. Die Reformationswirren des 16. Jahrhunderts setzten der Chorherrengemeinschaft zu. Während der vierzigjährigen Regierung des Probstes Johannes III. Holnsteiner von 1589 bis 1630 erholt sie sich wieder. Der Propst führt zudem die katholische Erneuerung gemäss dem Konzil von Trient ein. So müssen jetzt alle inkorporierten Pfarreien durch Chorherren betreut werden. Papst Clemens VIII erteilt 1595 dem Reformpropst und seinen Nachfolger das Recht auf den Gebrauch der Pontifikalien. 1618–1620 erfolgen auch die barocke Umgestaltung der Stiftskirche und die Erweiterung der Konventbauten.
Nur 12 Jahre später wird das Kloster im Dreissigjährigen Krieg «von denen Schweden völlig in Asche gelegt, mithin auch ein herrliche Bibliothec, von 40 000. Reichs-Thaler geschätzt, im Rauch aufgegangen».[3] 1648 brennt das Kloster erneut, diesmal sind kaiserliche Truppen verantwortlich. Erst jetzt brennt auch die Kirche. Die Klostergemeinschaft ist von 24 Mitgliedern im Jahr 1633 bis zum Ende des Krieges auf sechs zusammengeschmolzen. Das Stiftseinkommen ist wegen Bevölkerungsschwund und verlassener Höfe von 14 000 Gulden auf 2000 Gulden gefallen. Erst ab 1661 kann der Wiederaufbau der zerstörten Klosteranlage erfolgen, für den sich auch Kurfürst Ferdinand Maria einsetzt.[4]
Im Chor der Stiftskirche ist das Stifterbild in eine Fensternische eingelassen. Im Ölgemälde eines unbekannten Malers um 1725 kniet der Stifter Adalbert von Rohr vor dem Altar der Muttergottes und widmet ihr seine Güter. Zwei Putti halten den Klosterplan mit den markanten Rundtürmen des neuen Westflügels von 1620. Im Hintergrund kleidet Bischof Heinrich I. von Regensburg den ins Kloster eingetretenen Stifter ein.
Foto: Bieri 2019.
 

Das Chorherrenstift im 18. Jahrhundert
1682 wird Patritius von Heydon als Propst gewählt. Er regiert bis 1730.[5] Das Stift ist zur Zeit seiner Wahl noch immer verschuldet, die Einnahmen sind nach dem Krieg wegen der grossen Bevölkerungsverluste drastisch gesunken und beginnen erst jetzt wieder zu fliessen. Aus eigener Kraft erreicht Rohr bis zum Jahrhundertende eine Konsolidierung. Propst Patritius II. kann sich nun als Bauabt betätigen. 1696 lässt er den Kirchturm aufstocken, 1701 beginnt er mit dem Neubau von Mühle und Pfisterei und 1717 mit dem Neubau der Stiftskirche. Noch während der Kriegswirren des Spanischen Erbfolgekriegs baut er ab 1703 den Neubau der Wallfahrtskirche auf dem Laaberberg. Er ist auch Bauherr der Pfarrkirche von Semerskirchen.
Sein Nachfolger Maximilian Kipfhorer[6] regiert nur vier Jahre. Propst Ludwig II. Wismann[7] beginnt nach seiner Wahl mit dem Neubau der Klosteranlage, baut bis 1738 einen Getreidekasten[8] und errichtet neue Ökonomiegebäude.[9] 1749 legt er den Grundstein zum neuen Westflügel. Erst der nachfolgende Propst Patritius III. von Guggomos[10] beendet 1760 die Konventneubauten. Er stirbt 1787. Die folgenden letzten 16 Jahre leiten das Stift fünf Pröpste. Sie sterben nach wenigen Regierungsjahren teilweise noch jung, eine weitere Aufbauarbeit ist so nicht mehr möglich. Rohr ist aber am Ende des Jahrhunderts schuldenfrei, dies trotz der Koalitionskriege und der finanziellen Bedrängnisse durch die bayerischen Kurfürsten. Es erwirtschaftet Einnahmen von 12 000 Gulden bei Ausgaben von 10 000 Gulden, hat in der Blütezeit unter Propst Patritius von Heydon 23 Chorherren und beschäftigt 48 Arbeitnehmer.[11]

Säkularisation und Zerstörung
Der letzte Propst Petrus II. Pustet[12] wird zu einer Zeit gewählt, in der für die bayerische Regierung die Vermögenssäkularisation aller Klöster und Stifte längst klares Ziel ist. Zu gross sind die Schulden des bayerischen Staates.[13] 1803 wird das Chorherrenstift Rohr aufgehoben und der Besitz an Geld, Liegenschaften, Land und Wald eingezogen. Im Stift leben zu dieser Zeit nur noch der Propst und zehn Chorherren, die zum grossen Teil auswärtige Pfarrstellen annehmen. Der letzte Chorherr von Rohr stirbt 1855.
Die Stiftskirche wird zur Pfarrkirche des Marktortes Rohr erklärt, obwohl sie offenbar schon vorher diesem Zweck dient.[14] Der Grossteil der Konventgebäude wird auf Abbruch verkauft. Nur der Ostflügel, in dem der Pfarrhof und eine Schule Platz finden, bleibt verschont. Der Südflügel wird sofort abgebrochen. Die noch 1817 im Katasterblatt eingetragenen nördlichen Teile der Westflügel verschwinden später ebenfalls, mit Ausnahme von fünf Achsen des äussern Westflügels.
Zerstört wird auch die nordseitig an die Kirche angebaute Heiliggeistkapelle von 1456, ein völlig unverständlicher Vorgang für das Zeitalter der beginnenden Mittelalterbegeisterung. Die darin enthaltenen Grabdenkmäler der Abensberger aus dem 13. bis zum 15. Jahrhundert werden teils verschleudert, teils in der Kirchenvorhalle und im Stummel des Nordflügels aufgestellt. Auch die heute noch zur Hälfte vorhandene Deckplatte der Stiftertumba von 1480 stammt aus der Heiliggeistkapelle.
Von den Wirtschaftsgebäuden bleibt nur das heute als Klostergasthaus bezeichnete Gebäude stehen. Es ist ein veränderter Teil der den Klostervorplatz nördlich begrenzenden, 1738 umgebauten Kornschütte. Alle anderen Wirtschaftsbauten sind inzwischen abgebrochen.

Benediktinerkloster nach 1947
Nach dem Krieg werden die Mönche aus der ostböhmischen Benediktinerabtei Broumov oder Braunau[15] vertrieben, ihr Besitz wird von der Tschechoslowakei enteignet. 29 Patres finden Zuflucht in Rohr, wo ihnen der noch bestehende Ostflügel überlassen wird. Hier eröffnen sie ein Gymnasium, das einzige im Raum zwischen Landshut, Regensburg und Ingolstadt. Die neue Klostergemeinschaft nennt sich Abtei Braunau in Rohr. Für die wachsende Zahl an Schülern, 2010 sind es 750, erwirbt die Abtei die umliegenden Grundstücke und baut an alter Lage die abgebrochenen Klostergebäude, allerdings nicht rekonstruierend, wieder auf. Die Erfolgsgeschichte der Benediktinerabtei geht leider langsam zu Ende, denn heute sind in Rohr nur noch wenige Patres unter der Administration des Abtes von Ettal tätig.

Baugeschichte

Die Gebäudelandschaft vor den barocken Neubauten
Jost Ammann zeigt das Kloster Rohr in einem Holzschnitt des 16. Jahrhunderts aus Süden.[16] Es ist die einzige Ansicht vor der Klostererweiterung des Propstes Johannes III. Holsteiner um 1620. Die beiden mit Treppengiebeln abgeschlossen West- und Ostflügel fassen einen zurücktretenden und nach innen geneigten Südflügel mit Zinnen. Links am Klostereingang liegt die unscheinbare Pfarrkirche mit Turm.
 
RohrJost1570   Rohr1690Ertl
 
Bild links: Um 1566 druckt Jost Amman (* 1539 in Zürich; † März 1591 in Nürnberg) einen Holzschnitt des Klosters Rohr aus Südwesten für die «Bairischen Landtafeln» des Philipp Apian. Die Zeichnung ist absolut glaubwürdig. Es ist die einzige Ansicht Rohrs vor den Erweiterungen 1620. Sie beginnt rechts mit der Pforten- oder Leutkirche am Klostereingang, die später in keiner Beschreibung mehr auftaucht (Rohr ist erst seit 1803 Pfarrkirche). Dem Turm fehlt noch das Geschoss von 1696. Das Kloster ist zweigeschossig. Der Westflügel wird bei der späteren Westerweiterung beibehalten (in Wening Ziffer B) und erst in moderner Zeit endgültig abgebrochen. Der Ostflügel fällt der Erweiterung 1755 zum Opfer. Ost- und Westflügel stossen nach Süden mit Treppengiebeln vor, der Südflügel ist mit nach innen fallendem Dach dazwischengeschoben. Quelle: Bayerische Staatsbibliothek.
Bild rechts: Anton Wilhelm Ertl veröffentlicht 1690 im «Chur-Bayrischen Atlantis» eine Vogelschauansicht aus Westen. Es scheint ein Stich nach Schilderungen zu sein. Die Klosteranlage ist völlig falsch dargestellt. Die Rundtürme des neuen Westflügels sind im Süden, von einer Zweihofanlage keine Spur und die Kirche ist einschiffig dargestellt. Nur wenige Jahre später stellt Wening (unten) die Klosteranlage korrekt dar. Ein Vergleich lohnt sich. Quelle: Bayerische Staatsbibliothek.
 
Zwei Vogelschauansichten zeigen das Chorherrenstift nach den Eingriffen um 1620, aber vor den umfassenden Neubauten des 18. Jahrhunderts. Während der 1690 veröffentlichte Stich von Anton Wilhelm Ertl das «Closter Ror» aus Westen völlig unglaubwürdig darstellt,[17] ist die 1701 erschienene Ansicht des Stechers Michael Wening von Kloster und Markt Rohr aus Süden genau, glaubhaft und deshalb sehr instruktiv.[18]
 
Rohr1701Wening
 
Wening stellt das Kloster nach dem Ausbau des Kirchturms 1696 dar. Der Hauptzugang erfolgt aus Westen durch das zweigeschossige Bräuhaus [M]. Ein im rechten Winkel verbundener zweigeschossiger Kornkasten [L] begrenzt den Kloster- und Kirchenvorplatz nördlich. 1738 wird der Kornkasten umgebaut und bildet heute die Klostergaststätte. Die Stiftskirche [A] wird 1717 durch das heutige Bauwerk an gleicher Stelle ersetzt. An ihre Westfront schliesst der Prälatur-Flügel [B] an, der den Westabschluss des Kreuzgang-Hofes bildet. Sein Südflügel wird mit [E] Refektorium bezeichnet. Den Ostflügel beschreibt Wening nicht, die grossen Saalfenster weisen aber auf den Kapitelsaal hin. Denn als Schlafhaus [D] bezeichnet Wenig den Nordflügel eines östlichen Hofs, in dem auch die Dekanei [C] untergebracht ist. Der zweistöckige Stichflügel in Fortsetzung des Ostflügels ist die Bibliothek [I]. Im Südwesten der alten, um den Kreuzgang gruppierten Flügel ist ein weiteres Klostergeviert zu sehen, dessen Westfront zwei oktogonale Ecktürme mit Zwiebelhelmen begrenzen. Es ist dies die Erweiterung zur Zeit des Propstes Johannes III. Holsteiner um 1620. Wening bezeichnet West- und Ostflügel als Gästebauten [F] und den Nordflügel als «Der Neue Saal» [K]. Der Wenig-Stich zeigt, dass nicht nur die Kirche von 1717, sondern auch die Neubauten von 1747–1760 unter Nutzung bestehender Bauten, sicher aber auf deren Grundmauern errichtet werden. Nur der spätere Ostflügel ist ein völliger Neubau.
Autor: Michael Wening (1645-1718), Kupferstecher, in: «Historico-Topographica Descriptio. Das ist: Beschreibung, deß Churfürsten- und Hertzogthums Ober- und Nidern Bayrn. Band [1]: Das Renntambt München». Quelle: Bayerische Staatsbibliothek.

Der Kirchenneubau 1717–1725
Für die Erhöhung und Barockisierung des Turmes erteilt Propst Patritius II. den Auftrag an den Wessobrunner Maurermeister und Stuckateur Joseph Bader,[19] der seit 1695 in Rohr mit der Tochter eines Brauers und Senators verheiratet ist. Bader baut erhöht den massigen Turm 1696. Mit dem Neubau der Rohrer Wallfahrtskirche Laaberberg 1703–1711 und zwei Pfarrkirchen-Umbauten gewinnt der Wessobrunner vollends das Vertrauen des Propstes, der ihm 1716/17 auch den Neubau der Stiftskirche Rohr überträgt. Der Rohrer Kanoniker und Chronist Bonzano schreibt später, dass Bader «alles zu dirigieren war anvertraut». In der Notiz zur Grundsteinlegung vermerkt der gleiche Chronist aber auch, dass diese «in abwesenheit dess Edlen undt Kunstreichen Herren Ägidii Asam» erfolgt sei, «(d)er das Gebäu führte». Heute wird auf Grund dieser Notiz dem jungen Egid Quirin Asam, der später an der Ausstattung tätig ist, auch die Gebäudeplanung zugesprochen.[20] Keine Antwort hat die Kunstgeschichte bis heute auf die Frage gefunden, warum Propst Patritius dem jungen Bildhauer, Stuckateur und Freskanten Egid Quirin eine solche Aufgabe übertragen sollte, bei der üblicherweise nur bewährte Baumeister berücksichtigt werden.[21] Sicher dürfte Egid Quirin aber nicht alleiniger Entwurfsplaner sein und schon gar nicht, wie heute meist publiziert wird, Erbauer der Kirche Rohr.[22] Mehr zum Thema der Brüder Asam als Architekten siehe im Texteinschub.
Über den Bauverlauf nach der Grundsteinlegung ist wenig dokumentiert. Baumeister Bader führt die Kirche auf den Fundamenten der mittelalterlichen Vorgängerkirche und unter Nutzung der alten Aussenmauern bis um 1719 unter Dach und wölbt sie anschliessend massiv. Die Wand und Gewölbegliederung und ihr Stuck ist 1721 beendet. Diese Arbeit entsteht nun tatsächlich unter der Führung von Egid Quirin Asam, der damit auch eigentlicher Innenraumgestalter ist und vielleicht nur dank seiner in die ursprüngliche Planung eingreifenden Gestaltung von den Chorherren 1721 als Bauleiter und 1725 als «allhier gewester Kirchenbaumeister» bezeichnet wird. Den Hochaltar, sein eigentliches Meisterwerk in Rohr, vollendet er erst nach der Kircheneinweihung. Diese findet 1722 statt. Die Figuralplastik wird im folgenden Jahr fertiggestellt. Die beiden Querhausaltäre, ebenfalls Werke von Egid Quirin Asam, sind an der Einweihung vorhanden.
Die weitere Ausstattung bis 1725 folgt ohne Mitwirkung der Werkstatt von Egid Quirin Asam. Dazu zählen auch die fünf Stuckmarmoraltäre in den Kapellennischen der Seitenschiffe, die vielleicht schon 1722 stehen. Weder von ihnen und auch nicht vom eindrücklichen Chorgestühl (1725) oder von der Kanzel (um 1725) werden die Meister genannt. Nur der Meister der Emporenorgel ist bekannt. Es ist der bekannte Orgelbauer Johann Konrad Brandenstein von Stadtamhof, der das Instrument 1725 aufstellt.[23]
Damit ist die Kirche um 1725 weitgehend vollendet. Sie bleibt im 19. Jahrhundert von barockfeindlichen Restaurierungen verschont. Einziger grösserer Verlust ist die in die Altarmensa eingebundene Régence-Schranke (1725), die 1946 von den Braunauer Benediktinern entfernt wird.[24] Auch die noch 1922 beschriebenen geschnitzten Kirchenportal-Flügel der Régence sind nicht mehr an Ort.

Der Klosterneubau 1749–1760

Noch rudimentärer als beim Kirchenbau ist der Bauverlauf des Klosterneubaus erforscht. Einzige Grundlage scheint noch immer eine handschriftliche Chronik des Propstes Ludwig II. Wismann zu sein, der mit den Neubauten bald nach seiner Wahl 1734 beginnt. Vorerst sind es Wirtschaftsbauten im Klosterbereich, die er neu bauen lässt. 1749 legt er den Grundstein zum neuen Westflügel. Offenbar ist dies der Umbau und die Erweiterung des Gästeflügels von 1620. Planender und ausführender Baumeister ist jetzt der Sohn des Kirchenbaumeisters, Martin Bader.[25] 1751 wird der Südflügel begonnen. Auch dieser Flügel entsteht unter Benutzung des südlichen Gästeflügels von 1620, der jetzt aber nach Osten deutlich verlängert wird. In diesen Flügel werden das Refektorium mit der Küche, in seinen Obergeschossen die Prälatur und die Gastzimmer verlegt. Der Südflügel wird damit repräsentativer Hauptflügel mit einer neuen Hauptpforte. Anschliessend folgt der Neubau des Ostflügels. Er wird rechtwinklig zum Nordflügel, den Wening 1701 als Schlaffhaus [D] bezeichnet, in ungefähr 30 Meter Distanz vom alten Ostflügel gebaut, der dann abgebrochen wird. Der neue Ostflügel ist 1760 fertiggestellt. Weil 1755 Baummeister Martin Bader unerwartet stirbt, stellt Christoph Wolf aus Stadtamhof den Neubau fertig.[26] Der neue Konventbau hat jetzt ein Ausmass von 96 x 60 Meter und besitzt zwei Innenhöfe, da der ältere, zweigeschossig an die alte Kirchen-Westfront anschliessende Prälaturflügel bestehen bleibt. Nach den Abbrüchen im frühen 19. Jahrhunderts ist von dieser grossen Zweihofanlage heute nur noch der Ostflügel (1755/60) und östliche Teile des Nordflügels erhalten, soweit dies Verbindungen zum Ostflügel sind. Die dreigeschossige Gesamtanlage von 1760 ist leider in keiner aussagekräftigen Ansicht erfasst[27] und auch nicht in einer noch erhaltenen Aufnahme vor der Säkularisation beschrieben. Ihr äusseres Aussehen kann am noch bestehenden Ostflügel abgelesen werden. Die Konvikt- und Gymnasiumsgebäude der Braunauer Benediktiner aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts folgen in den äusseren Umrissen und in der Stockwerkzahl zwar der ehemaligen barocken Bebauung, ihre architektonischen Abweichungen sind aber derart gross, dass sie die barocke Anlage nicht wiedergeben.


Baubeschrieb der Stiftskirche

Die Raumhülle

Sant’Andrea della Valle als Vorbild
Die Stiftskirche von Rohr kann in der Architektur ihre Herkunft nicht leugnen. Ihr Vorbild ist die römische Theatinerkirche Sant’Andrea della Valle, die der Entwerfer der Stiftskirche von Rohr in Grundriss und Querschnitt um einen Drittel verkleinert. Die stolze Kuppel von Sant’Andrea muss aus Kostengründen weggelassen werden. Ein Vergleich des römischen Vorbilds mit der Ausführung in Rohr zeigt nur geringe Abweichungen.[28]
Spätestens mit den Stichveröffentlichungen von 1683 ist Sant’Andrea della Valle auch in Rohr bekannt. Die Theatinerkirche in München, eine frühere Übernahme von Sant’Andrea della Valle, ist zwar dem Bauherrn und den beiden Planern ebenfalls ein Begriff. Ihre gegenüber dem Römer Vorbild grösseren Veränderungen[29] weisen aber darauf hin, dass in Rohr das «Original» übernommen ist. Diese Planung, die für die Genehmigung durch den Geistlichen Rat schon 1716 vorliegen muss, dürfte eine klare Vorgabe des Propstes Patritius sein. Wahrscheinlich ist sie zu diesem Zeitpunkt ein Werk seines Baumeisters Bader. Die Zuschreibung dieser Entwurfsplanung an Egid Quirin Asam ist allerdings wegen der erwähnten Bemerkung des zeitgenössischen Chronisten Bonzano seit den 1950er-Jahren ein Topos der Kunstgeschichte.[30]
RohrVergleiche

Die Architektur
Wie ihr Vorbild ist die Stiftskirche von Rohr eine dreischiffige Basilika mit vorstehendem Querschiff und halbrund geschlossenem Chor. Um 1717 ist die Basilika bei Longitudinalbauten im deutschsprachigen Raum eigentlich Vergangenheit. Für Sakralbauten dieser Art hat sich im südlichen Gebiet des Alten Reichs längst die Wandpfeilerhalle durchgesetzt.[31] Die Vorbilder von Rohr in Rom und München sind aber Wandpfeilerbasiliken, das heisst, die Seitenschiffe oder Abseiten ihrer Langhäuser sind mit durch Quertonnen versteiften Wandpfeilern getrennt, die dann abgeschrägt über das Seitenschiffdach ragen, um den Gewölbeschub aufzunehmen. Diese Gewölbe sind in Mittelschiff, Querschiffarmen und Chor Rundtonnen mit Stichkappen. In Rohr ist die Vierung zudem anstelle der Tambourkuppel mit einer böhmischen Kappe gewölbt. Rohr entspricht auch sonst nicht der klassischen Wandpfeilerbasilika, denn die Fortsetzung der aussteifenden Wandpfeiler über den Seitenschiffdächern fehlt, obwohl das Dach auf der Höhe des inneren Gewölbefusspunktes schon endet. Die Gewölbespannweite in Rohr ist mit elf Meter zwar einiges weniger problematisch als bei Sant’Andrea in Rom mit 16 Meter Spannweite. Die bautechnische Leistung des erfahrenen Baumeisters Bader ist trotzdem bemerkenswert. Unvorstellbar, dass er dafür nicht auch die Planung erstellt. Dies bestätigen Kommentare von Kunsthistorikern zu den Fassaden. Oder wie muss man sonst die Bemerkung von Norbert Lieb verstehen, dass der Aussenbau der Kirche einfach sei, Egid Quirin Asam könne daran nicht beteiligt sein?[32] Die Westfassade ist tatsächlich sehr einfach und teilweise hinter dem massigen und wenig gegliederten Kirchturm versteckt. Sie ist vom grossen Emporenfenster dominiert. Auch die zurückhaltende Pilastergliederung kann ihre Asymmetrie nicht beheben.

Der Innenraum von Egid Quirin Asam

Gliederungen
Bis zu welchem Grad Egid Quirin Asam schon früh in die Gebäudeplanung von Propst Patritius und Baumeister Bader eingegriffen hat, lässt sich nicht beurteilen. Auf seine Anregung dürften die beiden mittleren Gurtbögen im Schiff weggefallen sein. Sicher ist er aber Planer der Innenraumgestaltung. Mit einem kräftigen, umlaufenden Gebälk betont er die Horizontale. Phantasie zeigt er bei den Kompositkapitellen.[33] Während er im Langhaus, in den Kapellenräumen der Seitenschiffe und im Chor eine Pilastergliederung einfügt, markiert er die Vierungsecken mit diagonal gestellten Doppelsäulen.  

Stuck
In Vierung, Querhausarmen und Chor sind die Stuckaturen, auch der Kapitelle, besonders reich. Der Stuck der Gewölbebereiche betont die architektonischen Linien. Es ist dichter, italienisch anmutender Stuck in der Art der Carlone, der mit grosszügiger Figuralplastik versehen ist. Er ist rosagefärbt und mit kräftigen Farbfassungen hinterlegt. In den Stichkappen und Wangenstücken ist dies eine Brokatfassung. Auffallend ist der stilistische Gegensatz der Stuckaturen der innerhalb der Felder. Hier wendet Asam feines Régence-Bandelwerk an, sodass vor allem der grosse Deckenspiegel im Mittelschiff mit seiner bewegten und reichplastischen Fassung schon eine Vorahnung des Rokokos gibt. Für diesen Spiegel hat Propst Patritius wahrscheinlich, ebenso wie für die Deckenspiegel des Chors, nie ein Fresko geplant. Ob dies auch für die Vierungskuppel gilt, ist angesichts der eher schwachen Trinitätsdarstellung in vergoldetem Stuck aber zu hinterfragen.

Hochaltar

Das eigentliche und auch erste Meisterwerk von Egid Quirin Asam ist der 1722–1723 erstellte szenische Hochaltar, der den Kirchenraum dominiert, «eine mit allen rhetorischen, perspektivisch-illusionistischen und theatralischen Kunstgriffen visualisierte plastische Darstellung der Himmelfahrt Mariens».[34]
Das ursprüngliche Chorkonzept von Propst Patritius und Egid Quirin Asam ist heute nicht mehr vorhanden.[35] Ich zitiere deshalb den Beschrieb des Hochaltars von Felix Mader (1921), der noch kein frontal zum Kirchenraum geöffnetes Chorgestühl kennt:
«Der Hochaltar ist eine der originellsten Konzeptionen der Asam. Er vereinigt imposanten architektonischen Aufbau mit malerischer Kühnheit, die jene des Weltenburger Altars übersteigt.
Mensa und Tabernakel stehen getrennt vom Hochbau. Zwischen beide schiebt sich der Psallierchor, den ein durchbrochenes geschnitztes Gitter in der Flucht der Mensa vom Kirchenraum scheidet. Der Hochbau erhebt sich baldachinartig am Schluss des Chors, über hohem Unterbau, darauf stehen mächtige Säulengruppen, in eine vordere und hintere Gruppe getrennt; zwischen denselben lassen die Seitenfenster, die von den vorderen Säulengruppen gedeckt werden, helles Licht auf die Mittelgruppe fallen. Die vorderen Säulengruppen bekrönt je eine Vase und ein Giebelstück mit Engeln, die hinteren verbindet ein offener Segementgiebel, darunter schiesst eine Draperie in grünem Brokat die Szene. Eine mächtige Krone schliesst die Giebelstücke zusammen. Auf dieser Monumentalbühne erscheint als lebendes Bild die Himmelfahrt Mariens. Über drei Stufen steht der Sarkophag. Von allen Seiten eilen die Apostel in erregter Bewegung herbei. Sie finden das Grab leer, der Deckel lehnt an der Rückwand. Maria aber schwebt, von Engeln getragen, zum Himmel empor, wo sie von der Hl. Dreifaltigkeit und Engelschören erwartet wird. Ein gelbes Fenster an der Rückwand wirft goldenes Licht auf die himmlische Gruppe.»
Die Ausmasse der raumbeherrschenden Altarinstallation sind eindrücklich.
Der Sarkophag steht 2,90 Meter über dem Chorboden. Die Säulen sind 7,34 Meter hoch, die Kapitelle liegen damit in gleicher Höhe wie im Kirchenraum. Die beiden Altarhochbauten sind sieben Meter tief, bilden aber für den Betrachter eine einzige Schauwand. Diese Szenerie ist dank ihres hohen Sockels schon vor dem Abbruch des Chorgitters 1946 in gleicher Weise erlebbar wie für den heutigen Betrachter. Für dieses eindrückliche «Theatrum sacrum» setzten die Asam ihre Kenntnisse aus dem Studium der Lichtinszenierungen Berninis und vor allem von P. Andrea Pozzo genial um.[36] Beide Brüder arbeiten immer derart eng zusammen, dass Egid Quirin in Rohr kaum ohne Entwurfsbesprechungen mit seinem Bruder Cosmas Damian eine derart wichtige Arbeit ausführt.

RohrChor1920   Das Chorgestühl und die verschwundene Chorschranke
In seiner Arbeit über süddeutsche Chorgestühle stellt Sybe Wartena beim Gestühl von Rohr erstaunt fest, dass das hufeisenförmig geöffnete Chorgestühl im Gegensatz zu seinen Nachfolgern in Banz (1731-35), in der Landshuter Dominikanerkirche (1747-49) und in Mallersdorf (wohl 1750) vom Langhaus sichtbar ist und fügt an, «eine direktere Inszenierung des Konventes ist kaum denkbar». Er vermutet deshalb eine ehemalige Schranke, deren Höhe und Beschaffenheit ihm aber unbekannt ist. Im Kunstdenkmälerband von 1922 ist sie allerdings in Grundriss und Fotografie veröffentlicht. Die bis 1946 bestehende Schranke fasst die Altarmensa rückwärts. Sie erreicht mit ihren feinen Schnitzaufsätzen die Höhe des Altartabernakels, ist mit ausgeprägter  Régence-Ornamentik versehen und hat zwei offene Durchgänge. Ihre künstlerische Qualität ist höher zu werten als die der intarsierten Nussbaum-Schreinerarbeit des vornehmen Chorgestühls aus dem gleichen Jahr. Egid Quirin Asam ist vielleicht nicht für die Ausführung verantwortlich, sicher aber in die Planung eingebunden. Wie man unschwer feststellen kann, verschwindet wegen dieser Schranke und dem Tabernakel erst beim Nähertreten ein unterer Teil der Sarkophag-Gruppe Asams.
Bilddokument aus: Mader, Felix: Die Kunstdenkmäler von Niederbayern, VII Bezirksamt Kelheim. München 1922. Foto: Georg Loesti.

Querhausaltäre
In Korrespondenz mit dem Hochaltar, dessen Säulenstellungen, auch den gespaltenen Segmentgiebel und die Höhe der vorderen Säulengruppen übernehmend, füllen diese Stuckmarmor-Säulenretabel die Aussenwände der Querhäuser. Die seitlichen Standfiguren könnten Werke des Andreas Faistenberger sein, als dessen Bildhauerlehrling Egid Quirin Asam 1716 freigesprochen wird. Das Altarblatt des südlichen Joseph-Altars liefert 1721 Johann Jakob Plätzger aus Landshut.[37] Es ist eine Stiftung des Bruders von Propst Patritius. Das Altarblatt des nördlichen Petrus- und Paulusaltars wird Cosmas Damian Asam zugeschrieben, allerdings erst nach 1725 geliefert. Beide Leinwände hängen heute beulig durch.

Altäre der Seitenkapellen

Alle Altäre stehen an den Aussenwänden der Seitenschiff-Kapellen, eine italienische Anordnung, die wieder dem Vorbild Sant’Andrea della Valle entspricht. Obwohl sie wahrscheinlich schon 1722 aufgestellt sind, werden sie nicht mehr Egid Quirin Asam zugesprochen. Es sind Stuckmarmoraltäre. Mit Ausnahme des mittleren Altarretabels der Nordseite sind die restlichen vier Retabel Vereinfachungen der Querhausretabel, nun als zweisäulige Ädikula, deren Bekrönung ein Rundfenster umrahmt, das bei den beiden westlichen Altären ein mit Stuckdraperien verkleidetes Blindfenster ist. Mit vier gewundenen Säulen ist das Retabel des Nepomuk-Altars der mittleren nordseitigen Seitenkapelle speziell hervorgehoben. Es liegt gegenüber dem ehemaligen Südeingang der Kirche, an dessen Stelle jetzt der Taufstein platziert ist. Die beiden weiteren Altäre der Nordseite sind der Schutzengelaltar (östlich, Blatt von Johann Jakob Plätzger 1721) und der Apollonia-Altar (westlich). Die beiden Südseitenaltäre sind östlich der ehemalige Augustinusaltar, der seit 1982 ein Altarblatt von Cosmas Damian Asam mit der Darstellung des hl. Korbinian von 1720 trägt, und westlich der Christopherus-Altar. Die Maler der Altarblätter des Apollonia-, des Nepomuk- und des Christopherus-Altars sind unbekannt.

Orgelempore und Orgel
Eindrücklich ist die Gestaltung der Orgelempore und der Orgel von 1725. Auch wenn der Orgelbauer Johann Konrad Brandenstein bei der Disposition (I/P 14)[38] die Wünsche des Bauherrn befolgt und auch beim Bau des Prospektes wahrscheinlich nur den generellen Vorgaben von Egid Quirin Asam folgt, ist doch in der Gestaltung der Empore und der Orgel die gestalterische Hand des Bildhauer-Stuckateurs sichtbar. Asam dürfte auch für das grosse Westfenster verantwortlich sein, das nur mit der inneren Gegenlichtregie zu erklären ist. Er stellt innen in die von aussen gesehen zu grossen Lichtöffnung eine Art syrischer Bogen in Stuckmarmor. Der mehrtürmige Orgelprospekt nimmt die ganze Breite der Empore ein, sein Mittelturm und zwei flankierende Posaunenengel werden vom Fensterlicht hinterfangen. Das geschnitzte und vergoldete, zierliche Régencegitter eines unbekannten Meisters dominiert die Balustradenbrüstung der Empore. Zentral ist an der Brüstung die von Asam gestaltete aussergewöhnliche Wappenkartusche des Propstes Patritius angebracht.[39]

Kanzel
Die Kanzel ist kein Werk von Egid Quirin Asam. Wie bei allen Holzbildhauer- und Schreinerarbeiten in Rohr sind auch bei der Kanzel die Meister unbekannt. Die Régence-Ornamentik weist auf eine Erstellung in den 1730er Jahren. Auf dem Schalldeckel steht die Figur des Ordensheiligen Augustinus, auf der bewegt gegliederten Brüstung sitzen die vier Evangelisten.

Das Klosterwappen    
RohrWappenKloster
  Das singuläre persönliche Wappen des Propstes Patritius an der Emporenbrüstung stellt eine Ausnahme dar. Üblicherweise verwenden die Pröpste ein Dreischildwappen, ihr persönliches Wappen ist unter den Wappen des Stifters (Stiftswappen) und demjenigen des Kapitels angeordnet. Auch auf dem Wening-Stich von 1701 liegt der persönliche Schild von Propst Patritius unter den Schilden des Kapitels und des Stifts, hier noch zusätzlich mit einem Ritterhelm versehen. Das heraldisch oben rechts liegende zeigt die thronende Himmelskönigin mit dem Kind im Arm, das mit der Weltkugel jongliert. Es ist das Wappen des Kapitels. Heraldisch links ist das Wappen des Stifts. Es ist gespalten, vorne in Gold ein halber roter Adler am Spalt, hinten Silber auf grünem Zweiberg zwei grüne Rohrhalme mit schwarzen Kolben. Es ist das im 16. Jahrhundert erfundene Wappen des Stifters und seit dem 19. Jahrhundert auch das Wappen des Marktes Rohr.
  Ex-Libris des Propstes Patritius von Heydon mit seinem persönlichen Wappenschild, begleitet von «Propst Patritius», oben die Wappenschilde des Kapitels (Maria) und des Stits (Adlerr und Rohrhalm). Die Überschrift lautet: Kloster Unserer Lieben Frau in Rohr.


 Pius Bieri 2019

 

Literatur
Dalhammer, Patritius: Canonia Rohrensis. Ratisbona 1784.
Dollinger, Peter Paul (Hrsg.): Des Kloster Rohrs Kriegsschäden von 1632–1648. Abensberg 1881.
Mader, Felix: Die Kunstdenkmäler von Niederbayern, VII Bezirksamt Kelheim. München 1922.
Lieb, Norbert: Barockkirchen zwischen Donau und Alpen. München 1953
Stutzer, Dietmar: Klöster als Arbeitsgeber um 1800. Göttingen 1986.
Zeschick, P. Johannes OSB: Kloster in Rohr. Rohr 1986.
Auer, Johann: Altwege zwischen Abens, Donau und Isar. Dünzling 1999. PDF Veröffentlichung
Weiss, Simon: Benediktinerabtei Rohr in Niederbayern. Überarbeitung des Kunstführers von P. Johannes Zeschick OSB. Lindenberg 2015.
Web
Benediktinerabteikirche Mariä Himmelfahrt in Rohr im Hopfenland Hallertau, in: www.das-altmuehltal.de

Anmerkungen:
[1] Adalbert von Rohr (1090–1147). Als seine Gattin nach kinderloser Ehe stirbt, vollzieht er die Stiftung. Die Klostergründung erfolgt 1133 unter Mitwirkung seines Bruders, des Domkanonikers Heinrich von Rohr. Die Brüder sind Urenkel des Stammvaters der Grafen von Abensberg.

[2] Die Nord-Süd-Trasse führt vom Donauübergang Saal nach Kleingiersdorf – Schöfthal – Rohr – Niedereulenbach – Münster – Ettenkofen und über den Schellenberg an die Isar, beim 1150 erstmals erwähnten Landshut. Die Ost-West-Trasse führt von Regensburg über Langquaid – Rohr nach Mainburg. Dieser noch im Mittelalter wichtige Verkehrsweg folgt der römischen Strasse. Die Verbindung Nord–Süd existiert in geänderter Linienführung noch 1817 als «Chaussée nach Landshut», während der alte Ost-West Weg schon im Spätmittelalter nicht mehr als Fernweg dient. Quelle: Johann Auer 1999 (Lit.).

[3] Joseph Anton Zimmermann in: Chur Bayrisch Geistlicher Kalender auf das Jahr 1754. Dieser Darstellung folgt auch Dalhammer 1784. Anders in Dollinger 1881. Seine korrekte Reihenfolge der Kriegsereignisse wird aber von keinen weiteren Autoren übernommen.

[4] Im ärgerlichen Beitrag von Stephanie Haberer in «Haus der bayerischen Geschichte», Stand April 2019,  erfolgt der Wiederaufbau erst im 18. Jahrhundert mit finanzieller Hilfe des Kurfürsten Max II. Emanuel. Ärgerlich nicht nur wegen der Verwechslung des grossen Schuldenmachers und Kriegstreibers mit dem Vater Ferdinand Maria (selbst dieser überträgt die finanzielle Hilfe an kriegsverschonte Pfarreien), sondern auch wegen der unverständlichen Einleitung «Kloster Rohr ? Augustinerchorherrenstift und Benediktinerklosterottenbuch und Dietramszell zusammen». Was ist «Benediktinerklosterrottenbuch»?

[5] Patritius II. Freiherr von Heydon (1648–1730) aus Straubing. Profess 1672. Primiz 1673. Infulierter Probst in Rohr 1684–1730. Seit 1715 auch lateranensischer Abt. Zu ihm siehe die Biografie in dieser Webseite.

[6] Maximilian Kipfhorer (1692–1743) aus Dingolfing. Er ist 1730–1734 Infulierter Propst in Rohr, resigniert aus gesundheitlichen Gründen und zieht sich nach Mühlhausen bei Neustadt als Pfarrer zurück, kehrt aber wegen der Husarenüberfälle im Österreichischen Erbfolgekrieg 1743 zurück und stirbt in Rohr.

[7] Ludwig II. Wismann (1695–1757) aus Wisent bei Wörth an der Donau. Profess 1716, Primiz 1722. Infulierter Propst in Rohr 1734–1757.

[8] Die heutige Klostergaststätte.

[9] 1738 Repositorium frumentarium (Getreidekasten, Neubau im Markt Rohr und Umbau des bestehenden Kastens, dem heutigen Wirtshaus?), 1739 Cellam vianriam (Weinkeller), 1745 Fabricam ferrariam Schmiede), 1746 Saginarium (Maststallungen).

[10] Patritius III. Freiherr von Guggomos (1706–1787) aus Herrngiersdorf. Profess 1723. Primiz 1729. Infulierter Propst in Rohr 1757–1787.

[11] Die Daten betreffen die staatliche Inventarisierung der altbayerischen Klöster von 1801 und 1802. Angaben zu Personal und Arbeitnehmer in Dietmar Stutz, Klöster als Arbeitgeber (1986), Seite 316.

[12] Petrus II. Pustet (1764–1825) aus Hemau. Profess 1785, Primiz 1787. Infulierter Propst von Rohr 1800–1803. Er wird 1824 zum Bischof von Eichstädt gewählt.

[13] Seit 1799 brütet die Regierung unter Kurfürst Max Joseph an Geheimplänen zur Aufhebung von 70 landständischen Klöstern in Altbayern. Die Staatsschulden betragen zu dieser Zeit 28 Millionen Gulden bei Jahreseinnahmen von 5 Millionen Gulden. Die Schulden vergrössern sich nach der Säkularisation auf 118 Millionen Gulden, bei Jahreseinnahmen (dank der neuen, in der Säkularisation gewonnenen Territorien) von 26 Millionen Gulden.

[14] Chorherren-Stiftskirchen sind selten gleichzeitig Pfarrkirchen. Vielfach liegt die meist kleine Pfarr- und Taufkirche im Klosterareal, wie in Bernried oder Dietramszell. Dies ist auch in Rohr der Fall, wie der Holzschnitt von Jost Ammann (um 1570) zeigt. Im Stich Wening 1701 ist dieses Bauwerk nicht mehr sichtbar. Die Pfarrkirche dürfte aber, vielleicht integriert, noch bis zur Säkularisation bestanden haben und verschwindet spätestens mit den Abbrüchen nach 1803. Jedenfalls wäre die gleichzeitige Nutzung der Stiftskirche als Pfarrkirche eine grosse Ausnahme. Der romanische Taufstein, der sich jetzt im Kirchenschiff befindet, spricht auch für eine separate Pfarrkirche. Seine mehrfach wechselnde Aufstellung seit 1803, heute an der Stelle des barocken seitlichen Eingangs, ist Hauptindiz.

[15] Das Stift Broumov oder Braunau darf nicht mit dem Stift Břevnov oder Breunau bei Prag verwechselt werden, obwohl die beiden Benediktinerklöster seit den Hussitenkriegen als Doppelkloster vom Braunauer Abt geleitet werden. Beide sind auch Werke der Dientzenhofer, das Stift Broumow von Kilian Ignaz Dientzenhofer, die Stiftskirche Břevnov von Christoph Dientzenhofer. In Břevnov sind auch die Brüder Asam tätig.

[16] Jost Ammann (1539–1591) aus Zürich, seit 1561 in Nürnberg tätig. Er führt die Holzschnitte für die geplante Topographie Bayerns von Philipp Apian aus. Der Holzschnitt des Klosters Rohr entsteht um 1670/80. Zu Jost Ammann siehe www.sikart.ch.

[17] Anton Wilhelm Ertl, Seite 211 im «Chur=Bayrischen Antlantis Zweyter Theil», Nürnberg 1690. Es scheint, dass die Zeichnung nicht aus eigener Anschauung entstanden ist und der Stecher die um 1620 entstandene Westerweiterung mit den südlichen Klosterflügeln verwechselt. Vermutlich ist auch der Kirchturm, sicher aber die Kirche fehlerhaft dargestellt.

[18] Michael Wening, Seite 26 in «Historico-Topographica Descriptio. Das ist: Beschreibung, deß Churfürsten- und Hertzogthums Ober- und Nidern Bayrn. Band [1]: Das Renntambt München», München 1701.

[19] Joseph Bader († 1721) aus Wessobrunn, wird in Rohr nach der Heirat 1695 sesshaft. Mit Maria Ursula Ändrl, der Tochter des Senators und Brauers Johann Wilhelm Ändrl, hat er 16 Kinder. Die Söhne Martin und Florian führen nach 1721 die Werkstatt weiter. Ein eigenständiges Bauwerk von Joseph Bader ist die Wallfahrtskirche Laaberberg (1703–1711). 1712 beginnt er die Umbauten der Pfarrkirchen Obereulenbach und Allersdorf. 1716 ist er in Weltenburg tätig.

[20] Egid Quirin Asam (1692–1750) aus Tegernsee, Freskant und Stuckateur, tritt nach der Auflösung der väterlichen Werkstatt 1711 in eine Bildhauerlehre ein und wird 1716 in München freigesprochen. Ein immer wieder angeführter Romaufenthalt während dieser Zeit kann ausgeschlossen werden. Er arbeitet aber während dieser Zusatzlehre relativ selbständig und bewirbt sich zusammen mit seinem Bruder schon 1713 für den Bau der Fürstenfelder Stiftskirche, was von einer grossen Selbstsicherheit der beiden Brüder zeugt. Praktische Kenntnisse in der Ausführung eines überwölbten Kirchengebäudes fehlen beiden Brüdern zu diesem Zeitpunkt vollständig.
Siehe zu Egid Quirin die Biografie und das Werkverzeichnis in dieser Webseite.

[21] Für eine Grundsteinlegung muss die Genehmigung der Planung und der Baukosten durch den Geistlichen Rat in München erfolgt sein, das heisst die Planung müsste 1716 vorhanden sein. Obwohl die Brüder Asam 1715 und 1716 in Regensburg bei den Jesuiten, Augustinern und Kapuzinern tätig sind, ist der frühe Beizug von Egid Quirin Asam durch Propst Patritius II. mit Kontakten zum Freisinger Hof zu erklären. Hier wirken die frühen Förderer der Brüder Asam: P. Wolfgang Rinswerger OSB, P. Karl Meichelbeck OSB und Fürstbischof Johann Franz Eckher von Kapfing. Auch Referenzen aus Ensdorf (Abt Bonaventura Oberhueber) sind möglich.

[22] Egid Quirin ist 1716 nur als beratender Planer denkbar. Die Basilikaform und die Anlehnung an das römische Vorbild Sant’ Andrea della Valle sind mit grosser Sicherheit Planungsvorgaben des Propstes Patritius II. Als lateransicher Abt (seit 1715) hat er vielleicht sogar Romerfahrung, ist aber sicher mit den Veröffentlichungen der römischen Kirchen vertraut. Auch der erfahrene Planer und Baumeister Bader darf nicht vergessen werden. «Ein grösserer Einfluss des Joseph Bader ist nicht ausgeschlossen», urteilt Felix Mader schon 1922. Dies übersehen die immer auf grosse Namen fixierten Kunsthistoriker gerne. Norbert Lieb degradiert ihn gar zum Bauführer. So wird heute, trotz der klar dokumentierten «Direktion» des Baumeisters Bader, lapidar vermerkt, dass Rohr 1717–1723 von Egid Quirin Asam gebaut worden sei. Und im Dehio (1988, Autor Michael Brix) wird Joseph Bader recht selbstherrlich die genaue Kenntnis römischer Barockarchitektur abgestritten, obwohl auch der mit ihr vertraute Egid Quirin diese nur über Dritte und über Literatur kennen kann.

Mehr zum Thema der Brüder Asam als Architekten siehe im Texteinschub.

[23] Johann Konrad Brandenstein (1695–1757) aus Kitzingen. Werkstatt seit 1724 in Stadtamhof bei Regensburg. Siehe zu ihm die Wikipedia-Biografie mit Werkverzeichnis.

[24] Die barocke Schranke von 1725 ist im Kunstdenkmälerband 1922 noch abgebildet. Die Photographie von Max Hirmer in Norbert Lieb: Barockkirchen zwischen Donau und Alpen (1953) zeigt den Psallierchor bereits gegen den Kirchenraum geöffnet. Norbert Lieb kennt bei seinem Beschrieb von Rohr die wenige Jahre vorher veränderte Chormöblierung nicht mehr. Als integrierender, reich mit Régence-Schnitzereien und -Intarsien versehener Abschluss zum Psallierchor, in gleicher Höhe wie das Chorgestühl, ist sie wichtiger Bestandteil der Chor- und Hochaltar-Lösung von Egid Quirin Asam. Erst seit ihrer Entfernung 1946 ist das Chorgestühl vom Kirchenraum frontal einsehbar, eine im Barock undenkbare Anordnung. Heute informieren die Rohrer Benediktiner, dass der das Chorgestühl und den Kirchenraum trennende und «später hinzugefügte Lettner» während der umfangreichen Restaurierung der Jahre 1972–1987 entfernt worden sei. 

[25] Martin Bader (1704–1755) aus Rohr, Sohn von Joseph Bader. Maurermeister und Stuckateur des Rokokos. Er wird als «civis et architectus h. loci» bezeichnet. Er ist auch Baumeister für das Kloster Weltenburg (1750 Pfarrkirche St. Stephan Staubing).

[26] Christoph Thomas Wolf (Lebensdaten unbekannt) kurfürstlicher Maurermeister, Zeichner und Kartograph aus Stadtamhof bei Regensburg, Sohn von Michael Wolf, dem Baumeister von Weltenburg. Wirken 1755–1799. 

[27] Die Vogelschau aus Westen in der Monumenta Boica 1795 ist leider völlig unzuverlässig.

[28] Das Zwischenjoch wird in Rohr weggelassen, deshalb ist (proportional) das Langhaus kürzer und der Chor länger. Die Seitenschiffe sind (proportional) bedeutend weniger tief, das Mittelschiff aber leicht breiter. Das Verhältnis der Breite zur Länge des Mittelschiffs im Langhaus verändert sich damit von 3:8 (Sant’Andrea) zu 3:6,25 in Rohr. Das Verhältnis der Mittelschiffbreite zur Höhe beträgt bei Sant’Andrea 3:6, in Rohr 3:5.

[29] Die Theatinerkirche hat wie Sant’Andrea drei Langhausjoche, ein Emporenjoch und ein Zwischenjoch vor der Vierung, also fünf Joche. Die im Innenmass identische Vierung verschiebt sich aber durch ihre festungsartigen Trennmauern wesentlich nach hinten. Das Mittelschiff verändert dabei das Verhältnis von Länge zu Breite. Sant’Andrea hat das Verhältnis 3:8, die Theatinerkirche aber 3:6,4. Damit nähert sie sich zwar Rohr, hat aber ein Joch mehr und damit ein gedrängt wirkendes Langhaus. Völlig unterschiedlich ist auch die Wandordnung, die hier im Gegensatz zu Sant’Andrea und Rohr nicht mit Pilastern, sondern mit Säulen gebildet ist.

[30] Der Bildhauer und Stuckateur Egid Quirin ist in der 1713 beginnenden Arbeitsgemeinschaft der Brüder Asam trotz der fehlenden architektonischen Ausbildung derjenige, der bei den wenigen Bauten der Asam (Rohr, Weltenburg, St. Johann Nepomuk in München) für die Planung ihrer Räume zuständig ist. Die Architektur dieser Bauten ist aber für die Asams in erster Linie die Hülle zur Inszenierung ihrer räumlichen Vorstellungen. St. Johann Nepomuk, der einzige Bau, der vollständig von ihnen stammt (für Weltenburg siehe den Baubeschrieb in dieser Webseite) ist architektonisch eine formlose Kiste, die sie mit ihrer Rauminstallation zum Rokokokunstwerk umformen. Warum also sollte Egid Quirin in Rohr eine römische Kirchenarchitektur übernehmen, die in ihrer streng klassischen Basilikaform dem Bestreben der Asam nach Eliminierung dieser tektonischen Aussagen völlig widerspricht?

[31] Zum Begriff der Wandpfeilerhalle (mit oder ohne Seitenemporen) und ihrem grossen Unterschied zur Wandpfeilerbasilika siehe das Glossar in dieser Webseite. Baumeister Johann Michael Fischer von München, im gleichen Jahr wie Egid Quirin Asam geboren, setzt mit dem Bautyp der Wandpfeilerhalle in Osterhofen, Diessen oder Zwiefalten Höhepunkte der süddeutschen Barockarchitektur.

[32] Norbert Lieb in: Barockkirchen zwischen Donau und Alpen. München 1953.

[33] Oberkante Kapitelle 10,02 m, Kapitellhöhe 1,20 m, Gebälkhöhe 2,12 m, Auskragung 0, 72 m, Oberkante Gebälk über Boden 12,14 m, Oberkante Attika (Gewölbeansatz) ca. 13,14 m.

[34] Zitat Uta Coburger in: Von Ausschweifungen und Hirngespinsten. Das Ornament und das Ornamentale im Werk Egid Quirin Asams (1692–1750). Göttingen 2011.

[35] Siehe dazu die Anmerkung 22.

[36] Siehe dazu auch die Biografien der beiden Künstler in dieser Webseite. So ist für beide Brüder Asam das Traktat von P. Andrea Pozzo SJ (1642–1709) «Der Mahler und Baumeister Perspektiv», welches in zwei Bänden 1706 und 1711 erscheint, eine der wichtigsten Arbeitsgrundlagen.

[37] Johann Jakob Plätzger (Lebensdaten unbekannt) von Berchtesgaden, seit 1698 Bürger von Landshut. Er ist Anfang des 18. Jahrhunderts gesuchter Maler für Altarblätter.

[38] Seit 2006 neues grösseres Werk von Metzler Orgelbau (II/P 29), nur der Prospekt ist erhalten.

[39] Das Haupt der Wappenkartusche schmückt eine lächelnde Schönheit mit Zöpfen und bekrönender Haube. Beidseitig ist die Kartusche von Füllhörnern flankiert, aus denen züngelnde Blätter und Schalmeien wachsen. Sie fassen das gespaltene Wappen Heydon.

 

Seitenschiffaltäre
Alle Altäre stehen an den Aussenwänden der Seitenschiff-Kapellen, eine italienische Anordnung, die wieder dem Vorbild Sant’Andrea della Valle entspricht. Obwohl sie wahrscheinlich schon 1722 aufgestellt sind, werden sie nicht mehr Egid Quirin Asam zugesprochen. Es sind Stuckmarmoraltäre. Mit Ausnahme des mittleren Altarsretabels der Nordseite sind die restlichen vier Retabel Vereinfachungen der Querhausretabel, nun als zweisäulige Ädikula, deren Bekrönung ein Rundfenster umrahmt, das bei den beiden westlichen Altären ein mit Stuckdraperien verkleidetes Blindfenster ist. Alle Fotos: Bieri 2019.

RohrSeitenaltar1N   RohrSeitenaltar2N   RohrSeitenaltar3N   RohrSeitenaltar1S   RohrSeitenaltar3S
Nord 1   Nord 2   Nord 3   Süd 1   Süd 3
Nord 1, erstes Joch Apollonia-Altar. Maler unbekannt.
Nord 2, zweites Joch Nepomuk-Altar. Maler unbekannt. Ehemals gegenüber dem Konvent–Eingang im zweiten Joch Süd (heute Taufstein).
Nord 3, drittes Joch Rosenkranz- oder Schutzengelaltar. Maler Johann Jakob Plätzger 1722.
Süd 1, erstes Joch Christopherus-Altar. Maler unbekannt.
Süd 3, drittes Joch Augustinus-Altar, seit 1982 mit dem Bild des Wasserwunders des hl. Korbinian von Cosmas Damian Asam aus der nach 1803 zerstörten Korbinianskapelle in Weihenstephan. Das geöffnete Rundfenster wahrscheinlich vorher wie beim Christopherusaltar geschlossen.




  Ehemaliges Augustiner-Chorherrenstift Rohr  
  RohrTitel  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Rohr, Niederbayern
Bayern D
Kurfürstentum
Bayern
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Regensburg   1696 (1717)
Bauherr und Bauträger
Heydon Propst Patritius von Heydon
     (reg. 1684–1730)
    
     Propst Ludwig II. Wismann
     (reg. 1634–1657)
 
 
  Der Hochaltar von Egid Quirin Asam dominiert den basilikalen Innenraum, wie dies die Gesamtaufnahme zeigt. Foto: Bieri 2014.   pdf  
   
RohrA1
Turm und Kirche im Hintergrund des ehemaligen Klosterhofs. Foto: Bieri 2019.  
   
RhrLageplan1800
Gebäudeplan der Abtei und der angrenzenden Ortschaft um 1800. Für Planlegende und Vergrösserung bitte anklicken.  
RohrKataster1817
Im Katasterplan, eine Beilage zum Ortsblatt von Geometer Köchl 1817, sind nur noch wenige Klostergebäude (schwarz) nicht abgebrochen. Bereits abgebrochen sind die Heiliggeist-Kapelle, der Torturm mit den nach Süden verlaufenden Ökonomiebauten und der südliche Teil des Klosters. Bildquelle: Mader 1922  
RohrKarte1815
Der gleichzeitige «Topographische Atlas vom Königreich Baiern diesseits des Rheins» leistet Bayern eine frühe, hervorvorragende kartographische Leistung aufgrund von Vorarbeiten französischer Offiziere. Spätere Landkarten der Region werden nie mehr dieses Niveau erreichen. Im Blatt 55 Eggmühl 1:50 000 ist die Lage von Rohr an der «Chaussée» Nr. 9 von Kelheim nach Landshut eingetragen. Die ab dem nördlichen Signalberg bis Rohr mit einer Baumallee gesäumte Landstrasse quert den Ort östlich des Klosters. Quelle: Bayerische Staatsbibliothek.  


Das Kloster aussen
 
RohrA2
Der mächtige Turm mit der Verkleidung von 1696 und der schlichten und ungegliederten (Nordseite des basilikalen Kirchengebäudes. Foto: Bieri 2019.  
RohrA3
Die Südseite der Kirche, gesehen vom Klosterhof. Die Anbauten im Vordergrund, ab Querschiff, gehören noch zum (umgebauten) Altbestand. Foto: Bieri 2019.  
RohrA5
Südwestecke des Klosterhofs mit zwei Fassaden des 20. Jahrhunderts, dahinter Turm Kirchenschiff. Foto: Bieri 2019.  
RohrA4
Das Klostergeviert von Südwesten. Nur der nördliche Teil des Westflügels lässt noch Altbausubstanz ahnen, südlich herrscht eine zurückhaltende Moderne der 1950er-Jahre. Foto: Bieri 2019.  



Die Kirche
 
RohrGrundriss1921
Im Kirchengrundriss sind schwarz auch die südlich anschliessenden und noch bestehenden Räume des Chorherrenstifts eingetragen. Deutlich ist auch die Chorschranke hinter dem Zelebrationsaltar zu sehen. Der südliche Mittelaltar fehlt, weil sich hier bis 1803 der Haupteingang der Konventualen befindet. Quelle (alle drei Pläne): Kunstdenkmäler von Niederbayern, Band VII Bezirksamt Kelheim, München 1922.  
RohrSchnitt1921
Längsschnitt 1922. Die Fenster weisen noch die Verglasungen des 19. Jahrhunderts auf.  
RohrQuerschnitt1921
Querschnitt durch das Langhaus (links, Nord) und das Querschiff (rechts, Süd).  
RohrAltar1
Der Hochaltar von Rohr dominiert den Kirchenraum. Das eigentliche und auch erste Meisterwerk von Egid Quirin Asam, welches er 1722–1723 mit weiteren, unbekannten Stuckateuren aufstellt, ist eine mit allen Mitteln der Bühnenkunst visualisierte plastische Darstellung der Himmelfahrt Mariens. Die Ausmasse der raumbeherrschenden Altarinstallation sind eindrücklich. Der Bühnensockel liegt bereits drei Meter über dem Chorniveau. Die vier Säulenpaare für die Oberbauten sind in der Tiefe sechs Meter gestaffelt, bilden aber für den Beschauer eine einzige Schauwand. Nur der baldachinartige runde Kronreif, der von Gottvater und Christus in einer Lichtglorie gehalten wird, lässt die Tiefe erahnen. Raffiniert nutzt Asam auch das verdeckte Seitenlicht. Der alle Konventionen sprengende Altar geht auf die Wirkung der Vorbilder der Brüder Asam wie Andrea Pozzo und Gianlorenzo Bernini zurück.
Foto: Bieri 2014.
 
RohrAltar2
Die Gruppe der um den leeren Sarkophag in dramatischen Gesten versammelten Jünger und die vor blauem Draperiehintergrund frei im Raum schwebende Maria, die von zwei Engeln getragen wird, sind Meisterwerke der Stuckplastik. Foto: Bieri 2014.  
RohrIInnenDecke
Der Blick in die Gewölbe von Altarraum, Vierung und Langhaus zeigt den Verzicht auf Fresken und eine rein ornamentale Behandlung der Flächen. Das ornamentale Vierungsfresko in Goldocker scheint eine Verlegenheitslösung zu sein. Vorherrschend ist überall eine schwere ockerfarbene Brokatmalerei, die mit dichtem und italienisch anmutendem Stuck in der Art der Carlone, sowie mit grosszügiger Figuralplastik umgeben ist. Foto: Bieri 2014  
RohrInnenChorbogen
Am Chorbogen-Scheitel ist eine farbig gefasste Gruppe mit der Glorie des hl. Augustinus angebracht, deren das Szepter tagende Putto mit dem Schriftband bereits im Raum schwebt. Foto: Bieri 2019.  
RohrDecke1
Der Verzicht auf Gurtbögen im Langhaus und die Herstellung eines zusammenfassenden Mittelfelds ist ein Hinweis, dass offensichtlich die Brüder Asam noch mit einem Deckenfresko rechneten. Stattdessen, wahrscheinlich aus finanziellen Gründen, wird später das Feld mit reiner Régence-Ornamentik gefüllt. Foto: Bieri 2014.  
RohrInnenEmpore
Das Mittelschiff Richtung Orgelempore. Foto: Bieri 2014.  
RohrOrgel
Die Orgel von 1725 ist ein Werk des Orgelbauers Johann Konrad Brandenstein. Der mehrtürmige Orgelprospekt nimmt die ganze Breite der Empore ein, sein Mittelturm und zwei flankierende Posaunenengel werden vom Fensterlicht hinterfangen. Für das grosse Westfenster, in dessen Licht innen eine Säulen-Ädikula in Stuckmarmor gestellt ist, dürfte noch Asam verantwortlich sein, der hier auf die Gegenlichtregie des Chors antwortet.
Foto: Bieri 2019
 
RohrWappenHeydon
Egid Quirin Asam ist der Schöpfer dieser aussergewöhnlichen Wappenkartusche an der Emporenbrüstung. Das Haupt schmückt eine lächelnde Schönheit mit Zöpfen und bekrönender Haube. Beidseitig ist die Kartusche von Füllhörnern flankiert, aus denen züngelnde Blätter und Schalmeien wachsen. Sie fassen das gespaltene Wappen Heydon. Es zeigt vorne in Blau einen doppelschwänzigen goldenen Löwen und hinten in Rot einen schwarzen, aufgerichteten und linksgewendeten Ziegenbock. Foto: Bieri 2019.  
RohrInnen3
Die Eckausbildung Nord-Ost der Vierung. Doppelte Dreiviertelsäulen betonen die abgeschrägten Ecken der Vierung. Die Säulen und Pilaster sind mit hochgerollten Voluten ungemein lebendig gestaltet. Über dem hohen und wenig ausladenden Gebälk die stark farbig gefassten Gewölbegliederungen mit Akanthus in den Gurtbögen und Régence-Ornamentik in den Feldern. Foto: Bieri 2019.  
RohrDetailStuckVierung
Eine der überlebensgrossen Engelsfiguren in den Pendentifs der Vierungskuppel, die scheinbar mühelos das Kuppelfeld tragen. Foto: Bieri 2019.  
RohrPilaster
Detail eines Pilasterkapitells mit der Gebälkausbildung im Langhaus. Foto: Bieri 2019.  
RohrI6Kanzel
Die Kanzel ist das Werk eines unbekannten Bildhauers. Die Régence-Ornamentik weist auf eine Erstellung in den 1730er-Jahren hin. Auf dem Schalldeckel steht die Figur des Ordensheiligen Augustinus, auf der bewegt gegliederten Brüstung sitzen die vier Evangelisten. Die Kanzel sitzt am epistelseitigen Vierungspfeiler.
Foto: Bieri 2014.
 



Die Querhausaltäre
 

Die Stuckmarmor-Querhausaltäre an den Aussenwänden der Querhäuser sind wie der Hochaltar mit einer Tiefenstaffelung von Säulen und mit gespaltenen Segmentgiebeln gestaltet. Das Retabel steht frei dazwischen. In das Oberlicht im Auszug ist wie bei der Orgel eine Säulenädikula gestellt. Die beiden Altäre sind Werke von Egid Quirin Asam. Beide haben fein gearbeitete und gefasste Tabernakel eines unbekannten Meisters.
 
RohrAltar3
Im südlichen Querhausaltar, dem Josephsaltar, stellt das Altarblatt von Johann Jakob Plätzger die Apotheose des hl. Joseph dar. Die Begleitstatuen sind die hll. Ambrosius und Monika.
Foto: Bieri 2019.
 
RohrAltar4
Der nördliche Querhausalter, der Peter- und Paul-Altar, ist verdeckt auch seitlich belichtet. Er ist mit dem Datum 1722 versehen. Das Altarblatt stammt, vielleicht erst 1725, von Cosmas Damian Asam und stellt den Abschied der beiden Apostel vor dem Martyrium dar. Die Begleitstatuen sind die hll. Georg und Florian. Foto: Bieri 2019.  


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Exkurs

Sind die Brüder Asam auch Architekten?

AsamCosmas   AsamEgid   Cosmas Damian Asam Pictor et Architectus[1]


So lautet die Signatur im Fresko des Kuppelgewölbes in Weltenburg. Ob Cosmas Damian Asam sich wirklich mit dem Zusatz «Architectus» anstelle der Jahreszahl 1721 verwirklicht, ist umstritten. Dies, weil die Jahreszahl heute ausserhalb der Signaturkartusche zu finden ist und der Zusatz «Architectus» seltsam gedrängt geschrieben ist. Vielleicht steht bis zu einer der frühen Freskenrestaurationen die Jahreszahl 1721 anstelle des Wortes Architectus.[2] Die Zweifel werden nicht kleiner, wenn man in Betracht zieht, dass sich sonst keiner der beiden Brüder Asam je als Architekt bezeichnet, weder in Signaturen noch in schriftlichen Dokumenten.
Selbstporträt von Cosmas Damian und Porträt von Egid Quirin Asam, beide um 1725 gemalt. Originale im Diözesanmuseum Freising.
Bildquelle: Ausstellungskataloge, überarbeitet.
Derart werden sie erst von Chronisten bezeichnet, Cosmas Damian für Weltenburg erstmals durch Abt Maurus Kammermacher 1762 und nochmals Anfang des 19. Jahrhunderts von Abt Benedikt Werner. Sein Bruder Egid Quirin wird 1721 in Rohr vom Chronisten als derjenige bezeichnet, «(d)er das Gebäu führte». Beim dritten und letzten Bauwerk, der Johann-Nepomuk- oder Asamkirche in München, würde diese für Rohr noch falsche Benennung sogar zutreffen. Tatsächlich ist Egid Quirin der vielseitigere Künstler als sein Bruder. Die Wahrnehmungen der am Baugeschehen unbeteiligten Personen sind allerdings im 18. Jahrhundert wie noch heute abweichend von den tatsächlichen Planungsvorgängen und ihrer Umsetzung in ein gebautes Werk. Vor allem die Kunstwissenschaft bevorzugt immer grosse Namen.[3] So sind aufgrund der Signatur in Weltenburg und der Nennung als Bauleiter in Rohr Cosmas Damian Asam und Egid Quirin seither nicht nur wirklich grossartige Innenraumgestalter, sondern auch die Baumeister-Architekten der beiden Kirchenbauwerke.

«Architectus ist ein Baumeister»
Dies schreibt noch 1788 Johann Ferdinand Roth in seinem Lexikon. Die Bezeichnung Architekt für den Planer und Leiter eines Bauwerks setzt sich im deutschen Sprachraum erst im späten 18. Jahrhundert durch. Der Baumeister, lateinisch architectus, ist zur Zeit der Brüder Asam für die von ihm geplanten Bauwerken technisch und kostenmässig verantwortlich, auch bei Gebäudeentwürfen von Künstlern oder Bauherren. Im architektonischen Standardwerk «De architectura libri decem» verurteilt der Verfasser Vitruvius die Trennung zwischen dem planenden und ausführenden Baumeister, wie sie in Italien und Frankreich schon im 16. Jahrhundert üblich ist.[4] Die Bezeichnung des Entwerfers als Architekten ist deshalb auch bei den lateinisch gebildeten Klosterchronisten im deutschsprachigen Raum keine Seltenheit. Bei Malern und Bildhauern, die sich als reine Entwerfer von Teilen des Bauwerks oder als Bauplaner betätigen, ist dies sogar üblich. Denn Künstler- Maler oder Bildhauerarchitekten als Baumeister im Sinne Vitruvs zu bezeichnen, ist sogar den barocken Zeitgenossen suspekt. Auch Cosmas Damian ist in Weltenburg nicht Architekt im Sinne des vitruvianischen Baumeisters, ebensowenig wie Egid Quirin Asam in Rohr. Sie wären mit ihrer Ausbildung als Maler und Bildhauer nicht in der Lage, eine Baustelle zu leiten und die Verantwortung für die Einhaltung der Regeln der Baukunst zu übernehmen. Dies schmälert nichts an ihrem architektonischen Gespür für Rauminszenierungen. Ihre Nennung als Baumeister oder als alleinige Architekten der jeweiligen beiden Sakralbauwerke in Weltenburg und Rohr ist aber falsch.

Maler und Bildhauer als Architekten
Die grossen römischen Baumeister Carlo Maderno, Gianlorenzo Bernini und Francesco Borromini entstammen wie Egid Quirin Asam dem Bildhauerhandwerk. Wie Cosmas Damian Asam ist Pietro da Cortona Maler, prägt aber gleichzeitig die römische Barockarchitektur. Auch der für das Architekturverständnis der Brüder Asam entscheidende Andrea Pozzo stammt aus dem Malerhandwerk. Eine Tätigkeit der Asam als Baumeister würde deshalb kaum besondere Beachtung verdienen, wenn sie wie die oben erwähnten Baumeister die Architektur im Sinne von Vitruv als eigenständige Gattung verständen. Sie verstehen aber Sakralbauten nicht, wie dies bis zu ihrem Auftreten üblich ist, als arbeitsteilige Aufgabe zwischen Baumeister, Stuckateur, Bildhauer und Freskanten, «sondern – jenseits damals gängiger Berufs- und Fachgrenzen – als Synthese aller Künste, bei der die malerischen, bildhaften, atmosphärischen Werte zunehmend die tektonischen, struktiven, körperhaften Qualitäten verdrängen».[5] Sie bauen Bildräume, lösen die Architektur auf. Ähnlich planen ihre Wessobrunner Zeitgenossen, die Brüder Johann Baptist und Dominikus Zimmermann. Auch sie stammen aus dem Stuckateur- und Malerhandwerk. Zu den Brüdern Asam besteht aber der entscheidende Unterschied, dass Dominikus Zimmermann auch die Verantwortung als Baumeister übernimmt, etwa in Siessen, in Steinhausen oder bei der Wieskirche.
Es gilt deshalb, von der alten Überzeugung der Kunsthistoriker abzurücken, die Brüder Asam seien die eigentlichen Baumeister-Architekten der Kirchen in Rohr und Weltenburg, auch wenn sie entscheidend deren Innenräume geprägt haben.
Dass sie als Asam-Räume bezeichnet werden, ist eine populäre, und angesichts der grossen Leistung der Asam-Werkstatt auch vertretbare Aussage. Selbst die Kunstgeschichte verdrängt aber gerne, dass die geistlichen Auftraggeber einen barocken Sakralraum viel entscheidender als die Künstler prägen und sie beachtet die übliche Kollektivplanung, die auch zum Ergebnis von Rohr und Weltenburg führt, meist nicht.

Pius Bieri 2019

Literatur
Stalla, Robert: Cosmas Damian Asam und Egid Quirin Asam. Der Maler und Bildhauer als Architekt, in: Architekt und / versus Baumeister. Die Frage nach dem Meister. Zürich 2009.
Egger, Hans Christian: Die Pfarr- und Abteikirche St. Georg in Weltenburg und ihre Baugeschichte. Eine Neuinterpretation. Dissertation Wien 2010.

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Anmerkungen

[1] Die lateinischen Bezeichnungen pictor, architectus für Maler und Architekt sind in der Signatur grossgeschrieben.

[2] Vergleiche die einleuchtende Fotomontage in der Dissertation Egger (2010).

[3] Fünf Beispiele für die Bevorzugung grosser Künstlernamen:
1.   Das Stadtpalais Kaunitz-Liechtenstein in Wien wird 1691-1692 von Enrico Zucalli nach eigener Planung im Rohbau erstellt. Dann übernimmt Domenico Martinelli die Leitung. Für Wiener Kunsthistoriker ist nicht der ursprüngliche Planer, sondern der in Wien bekanntere Martinelli Architekt des Palais.
2.   Balthasar Neumann wird in Würzburg als Architekt der Würzburger Residenz bezeichnet, obwohl er im Planungskollektiv von 1729–1738 nur zweiter Planer ist. Maximilian von Welsch (Mainz) und Lucas von Hildebrandt (Wien) als Hauptplaner der Residenz werden kaum genannt. Wie in Wien wird hier eine Lokalgrösse bei der Namensnennung bevorzugt.
3.   Joseph Greissing ist Planer und ausführender Baumeister vieler wichtiger Bauten der Region Würzburg, so unter anderen der berühmten Neumünsterfassade (1710), des Klosters Ebrach (1715) und vieler Kirchen mit wegweisenden Einturmfassaden. Noch lange wollen viele Kunsthistoriker diese Werke Greissing nicht zuschreiben und suchen nach bekannteren Namen wie Johann Dientzenhofer (Neumünster) oder Balthasar Neumann (Ebrach, Kirche von Steinbach). Hier liegt der Grund in der abwertenden kunsthistorischen Einreihung Greissings als Zimmermann und nicht als Baumeister-Architekt.
4.   In Zwiefalten wird 1750–1753 durch den Bildhauer Johann Joseph Christian und den Baumeistern Schneider die Westfassade der Klosterkirche gebaut. Obwohl keine Dokumente auf den Baumeister Johann Michal Fischer hinweisen, der schon 1746 Zwiefalten verlässt, und obwohl die Fischer-Biografin Gabriele Dischinger das Werk ausschliesslich Christian zuordnet, wird noch von Bernhard Schütz (2000) die Fassade als Meisterwerk Fischers bezeichnet. 
5.   Ein moderner Fall, bei dem die eigentlichen Planer verschwiegen werden, um mit einem grossen Namen zu glänzen, ist das Corbusierhaus in Berlin. Le Corbusier entwirft 1956 für Berlin eine «Unité d'habitation». Sie wird zwar gebaut, aber ohne jeden Respekt vor den Plänen und den Intentionen des grossen Architekten. Trotz seiner klaren Distanzierung vom übel geänderten Bau wird Corbusier heute als Architekt des Berliner «Corbusierhauses» bezeichnet.

[4] Vitruv verurteilt in seinem Traktat «De architectura libri decem» die Trennung zwischen einem planenden und einem ausführenden Baumeister. Er nennt den Fachmann, der das Gebäude plant, für die Einhaltung der Regeln der Baukunst verantwortlich ist und das Werk auch erstellt «architectus», im Plural «architecti». Während diese Berufsbezeichnung in den deutschen Ausgaben des Traktates vom 16. bis zum 19. Jahrhundert als Baumeister übersetzt ist, wird der rein ausführende Baumeister selbst in den lateinischen Ländern nie als Architekt bezeichnet. Er wird im deutschen Sprachraum Maurermeister genannt, dieser heisst französisch: Maître maçon (maîte bâttiseur, maître constructeur), und italienisch: Capomastro, capomaestro, capomastro muratore.

[5] Robert Stalla 2009.

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