back

Die feste Ausstattung der 1808 zerstörten Mehrerauer Barockkirche und ihre weiteres Schicksal,
nach Eva-Maria Amann

Ausstattung Jahr Meister Heutiger Standort Bemerkungen

Altäre

Hochaltar
Altare Summum
1745 Johann Joseph Christian mit Josef Hofer und Franz Georg Hermann Höchst (A) 
Pfarrkirche St. Johannes der Täufer
Seit 1910 nicht mehr in der Kirche. Rudimentär in Leichenhalle erhalten. Ebenfalls hier seit 1910 verschollen: Stuckmarmorkanzel aus der Mehrerau.
Johannesaltar
1747 Abraham Bader und Franz Georg Hermann Satteins (A)
Pfarrkirche St. Georg
 
Josephsaltar
1747 Abraham Bader und Franz Georg Hermann Satteins (A)
Pfarrkirche St. Georg
 
Benediktaltar
1740   Untereggen (SG)
Pfarrkirche St. Maria Magdalena
 
Scholastika-Altar  Kreuzaltar Marienaltar 1744 Alle von Abraham Bader und Franz Georg Hermann   Bis 1903 in Schwarzach (A) in Pfarrkirche, seither verschollen
3 Seitenaltar im Chor 1763 Jakob Schilling, Angelika Kaufmann (Altar I) Schwarzenberg (A)
Pfarrkirche zur hl. Dreifaltigkeit
 
1 Seitenaltar im Chor um 1775 Künstler unbekannt Scheffnau (A)
Pfarrkirche St. Martin
Heute Hochaltar

Übrige Kirchenausstattung

Chorgitter
1739 Mathias Kalchgraber   Verschollen
Chorgestühl 1741 Johann Joseph Christian mit Josef Hofer Bregenz (A)
Stadtpfarrkirche St. Gallus
Im Chor der Kirche. 38 Sitze. Schreinerarbeit durch Klemens Seehuber, Fassung durch Johann Geiger.
Bankdoggen
1741 Johann Joseph Christian Berneck (SG)
Pfarrkirche Unserer Lieben Frau
 
Beichtstühle
um 1745 Künstler unbekannt Schwarzach (A)
Pfarrkirche St. Sebastian
 
Grosse Orgel
1745 Johann Georg Aichgasser   Verschollen
Chororgel
1745 Johann Georg Aichgasser   in Dornbirn-Haselstauden bis 1856 nachgewiesen, heute verschollen.



Verbleib von weiteren Wertgegenständen aus der Mehrerau wie Plastiken, Glocken, Turmuhr, Kultgegenstände und Kirchensilber: Siehe Eva-Maria Amann in Montfort, Jahrgang 52, Heft 4 (Dornbirn 2000).

back

Die Meister
Name Herkunft Text   Tätigkeit von   bis
Franz Anton Beer (1688–1749) Bregenz     Baumeister-Architekt 1738   1739
Johann Michael Beer von Bildstein (1696–1780) Au Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1740   1743
Abraham Bader (1694–ca. 1750) Wessobrunn BaderAbraham   Stuckateur 1741   1747
Johann Joseph Christian (1706–1777) Riedlingen ok   Bildhauer 1741   1745
Franz Georg Hermann (1692–1768) Kempten ok   Maler und Freskant 1742   1747
Johann Georg Aichgasser (1701–1767) Hechingen     Orgelbauer 1745   1745
Johann Ferdinand Beer (1731–1789) Au Vorarlberg ok   Baumeister-Architekt 1779   1781
Peter Anton Moosbrugger (1732–1806) Schoppernau Vorarlberg     Stuckateur 1780   1781

Mehrerau

Ehemalige Benediktinerabtei und Kirche St. Peter und Paul

Gründung auf Umwegen
Graf Ulrich X. von Bregenz siedelt 1086 im Herzen des Bregenzerwaldes, in Andelsbuch, Benediktinermönche aus Petershausen bei Konstanz an. Ihr Vorsteher ist Meinrad oder Meginrad.[1] In der Benediktinerabtei Petershausen findet in diesem Jahr eine grosse Umwälzung statt: Der neue, energische Abt Dietrich setzt unter Protektion von Bischof Gebhard III. die Hirsauer Reform durch. Die Mönche der neuen Niederlassung im Bregenzerwald und vor allem ihr Vorsteher Meinrad haben die Reformbemühungen des Hirsauer Mönches und Bischofs Gebhard III. jahrelang bekämpft. Nun dürfen sie in der noch nicht urbanisierten Gegend ihre Tatkraft beweisen. Den städtischen Mönchen behagt aber das abgelegene Leben nicht, sie fühlen sich nicht zum Bergsteigen und Holzfällen berufen. Sie versuchen um 1092, ihr Kloster nach Bregenz zu verlegen. Nach einem vorübergehenden Standort in der Stadt weist ihnen Graf Ulrich X. einen Platz am Bodenseeufer westlich von Bregenz zu.. Hier legt am 27. Oktober 1097 ausgerechnet der Reformbischof von Konstanz, Gebhard III. den Grundstein der Klosterkirche. Der ehemalige Reformgegner Meinrad ist nun Abt einer Neugründung mit strengen Hirsauer Reformvorschriften. Das neue Kloster in der «mehreren» (grossen) «Aue» wird vorerst als St. Peter in der Au bezeichnet. Es nennt sich später neulateinisch «Monasterium Brigantinum» oder «Augia major».[2]

Die romanische Basilika und das mittelalterliche Kloster
Die 1097 begonnene Kirche wird 1125 zu Ehren der Heiligen Petrus und Paulus geweiht. Über ihre Gestalt sind wir aufgrund von Grabungen[3] besser dokumentiert als über die barocke Nachfolgekirche, auch wenn die Rekonstruktionen sehr spekulativ sind.[4] Die dreischiffige romanische Kirche mit Vierung und leicht vorstehendem Querschiff ist im Vergleich zu gleichzeitigen Bauten der Hirsauer Reform, wie Schaffhausen oder St. Peter und Paul zu Hirsau, von bescheidener Grösse. Sie lässt sich mit der partiell erhaltenen St. Aurelius-Kirche in Hirsau (1071) vergleichen. Wie St. Aurelius, das die Herkunft aus der zweiten Kirche von Cluny nicht verleugnen kann, hat sie einen Vierungsturm, wahrscheinlich aber keine Westtürme.
Über die Gestalt des mittelalterlichen Klosters sind wir nur durch wenige Ansichten informiert. Gabriel Bucelin stellt in seinem zwischen 1627 und 1635 entstandenen Werk mit den Abbildungen der Benediktinerklöster die Mehrerau von Süden gesehen dar.[5] Präziser fasst er die Gebäude in einer 30 Jahre später entstandenen Zeichnung. Die zweigeteilte Skizze zeigt das Bauwerk von Osten.[6] In der Tradition der Bauvorschriften von Cluny, den «Consuetudines», die von Hirsau übernommen werden, befindet sich im Obergeschoss des Osttraktes das Dormitorium, darunter der Kapitelsaal und von dort gelangt man in die Marienkapelle (ecclesia infirmorum), an die das Krankenhaus anschliesst. Im Osttrakt liegt auch der Baderaum mit Wärmestube. Der Südtrakt wird im Erdgeschoss durch das Refektorium und die Küche eingenommen. Vor den Westtrakt mit der Abteipforte stellt Bucelin in der aquarellierten Zeichnung von 1628, die er nach Fremdunterlagen erstellt, einen westlich angebauten schlanken Turm dar. In den späteren eigenhändigen Aufnahmen fehlt dieser. Die spätere Aufnahmezeichnung ist auch sonst absolut glaubwürdig, sei es in der Anzahl oder in der Form der Fenster oder in den Dachformen.

Die Abtei Mehrerau im 16. und 17. Jahrhundert
Die Grafschaft Bregenz wird 1523 habsburgisch. Das Land vor dem Arlberg ist nun Teil der gefürsteten Grafschaft Tirol, ein Landvogt in Feldkirch verwaltet das Vorarlberg, in dem Mehrerau die einzige Abtei ist.[7]   Sie hat, im Gegensatz zu den anderen Bodenseeabteien, das Spätmittelalter verschlafen und kann zwar grossen Grundbesitz vorweisen, hat aber keine Gerichtsbarkeit und keine landesherrlichen Rechte. Im Kloster dominiert die Herkunft aus der bürgerliche Oberschicht von Bregenz. Als sich 1603 die oberschwäbische Benediktinerkongregation formiert,[8] sind unter den sieben Gründerabteien nur Wiblingen und Mehrerau nicht auf der Prälatenbank im Reichstag vertreten. Auch der Einzugsbereich der Konventualen beschränkt sich auf die nähere Umgebung, in der allerdings nicht nur berühmte Baumeister, sondern auch hervorragende Mönche heranwachsen. Dank ihrer guten Bewirtschaftung des ausgedehnten Grundbesitzes, und auch dank eines relativ harmlosen Verlaufes des Dreissigjährigen Krieges (erst 1647 wird das Kloster, ohne Zerstörungen, durch die Schweden geplündert) kommt die Abtei in der beginnenden Barockzeit zu einem gewissen Wohlstand.

Kirchenneubau 1740–1743
Abt Franciscus I. Pappus von Tratzberg zu Laubenberg und Rauhenzell (1728–1748), trotz des langen Titels[9] aus einer ursprünglich bürgerlichen Vorarlberger Familie stammend, ist ein gebildeter und musisch begabter Prälat. Für die «Kirchenreparation» und den Neubau eines Turmes schliesst er 1738 einen Vertrag mit dem Bregenzer Baumeister Franz Anton Beer (1688–1749). Offensichtlich wird während der Planung festgestellt, dass sich die kleine romanische Basilika schlecht zu einem Barockraum umgestalten lässt. 1739 schliesst Abt Franciscus einen neuen Vertrag für den völligen Umbau der romanischen Kirche. Der jüngere Vetter des Baumeisters Franz Anton Beer, Johann Michael Beer I (1696–1780) von Bildstein, ist Palier und übernimmt die Ausführung. Er ändert auch die Pläne. Die barocke Kirche von Mehrerau ist sein erstes grosses Werk. Er übernimmt im Grundriss die Seitenschiffmauern der romanischen Basilika und vergrössert deren Querschiff.  Er verlängert die Kirche im Osten um einen eingezogenen Chor mit Chorturm und im Westen um eine kreisrunde Vorhalle mit zwei seitlichen Oratorien und darüber liegender Empore. Davor setzt er eine originelle geschwungene Fassade, die er später bei der Chorlösung der Stiftskirche von St. Gallen, vollendet und reicher, nochmals ausführt. Die Vierung zeichnet er mit einer Scheinkuppel von acht Metern Durchmesser aus. Die seitlichen Teile des Querschiffes sind durch ein abgetrepptes Gitter zum Mönchschor in Beziehung gesetzt, der sich jenseits des Querschiffs in der Breite des Schiffes um zwei Fensterachsen fortsetzt. Dann folgt, durch drei Stufen erhöht, das eingezogene, im Halbkreis geschlossene Altarhaus. Falls der Neubau von 1855 tatsächlich wieder auf den alten Fundamenten basiert, wird der Altarhausbereich abweichend vom seit 1951 bekannten Grundrissplan Beer (1740) um etwa vier Meter länger ausgeführt. Die Einweihung der neuen Abteikirche findet 1743 statt.

Zum Aussehen der barocken Kirche
Die einzige bekannte Ansicht der Kirche ist erst 11 Jahre nach dem Abbruch entstanden. Wenn man diese Ansicht mit dem erhaltenen originalen Grundrissplan der barocken Kirche vergleicht,[10] stellt man trotz laienhafter Darstellung eine hohe Genauigkeit fest. Turm und Westfassade sind mit rötlichem Quadermauerwerk gezeichnet. Vermutlich sind es Natursteinfassaden gemäss dem Vorbild Weingarten.[11]
Der Innenraum in den Formen einer spätbarocken Saalkirche hat eine Innenbreite von 15 Meter und eine Innenlänge von 58 Meter. Eine Scheinkuppel betont die Kreuzung von Langhaus und Querhaus, am gleichen Ort wie der romanische Vierungsturm. Die Wände sind mit Pilastern gegliedert. Die Anordnung der Kirchenfenster deutet auf ein umlaufendes Kranzgesims über den unteren Fenstern und auf ein flaches Stichkappen-Stuckgewölbe hin. Ein Raum dieser Art und Grösse, ohne Scheinkuppel, kann man im schweizerischen Cham bei Zug erleben.[12] Die dortige Pfarrkirche St. Jakob ist zwar erst 1783 entstanden, bietet aber das Raumerlebnis der barocken Kirche der Mehrerau, wo 40 Jahre vorher zudem ausgezeichnete Meister des Rokoko am Werk sind. Freskant ist der Kemptener Hofmaler Franz Georg Hermann (1692–1768), er malt auch die Altarblätter. Der Riedlinger Bildhauer Johann Joseph Christian (1706–1777) erstellt Chorgestühl, Choraltar und Figurenplastik. Um ihn streiten sich die Äbte von Zwiefalten und Mehrerau, der Zwiefaltener Abt hat ihn ebenfalls unter Vertrag und will ihn 1745 nicht mehr für weitere Arbeiten hergeben. Für die Stuckmarmorarbeiten ist der Wessobrunner Abraham Bader (1694–ca. 1750) zuständig. Vermutlich ist er auch Schöpfer der Raumstuckaturen im Unterakkord des Baumeisters.
Man muss die Räume der Residenz von Kempten (Fresken Hermann, Stuck Bader) zusammen mit der Ausstattung der Klosterkirche Zwiefalten (Bildhauer Christian) vor Augen haben, um die Qualität der Innenraumgestaltung von Mehrerau zu erahnen. Zu diesem Raumeindruck zählt auch das Chorgitter von Mathias Kalchgraber, dem Schlossermeister der Benediktinerabtei Isny. Es bildet einen im Grundriss ausgreifenden, mehrfach abgewinkelten Abschluss im Bereich des Querschiffes, mit «Laubwerckh wahrhaft und zierlich». Ein weiteres Kunstwerk steht auf der Westempore: Johann Georg Aichgasser aus Überlingen erstellt 1745 die grosse Orgel. Über die weiteren Beteiligten am Gesamtkunstwerk gibt die noch erhaltene Turmknopfurkunde von 1745 Auskunft.[13] Sie führt auch die 23 Konventualen der Abtei auf und erwähnt als internen Bauverantwortlichen Pater Maurus Feurstein.

Ausstattung   Zur Tabelle: Ausstattungschicksale der 1808 zerstörten Mehrerauer Barockkirche.
Turmknopf   Turmkugeldokument 1745, Auszug der Baubeteiligten.


Neubau der Abtei 1779–1781

Als Nachfolger des Abtes Franciscus I. wird 1748 Johann Baptist von Mayenberg gewählt. Am Ende seiner Regierungszeit (1748–1782) schliesst er mit dem hauptsächlich für das Fürststift St. Gallen tätigen Vorarlberger Baumeister Johann Ferdinand Beer (1731–1789) einen Vertrag über den Neubau einer Dreiflügelanlage an Stelle der alten Konventbauten südlich der Kirche. Beer ist ein Neffe von Johann Michael Beer von Bildstein und hat mit ihm die Doppelturmfassade der St. Galler Stiftskirche gebaut. Er errichtet in Mehrerau von 1779 bis 1781 die Neubauten des Konvents. Die Anlage ist auf dem «Prospect des Stift und Benedictiner Klosters Merrerau nächst Bregenz» um 1800 in der Vogelschau erfasst. Die Westfront wird von der barocken Kirchenfassade geprägt, anders als heute ist die Klosterfassade mit dem Mittelrisalit eingebunden. Anstelle der Mittelrisalite im Süd- und Osttrakt sind seit 1894 senkrecht zur Fassade stehende Neubauten zu finden. Die Innenräume der barocken Abtei stuckiert 1781 Peter Anton Moosbrugger (1732–1806). Sie stellen im Werk des Vorarlbergers die Zäsur vom verspielten, graziösen Rokoko zum ruhigen, toten Klassizismus dar, auch wenn er noch immer mit der Rocaille-Kartusche arbeitet. Im Nachbarland Bayern verbietet der Kurfürst in einem Mandat bereits 1770 das Anbringen «lächerlicher Zierarten», womit er den Rokokostuck bezeichnet. Dieses obrigkeitliche Durchsetzen des Klassizismus in Bayern geht parallel zum aufgeklärten und kirchenfeindlichen  «Josephinismus» in Österreich, der zu Zeit des Konventneubaus der Mehrerau seinen Höhepunkt erlebt.[14] Die österreichischen Klosteraufhebungen von 1782–1783 sind die Vorboten der Säkularisation von 1806.

Das Ende der Benediktinerabtei und bayrischer Vandalismus
Am 26. Dezember 1805, nach der Dreikaiserschlacht von Austerlitz, muss Österreich das Land Vorarlberg und die Grafschaft Tirol an das mit Napoleon verbündete Bayern abtreten. Bayrische Beamte inventarisieren im Frühjahr 1806 das Klostervermögen. Am 1. September des gleichen Jahres folgen die formelle Aufhebung der Abtei und die Ausweisung der Mönche bis Ende Februar 1807. Die wertvollsten Gegenstände, vor allem das Kirchensilber, kommen sofort nach München. Die restliche Kirchenausstattung, das Konventmobiliar und die  Ökonomie-Fahrhabe werden versteigert. Die Bürger von Bregenz plündern derweil die Bibliothek, sie können die wertvollen Bücher als günstiges Zwischenboden-Dämmmaterial gut gebrauchen.[15] Bregenzer Kinder spielen anfangs des 19. Jahrhunderts mit Inkunabeln und Pergament-Manuskripten. Sakrale Ausstattungen wie die Altäre oder das Chorgestühl werden mehr geschätzt und finden eine neue Heimat in Pfarrkirchen des Vorarlbergs und der Schweiz. Am 1. Dezember 1808 lädt die neue Behörde zum Spektakel des Turmeinsturzes ein, die Vandalenaktion findet am 7. Dezember statt. Anschliessend folgt der Kirchenabbruch, das Material dient zu Anlage des neuen Hafens in Lindau. Die Klostergebäude werden als Schloss «Karolinenau» der neuen bayrischen Königin Karoline zum Geschenk gemacht. Die Protestantin auf dem Bayernthron wohnt aber nie hier. 1814 ist der bayrische Spuk vorbei. Die Konventgebäude verwahrlosen jetzt. Nach dem Verkauf an Private für 17 500 Gulden dienen sie vorerst als Fabrik. 1839 bricht in den vernachlässigten Gebäuden ein Brand aus. Wiederhergestellt, dient das Kloster nachher als Kaserne.

Neue Blüte mit den Zisterziensern von Wettingen
1841 säkularisiert der neue schweizerische Kanton Aargau die Zisterzienserabtei Mariastella von Wettingen und weist die Mönche aus. 1853 kann die Klostergemeinschaft mit Hilfe finanzkräftiger antiliberaler Kreise die Mehrerau für 48 000 Gulden kaufen. Sie ziehen unter dem Schutz des österreichischen Kaiserhauses und zur Freude der Bevölkerung 1854 in der Mehrerau ein. Ihre neue Heimat heisst nun Wettingen-Mehrerau. Der Leitspruch der 1227 gegründeten Abtei Wettingen lautet: Non mergor – Ich gehe nicht unter. Er hat sich bewahrheitet. Der Konvent baut 1855–1859 auf den alten Kirchenfundamenten eine Kirche im Münchner Rundbogenstil. Sie ist im westlichen Teil identisch mit den Massen des Planes von 1740, scheint aber im östlichen Teil verlängert worden zu sein.[16] Im Norden des barocken Westflügels klafft seither eine Lücke. 1962–1964 wird die Kirche nochmals völlig umgebaut. Der einschiffige Raum mit nun offenem Dachstuhl beeindruckt durch seine architektonische Strenge.
Bereits 1854 gründen die Zisterzienser von Wettingen-Mehrerau auch ein Klosterschule, das Collegium Bernardi. Pater Alberich Zwyssig (1808–1854) kann noch die Kollegiatshymne komponieren. Die Schule hat 1894 erstmals 200 Zöglinge. Die nun notwendigen Schulbauten entstehen anstelle der ehemaligen Ökonomieflügel im Westen der Klosteranlage.
Der Erfolg und die Vergrösserung des Konvents zwingen auch zu Veränderungen an den Konventbauten. Süd- und Osttrakt erhalten 1894 anstelle der Mittelrisalite weit vorstehende neue Flügel. In diesen Bauten des Historismus sind heute die neuromanischen und neugotischen Räume des Kapitelsaales, der Bibliothek und des Refektoriums zu finden.
Den Zisterziensern der Mehrerau ist weiterer Erfolg zu wünschen, auch wenn sie mit der Geschichte der benediktinischen Mehrerau wenig verbindet. Dieser Trennstrich ist vor allem in der eigenen Internetpräsenz augenfällig, wo über die barocke Mehrerau mit ihren Bauten und Persönlichkeiten kein Wort verloren wird und die Äbteliste 1854 beginnt.

Pius Bieri 2008

 

Benutzte Einzeldarstellungen:
Wocher, P. Laurenz OCist: Mehrerau, in: Brunner, Sebastian, Ein Benediktinerbuch, Würzburg 1880.
Spahr, P. Kolumban OCist: Die romanische Basilika der Mehrerau, in: Montfort Jahrgang 25 Heft 2-3, Dornbirn 1972.
Borst, Arno: Mönche am Bodensee, Sigmaringen 1997.
Meier-Dallach, Hans-Peter (Hrsg.): Augenblicke der Ewigkeit – Zeitschwellen am Bodensee, Lindenberg 1999.
Amann, Eva-Maria, Die Ausstattung der 1808 zerstörten Mehrerauer Barockkirche und ihre weitere Verwendung, in: Montfort Jahrgang 52, Heft 4, Dornbirn 2000.

Anmerkungen:

[1] Er ist 1079–1081 Abt  in Petershausen, tritt 1081 zurück und wird Haupt der innerklösterlichen Opposition gegen die Reformen des Hirsauer Mönchs und Konstanzer Bischofs Gebhard III. Mit dem starken neuen Reformabt Dietrich (Theoderich), einem Hirsauer Mönch, der ab 1086 regiert, kann Meinrad nicht mehr in Petershausen bleiben: Er wird als Vorsteher der Bregenzer Neugründung «in die Wüste geschickt».
Die obige Darstellung der Gründung basiert auf Arno Borst in «Mönche am Bodensee». Sie ist glaubhafter als die offizielle, kirchlich geprägte Gründungsgeschichte, bei der es zum Beispiel heisst: «So zogen vom Hirsauer Ideal erfüllte Benediktiner von Petershausen unter Abt Meinrad in das Kloster Mehrerau.» (Karl Heinz Burmeister, in Montfort, 2008 Heft 3).

[2] Bodenseeklöster mit Wortstamm Au, Auen (Augia) sind: Augia Major oder Mehrerau; Augia dives oder Reichenau; Augia minor oder Minderau, dies wird dann zu Augia Alba oder Weissenau.

[3] Grabungen 1962. Sie sind unter der Betonbodenplatte der heutigen Kirche einsehbar. Die Masse: Mittelschiffbreite 618 Zentimeter, Vierung 618 x 618 Zentimeter, Gesamtlänge innen 3570 Zentimeter, Gesamtbreite innen: 1418 Zentimeter.

[4] So zeigt die Nordansicht auf einem Andachtsbild-Stich um 1700 die Obergadenfenster als Oculi (Rundfenster). Prompt übernimmt Koumban Spahr diese frühbarocken Veränderungen als Grundlage für seine Rekonstruktionen und stellt die romanische Basilika mit Obergaden-Rundfenstern dar. Dem Zeichner Gabriel Bucelin, der das Aquarell und die Aufnahmezeichnung mit den damals noch existierenden normalen romanischen Fenstern zeichnet, unterstellt er Ungenauigkeit.

[5] Das Blatt wird fälschlicherweise von Eva Maria Amann je nach Veröffentlichung mit 1650 oder 1640 datiert. Die aquarellierte Federzeichnung Bucelin von 1628 ist aufgrund einer Vorlage des Abtes Placidus Vigell entstanden und enthält Fehler, die mit der späteren eigenhändigen Aufnahme Bucelins (Skizze von Osten) korrigiert werden.

[6] Das Blatt wird von Thomas J. Stump  in seinem Werk über Gabriel Bucelin 1976 veröffentlicht. Es liegt in der Hofbibliothek Stuttgart unter HB V 4a fol 287a, r und v.

[7] In Feldkirch wird 1610 die Johanniterkommende ein Priorat von Weingarten, 1695 von Ottobeuren. Ebenfalls in Feldkirch wird 1602 ein Kapuzinerkloster gegründet. 

[8] Bis 1640 stossen die Schwarzwaldklöster St. Peter, St. Georgen (Villingen) und St. Trudpert zur Kongregation. Die Abteien ohne Sitz im Reichstag (Wiblingen, Mehrerau, St. Georgen in Villingen, St. Trudpert und  St. Peter) werden 1782 auf Befehl des Kaisers Joseph II. in die vorderösterreichische Benediktinerkongregation vom Heiligen Joseph überführt. Der Restverband mit den Reichsabteien nennt sich nun Schwäbische Benediktinerkongregation.

[9] Die Familie Pappus, Vogteiverwalter in Feldkirch, wird 1573 von Erzherzog Ferdinand geadelt und 1718 durch Kaiser Karl VI. in den Reichsfreiherrenstand erhoben. Ihr Familiensitz ist seit 1647 Schloss Rauhenzell bei Immenstadt im Allgäu. Die Familie stirbt 1929 aus.

[10] Graphische Sammlung der Zentralbibliothek Luzern. Der Grundriss gilt als eigenhändiger Plan von Johann Michael Beer von Bildstein.

[11] Sicher ist es nicht rotes Ziegel-Sichtmauerwerk, wie die Kunsthistorikerin Eva-Maria Amann (in: Montfort, Jahrgang 52, Heft 4, Dornbirn 2000) schreibt. Ein solches ist im süddeutschen Bereich für dies Zeit unbekannt.

[12] Pfarrkirche St. Jakob, 1784-1796, von Jakob Singer. Innenlänge 50 Meter.

[13] Die Urkunde ist als Transkription in «Montfort» Jahrgang 52, Heft 4, im Aufsatz von Eva-Maria Amann aufgeführt.

[14] Die Auflösung von 527 Klöstern bringt dem Kaiser Joseph II. zwar die ungeheure Summe von 35 Millionen Gulden, aber auch die Wut der gesamten Bevölkerung, der er gleichzeitig auch das gesamte barocke religiöse Brauchtum verbietet.

[15] Hier wird ein Teil der Bücher später auch wieder aufgefunden.

[16] Wahrscheinlicher ist allerdings eine verlängerte Chorausführung bereits durch Johann Michael Beer in leichter Abänderung seines Planes von 1740. Es wäre ja nicht gerade klug, für den Wiederaufbau des Turms 1855–1859 die Fundation nochmals zu erstellen. Die für Mehrerau recht rudimentäre baugeschichtliche Quellenlage schweigt sich darüber aus.

 

 

 

  Mehrerau: Ehemalige Benediktinerabtei und Kirche St. Peter und Paul  
  Mehrerau1  
Ort, Land (heute) Herrschaft (18. Jh.)
Bregenz Vorarlberg A
Vorderösterreich
Oberamt Bregenz
Bistum (18.Jh.) Baubeginn
Konstanz 1740
Bauherr und Bauträger

okAbt Franciscus I. Pappus von Tratzberg zu Laubenberg und Rauhenzell
(reg. 1728–1748)

Johann Baptist von Mayenberg (reg. 1748–1782)
 
  Der Westflügel der ehemaligen Benediktiner- und heutigen Zisterzienserabtei ist im Äussern noch immer im barocken Zustand erhalten.   pdf  
   
Mehrerau1800
Mehrerau vor den Zerstörungen des 19. Jh. in einer aquarellierten Federzeichnung.  
   
MeherauGrRissKomb
Wenig ist vom barocken Zustand, wie er vor 1806 auf der aquarellierten Federzeichnung im Titelbild festgehalten ist, erforscht und dokumentiert.
Der obige Grundriss stellt daher nur einen Versuch dar, die barocke Anlage entsprechend dieser Vogelschauansicht aufzuzeigen. Er basiert auf dem Kirchenplan von 1740 (siehe weiter unten) und auf den noch bestehenden barocken Rohbaustrukturen.
Für Erläuterung und Vergrösserung bitte wie alle Bilddokumente anklicken.
 
MehrerauRomanisch
Die romanische Vorgängerkirche (1125) ist hier in den heutigen Kirchengrundriss von 1964 und oben in den Grundrissplan von 1740 eingezeichnet. Quelle: Ausgrabungen 1962.
Zu den Vergleichen der romanischen Kirche Mehrerau mit anderen Hirsauer Bauwerken.
 
Mehrerau1628
Die aquarellierte Federzeichnung Bucelin von 1628 zeigt das vorbarocke Kloster von Süden. Die Zeichnung ist aufgrund einer Vorlage des Abtes Placidus Vigell entstanden und enthält deshalb Fehlinterpretationen, wie den Turm vor der Abtei oder die falsche Darstellung des Seitenschiffes (Kreuzgang und Seitenschiff erscheinen zusammengefasst wie ein eigener Nordflügel). Im Ganzen bildet die Darstellung der Klosteranlage aber ein anschauliches Bild des Zustandes vor dem Dreissigjährigen Krieg.  
Mehrerau1740
Der 1740 von Johann Michael Beer gezeichnete Plan der 1806 abgebrochenen Kirche ist das einzige Dokument des barocken Kirchenraums. Das Original in der Zentralbibliothek Luzern (45 x 21 cm) ist beim Turm abgeschnitten, der hier zum besseren Verständnis ergänzt ist. Man beachte die eingezeichnete Scheinkuppel der Vierung, sowie die Lage der Altäre, des Chorgitters und der Chorstallen.  
Mehrerau1819
1819 zeichnet der einheimische Baumeister Valentin Geller die seit 11 Jahren abgebrochene Stiftskirche aus der Erinnerung. Obwohl die kolorierte Zeichnung sehr laienhaft mit umgeklappter Westfassade und völlig falsch proportioniertem Turm ausgeführt ist, stimmen doch die Details mit dem Plan 1740 und der Prospektansicht (um 1800) überein. Die wie Ziegelmauerwerk dargestellten West- und Turmfassaden sollen das sichtbare Sandsteinmauerwerk darstellen.  
Mehrerau2
Wenig ist von der reichen Ausstattung der Barockkirche nach ihrem Abbruch verblieben. In der Stadtpfarrkirche St. Gallus von Bregenz befindet sich das reiche Rokokogestühl von Johann Joseph Christian. Das 38 Stallen umfassende Gestühl ist in Bregenz nicht mehr wie ursprünglich frei im Raum aufgestellt, aber noch vollständig erhalten.  
Mehrerau2-1
«Das Gestühl vereint in selten glücklicher Weise Architektur, Skulptur und Marketterie, sowohl ornamental als auch figürlich. Eine besondere Kostbarkeit sind die halbfigurigen Darstellungen heiliger Benediktiner» (Sybe Wartena, München 2008).  
Mehrerau3
Von der 1779–1781 ausgeführten Dreiflügelanlage des Klosters ist noch der westliche Abteiflügel im ursprünglichen äusseren Erscheinungsbild erhalten. Der dreiachsige Mittelteil, architektonisch meisterhaft durchgeformt, weist schon in die klassizistische Richtung.
Bildquelle: Böhringer Friedrich in Wikipedia.
 
Mehrerau4
Das Wappenrelief über dem Eingangsportal am Westflügel. Es zeigt das Wappen der benediktinischen Mehrerau (gespalten von Silber und Rot, darauf schräg gekreuzt ein Schlüssel und ein Schwert in verwechselten Farben) und das Abtswappen von Johann Baptist von Mayenberg. Es ist geviertet und trägt als Herzschild den Habsburger Doppeladler. Feld 1 (in Rot ein links steigender bekrönter goldener Löwe) und Feld 3 (in Gold der schwarze Reichsadler) sind identisch mit dem 1783 durch kaiserliches Dekret verliehenem Familienwappen. Feld 2 (in Silber roter Schrägbalken mit drei goldenen Muscheln) und Feld 3 (schräglinks geteilt von Silber zu Rot) sind hier in Mehrerau noch zusätzlich in Silber gespalten und mit heraldisch nicht korrekten menschlichen Vollfiguren bestückt.  
Mehrerau5
Die westlich den Klosterhof begrenzenden Ökonomie- und Dienstgebäude sind mehrheitlich im 19. und 20. Jahrhundert stark umgebaut worden.  
Mehrerau6
Mehrerau präsentiert sich heute dem Besucher, hier von der südlichen Eingangsseite gesehen, mit dem Kirchturm des 19. Jahrhunderts und den dominierenden neugotischen Flügelvorbauten. Erst auf den zweiten Blick sieht man den barocken Klosterkern.
Bildquelle: Böhringer Friedrich in Wikipedia.
 

back


Benediktinerabtei Mehrerau, Turmkugeldokument 1745, Auszug der Baubeteiligten

Primum fundamentum posuit: Baumeister der Grundsteinlegung: Antonius Beer, Bregenz
Totum vero aedificium perfecit : Eigentlicher Baumeister und Vollender des Bauwerks: Johann Michael Beer von Bildstein
Fabrum lignarium egit: Zimmermann: Georg Baur, Rieden
Sculptorem: Bildhauer: Joseph Christian, Riedlingen
Scrinarium: Kunstschreiner: F. Clemens Seehueber, «ConventualisFranciscanus»
Pictorem: Maler: Franz Georg Hermann, Kempten
Stoccutatorem: Stuckateur: Abraham Bader, Wessobrunn
Pictorem Encausticum: Fassmaler: Johann Geiger, Salmansweiler
Johann Henckel, Kempten
Fenestrarium: Fensterbauer: Valentin Beck, Bregenz
Claustrarium: Schlosser: Heinrich Hagg und Johann Ginther, Bregenz
Crucem: Turmkreuz: Johann Mittler, Lindau
Deaurarunt: (Beteiligte Geistliche) Johann Sigismund ab Ach und Gerheim, Pfarrer in Dornbirn
P. Paulus Popelin OSB, Mehrerau
P. Fidelis Krenzner OSB, Mehrerau
Benedixit ac pretiosis sacrisque reliquiis instruxit: Die Einsegnung mit Hinterlegung von Reliquien vollzog: P. Apronianus Hueber OSB, Prior in Mehrerau

back